Im Dienst der Versöhnung

Laudatio zur Verleihung des Eugen-Kogon-Preises an das Maximilian-Kolbe-Werk am 17. April 2008 in Königstein/Taunus

Datum:
Donnerstag, 17. April 2008

Laudatio zur Verleihung des Eugen-Kogon-Preises an das Maximilian-Kolbe-Werk am 17. April 2008 in Königstein/Taunus

Zum fünften Mal wird nach der Stiftung des Eugen-Kogon-Preises in Erinnerung an den großen Publizisten und Politologen durch die Stadt Königstein der Eugen-Kogon-Preis verliehen.[1] Von 1950 bis zu seinem Tod am 24.12.1987 lebte er in Falkenstein, ein Stadtteil von Königstein. Mit diesem Preis soll einerseits an das leidenschaftliche Engagement Eugen Kogons für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit erinnert werden; anderseits soll auch mit der Preisverleihung eine Person oder eine Institution geehrt werden, deren Einsatz - besonders zur Wahrung der Demokratie und ihrer Werte - im Sinne der Schriften und Ideen Eugen Kogons ist. Bisher wurde in den vergangenen vier Preisverleihungen jeweils eine bedeutende Persönlichkeit geehrt. In diesem Jahr ist es eine Institution, nämlich das im Jahr 1973 gegründete Maximilian-Kolbe-Werk. Lassen Sie mich zuerst darauf zu sprechen kommen. Am Ende möchte ich die besondere Beziehung zu Prof. Dr. Eugen Kogon in Erinnerung rufen.

Manche Misshelligkeiten der vergangenen Jahre haben uns recht drastisch vor Augen geführt, wie schnell die Schatten der Vergangenheit auch heute noch das Verhältnis von Deutschen und Polen eintrüben können. Der viel diskutierte Plan, eine Gedenkstätte für die Opfer der Vertreibungen während des Zweiten Weltkrieges und in der Zeit danach zu errichten, war dabei nicht der einzige Streitpunkt - wohl aber derjenige, der die meisten Emotionen freisetzte und zu vielerlei Verdächtigungen Anlass bot. Die Entscheidung der Bundesregierung, in Berlin ein staatlich verantwortetes Dokumentationszentrum einzurichten, das sich der Geschichte der Vertreibungen in Europa widmet, hat zunächst für eine Beruhigung der Diskussion gesorgt. Der polnische Staat wird sich nicht an diesem Projekt beteiligen, nimmt aber auch keinen grundsätzlich ablehnenden Standpunkt ein.

Diese Episode spielt in unseren Tagen - mehr als 60 Jahre nach Ende des Krieges. Dies lässt etwas erahnen von der Dauer und Tiefenwirkung unserer von Gewalt und Unrecht durchdrungenen Geschichte. Sie hält Individuen und auch Völker noch nach Generationen in ihrem Bann, und sie gibt - auch dies darf nicht übersehen werden - Demagogen und Propagandisten das kontaminierte Material an die Hand, mit dem Geist und Seele der Menschen auch nach Jahrzehnten noch vergiftet werden können.

Wenn die deutsch-polnischen Verhältnisse, wie sich zeigt, auch heute noch so besonderer Aufmerksamkeit und Pflege bedürfen, so kann man sich leicht vorstellen, mit welchen Schwierigkeiten die Pioniere der Aussöhnung zwischen unseren Völkern konfrontiert waren. In diesem Umfeld beginnt die Geschichte des Maximilian-Kolbe-Werkes.

I.

Zu Beginn der 1960er Jahre befanden sich die Bundesrepublik Deutschland und die Volksrepublik Polen in einer Art von feindseligem Nicht-Verhältnis. Wegen der Hallstein-Doktrin gab es keine diplomatischen Beziehungen. Tief hatte sich in der polnischen Bevölkerung die Erfahrung des vom Dritten Reich betriebenen Vernichtungskrieges eingebrannt. Dazu kam die Angst vor einem West-Deutschland, das die Oder-Neiße-Linie nicht als Westgrenze Polens anerkannte - eine Angst, die von der kommunistischen Führung Polens stets genährt wurde, weil sie das Einzige war, was eine Brücke zwischen dem Regime und der Bevölkerung herzustellen vermochte. In Deutschland wiederum war die Mehrheit noch weit davon entfernt, den Verlust der Ostgebiete anzuerkennen. Die Vertreibung von 12 Millionen Deutschen am Ende des Krieges machte die allermeisten auch unfähig zu einer wirklichen Empathie mit dem Nachbarvolk - zumal der auf Vernichtung und Versklavung zielende Charakter des nationalsozialistischen Angriffskrieges in den breiten Schichten der deutschen Bevölkerung noch kaum begriffen war.

Auch zwischen der katholischen Kirche in Deutschland und in Polen herrschten im Wesentlichen Sprachlosigkeit und der misstrauisch getrübte Blick auf die anderen. Der Abgrund der Geschichte, der die Völker voneinander fern hielt, trennte in diesen Jahren auch die Kirche - Hierarchie und Kirchenvolk gleichermaßen. Zudem machte der Eiserne Vorhang Begegnungen zwischen West und Ost fast unmöglich.

Gleichwohl: Es gab auch diejenigen, die sich mit diesen bleiernen Verhältnissen nicht abfinden mochten. In vorderster Linie gehörten dazu Walter Dirks (1901-1991), Herausgeber der Frankfurter Hefte, und Alfons Erb (1907-1983), seit 1957 Vizepräsident der internationalen katholischen Friedensbewegung Pax Christi und zugleich auch der Deutschen Sektion. Beide hatten schon während der Weimarer Republik gegen die unter den Deutschen, auch unter deutschen Katholiken verbreiteten antipolnischen Ressentiments angeschrieben und knüpften nun - in den 1950er Jahren - an dieses Engagement an. Bei Pax Christi wusste man sich dabei auch motiviert durch die Gesten der Versöhnung, mit denen die französische Schwesterorganisation noch während des Krieges auf die deutschen Glaubensbrüder und -schwestern zugegangen war. Die Aussöhnung mit Frankreich, immerhin der so genannte „Erbfeind Deutschlands", war inzwischen weit vorangekommen. Eine ähnliche Dynamik hoffte man auch gegenüber Polen in Gang setzen zu können.

Das Präsidium von Pax Christi mit dem nimmermüden Antreiber Alfons Erb (1907-1983) strebte deshalb eine Begegnung mit polnischen Katholiken an. Eine für den August 1960 geplante Reise nach Polen wurde jedoch von der dortigen Regierung verhindert. Auch ein zweiter Anlauf - der Versuch, im Jahre 1962 eine deutsch-polnische Begegnung in den Rahmen einer internationalen Pax-Christi-Tagung in Wien einzubetten - scheiterte. So dauerte es schließlich bis zum Mai 1964, bis eine Gruppe von 34 Personen nach Polen aufbrechen konnte. Im Mittelpunkt stand eine Sühnewallfahrt nach Auschwitz, die dem Gedenken an die Opfer des Holocaust diente. Schuld und Last der Vergangenheit wurden zur Sprache gebracht. Daneben besuchte die Pax-Christi-Gruppe auch das polnische Marienheiligtum Tschenstochau und Krakau. Hier kam es zur Begegnung mit polnischen Gläubigen und kirchlichen Amtsträgern - nicht zuletzt mit dem Krakauer Erzbischof Karol Wojtila, dem späteren Papst Johannes Paul II., der schon damals erkennen ließ, wie sehr ihm die Aussöhnung von Polen und Deutschen über die Gräber der Geschichte hinweg am Herzen lag.

Als nicht weniger bedeutsam erwies sich das Zusammentreffen der Besuchergruppe mit einem polnischen Ehepaar im Bereich des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers in Auschwitz. Beide hatten im Lager eingesessen, waren gesundheitlich angeschlagen und lebten in großer materieller Not. Menschlich angerührt, sammelte die Pax-Christi-Gruppe 500 DM. Später sorgte man dafür, dass die Eheleute regelmäßige Zuwendungen aus Deutschland erhielten.[2]

II.

Die zufällige Begegnung und der spontane Hilfereflex rückten bei den Besuchern aus Deutschland eine Gruppe in den Blick, die in der bisherigen deutschen Entschädigungs- und Wiedergutmachungspolitik außen vor geblieben war: die noch lebenden früheren polnischen Opfer der Konzentrationslager, deren Zahl man auf etwa 160.000 schätzte. Nach dem Bundesentschädigungsgesetz von 1956 hatten sie keinen Anspruch auf individuelle Entschädigung. Da Bonn und Warschau keine diplomatischen Beziehungen unterhielten, zahlte die Bundesrepublik der Volksrepublik Polen - anders als anderen Staaten - auch keine so genannte „Globalentschädigung", mit der der polnische Staat Wiedergutmachungszahlungen an die polnischen KZ-Opfer hätte leisten können. So blieben diese Menschen, viele angesichts des Erlittenen tief verstört und traumatisiert, allein gelassen.

Pax Christi in Deutschland und allen voran sein Vizepräsident Alfons Erb hatten damit ein Thema gefunden, das sie fortan nicht mehr loslassen sollte. Es reicht ihnen nicht, noch im Laufe des Jahres 1964 einer Reihe von ehemaligen KZ-Insassen und den Witwen ermordeter Häftlinge eine materielle Hilfe zukommen zu lassen. So wird am 19. Dezember 1964 in Freiburg ein „Fonds" unter dem Stichwort „Solidaritätsspende" gegründet. Programmatisch schreibt Alfons Erb dazu in der Zeitschrift „Christlicher Sonntag": „Es kann keinem Deutschen, der sich denen, die in den Kerkern und Lagern gelitten haben, in Hochachtung und Solidarität verbunden fühlt, gleichgültig sein, dass von den Überlebenden, die in jenen Ländern zu Hause sind, im Laufe der Jahre immer mehr sterben, ohne daß das Unrecht an ihnen wenigstens materiell in etwa wiedergutgemacht worden wäre".[3] Im Mai 1965 erklärt die Delegiertenversammlung von Pax Christi die Aktion Solidaritätsspende zur Aufgabe des Gesamtverbandes. Alfons Erb baut den Solidaritätsfonds von Freiburg aus auf. Er wird, wie Arkadiusz Stempin in seiner grundlegenden Monografie „Das Maximilian-Kolbe-Werk" vermerkt, „Herz, Kopf, Seele und Motor der ‚Solidaritätsspende'"[4]

Den Gründern der Aktion war von Anfang an bewusst, dass sich das Leiden der Opfer nicht mit Geld aufwiegen lässt. Begriffe wie „Entschädigung" oder „Wiedergutmachung" können insofern immer nur einige Aspekte der Wirklichkeit einfangen. Die wesentliche Bedeutung solcher finanziellen Zuwendungen liegt nicht auf der Ebene des Materiellen. Vor allem sind sie Zeichen von Wertschätzung und Solidarität. Die Leiden der Opfer sollen anerkannt werden. Man weiß heute, nach Jahrzehnten der Traumaforschung, genauer, was die Pioniere von Pax Christi in den 1960er Jahren eher intuitiv erfassten: Materielle Entschädigungen tragen zur Heilung von psychischen Verletzungen und Traumatisierungen bei, die als Folge von Unrecht entstanden sind.

Allzu offensiv konnte man bei der Einwerbung von Spenden allerdings nicht verfahren. Die polnische Regierung argwöhnte, die kirchliche Aktion könne den Entschädigungsanspruch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland schwächen. Diesem Vorbehalt durfte keine Nahrung gegeben werden, um das Hilfsunternehmen nicht grundsätzlich zu gefährden. Die deshalb zurückhaltend auftretende Öffentlichkeitsarbeit der Aktion Solidaritätsspende mag einer der Gründe dafür gewesen sein, dass in den Jahren 1966 bis 1973 lediglich 340.000 DM Spenden gesammelt werden konnten. Es spricht aber manches für die Vermutung, dass die mäßigen Spendenergebnisse auch mit den unter den deutschen Katholiken dieser Zeit noch verbreiteten Reserven gegenüber Polen zu tun hatten. Die Deutsche Bischofskonferenz hat von 1968 bis 1973 mit Zuwendungen in Höhe von insgesamt 540.000 DM dafür gesorgt, dass die Arbeit finanziell wenigstens einigermaßen ausgestattet war. Vor allem die Kardinäle Joseph Frings und Julius Döpfner gehörten zu den kontinuierlichen Unterstützern der Aktion.

Die konkrete Arbeit des Fonds gestaltete sich in der Regel alles andere als einfach. Es bedurfte der Wiener Pax-Christi-Stelle, um Entschädigungszahlungen regelmäßig an die Empfänger zu bringen. Auch die Auswahl der Personen, die berücksichtigt werden sollten, warf erhebliche Probleme auf. Systematische Listen gab es nicht, sodass Empfehlungen polnischer Bischöfe, Kenntnisse des Deutschen Caritas-Verbandes in Freiburg und persönliche Kontakte bei NS-Prozessen in Deutschland zur Ermittlung ehemaliger KZ-Häftlinge erforderlich wurden.

In der Rückschau gehört die Aktion Solidaritätsspende zu jenen Bemühungen seit der Mitte der 1960er Jahre, die politisch und gesellschaftlich ein neues Verhältnis zwischen Deutschland und Polen angebahnt haben. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang der Briefwechsel zwischen den polnischen und den deutschen Bischöfen (1965, am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils), die Ost-Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (1965) und das Memorandum des - im damaligen Katholizismus nicht unbeachtlichen - Bensberger Kreises (1969).

III.

Die Aktion Solidaritätsspende war der Vorläufer des Maximilian-Kolbe-Werkes, das am 19. Oktober 1973 durch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und 13 katholische Verbände gegründet wurde. Voraussetzung für die Schaffung des Werkes, in das die Aktion Solidaritätsspende eingebracht wurde, war die neue Ostpolitik der Regierung Brandt-Scheel, die 1970 zum Warschauer Vertrag samt der darin ausgesprochenen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als polnischer Westgrenze geführt hatte. Zwar stolperten die zwischenstaatlichen Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik Deutschland trotz der neuen vertraglichen Beziehungen im Laufe der 70er Jahre von einer Frostperiode zur nächsten. Es eröffneten sich jedoch neue Spielräume für gesellschaftliche und kirchliche Initiativen. Wenngleich sich die Beziehungen zwischen der katholischen Kirche in beiden Ländern durchaus nicht störungsfrei entwickelten, entstand in diesen Jahren im kirchlichen Bereich doch ein breites Netz von Kontakten. In diesem Umfeld konnte auch die humanitäre Arbeit zugunsten der ehemaligen KZ-Insassen, von Seiten der polnischen Regierung immerhin geduldet, ausgebaut und systematisch weiterentwickelt werden.

Der Aufbau des Kolbe-Werkes erwies sich auch als wichtiges Projekt für den politischen Zusammenhalt des westdeutschen Katholizismus. Angesichts erheblicher Meinungsunterschiede, die sich im Zuge der neuen Ostpolitik aufgetan hatten, bot sich mit dieser gemeinsamen Initiative eine Chance, die Einheit des politischen Katholizismus zu wahren und eine gesellschaftliche Vorreiterrolle bei der Entfaltung der deutsch-polnischen Beziehungen zu übernehmen. So traten die Dissonanzen zwischen Pax Christi und dem Bensberger Kreis (auf der einen Seite) und Teilen der katholischen Vertriebenenverbände (auf der anderen) in den Hintergrund.

Im Kolbe-Werk hatten fortan drei Organisationen die Federführung: das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Pax Christi und der Deutsche Caritasverband. Dies hat sich bewährt und ist bis heute so geblieben. Alfons Erb wurde Gründungsgeschäftsführer und hat diese Aufgabe bis 1982 wahrgenommen, gefolgt von seiner Tochter Elisabeth Erb, die sich bis 1998 um die Geschäfte des Werkes kümmerte. Ohne das rastlose Engagement beider wäre aus dem Maximilian-Kolbe-Werk kaum jener Erfolg geworden, der heute zu Ehrungen Anlass gibt.

IV.

Von Anfang an unumstritten war der Name des neuen Werkes. Tatsächlich war Pater Maximilian Kolbe in den drei Jahrzehnten nach dem Krieg, als die Kirche in Polen und Deutschland nach den geschichtlichen Verwerfungen um ein tragfähiges Miteinander rang, die schlechthin überragende Gestalt, an der sich alle orientieren konnten. Er war der menschliche und geistliche Maßstab für alles kirchliche Mühen und Ringen um Versöhnung zwischen den Völkern.

Der 1894 geborene Maximilian Kolbe schließt sich bereits im Alter von 16 Jahren den Franziskanern an; er wird Priester, erwirbt den Doktor der Philosophie und der Theologie und verlässt für einige Zeit Polen, um in China und Japan Mission zu treiben. Zweifellos ist Maximilian Kolbe einer der tatkräftigsten Priester seiner Generation. Beachtung findet er, den eine starke Marienverehrung auszeichnet, zunächst vor allem als Herausgeber der Zeitschrift „Ritter der Unbefleckten". Die drei in dem von ihm gegründeten Verlag erscheinenden Zeitungen erzielen eine Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren.

Maximilian Kolbe landet nach der deutschen Okkupation Polens im Herbst 1939 zunächst in einem Kriegsgefangenenlager, dann - nach kurzer Zeit in Freiheit - im Konzentrationslager Auschwitz. Er wird Häftling Nummer 16670. - Ende Juli 1941 gelingt einem Mitgefangenen die Flucht, was die Lagerleitung dadurch beantwortet, dass zehn Gefangene ausgewählt werden, um im Hungerbunker von Auschwitz zu sterben. Unter ihnen ist der Familienvater Franciszek Gajowniczek. Pater Kolbe bietet an, an dessen Stelle in den Tod zu gehen. Der Lagerführer akzeptiert dies nach kurzem Zögern, und so wird Maximilian Kolbe in den Hungerbunker gesperrt und dort, als er zwei Wochen später noch immer am Leben ist, mit einer Giftspritze umgebracht.[5]

Schon während des Zweiten Vatikanischen Konzils hatten die deutschen und die polnischen Kardinäle ein gemeinsames Bittgesuch für eine Seligsprechung von Maximilian Kolbe vorgelegt. Nach Abschluss des Verfahrens in Rom wurde er am 17. Oktober 1971 von Papst Paul VI. selig, am 10. Oktober 1982 dann von Papst Johannes Paul II. heilig gesprochen. Unmittelbar nach der Seligsprechung würdigte Kardinal Döpfner Maximilian Kolbe als „Märtyrer der Versöhnung". Alfons Erb nannte ihn später ein „leuchtendes Vorbild in der großen Versöhnungsaufgabe, die den Deutschen und Polen aufgetragen ist"[6].

Diese Einschätzung bezieht sich vor allem darauf, dass sich Maximilian Kolbe der Logik des Hasses auch im Angesicht der furchtbarsten Barbarei nicht unterworfen, sondern sie im Akt der Hingabe an den Nächsten fundamental durchbrochen hat. Tatsächlich berichteten überlebende Gefangene, die Pater Kolbe im KZ kennen gelernt hatten, dass er auch gegenüber den Schergen des Unrechts keinen Hass empfand und am Ort der tiefsten Entrechtung des Menschen zum Verzeihen in der Lage war. Alfons Erb sprach deshalb vom „Sieg über den Wahnsinn des Hasses"[7]. Immer lebt Versöhnung daraus, dass Menschen die Unrechts- und Gewaltverhältnisse, deren Opfer sie selbst geworden sind, nicht als letztes Wort, nicht als Grundstruktur der Geschichte gelten lassen. Diesen Weg hat Maximilian Kolbe beschritten. Es ist der Grund, warum er als Märtyrer der Versöhnung verehrt wird.

V.

Zurück zu den Anfängen des Kolbe-Werkes, die sich in der Praxis eher schwierig und ernüchternd gestalteten. Die Hoffnung, die Mitträgerschaft großer katholischer Verbände werde zu einer ansehnlichen Zahl von Mitgliedern und Spendern führen, erfüllte sich fürs Erste nicht. Um Widerstände der polnischen Behörden zu vermeiden, begrenzte man sich in der Öffentlichkeitsarbeit zudem auf den katholischen Bereich, was zu Einschränkungen bei den Einnahmen führen musste. In dieser Situation war es mein Bruder Reinhold, zu jener Zeit Generalsekretär von Pax Christi, der der bedrohlichen Stagnation entgegenwirkte, indem er eine überdiözesane Kollekte vorschlug.[8] Tatsächlich wurde diese Idee verwirklicht. Im Februar 1975 von der Deutschen Bischofskonferenz beschlossen, fand die Kollekte am 1. Januar 1976 in allen deutschen Bistümern statt. In gewisser Weise war sie der zweite Startschuss für das Werk. Von nun war es bei den Katholiken in Deutschland angekommen und hat bis heute mehr als 64 Millionen Euro eingenommen.

Gemäß den Richtlinien aus dem Jahr 1976 erhielten überlebende polnische Häftlinge der Konzentrationslager oder deren Hinterbliebene vom Kolbe-Werk entweder eine einmalige Entschädigung oder eine monatliche Zuwendung (damals üblicherweise 50 DM). Da infolge des deutsch-polnischen Abkommens vom 9. November 1975 erstmals auch die ehemaligen polnischen KZ-Häftlinge begünstigt wurden - sie erhielten ab Mai 1977 eine deutliche Rentenerhöhung -, konnte die soziale Situation der Betroffenen in diesen Jahren endlich durchgreifend verbessert werden.

VI.

Die Arbeit des Maximilian-Kolbe-Werkes weitete sich in den Folgejahren über die Gewährung materieller Hilfe aus. Ausgangspunkt war der Katholikentag 1978 in Freiburg.[9] Das Kolbe-Werk hatte dazu sechs polnische Frauen, Überlebende des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, eingeladen. Deren Zusage verdankte sich jedoch einem Missverständnis. Die Frauen waren der irrigen Meinung gewesen, nach Freiburg in der Schweiz (Fribourg) eingeladen zu sein. Der Bitte, nach Deutschland zu kommen, wären sie nicht gefolgt. Dennoch wird die Begegnung mit diesen Frauen zu einem für alle Beteiligten tief bewegenden Erlebnis. Zum Abschluss des Besuchs sagt eine der Frauen den Satz: „Ich bin zweimal aus dem KZ befreit worden. Einmal von den alliierten Truppen 1945, ein zweites Mal bei diesem Besuch in Deutschland."

Solche Sternstunden von Versöhnung sind nicht planbar und nicht machbar. Versöhnung ist keine Sache sozialtechnischer Produktion. Dennoch wissen wir heute deutlicher als vor einigen Jahrzehnten, dass Opfer von Unrecht und Gewalt Räume brauchen, in denen die Erlebnisse von einst erinnert und erzählt werden können. Wo das lange Verdrängte oder im Inneren zerstörerisch Wütende ins Wort gefasst werden kann; wo Opfer Angehörigen aus jener Gruppe oder jenem Volk begegnen, aus dem ihre vormaligen Peiniger kamen; wo man den Lebensgeschichten der Betroffenen zuhört und ihnen Respekt zollt - in solchen Räumen menschlichen Miteinanders erfahren die Opfer sich selbst, ihre eigene Geschichte und die Beziehung zu anderen (manches Mal selbst die Beziehung zu den Tätern) in einer neuen, befreienden Weise. So kann sich - ohne dass hier irgendetwas herbeigeführt oder gar erzwungen werden könnte - Versöhnung ereignen.

Seit den Begegnungen des Freiburger Katholikentages hat das Maximilian-Kolbe-Werk alljährlich ehemalige Häftlinge zu Erholungs- und Begegnungsaufenthalten nach Deutschland geholt. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes war es darüber hinaus möglich, die KZ-Überlebenden vermehrt zu Zeitzeugengesprächen in deutsche Schulklassen einzuladen. Die Jugendlichen erleben dabei mehr als eine Wissensvermittlung über eine scheinbar immer tiefer im Nebel der Geschichte versinkende Zeit. Und die ehemaligen Häftlinge erfahren in Gespräch und Austausch mit den jungen Menschen ein anderes Deutschland als jenes, das in der eigenen Jugend über sie gekommen ist. Ich habe mehrfach an solchen Begegnungen teilgenommen.

Vielleicht kein anderes Ereignis hat Polen und Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg so nahe zusammengebracht wie das Kriegsrecht, das die Warschauer Regierung im Jahre 1981 über ihr Land verhängt hat. Viele Polen waren überrascht ob der Hilfsbereitschaft, mit der unzählige Gruppen in Deutschland - vor allem aus dem Bereich der Kirchen - spontan auf die wirtschaftliche Not der Nachbarn reagierten. Da viele ehemalige KZ-Häftlinge in besonders bittere Armut abrutschten, bat das Kolbe-Werk um Nahrungs- und Sachspenden. Unerwartet entstanden zwischen Spendern und Empfängern solcher Hilfspakete jahrelang gepflegte Kontakte. Immer dichter wurde in diesen Jahren auch das Netz von Vertrauensleuten, die in Polen die Zusammenarbeit mit dem Kolbe-Werk organisieren.

VII.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion stellen sich dem Werk dann ganz neue Aufgaben. Um den Menschen in der Krise des politisch-wirtschaftlichen Systemwechsels zu helfen, werden Hilfsgütertransporte nach Russland, Weißrussland und in die Ukraine geschickt. Später kann sich das Werk wieder auf seine genuinen Aufgaben konzentrieren und sich dem Dienst an den Überlebenden der Konzentrationslager und Ghettos widmen. Dabei weitet sich der Blick nicht nur auf die genannten Staaten, sondern auch auf das Baltikum, auf Kasachstan und Moldawien. Da die ehemaligen Häftlinge mittlerweile in hohem Alter sind, kommt neben finanzieller Unterstützung und Begegnungsarbeit vor allem der Begleitung von Kranken eine wachsende Bedeutung zu. Das Maximilian-Kolbe-Werk greift dabei auf ein Netzwerk von Helfern zurück, das sich in den betroffenen Ländern selbst gebildet hat. Aus dem deutschen Hilfswerk ist in gewissem Sinne längst eine internationale Aktivität geworden.

VIII.

Die Arbeit des Maximilian-Kolbe-Werkes ist noch nicht vollendet. Immer noch gibt es Überlebende des NS-Regimes, die auf Hilfe angewiesen sind und deren Geschichten den Nachgeborenen erzählt werden können. Dennoch ist nun die Zeit gekommen, auf eine Zukunft der kirchlichen Versöhnungsarbeit zuzugehen, die ohne das unmittelbare Zeugnis der Erlebnisgeneration des Zweiten Weltkriegs auskommen muss. Diesem Ziel dient die neue Maximilian-Kolbe-Stiftung, die im September 2007 von der Mitgliederversammlung des Maximilian-Kolbe-Werkes gegründet worden ist. Die Deutsche Bischofskonferenz, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Pax Christi, der Deutsche Caritasverband, die Deutsche Kommission Justitia et Pax und das Osteuropa-Hilfswerk Renovabis sind an dieser Initiative beteiligt. Vor dem Hintergrund der Unversöhntheiten in Europa soll die neue Stiftung die Opfer ungerechter Gewalt, von Kriegen und Bürgerkriegen, von totalitärer Herrschaft, Vertreibungen und ethnischer wie kultureller Ausgrenzung in die Mitte des Blickfeldes rücken.

Es war der Deutschen Bischofskonferenz ebenso wie dem Maximilian-Kolbe-Werk und den anderen beteiligten Organisationen von Anfang an wichtig, keine allein deutsche Unternehmung zu starten. Wo es um die innere Verfassung Europas und den moralischen Kompass für die Zukunft unseres Kontinents geht, ist mehr und mehr auch das Zusammenwirken der Kirche in den verschiedenen Ländern gefordert. In der neuen Stiftung arbeiten deshalb Kirche und Katholiken aus Deutschland und Polen zusammen. Die gewachsenen Beziehungen zwischen den Ortskirchen und den kirchlichen und kirchennahen Organisationen aus beiden Ländern sind eine gute Voraussetzung dafür.

IX.

Anders als bei den Anfängen des Maximilian-Kolbe-Werkes blicken wir als Deutsche und Polen und als Kirche in beiden Ländern also nicht mehr aufeinander, sondern wir richten den Blick gemeinsam auf andere, die unserer Hilfe bedürfen. Dass dies möglich ist, zeigt, wie viel in den vergangenen Jahrzehnten erreicht wurde. Dafür möchte ich all jenen danken, die sich seit den Nachkriegsjahren um die Aussöhnung zwischen den Deutschen und ihren Nachbarn bemüht und später dann das Maximilian-Kolbe-Werk als wirksames Zeichen eines neuen Geistes gegründet und getragen haben. Beispielhaft nenne ich die Präsidenten des Werkes, die jeweils aus den Reihen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken kamen: Dr. Albrecht Beckel, Dr. Bernhard Vogel, Dr. Werner Remmers und - seit 2001 - Dr. Friedrich Kronenberg. Immer waren auch die Präsidenten der Deutschen Sektion von Pax Christi beteiligt - von Bischof Dr. Georg Moser über Bischof Dr. Hermann Joseph Spital bis hin zu Bischof Heinz Josef Algermissen. Aus der Reihe der Geschäftsführer sei noch einmal der unvergessene Alfons Erb genannt, ebenso seine Tochter Elisabeth, deren Aufgabe heute von Wolfgang Gerstner wahrgenommen wird. Persönlich denke ich auch an meinen verstorbenen Bruder Reinhold, dem die Versöhnung von Deutschen und Polen eine Lebensaufgabe war und der mehr als zwei Jahrzehnte im Kuratorium des Maximilian-Kolbe-Werkes mitgearbeitet hat.

X.

Das jahrzehntelange Wirken des Kolbe-Werkes hat sich für die Kirche - und ganz sicher nicht nur für die Kirche - als Laboratorium der Versöhnungsarbeit erwiesen. Von einem humanitären und christlichen Grundimpuls getragen, haben wir in vorsichtigen und tastenden Schritten immer tiefer erfahren, was Versöhnung bedeutet und wie unser Dienst an der Versöhnung Gestalt annehmen kann. Wir haben erfahren, dass Versöhnung nur gelingen kann, wenn wir dem Blick auf die Opfer der Geschichte und, mehr noch, dem Blick der Opfer selbst nicht ausweichen. Wir haben erfahren, dass wir uns der Erinnerung an das Grauen der Vergangenheit unseres Volkes stellen müssen, wenn wir nicht im Bann dieser Geschichte verbleiben wollen. Deshalb müssen wir uns den Erfahrungen und Geschichten derjenigen aussetzen, die - wie die Häftlinge in den Konzentrationslagern - grenzenlose Erniedrigung am eigenen Leibe und massenhaftes Sterben in unmittelbarer Umgebung erlebt haben. Wir haben in der Geschichte des Maximilian-Kolbe-Werkes auch erfahren, dass materielle Hilfe und Entschädigung eine Brücke zu den Opfern bilden kann, wenn sie vom Geist einer wirklichen Anerkennung des Leidens der Anderen bestimmt sind. Und schließlich haben die Jahrzehnte der Arbeit uns gelehrt, dass sich in konkreter menschlicher Begegnung das Geschenk von Versöhnung ereignen kann.

Der Hass muss nicht das letzte Wort haben. Dies ist das Zeugnis des Maximilian Kolbe. Es war und ist zugleich die Hoffnung aller, die sich seit Jahrzehnten in den Dienst des Maximilian-Kolbe-Werkes stellen. Wir tragen diese Hoffnung in sehr zerbrechlichen Gefäßen. Lassen dürfen wir von ihr nicht.

XI.

Von hier aus ist der Bogen nicht schwer zu schlagen zur Persönlichkeit, zum Leben und zum Werk von Prof. Dr. Eugen Kogon. Lassen Sie mich wenigstens einige knappe Lebensdaten erwähnen für diejenigen, die weniger mit seiner Vita vertraut sind: Er wurde am 2. Februar 1903 in München geboren und ist von seiner Mutter her russisch-jüdischer Herkunft. Nach dem Studium (1922-1928) der Nationalökonomie und Soziologie in München, Florenz und Wien promovierte Kogon 1927 mit einer Arbeit über den „Faschismus und Korporativstaat"[10] bei Othmar Spann (1878-1950).[11] Seine publizistische Arbeit begann 1927 als Redakteur bei der Wiener Zeitschrift „Schönere Zukunft". 1934 übernahm Eugen Kogon nach dem Juliputsch eine Treuhändertätigkeit für die Coburgsche Privatbank. 1937 wurde er zweimal durch die Gestapo verhaftet, 1938 dann endgültig. Im September 1939 kam er bis zur Befreiung am Ende des Krieges (12.4.1945) in das Konzentrationslager Buchenwald. Dort stand er 1943 auf der Todesliste. Er lies sich in der Nähe von Frankfurt nieder, war 1945 Mitgründer der CDU in Frankfurt. Mit dem befreundeten Walter Dirks war er von 1946 bis 1984 der Mitherausgeber der „Frankfurter Hefte".

Nach der Befreiung aus dem KZ begann Kogon noch im Jahr 1945 sein Buch „Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager".[12] Auch heute noch gilt dieses Buch als ein Standardwerk über die nationalsozialistischen Verbrechern. In einer heute noch ergreifenden Erzählweise berichtet Eugen Kogon von seiner Ablehnung des Nationalsozialismus und schließlich der Gefangennahme durch die Gestapo, seiner Einlieferung in das KZ Buchenwald[13] und schließlich von der Angst um seine baldige Liquidation. Es ist ein Wunder, dass er gerettet wurde. Seine Beschäftigung als Schreiber eines KZ-Arztes gewährte ihm im Lauf der Zeit eine besondere Möglichkeit: „Ich habe im Konzentrationslager Buchenwald ein Buch niederzuschreiben begonnen, auf der Schreibmaschine. Das hatte den Titel: ‚Macht und Ohnmacht'. Es dürfte in keinem zweiten deutschen KZ wieder möglich gewesen sein, dass jemand das tat, was ich dort getan habe. Wirklich im Schatten des Todes, aufgespart zur Liquidation bei Kriegsende, hatte ich als einziger die Möglichkeit, illegal zu schreiben."[14] Nach der Befreiung verfasste Eugen Kogon mit Hilfe anderer Häftlinge - er ließ auch führende Lagerinsassen gegenlesen - einen insgesamt 400-seitigen Bericht „Der Buchenwald-Report".[15]

Eugen Kogon richtete aber auch bereits in dieser Zeit seine Aufmerksamkeit nach vorne, um am Aufbau einer neuen Gesellschaft mitzuwirken. Nicht zuletzt darum gründete er auch mit Walter Dirks und Clemens Münster, wie schon genannt, die „Frankfurter Hefte". Wichtig sind auch die „Frankfurter Leitsätze" über die Bildung demokratischer Parteien, Grundlage für das Programm der hessischen CDU.[16] Eugen Kogon, der seine frühe Kindheit in einem katholischen Umfeld in München verbracht hatte, war überzeugt, der Neuanfang in Deutschland sollte Christentum und einen freiheitlichen Sozialismus miteinander verbinden. So wurde er zum Wortführer einer geistigen Opposition gegen die Politik der unionsgeführten Regierungen in den 50er und 60er Jahren. Er sprach sich gegen Wiederbewaffnung, Atomwaffen und den „Irrsinn der Überrüstung" aus.[17]

Aus der Erfahrung des Nationalsozialismus verlangte er eine Abkehr vom klassischen Nationalstaat und setzte sich bald für den Aufbau einer europäischen Gemeinschaft ein. 1949-1953 wurde er Präsident der Europaunion. Er gehörte zahlreichen Gremien der Europäischen Bewegung an. Manche zählen ihn zu den wenigen großen schöpferischen Pionieren in der Frühzeit Europas.[18] In dieser Zeit muss es wohl auch erste Kontakte gegeben haben zwischen Alfons Erb und Eugen Kogon.[19]

Eugen Kogon war von 1951-1968 Professor für wissenschaftliche Politik an der TH Darmstadt. In der Universitätsgeschichte gilt er als einer der Begründer der Politikwissenschaft im Sinne einer eigenständigen Disziplin. Aus dieser Zeit ist wichtig sein Buch „Die Stunde der Ingenieure. Technologische Intelligenz und Politik".[20] Er unterstützte die Ostpolitik der sozialliberalen Koalition und setzte sich aktiv für die Aussöhnung mit Polen und mit der Sowjetunion ein.[21]

Wir sind ganz besonders seinem ältesten Sohn, Herrn Dr. Michael Kogon, und Herrn Prof. Dr. Gottfried Erb, einst Assistent Eugen Kogons, dankbar für die Herausgabe der acht Bände der Gesammelten Schriften.[22] Sie haben uns im Verlauf der letzten zehn Jahre ganz besonders geholfen, Leben und Werk Eugen Kogons nicht aus dem Auge zu verlieren. Ähnliches gilt auch für Walter Dirks, wohl einer der engsten Freunde von Eugen Kogon.[23]                   

Damit ist schon auch in vieler Hinsicht der Bogen gespannt zum Maximilian-Kolbe-Werk. „Der SS-Staat" erinnert in ganz besonderer Weise an die Organisation und die Strukturen im KZ. Das Schicksal vieler ehemaliger Insassen der Konzentrationslager, wie sie dann ganz besonders vom Maximilian-Kolbe-Werk unterstützt worden sind, schlägt eine erste Brücke. Eugen Kogon hat nämlich dieselben oder ähnliche Erfahrungen der Unmenschlichkeit gemacht wie die Opfer, die das Maximilian-Kolbe-Werk unterstützt. Er ist in diesem Sinne einer von ihnen. Schon dies schafft eine tiefe Solidarität. Dies ist nicht bloße Vergangenheit. Aber gerade hier wollte Eugen Kogon nicht nur und nicht zuerst nach rückwärts schauen. Er wollte entscheidend mithelfen, um das deutsche Volk in einer Demokratie und mit deren Werten in die Zukunft zu führen. Frieden und Freiheit, Gerechtigkeit und Versöhnung gehörten zu diesem Programm. Er wollte bei aller politischen Ausrichtung dieser Gedanken die Herkunft vom christlichen Glauben nicht zurückstellen.[24] Dadurch hatte er auch über Walter Dirks und besonders Gottfried Erb eine gewisse Beziehung zu dem 1973 gegründeten Maximilian-Kolbe-Werk. Dies hat zweifellos vieles von seinen elementaren Intentionen aufgegriffen und verwirklicht, besonders auch im Blick auf den europäischen Horizont, den Eugen Kogon schon in früher Zeit förderte und der heute in mancher Hinsicht Wirklichkeit geworden ist.[25] Auch dies schafft nochmals eine nicht zu übersehende Gemeinsamkeit.

Es ist deshalb eine wertvolle Bereicherung des gegenwärtigen Verhältnisses zwischen Polen und Deutschland, wenn über den Eugen-Kogon-Preis konkret an diese Geschichte der Aussöhnung erinnert wird, zumal das Maximilian-Kolbe-Werk nun eine neue Epoche als Stiftung begonnen hat. So möchte ich hoffen, dass diese Auszeichnung zu einer erneuten Verlebendigung des intensiven Dialogs zwischen Polen und Deutschland führt. Ich danke der Stadt Königstein und dem Kuratorium für diese Wahl und gratuliere von Herzen dem Maximilian-Kolbe-Werk bzw. der heutigen Stiftung.

[1] Der Text wurde bei der Preisverleihung am 17. April 2008 in Königstein vorgetragen. Ich habe diese Fassung gründlich durchgesehen und in den Anmerkungen zusätzlich erweitert. Ganz besonders danken möchte ich Herrn Dr. Michael Kogon, dem ältesten Sohn von Eugen Kogon, der so freundlich war und meinen überarbeiteten Text nochmals durchsah. Er hat mir dann mit Brief vom 22. April 2008 einige Fakten mitgeteilt, die mich zu einigen Änderungen der biografischen Daten von Eugen Kogon veranlassten. Dazu schreibt er: „In die Darlegung über meinen Vater haben sich einige nicht ganz den Tatsachen entsprechende Legenden eingeschlichen, die seit seinem Tod in verschiedenen Publikationen kursieren und die auszurotten mir bisher nicht gelungen ist." Sie betreffen vor allem die Herkunft Eugen Kogons, den Titel seiner Dissertation und eine Präzisierung des Aufenthaltes im KZ Buchenwald. Ich habe alle Anregungen von Dr. Eugen Kogon in diese letzte Textfassung dankbar aufgenommen.

[2] Vgl. W. Gerstner (Hg.), Maximilian-Kolbe-Werk. 30 Jahre im Dienst der Versöhnung, Münster 2002; Im Dienst der Versöhnung. Die Arbeit des Maximilian-Kolbe-Werkes, Freiburg i. Br. o.J. (Alfons Erb); Fragt uns, wir sind die letzten... Zeugnisse von Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager und Ghetto, hrsg. von vom Maximilian-Kolbe-Werk, Ettenheim 2008 (immer wieder neu aufgelegte und erweiterte Sammlung von Zeugnissen).

[3] Das Maximilian-Kolbe-Werk. Wegbereiter der deutsch-polnischen Aussöhnung 1960-1989 = Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen: Band 107, Paderborn/München/Wien/Zürich 2006, 102.

[4] Ebd., 104.

[5] Vgl. L. M. Hager, Kolbe, in: Praktisches Lexikon der Spiritualität, Freiburg i. Br. 1988; A. Stempin. a.a.O., 203 ff., 390 ff. (Lit.), 719 f. (Lit.).

[6] A. Stempin, a.a.O., 212.

[7] Ebd.

[8] Sein Anteil am Maximilian-Kolbe-Werk wird ausführlich von A. Stempin, Das Maximilian-Kolbe-Werk, dargestellt, z.B. 178 f., 184 ff., 237 ff., 248 ff., 279 ff., 291 ff., 368 ff., 377 ff., 385 ff., 444 ff.; zu einer Würdigung vgl. besonders auch W. Bartoszewski, Und reiß uns den Hass aus der Seele. Die schwierige Aussöhnung von Polen und Deutschen, Warschau 2005 (Deutsch-Polnischer Verlag), 233-243: Zeuge für die Brüderlichkeit. W. Bartoszewski dankt Reinhold Lehmann (Das Buch ist gewidmet „Meinem unvergessenen Freund Reinhold Lehmann zum Gedenken", 5). Zur Kollekte vgl. A. Stempin, a.a.O., 259 ff., 290 ff.; zur Rolle Bischof G. Mosers und Kardinal Döpfners, ebd., 261 f.

[9] Vgl. A. Stempin, a.a.O., 274 ff.

[10] Zum Thema vgl. den Band 8 der Gesammelten Schriften „Die Idee des christlichen Ständestaates". Frühe Schriften 1921-1940 (1999), 9 ff. (ausführliche Einleitung von M. Kogon und viele Texte aus dieser Zeit).

[11] Vgl. E. Kogon, Gesammelte Schriften, Band 8, 14 ff., 177 ff., 207 ff., 275 ff. u.ö. (1998); vgl. auch Gesammelte Schriften, Band 4, 48 f.

[12] Berlin 1946 (Verlag der Frankfurter Hefte). Das Buch hatte über Jahrzehnte eine große Resonanz. Mir ist die 31. Auflage aus dem Jahr 1995 bekannt.

[13] Herr Dr. Michael Kogon weist mich darauf hin, dass sein Vater, nach seiner Einlieferung im September 1939, noch zweimal in das Wiener Gestapo-Gefängnis zurückkam, sodass er insgesamt etwa die Hälfte seiner über siebenjährigen Haft im KZ Buchenwald verbrachte.

[14] „Dieses merkwürdige, wichtige Leben. Begegnungen", Berlin 1997 = Band 6 der Gesammelten Schriften, hrsg. von M. Kogon und G. Erb, 70.

[15] 1996 unter diesem Titel in München veröffentlicht (englische Übersetzung 1995).

[16] Vgl. E. Kogon, Fragende Erinnerungen, in: F. Boll u.a. (Hg.), Wird es denn überhaupt gehen, München/Mainz 1980, 253-262.

[17] Vgl. dazu Gesammelte Schriften, Band 3 (1996), Band 5 (1997).

[18] Vgl. Gesammelte Schriften, Band 2, Weinheim 1995.

[19] Als Eugen Kogon Präsident der Europaunion war, übte Alfons Erb das Amt eines Generalsekretärs aus. Hier kam es zu einer engeren Zusammenarbeit, die wohl auch später nicht einfach abriss, als beide ihre eigenen Wege gehen mussten. - Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Dr. Friedrich Kronenberg, Präsident des Maximilian-Kolbe-Werkes, der dies in seiner Ansprache am 17.4.2008 bei der Preisverleihung in Königstein mitteilte. In den veröffentlichen Schriften habe ich bis jetzt keine Hinweise dafür gefunden. Herr Prof. Dr. Gottfried Erb, der Sohn von Alfons Erb, hat mir nach der Preisverleihung am 17.4. mündlich das Faktum bestätigt, konnte aber im Moment auch keine zugänglichen Quellen dafür benennen.

[20] Düsseldorf 1976. Vgl. dazu „Dieses merkwürdige, wichtige Leben", 242 ff.

[21] Gesammelte Schriften, Band 7.

[22] Weinheim 1995-1999, vgl. die verschiedenen Einleitungen zu den einzelnen Bänden, die viel biografisches Material enthalten, bes. von M. Kogon. Besonders wichtig dabei ist das Vorwort der Herausgeber zur Gesamtausgabe in Band 1: Ideologie und Praxis der Unmenschlichkeit. Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, 9 ff., vgl. dort auch die Einführung in die Texte von M. Kogon, 16 ff. Die Frage nach einer gewissen Anfälligkeit Eugen Kogons für einige Ideen des Nationalsozialismus (bis spätestens 1934) ist offen, sensibel und differenziert behandelt in Band 8: Die Idee des christlichen Ständestaates. Frühe Schriften 1921-1940 (1999), 9-61, vgl. dabei besonders die Hinweise auf die Untersuchungen von K. Prümm, vgl. Anm. 20, in Band 8: 14, 16 ff., 24 ff., 40 ff., 45, 58.

[23] Vgl. F. Boll u.a. (Hg.), Walter Dirks. Gesammelte Schriften, 8 Bände, Zürich 1987-1991; vgl. auch K. Prümm, Walter Dirks und Eugen Kogon als Publizisten der Weimarer Republik, Heidelberg 1984.

[24] Vgl. dazu Gesammelte Schriften, Band 4, Weinheim 1996.

[25] Zu den Lebensbildern vgl. auch H.-O. Kleinmann, in: Zeitgeschichte in Lebensbildern, hrsg. von J. Aretz, R. Morsey, A. Rauscher (Hg.), W. Dirks, Band 8: 265-281, 324, Münster 1997; E. Kogon, Band 9: 223-242, 347, Münster 1999 (reiche Lit. für beide).

 

 

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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