Im Zentrum: Christwerden und Christsein

Zum inhaltlichen Schwerpunkt in der beginnenden Ratsperiode

Datum:
Freitag, 30. Mai 2008

Zum inhaltlichen Schwerpunkt in der beginnenden Ratsperiode

Einführendes Referat bei der konstituierenden Sitzung der IX. Diözesanversammlung am 30./31. Mai 2008 in Mainz

I. Auftakt

Ich begrüße Sie alle anlässlich der Eröffnung der IX. Ratsperiode der Diözesanversammlung des Bistums Mainz und damit aller überörtlichen Räte in unserer Diözese. Ich danke Ihnen allen, dass Sie sich zur Mitarbeit entschlossen haben, und gratuliere Ihnen allen, dass Sie auch das Vertrauen Ihrer Wähler und der entsprechenden Entsendegremien erhalten haben.

Wir begehen in diesem Jahr, im Oktober, das vierzigjährige Jubiläum vor allem der Schaffung der Pfarrgemeinderäte. Bei dieser Gelegenheit im Herbst möchte ich gerne die Bedeutung der entstandenen Räte für das heutige kirchliche Leben ausführlicher darstellen und würdigen.

Heute möchte ich zur Eröffnung vor allem zwei Themenkreise in den Mittelpunkt stellen, nämlich die allgemeinen Prioritäten unserer Arbeit in den kommenden vier Jahren, gleichsam die „durchlaufenden Perspektiven", und das Schwerpunktthema der beginnenden IX. Ratsperiode, das ich umschrieben habe: „Christwerden und Christsein". Andere Themen sind damit gewiss nicht ausgeschlossen.

II. Bleibende Grundaufgaben

Seit ich Bischof von Mainz bin, habe ich immer wieder zu Beginn einer neuen Beratungsperiode der diözesanen Räte, die in der Diözesanversammlung zusammengefasst sind, einige Prioritäten genannt, an denen wir uns im Lauf der Jahre abgearbeitet haben.

Am Anfang war es besonders die als große Umfrage im ganzen Bistum gestartete Suche nach den Schwerpunkten der Pastoral. Ihre Antworten haben uns über viele Jahre beansprucht, freilich nicht nur in der Diözesanversammlung. Schließlich hat uns die längere Beschäftigung mit den pastoralen Strukturen im Konsultationsprozess „... damit Gemeinde lebt" Themen und Aufgaben gestellt, die wir weitgehend bewältigt haben. Es lag mir auch viel daran, dass über die hier versammelten Räte hinaus die Gemeinden und Verbände, aber auch viele einzelne Mitchristen einbezogen wurden. In der zu Ende gegangenen Ratsperiode haben wir uns vor allem mit den neuen pastoralen Strukturen und dem Sakrament der Firmung beschäftigt.

Manche Prioritäten, die schon früher genannt worden sind, gelten auch noch heute. Es gibt nämlich Prioritäten, die sich nicht auf eine Ratsperiode allein beschränken. Sie gehören zur Signatur unserer Zeit und zur Antwort der Kirche auf diese Zeichen der Zeit. Deshalb gelten diese großen Linien, die wir auch früher schon angesprochen und erläutert haben, auch heute und künftig. Freilich sind manche dieser maßgeblichen Perspektiven noch dringlicher geworden, haben aber auch neue Akzente erhalten, die ich hervorheben möchte. Es geht hier also um Kontinuität und zugleich um eine innovative Fortführung. Deshalb sind diese Prioritäten auch zu unterscheiden von den Zielen, die wir uns von Jahr zu Jahr im Bischöflichen Ordinariat und auch im Bistum setzen. Beides müssen wir deutlich unterscheiden. Gewisse knappe Zielsetzungen sind unter bestimmten Bedingungen (vgl. „Zielvereinbarungsgespräche") in einem Jahr realisierbar. Deswegen dürfen aber die lang- oder mittelfristigen Ziele nicht aus dem Auge verloren werden.

Unter dieser Voraussetzung möchte ich folgende Prioritäten nennen:

1. Die Frage nach Gott als Fundament aller Aktivitäten

Gerade in einer Zeit von immer noch notwendigen Sparmaßnahmen und entsprechenden Strukturdebatten in allen Bereichen des kirchlichen Lebens besteht die Gefahr, dass wir die Frage und Suche nach Gott, die alles bestimmt, nicht genügend im Blick haben. Deshalb muss die Wiedergewinnung von Zugängen zu Gott eindeutig im Vordergrund aller unserer Bemühungen stehen. Dies bestimmt auch den hohen Rang von Gebet und Gottesdienst, Besinnung und Spiritualität im Kanon aller unserer Programme und Planungen.

Hier spüren wir, wie wir noch mehr als sonst gegen den Strom, gegen viele Tendenzen eines säkularen Denkens schwimmen müssen, und wie mühsam diese Arbeit im Vorhof eigentlich ist, um überhaupt Zugänge zu bereiten. Dies ist heute bei einer starken Neubelebung der religiösen Fragen, wie immer man dies beurteilt, und bei der diffusen Fassung des Gottesverständnisses noch notwendiger. Die biblisch-christliche Profilierung dessen, was „Gott" heißt, ist noch dringender geworden. Sonst könnten wir den Wettstreit und den Dialog mit den Weltreligionen nicht bestehen.

Dies hat aber auch Konsequenzen bis in die Gestaltung unserer Gottesdiensträume, betrifft auch das Bauen; denn so wie man baut, denkt man - und umgekehrt. Die Frage nach Gott ist das Fundament aller Aktivitäten auch im Sinn des Zitates aus dem Johannesevangelium, das wir immer wieder hören müssen. Philippus fragt Jesus: Herr, zeige uns den Vater, das genügt uns. Wenn wir bei den Menschen und bei uns selbst mehr Zugang zum Geheimnis Gottes erreichen, dann können wir nachher sogar guten und beruhigten Gewissens sagen, wie es das Evangelium formuliert: Das genügt uns (vgl. Joh 14,8).

Das hängt auch mit der Erfahrung zusammen, die im Lauf der Jahre immer stärker geworden ist, dass nämlich das Glaubenswissen ungeheuer geschrumpft ist. Besonders in den jüngeren Generationen ist es - ohne sie allein verantwortlich zu machen - in einer Weise geschwunden, dass es erschreckend ist. Da werden nach so und so viel hundert oder tausend Religionsstunden z. B. Ostern und Weihnachten verwechselt. Dies ist, glaube ich, etwas, was wir viel zu gelassen hinnehmen. Wir müssten eigentlich alle unsere Aktivitäten vom Religionsunterricht bis zur Erwachsenenbildung wirklich auf den Prüfstand stellen und uns fragen, was wir eigentlich an dieser Grundmisere der Gottvergessenheit ändern können. Welche Angebote sind da nötig? Wie gesagt, ich zeige jetzt gar nicht mit dem Finger auf bestimmte Gruppen oder auf gewisse Leute, so genannte Kirchenferne, sondern ich meine, dass dies bis in die Mitte der Kirche hinein so geworden ist und letzten Endes an uns allen zehrt. Deswegen ist es auch gut, wenn wir hier bei der Diözesanversammlung Gewicht legen auf gute Gottesdienste, auf Besinnung, Spiritualität und damit auch auf eine Vertiefung unserer Erfahrung als Christen. Wir müssen den „Kleinglauben", wie Matthäus den Unglauben der Jünger nennt, viel ernster nehmen.

2. Ungeteilter Lebensschutz

Der Einsatz für das Leben hat nichts an Dringlichkeit verloren. Es sind jetzt fast 20 Jahre her, dass zuerst wir Katholiken allein, einige Jahre später dann mit den evangelischen Christen zusammen, die „Woche für das Leben" eingeführt haben. Die Herausforderung besteht in allen Lebensbereichen nach wie vor. Die Zahl der Abtreibungen verändert sich nur sehr gering, mal nach oben, mal nach unten. Vor allen Dingen das Problem der Spätabtreibungen ist nicht gelöst. Ständig wird es beklagt, aber es kommt nichts Neues dabei heraus. Neue Fragen in der Biotechnologie kommen hinzu, angefangen von der embryonalen Stammzellenforschung bis zu den Problemen der Pränatalen und der Präimplantations-Diagnostik. In ganz Europa gibt es vereinzelte Tendenzen zu einer Erleichterung aktiver Sterbehilfe. Dies gilt aber nicht nur für einzelne Politiker, sondern es ist damit zu rechnen, dass es immer mehr ein öffentliches Klima gibt, das man auch ganz bewusst schafft, um entsprechende Gesetzesvorhaben in Gang zu bringen. Die Initiativen dazu aus der Schweiz (Exit, Dignitas) sind schlimm. Wir dürfen im Übrigen im Bistum auch sehr dankbar sein für das „Netzwerk Leben", das wir ausgebaut haben, und das besonders im Blick auf die Schwangerenberatung alle Unterstützung verdient. Ich möchte allen Beteiligten dafür sehr herzlich danken. Leider hat sich der ökumenische Konsens in der Bioethik verringert. Wir ringen gerade um einen gemeinsamen Weg.

Wir dürfen aber auch die Sorge um das Leben auf unserem Planeten im Ganzen nicht vergessen, besonders auch Maßnahmen zum Schutz des Klimas. Es ist hier nicht einfach, Spreu und Weizen zu trennen: Es gibt viele ideologische Elemente in dieser Diskussion, aber zweifellos gibt es weltweit gewaltige Erschwernisse der realen Lebensbedingungen für die Zukunft, die uns auch im Blick auf die kommenden Generationen nicht ruhen lassen dürfen. Die Fragen sind inzwischen regelrecht dramatisch geworden. Wir dürfen dies nicht nur einzelnen Experten oder besonders Engagierten überlassen.

3. Ehe und Familie

Ich möchte auch Ehe und Familie als aktuelle Herausforderung nennen. Schon bisher waren Ehe und Familie immer in unserem Blickfeld. Dies gilt gerade für die Diözesanversammlungen und den Pastoralrat. Ich denke an unsere längeren Beratungen über die Ehevorbereitung bis zur Sorge um den Kindergarten. Diese Fragen bleiben auf der Tagesordnung ganz oben, besonders im Blick auf die Betreuung der Kinder und die Kinderarmut. Aber wir erleben noch stärker als bisher das Zerbrechen vieler Ehen und Familien. Es ist oft erschütternd, wie viele menschliche Katastrophen sich hier ereignen. Es ist auch kein Wunder, dass junge Menschen deshalb oft vor dem Eingehen einer Ehe zögern. Was sie erleben, was sie sehen, ermutigt sie nicht. Dies gilt auch - machen wir uns nichts vor - für die christliche Ehe in unseren Gemeinden. Die Statistik - die säkulare und auch die kirchliche - ist hier ein Warnsignal, das wir nicht übersehen dürfen. Die Zahl der Eheschließungen ist rapide zurück gegangen, auch in unseren Gemeinden in einem ganz hohen Maß. Wenn Sie einmal unsere Kapläne fragen, wie viele Trauungen sie gehalten haben in durchschnittlich vier Jahren, werden Sie sehen, was da eigentlich passiert ist. Natürlich gibt es nichts so Diskretes und so Persönliches wie Ehe und Familie, wo einem von außen ziemlich die Hände gebunden sind. Auf der anderen Seite dürfen wir uns nichts vormachen: Man kann durch die entsprechenden Rahmenbedingungen nicht nur ökonomischer Art vieles auch verhindern helfen oder aber zu vielem ermutigen.

Man darf auch nicht übersehen, dass es inzwischen eine inflationäre Vielfalt so genannter familialer Lebensformen gibt. Es klingt ja ganz gut und es ist ja auch ein Körnchen Wahrheit dran, wenn man sagt, Familie sei dort, „wo Kinder sind". Dies ist ein Satz aus vielen Partei- und Regierungsprogrammen. Der Satz kommt wie ein Refrain und wie nachgebetet ständig immer wieder vor. Zweifellos besteht dort, wo Kinder sind, eine besondere Dringlichkeit, eine spezifische, möglichst dauerhafte Gemeinschaft zu bilden. Aber es zeigt sich auch, dass sich - wenn man den Ansatz zum Verständnis von Familie so legt und Ehe weitgehend überspringt - eine solche Vielfalt von so genannten familialen Lebensformen - es ist ein fester Begriff in den Sozialwissenschaften geworden - entwickelt, dass man auf weite Strecken auch von einer Auflösung dieses Zusammenhangs reden muss. Damit wird es natürlich auch immer schwieriger, Verständnis zu wecken für eine christlich verstandene Ehe. Der viel engere Zusammenhang mit dem demografischen Wandel in unserer Zeit ist sicher ein Akzent, der sich in den nächsten Jahren verstärken wird gegenüber dem, was wir bisher besprochen haben. Hier müssen wir eine große Offensive starten.

4. Generationenpakt

Ich habe bewusst in den letzten Jahren immer wieder die Generationengerechtigkeit, den Zusammenhalt zwischen den Generationen - man kann auch Generationenpakt sagen - zu einem Hauptthema gemacht. Im Grunde weiß man schon seit vier Jahrzehnten, dass wir in eine Entwicklung hineinschlittern mit so wenig Kindern, dass die Sicherheit unserer Sozialsysteme einfach nicht mehr gewährleistet ist. Wir hätten es schon lange wissen können, weil die Wissenschaft es längst auf den Tisch gelegt hat. Aber ich kann verstehen, dass es politisch nicht sehr opportun war, die Leute in einer Zeit zu beunruhigen, in der die Sensibilität für diese Fragen nicht gegeben war. Aber auch vor Jahren hat man schon sehr gut wissen können, dass die Renten nicht so sicher sind, wie man vorgegeben hat. Deswegen sollte sich niemand und keine Partei über die anderen stellen. Hier ist gemeinsames Handeln, denke ich, sehr entscheidend. Die Verantwortung der Generationen füreinander ist in großer Gefahr. Die Tatsache, dass es 30 bis 40 Jahre dauert, bis Korrekturen wirklich greifen, ist eine Sorge, die wir gerade eben auch wegen der Mittelfristigkeit und Langfristigkeit auch zu einer kirchlichen Aufgabe machen müssen.

Deshalb sind auch viele Probleme in der heutigen Sozialpolitik im Blick auf die unmittelbare Zukunft nicht oder nur in einer Gestalt lösbar, die sehr vorläufig ist. Ich glaube, wir müssen hier ganz neu ansetzen, nicht zuletzt im Blick auf die Wertschätzung der Familien, nicht zuletzt auf Frauen, die sich für Kinder entscheiden und auch nicht selten ihre persönliche Karriere zurückstellen oder unterbrechen. Ich habe versucht dafür zu werben, dass wir viel mehr Anerkennung für das Leben mit Kindern zeigen, dass wir den Willen zu Kindern, nicht zuletzt auch von Seiten der Frauen und der Mütter, unterstützen. Familienpolitik und Familienlastenausgleich sowie Kindergeld sind wichtig. Gott sei Dank ist auch einiges geschehen. Aber ich denke, diese Maßnahmen reichen nicht aus. Nicht etwa, weil sie materiell nicht ausreichten, sondern weil sie als Maßnahmen nicht ausreichen. Die Krise geht tiefer. Es braucht auch und gerade einen tiefen Mentalitätswandel.

Ich glaube, dass wir da auch als Kirche, wo uns grundsätzlich und durchaus die Sorge für diese Fragen der längerfristigen Zukunft der Menschen nahe liegt, ein Stück weit geschlafen haben. Sonst hätten wir früher Alarm schlagen müssen gegen das, was sich da für die Zukunft zusammenbraut. Manchmal habe ich das Gefühl, dass dieses Thema wirklich radikal in der Mitte stehen sollte, weil dafür nicht mehr sehr viel Zeit ist.

 

5. Inhaltliche Füllung der neuen pastoralen Strukturen

Wir haben im Lauf der letzten Jahre, ja schon Jahrzehnte mit dem Einsatz vieler die neuen pastoralen Strukturen entworfen und diskutiert, umgesetzt und fortgeführt. Ich will darum nicht alles wiederholen, was bisher in den vergangenen Jahren dazu gesagt worden ist.

Wir dürfen aber dankbar und froh sein, dass diese Umsetzung, verglichen auch mit manchen anderen Bistümern, relativ friedlich und verständnisvoll verlaufen ist. Ich will damit nicht leugnen, dass es da und dort schmerzliche Entscheidungen gab. Wir haben aber versucht zu begründen, warum diese und jene Maßnahme unter dem Zwang der Verhältnisse als die jeweils angemessenste erschien. Deshalb bin ich froh über die Kraft der Geduld und des Aufeinanderhörens, die zu diesem guten Ergebnis geführt hat.

Aber es darf uns keine falsche Selbstgenügsamkeit erfüllen. Auch in der Bischofskonferenz sind wir uns quer durch alle Bistümer bewusst, dass wir diese Strukturen mit konkretem spirituellen und pastoralen Leben ausfüllen müssen. Manchmal sind es nur Hohlräume, in denen noch kein überzeugtes und überzeugendes Lebens pulst. Ich will nicht verkennen, dass wir gute Ansätze haben: Manches, was vorher schon an guter Zusammenarbeit da war, hat jetzt Anerkennung und Legitimation gefunden. In nicht wenigen Dingen haben wir uns in der Bistumsleitung auch überzeugen lassen, dass man vielleicht die Zusammenlegung und Zuordnung der Strukturen anders ordnen muss. In vielen Fällen bin ich dankbar, dass die neuen Strukturen richtig Fuß gefasst haben. Eine schöne Frucht ist es z. B., wenn besonders bei kleineren Gemeinden die Vorbereitung der Firmung, auch vor dem Hintergrund unserer diözesanen Beratungen, in den neuen pastoralen Größenordnungen geschieht. Hier tut sich manchmal die Diaspora mit den kleinen Gemeinden, die so besser zueinander finden, leichter, als die größeren Gemeinden, die sich leicht selbst genügen und sich gegenüber dem Umfeld eher abschließen. Eine ganz unerwartete Frucht der Strukturveränderungen ist auch die Tatsache, dass eine ganze Reihe von Gemeinden von sich aus, d. h. ohne jeden Druck „von oben", einen Zusammenschluss von Gemeinden, d. h. eine regelrechte Fusion, beantragt hat. In einigen Fällen ist dies schon geschehen und angenommen worden. Mit einigen Gemeinden stehen wir in Verhandlungen. Ich möchte mich für diese spontanen Initiativen sehr herzlich bedanken.

Aber gerade vor diesem Hintergrund ist es notwendig, dass wir in vielem innerhalb der geschaffenen Strukturen aufeinander zugehen, neue Nachbarschaft und Zusammenarbeit in ihnen schaffen und auch einander beim Suchen nach gemeinsamen Wegen stützen und vertrauen. Es ist auch hier wie sonst im Leben: Wenn man etwas nur halb tut, ist es schwerer und lähmt eher. Wir müssen die Chancen, die in der Strukturreform stecken, oft erst noch entdecken und erkennen, damit unsere Überzeugung wächst, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Hier haben wir noch vieles vor uns. Deshalb gibt es für niemanden einen Grund, sich nun selbstgefällig zurückzulehnen und zu glauben, wir hätten es geschafft. Es geht eben um „Mehr als Strukturen ...". (Dies ist der Titel der Zusammenfassung der Neuorientierung der Pastoral in den deutschen Diözesen, Ergebnis eines Studientages im Frühjahr 2007, Arbeitshilfen Nr. 213, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2007) Wir werden in den verschiedenen Räten immer wieder auch nachahmenswerte Beispiele zur Kenntnis geben und beratend zur Verfügung stehen. Die Räte des Bistums haben gerade hier auf den verschiedenen Ebenen eine unersetzliche Bedeutung.

6. Missionarischer Auftrag

Am Ende dieser Perspektiven will ich eine Dimension nennen, die nicht deswegen an letzter Stelle steht, weil sie weniger Bedeutung hat, sondern weil sie viele Anliegen konzentriert zusammenfasst und damit so etwas wie die abschließende Vollendung der Überlegungen bildet. Es ist der grundlegende missionarische Auftrag, den wir heute neu ergreifen müssen.

Es kommt darauf an, dass wir nämlich nicht nur nach rückwärts schauen und auf Besitzstandwahrung und Bestandssicherung allein blicken. Neue Strukturen können uns auch helfen, unsere Wirklichkeit mit vertieften und erneuerten Blicken zu erfassen. Dies sind im Einzelfall durchaus wichtige Ziele, die wir in den letzten Jahren immer wieder auch - sei es auf der Ebene der Bischofskonferenz oder des Bistums - zur Sprache gebracht haben.

Wichtig ist aber, dass die missionarische Dimension eine viel größere Rolle spielen muss als bisher. Wir sind in vielem einfach in die Defensive gedrängt worden, haben uns auch in die Defensive drängen lassen. Wir stehen darum immer wieder mit wenig Raum gleichsam an der Wand. Deswegen kommt es darauf an, dass wir gerade innerhalb des Pluralismus, innerhalb der verwirrenden Vielfalt von Lebensentwürfen in unserer Gesellschaft, sehr viel offensiver werden. Offensiv heißt nicht aggressiv und auch nicht fanatisch. Wir brauchen einen stärkeren Mut zum Zeugnis. Dafür brauchen wir wohl ein Stück weit auch eine neue Ortsbestimmung von Kirche heute. Wir leben in einer Zeit, in der das Miteinander verschiedener Menschen mit sehr unterschiedlichen Einstellungen und Religionen fast zur Selbstverständlichkeit gehört. Es ist dann zwar für uns nicht ganz einfach, in diesem Sinne Toleranz zu gewähren, Gesprächsbereitschaft zu zeigen, ohne den eigenen Standort zu relativieren oder gar preiszugeben. In den letzten Jahren ist vieles an diesem neuen Miteinander gewachsen. Wir haben Religionsfreiheit, Toleranz, Rücksicht auf den Anderen, Anerkennung der Andersheit und des Fremden, Integration z. B. anderer Religionen und Kulturen, das Lernen voneinander usw. eingeübt. Aber es darf nicht so sein, dass praktisch alles in dieser Gesellschaft mehr oder weniger gleich-gültig ist. Gerade in einer solchen neuen Situation ist eine deutliche Markierung des eigenen Standortes notwendig. Wir brauchen ein unverwechselbares Profil, ohne dass dies Anlass geben darf zu Fanatismus, zu Fundamentalismus, zum bloßen Abgrenzen. Das ist eine ganz schwierige Gratwanderung.

In den letzten Jahren haben wir immer wieder auch durch den Blick in unsere gewesene Geschichte und in die Gegenwart Anregungen erhalten. Ich denke z. B. an den 1250. Todestag des hl. Bonifatius und die weiteren Bemühungen im Zusammenhang des Jahres 2004. Ähnliches gilt für das Jubiläum des Mainzer Erzbischofs Rabanus Maurus (*856) im Jahr 2006. Aber auch der Blick in die Gegenwart kann uns hier mächtig helfen, wenn ich z. B. an die heute noch wichtigen prophetischen Worte von Pater Alfred Delp SJ zu „Deutschland als Missionsland" denke. Wir haben ja im letzten Jahr seinen 100. Geburtstag begangen (vgl. K. Lehmann/M. Kißener, Das letzte Wort haben die Zeugen: Alfred Delp, Mainz 2007, 18 - 22). Ich denke aber auch an Gestalten, die nicht unmittelbar mit unserem Bistum zusammenhängen, gleichwohl wegweisende Bedeutung haben, wie z. B. Madeleine Delbrêl, deren Seligsprechungsprozess im Gange ist.

Ich brauche hier nicht die zahlreichen Verlautbarungen und Hilfen der Deutschen Bischofskonferenz darzulegen, die wir besonders seit der Jahrtausendwende konsequent veröffentlicht haben (angefangen von „Zeit zur Aussaat - Missionarisch Kirche sein" bis zum großen Dokument über die Weltmission „Allen Völkern Sein Heil", 2004; vgl. auch „Katechese in veränderter Zeit", 2004). Ich darf in diesem Zusammenhang auch auf meinen Hirtenbrief zur Österlichen Bußzeit 2004 „Missionarisches Zeugnis" verweisen.

Wir haben sicher in unserem Land und auch in unserer Kirche viele Probleme. Sie sollen nüchtern diskutiert, vor allen Dingen aber auch mit verschiedenen Lösungsmodellen zur Diskussion gestellt und einer Klärung entgegengeführt werden. Aber oft sind unsere Probleme im Vergleich zu den Schwierigkeiten unserer Nachbarn im neuen Europa und den Menschen in der ganzen Welt nicht so dramatisch, wie wir es manchmal sehen. „Eure Sorgen möchten wir haben", das hört man immer wieder, wenn man Besuche im Ausland macht oder Besucher zu uns kommen. Viele andere Zeitgenossen in anderen Situationen haben Grund zur Klage und manchmal auch zur Resignation. Bei uns fehlt es oft „nur" an Zuversicht und Mut zur Zukunft, auch an Vertrauen in uns selbst. Ich wünsche uns allen, dass wir gemeinsam und einzeln, auf der Bistumsebene und in den Gemeinden, in den Verbänden und Gemeinschaften, in den Ehen und Familien, aber auch einzeln mutig und froh Rechenschaft ablegen von der Hoffnung, die in uns lebt.

 

III. Taufe und Glaube: Motive für die Wahl des Themas

Wir wissen nicht immer, was uns im Lauf der nächsten vier Jahr konkret abverlangt wird. Dies hindert aber nichts daran, dass wir konkret planen. Wenn dann in der konkreten Situation Dringliches notwendig wird, bleiben wir offen. Ich kann hier auch nicht mehrere Themen ausführlicher skizzieren, die uns auf den Nägeln brennen und die uns beschäftigen müssten. Dazu gehört z. B. der oben schon erwähnte große Rückgang kirchlicher Eheschließungen in unseren Gemeinden. Dies kann uns nicht in Ruhe lassen. Aber wenigstens ein Thema möchte ich, weil es auch in der Mitte steht, etwas genauer umschreiben. Es ist in der Überschrift dieses Vortrags auch als Hauptthema genannt: Christwerden und Christsein.

Ganz bewusst habe ich in der vergangenen Ratsperiode das Thema Firmung zur ersten Priorität gemacht. Ich wollte bei einem Vorgang in unseren Gemeinden einsetzen, der den meisten bekannt ist, der eine gewissen Öffentlichkeit hat, an den sich viele im eigenen Leben erinnern und der gerade heute große Bedeutung hat. Dabei war aber von Anfang an klar, dass wir die Firmung aus vielen Gründen nicht isoliert betrachten können. Sie kann nur in engster Zusammengehörigkeit mit der Taufe verstanden werden. Firmung und Taufe gehören, vor allem dann auch mit der Eucharistie von alters her zusammen und bilden die christliche Initiation, also die Hinführung zum christlichen Glauben, was eng auch mit der so genannten Sozialisation zusammenhängt. Es war also, was ich oft betont habe, von Anfang an geplant, von der Firmung aus tiefer auf die Taufe zurückzukommen. An diesem Schnittpunkt stehen wir, wenn wir nun die Richtlinien zur Firmpraxis in unserem Bistum abgeschlossen haben und veröffentlichen, zugleich aber die neue Ratsperiode eröffnen.

Dabei ist auch von Anfang an klar, dass es nicht isoliert um die Erteilung der Taufe als Sakrament - gar noch ausschließlich als Kindertaufe verstanden - gehen kann. Glaube und Taufe sind, schon im Neuen Testament, in einzigartiger Weise miteinander verbunden. Beide brauchen einander jeweils. Man versteht das Sakrament nur im Kontext des Glaubens, und man begreift die Konkretheit des Glaubens nur im Zusammenhang des Sakramentes (vgl. dazu K. Lehmann, Gegenwart des Glaubens, Mainz, 1974, 201 - 228). Dies ist in ganz fundamentaler Weise wichtig, wenn wir an eine Neubesinnung zur Taufe gehen. Damit ist aber auch deutlich, dass sowohl bei der Erörterung der Taufe und der Firmung, besonders im Kontext des Glaubens, Christwerden und Christsein in der Mitte stehen.

Es ist hier freilich nicht möglich, eine einigermaßen umfassende, wenn auch sehr konzentrierte Theologie der Taufe in diesen Perspektiven darzulegen. Dies soll später eingehender geschehen. Aber ich will genauer zeigen, warum dieses Thema heute besonders wichtig ist und unsere ganzen Kräfte für die kommende Zeit in Anspruch nehmen wird.

1. Jeder Anfang ist mehr als ein bloßer Beginn. Dies gilt besonders auch für das menschliche Leben. Der Anfang ist so etwas wie Gründung und bleibt auch mit seiner fundierenden Kraft für später bestehen, auch wenn ein Wesen sich verändert. In dieser Hinsicht ist die Taufe als Anfang des Christwerdens und des Christseins etwas, das man nicht einfach hinter sich lässt. Es bleibt der Grund, auf dem die christliche Existenz aufbaut. In diesem Sinne sind viele Vollzüge des christlichen Lebens in der Folgezeit Entfaltungen und im Grunde auch Vertiefungen des in der Taufe empfangenen neuen Lebens.

Es ist eigentlich erstaunlich, wie gering das Echo dieser Tatsache ist in unserem spirituellen Leben sowohl des Einzelnen als auch christlicher Gemeinschaften. Dies gilt auch für unsere Verkündigung und Glaubensunterweisung, aber auch für die Theologie und die ökumenischen Bemühungen: in der Regel ist Taufe eher ein Thema am Rande. Es ist aber leicht verständlich, dass wir uns dabei sehr schaden, wenn wir dies vernachlässigen. Schließlich ist die Taufe der entscheidende Zugang zur christlichen Kirche und die prägende Signatur des christlichen Lebens.

2. In einer volkskirchlichen Struktur erscheinen die Sakramente fast als selbstverständlich. Wenn diese sich auflöst oder auch nur auflockert, ist eine neue Situation gegeben. Dann kann es eine Reform nur durch eine ganz grundlegende Vertiefung geben. Sonst verstehen die Menschen nicht oder nicht mehr, warum das Übergießen eines Kleinkindes mit Wasser, auch unter Anrufung des dreifaltigen Gottes, und einzelne symbolische Riten (z. B. Salben mit Katechumenenöl/Chrisam, Taufkleid) etwas mit dem ewigen Heil zu tun haben soll. Die Idee des Sakramentes ist doch vielfach in Misskredit gekommen (vgl. z. B. J. Ratzinger/Benedikt XVI., Die sakramentale Begründung christlicher Existenz, Meitingen/Freising 1967 u. ö.; A. Adam, Taufe und Firmung. Die Feier der Grundsakramente, Leutesdorf 2001; Hj. Verweyen, Warum Sakramente?, Regensburg 2001; L. Lies, Die Sakramente der Kirche, Ihre eucharistische Ausrichtung auf den dreifaltigen Gott, Innsbruck 2004; H.-J. Höhn, Spüren, Die ästhetische Kraft der Sakramente, Würzburg 2002.). In diesem Zusammenhang müssen auch andere wichtige Elemente der liturgischen Taufordnung neu verständlich gemacht werden: Gebet um Schutz vor dem Bösen, Absage und Glaubensbekenntnis, Bekleidung mit dem weißen Taufgewand, Übergabe der brennenden Kerze. Die Geschichte und Praxis der Taufe in den christlichen Kirchen ist dabei sehr reich und erhellend (vgl. dazu Chr. Lange/C. Leonhard/R. Olbrich (Hg.), Die Taufe. Einführung in Geschichte und Praxis, Darmstadt 2008). Dies wirft auch einen großen Gewinn ab für andere Themen christlicher Existenz.

3. Die Taufe hat in der Kirche und gesellschaftlich immer noch eine große Bedeutung; diese Anerkennung ist aber in einem erheblichen Rückgang begriffen. Im Jahr 2006 wurden in Deutschland 188.077 Personen katholisch getauft. Diese Zahl liegt um 4,2 % unter dem Stand von 2005 und um 37,3 % unter dem Stand von 1990. Dabei muss man diese Zahl im Zusammenhang des Rückgangs von Geburten betrachten. Die Statistiker sagen uns, dass es keine nennenswerte Rückentwicklungen der Taufbereitschaft bei Kirchenmitgliedern und besonders Katholiken gibt. Es gibt aber eine Tendenz, die Taufe auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. 6,4 % der Getauften waren im Jahr 2006 bereits über sechs Jahre alt. Ein Vergleich dazu: 1995 waren 3.6 % der Getauften älter als sechs Jahre. Auch aus dieser Erfahrung heraus ist es notwendig, sich viel intensiver mit der Bedeutung der Taufe zu beschäftigen (vgl. Katholische Kirche in Deutschland, Statistische Daten 2006 = Arbeitshilfen 221, Januar 2008, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2008). Vermutlich ergeben sich ähnliche Zahlen für unser Bistum.

4. Die Taufe war über lange Zeit ein „stabiles" Element unter den Sakramenten und im kirchlichen Leben. Es war am wenigsten angefochten. Es gab auch nur ganz geringe ökumenische Differenzpunkte. Dies hat sich jedoch in den letzten Jahrzehnten geändert. Bald nachdem der Kindertaufritus in der Folge des II. Vatikanischen Konzils erneuert wurde (1971), gab es eine über Jahre dauernde theologische Auseinandersetzung über die Legitimität der Kindertaufe. Über ihren Verlauf und ihr Ergebnis brauche ich hier nicht eingehender zu berichten (dazu den schon genannten Beitrag in: Gegenwart des Glaubens, 201 - 228). Wenn auch vieles davon vergessen worden ist, so hat sich doch auch bei der Vorbereitung und im Vollzug der Taufe manches, sogar relativ rasch, geändert. Die Rolle der Eltern ist sehr viel deutlicher geworden (statt der Paten). Die Vorbereitung durch ein Taufgespräch engagierte die Eltern auch stärker. Im Grenzfall wurde auch ein Taufaufschub vereinbart. In der Zwischenzeit ist aber eine weitere Veränderung erfolgt: Erwachsene fragen stärker nach der Taufe. Es gibt ein regelrechtes Taufkatechumenat, das hauptsächlich aus den USA und Frankreich zu uns gekommen ist (vgl. dazu auch die Studien des Limburger Bischofs: Franz-Peter Tebartz-van Elst, Handbuch der Erwachsenentaufe, Liturgie und Verkündigung im Katechumenat, Münster 2002). So haben auch die Erwachsenentaufen zugenommen. Dies hat gewiss auch das Bewusstsein um die Bedeutung der Taufe, gerade auch im Zusammenhang der Entscheidung für sie, positiv verändert. Aber auf die Breite der Gemeindewirklichkeit hin haben diese Veränderungen doch noch nicht tiefer gewirkt.

5. In der Zwischenzeit hat sich aber noch mehr verändert. Für die Weltkirche wurde der 1969 verabschiedete Text in einer zweiten Ausgabe überarbeitet (2. authentische Ausgabe 1973). Es dauerte lange, bis im deutschen Sprachgebiet eine Neuausgabe des liturgischen Buches „Die Feier der Kindertaufe" fertiggestellt und veröffentlicht werden konnte. Nun ist es soweit. Die Neuausgabe, die im letzten Jahr erschienen ist („Die Feier der Kindertaufe in den Bistümern des deutschen Sprachgebietes. Zweite authentische Ausgabe auf der Grundlage der Editio typica altera 1973", Freiburg i. Br., Regensburg, Freiburg i. Ü., Salzburg, Linz 2007), soll ab dem 1. Adventssonntag (30. November 2008) verpflichtend zur Verwendung kommen. Das bereits erschienene Buch kann jetzt bereits gebraucht werden. Dafür haben die Bischöfe des deutschen Sprachgebietes - in dieser Form zum ersten Mal - eine pastorale Einführung „Die Feier der Kindertaufe" erarbeitet, die sehr viel stärker unsere gesellschaftliche und kirchliche Situation in den Blick nimmt (Arbeitshilfen 220, Januar 2008, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2008). Es ist dabei der besondere Wunsch der Bischöfe des deutschen Sprachgebietes, dass bei dieser Gelegenheit der Kindertaufe in Pastoral und Liturgie neue Aufmerksamkeit geschenkt wird. „Das Buch soll zum Anlass werden, sowohl die sakramentenpastoralen Initiativen der einzelnen Pfarrgemeinden zu überdenken als auch die bisherige Feierpraxis nach Möglichkeit zu verbessern." (Pastorale Einführung, 5) Wir haben also auf allen Ebenen eine wichtige Aufgabe vor uns, die gewiss nicht schnell zu erledigen ist. Auch andere Sprachgebiete haben in der Zwischenzeit das liturgische Buch überarbeitet (so z. B. die Italienische Bischofskonferenz „Rito del battesimo dei bambini", Vatikan 1985 und 1999).

Aber entsprechend den vorher aufgezeigten Wandlungen gibt es nun auch offizielle Bücher für die anderen Formen der Taufe. Der im Jahr 2001 erschienene Faszikel „Die Feier der Eingliederung Erwachsener in die Kirche - Grundform" (Trier 2001) erschien zuerst als Manuskriptdruck und wurde seither erprobt. Nun aber ist dieser Text ergänzt worden durch einen zweiten Teil (Trier 2008), in dem besondere Situationen Berücksichtigung finden: Menschen in Lebensgefahr, Feier der Zulassung zur Taufe für noch nicht getaufte Menschen, Aufnahme gültig Getaufter in die volle Gemeinschaft der katholischen Kirche. Es gibt aber auch eine „Feier der Eingliederung in die Kirche für Menschen, die getauft sind, aber nicht in den Glauben eingeführt wurden" (S. 41 - 64). Dazu gibt es eine Reihe von Hilfen z. B. für Aussiedler auf dem Weg zur Taufe, Kinder im Schulalter usw. In diesem Zusammenhang gibt es viele Möglichkeiten, die gewiss bisher wenig in unseren Gemeinden bekannt geworden sind. Dies dürfte sogar für die Geistlichen und die anderen pastoralen Berufe gelten. Vermutlich werden wir in der Fort- und Weiterbildung intensiver daran arbeiten müssen.

6. Es darf nicht vergessen werden, dass bei der Entwicklung der Geistlichen Bewegungen in diesen Jahren die Taufe eine erhöhte Bedeutung gewann. Eine Reihe von Geistlichen Bewegungen, besonders die Fokolar-Bewegung und das Neokatechumenat, aber auch Strömungen der Charismatischen Bewegung, haben mit dem Taufgedächtnis bzw. der Tauferneuerung neue spirituelle und liturgische Formen eingeführt, die wenig bekannt geworden sind außerhalb der Bewegungen selbst, aber doch viele spirituelle Impulse enthalten (vgl. dazu vor allem auch die Überlegungen von H. Mühlen und N. Baumert SJ). Viele Elemente dieser Tauferneuerung haben auch eine bisher wenig ausgeschöpfte Bedeutung für die Gemeindeebene.

7. Ein wichtiges Ereignis war die wechselseitige Anerkennung der Taufe im ökumenischen Bereich unseres Landes. Der Anstoß kam vom Päpstlichen Rat für die Förderung der Einheit der Christen aus Rom (Walter Kardinal Kasper) und führte schließlich nach vielen Anläufen dazu, dass eine entsprechende Vereinbarung in Magdeburg am 29. April 2007 von den allermeisten Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) feierlich in einem Gottesdienst unterzeichnet wurden. Ich brauche auf dieses wichtige Ereignis in Magdeburg hier nicht näher einzugehen (vgl. mein Referat im Rahmen der Domvorträge 2007 zum Thema Taufe: „Zur Anerkennung der einen Taufe in der Ökumene. Mit einem Exkurs zur Kindertaufe" am 31. Mai 2007 im Mainzer Dom). Es gibt viele gemeinsame ökumenische Aussagen außerhalb unseres Sprachgebietes zur Taufe, aber wenige gemeinsame Aussagen bei uns. Die internationalen Anstöße vor allem im Rahmen der so genannten Lima-Konsultation über Taufe, Eucharistie und Amt des Weltkirchenrates habe ich an anderer Stelle ausführlicher dargelegt (vgl. das genannte Dom-Referat). Dies darf aber nicht ein einmaliger historischer Akt bleiben, sondern muss in die gemeinsame ökumenische Feier der Tauferneuerung bzw. des Taufgedächtnisses einmünden, wie es auch in unserem Vorschlag zur Gestaltung ökumenischer Gottesdienste enthalten ist (vgl. den Text, verabschiedet vom Pastoralrat des Bistums Mainz).

8. Ich habe schon erwähnt, dass es vor allem im deutschen Sprachgebiet nur kümmerliche gemeinsame Aussagen der Kirchen zur Theologie und Praxis der Taufe gibt. Dies hat verschiedene Gründe. Auf der einen Seite gibt es in der Theologie der Taufe wenig Kontroverspunkte, obgleich hier untergründig noch unterschiedliche Elemente im Vorverständnis von Taufe nachwirken. Also hat man bei den offiziellen Gesprächen die Taufe wenig behandelt, dadurch aber wichtige gemeinsame Bauelemente des Christ- und Kircheseins vernachlässigt (vgl. z. B. das Projekt: Lehrverurteilungen - kirchentrennend?, 1980 - 1986). Es gibt aber keinen Zweifel, dass dies ein schwer erträgliches Defizit in unseren ökumenischen Beziehungen darstellt, besonders angesichts der oben dargestellten konkreten Situation.

9. Das notwendige neue Miteinander in dieser Frage ist gewiss angestoßen worden durch die offizielle Taufanerkennung des vergangenen Jahres. Man darf nicht vergessen, dass diese Feier nicht zufällig in Magdeburg stattfand. Dort haben wir im Dom den ältesten Taufstein nördlich der Alpen, der in das 1. Jahrtausend zurück geht und der uns an die große gemeinsame christliche Tradition vor allen Spaltungen erinnert (auch vor der Trennung von der Ostkirche im Jahr 1054). Es war aber auch sinnvoll, eine Stadt in den neuen Bundesländern zu wählen, weil ein großer Teil der Bevölkerung in der Ex-DDR ungetauft ist, sodass hier eine große gemeinsame Aufgabe existiert, die wir gewiss noch nicht genügend wahrgenommen haben.

10. Eine zusätzliche Hilfe haben wir nun in den letzten Tagen erhalten. Der Rat der EKD hat nämlich nach dem früheren Erscheinen der kleinen Schrift über das Abendmahl (Das Abendmahl. Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis in der evangelischen Kirche, Gütersloh 2003) nun eine ähnlich Schrift folgen lassen: Die Taufe. Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis der Taufe in der evangelischen Kirche, Gütersloh 2008. Hier sind knapp und verständlich von einer eigens eingesetzten Kommission die grundlegenden Fragen behandelt, die auch in großer Zahl mit uns gemeinsam sind. Das Studium dieser Orientierungshilfe wird uns in vieler Hinsicht helfen.

IV. Schluss

Damit habe ich noch nicht die Grundelemente einer Theologie und Praxis der Taufe dargestellt. Ich habe nur die Dringlichkeit hervorgehoben, dieses Thema in den nächsten vier Jahren als erste Priorität zu wählen. Wir haben gute Erfahrungen gemacht mit der Behandlung des Themas „Firmung". Deshalb habe ich auch eine große Hoffnung, dass wir ähnliche Fortschritte machen bei dem noch wichtigeren und tieferen Thema der Taufe. Dies kann auch helfen, dass unsere Zusammenarbeit in den neuen pastoralen Strukturen noch enger wird. Außerdem sind viele Ebenen von der Ausbildung der pastoralen Berufe über die Erwachsenenbildung und die Fort- und Weiterbildung bis zur Gestaltung der liturgischen Praxis in den Gemeinden angesprochen.

Wenn ich an die eingangs behandelten Prioritäten (vgl. II.) erinnern darf, dann zeigt sich, dass diese Grundaufgaben sich konkret in diesem Thema Taufe konzentrieren, angefangen von der Gottesfrage bis zu der missionarischen Dimension unseres heutigen kirchlichen Handelns. Wir verwirklichen also sehr konkret das, was wir uns generell vorgenommen haben, konzentrieren es aber auf diesen wichtigen Punkt.

Wir haben sieben Sakramente. Sie sind aber nicht alle - unbeschadet ihrer je eigenen Bedeutung - vom selben Gewicht. Die Tradition, besonders vor der Reformation, spricht darum gerne von den „großen Sakramenten" (sacramenta maiora) und meint damit Taufe und Eucharistie. Sie sind die Säulen des christlichen und kirchlichen Lebens. Schon einer der ältesten Kirchenväter, der hl. Ignatius von Antiochien, sagt um 110, dass dabei die Taufe die Eingangstür, die Pforte zum Heil ist, und dass die Eucharistie die Vollendung des Heils darstellt. So gehören beide Sakramente zusammen. Sie bilden darum auch die Hinführung, die Initiation zum christlichen Glauben und Leben. Wir stoßen also mit diesem Thema in eine letzte Tiefe unseres Glaubens, auch als solches nach innen und nach außen, nicht zuletzt aber auch in ökumenischer Hinsicht. So heißt es auch in der Magdeburger Taufanerkennung: „Diese wechselseitige Anerkennung der Taufe ist Ausdruck des in Jesus Christus gründenden Bandes der Einheit (Eph 4,4-6)."

(c) Karl Kardinal Lehmann

Redemanuskript - Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz