Ökumenischer Gottesdienst zur Eröffnung des Rheinland-Pfalz-Tages 2012 in Ingelheim (c) Öffentlichkeitsarbeit Bistum Mainz / Kinnen (Ersteller: Öffentlichkeitsarbeit Bistum Mainz / Kinnen)

"Immer im Licht"

Datum:
Samstag, 2. Juni 2012

Predigt im ökumenischen Gottesdienst zur Eröffnung des Rheinland-Pfalz-Tages in Ingelheim am 2. Juni 2012 in der Saalkirche in Ingelheim

Lesungen: Eph 5,9-14 und Mt 5,14-16

Der Rheinland-Pfalz-Tag gibt uns eine sehr gute Gelegenheit, unser noch junges Land mit seinen alten und neuen Schätzen in Natur, Geschichte und Kultur besser kennenzulernen. Ingelheim ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Die Rotweinstadt, wie sie genannt wird, ist heute außerdem ein international bekannter Wirtschaftsstandort. Es ist eine reiche Stadt mit vielen Gesichtern. Seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts finden wir hier die Kaiserpfalz, die den Kaisern und Königen bis ins 11. Jahrhundert als Aufenthalts- und Regierungsort diente. Die Kaiserpfalz ist eng mit Kaiser Karl dem Großen verbunden, der sich drei- bis viermal in Ingelheim aufgehalten hat. Im Übrigen ist es spannend, die Geschichte Ingelheims mit ihrem Auf und Ab näher zu verfolgen. Auch die Reformationszeit, die ein Nebeneinander und oft auch ein Gegeneinander von drei Konfessionen (katholisch, lutherisch, calvinistisch-reformiert) mit sich brachte, hat ihre Spuren hinterlassen, auf jeden Fall heute noch erkennbar an der Aufteilung der Kirchen und des Kirchengutes. Von der starken Industrialisierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bleib vor allem das Familienunternehmen Boehringer mit seiner weltweiten Bedeutung übrig. Als Rheinland-Pfalz vor 65 Jahren gegründet wurde - wir haben am 18. Mai 2012 dieses Jubiläum gefeiert -, war Ingelheim ein wichtiges Zentrum und ist seit 1996 Kreisstadt und Sitz des Landkreises Mainz-Bingen.

Wir haben also viel Anlass zum Dank. In diesem Sinne können wir durchaus auch das Leitwort dieses Gottesdienstes am Rheinland-Pfalz-Tag verstehen: Immer im Licht. Wir haben dies durch die biblischen Texte aus verschiedenen Zeiten vor Augen geführt: Psalm 104, wichtige Zeugnisse aus dem Epheser-Brief und dem Matthäus-Evangelium.

Das Licht ist niemals selbstverständlich. Es wird in den Religionen und den Dichtungen der Völker als eine große Gabe an den Menschen gepriesen. Nicht zufällig ist es auch schon auf der ersten Seite der Bibel zu finden, wenn in der ersten Schöpfungserzählung gesagt wird: „Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis, und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: erster Tag." (Gen 1,3-5) So ist mit dem Wechsel von Licht und Finsternis, Tag und Nacht uns auch die Zeit geschenkt und damit die Geschichte. Dabei ist es nicht zufällig, dass von Anfang an Licht und Finsternis geschieden werden. Dabei geht es nicht nur um Helligkeit und Dunkel, denn es gibt auch das Licht und die Finsternis im Herzen der Menschen. Manche Religionen haben dies zu einem ewigen Kampf zwischen einem göttlichen und einem widergöttlichen Prinzip und einem unaufhebbaren Dualismus gemacht. Der biblische Glaube ist aber überzeugt, dass wir das Licht einem guten Gott verdanken. Wir sind Kinder, ja Töchter und Söhne des Lichtes.

Darum spielt das Licht eine so große Rolle in unseren biblischen Texten und in unserem Glauben. Es bringt eine befreiende Erhellung des ganzen menschlichen Daseins. Das Licht vertreibt die Ängste, das Dunkel der Unwissenheit, das Zwielicht der Lebenslüge, die Verblendung des Kreisens nur um sich selbst, die Missgunst und die Abneigung, den Unfrieden und den Hass. Wir brauchen diese Erleuchtung, weil es so viel Dunkelheit gibt und in dieser Dunkelheit viele Irrlichter, die uns verzaubern und verführen (vgl. auch 2 Kor 4,6; Hebr 6,4; 10,32). So können wir schließlich jene Spitzenaussage verstehen, die uns aufruft, „damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat" (1 Petr 2,9; vgl. auch Apg 2,11). Alles kommt darauf an, dass wir diesen Mut zum Verkündigen, zum Zeugnis unseres Glaubens haben, damit andere ihn überhaupt sehen können. Nur so kann die Welt die befreiende Veränderung des Menschen erkennen. Dann können wir erlöst werden von unseren Götzen: von der Sucht nach immer mehr Besitz, Ansehen und Prestige, von der Kälte unseres Herzens gegenüber anderen Menschen, von der Abneigung gegenüber dem Fremden, von der Besinnungslosigkeit in vielfältigem Rausch hin zu jener Nüchternheit, die zugleich Begeisterung ist.

Alles kommt darauf an, dass wir in unsere konkrete Welt Licht bringen, wo Finsternis, auch im Sinne von Verzweiflung und Ausweglosigkeit, herrscht. In Ingelheim kennen wir in manchen Zusammenhängen die Not von Menschen, die keine Heimat haben und nicht selten wieder abgeschoben werden. Deshalb haben wir die Kollekte dieses Gottesdienstes für die Ökumenische Flüchtlingshilfe GmbH erbeten. Seit genau 20 Jahren unterstützt diese gemeinnützige Gesellschaft Flüchtlinge und Asylbewerber, besonders aus Nordafrika und dem Nahen Osten. Es wird durch diese Tätigkeit vor allem auch der Kirchen und einzelner Personen viel Licht in ein oft dunkles Leben gebracht. Ich bitte Sie um Ihre Gabe für diese Flüchtlingshilfe: Licht in der Nacht.

Unsere Texte zeigen uns, wie nahe die Schlüsselworte unseres menschlichen Daseins zusammengehören: Licht und Leben. Der Anfang des Johannes-Evangeliums entspricht dem Anfang der Bibel überhaupt: „Im Anfang war es (das Wort) bei Gott. Alles ist durch das Wort geworden, und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist. In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen." (Joh 1,2-4) Seit Jesus zu uns gekommen ist, kann und soll dieses Licht nicht mehr untergehen. Dieses Licht darf auch in den schwierigsten Stunden des Menschen nicht einfach erlöschen. Dazu sind die Christen in besonderer Weise aufgerufen. Wir haben es im Evangelium gehört: „Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben ... So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen." (Mt 5,14.16)

Dies ist zugleich eine Warnung an uns, dass wir wirklich Zeugnis geben vom Licht: „Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr durch den Herrn Licht geworden. Lebt als Kinder des Lichts! ... Alles, was aufgedeckt ist, wird vom Licht erleuchtet. Alles Erleuchtete aber ist Licht. Deshalb heißt es: Wach auf, du Schläfer, und steh auf von den Toten, und Christus wird dein Licht sein." (Eph 5,8.13-14) Man darf also den schrillen Ton nicht überhören, der in der Bibel immer mit im Spiel ist, wenn vom Licht die Rede ist. Bei Johannes heißt es: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst ... Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf." (1,5.9-11) Da tut sich etwas Unbegreifliches auf, geradezu ein dramatisches Geschehen. Es ist ganz und gar unverständlich, dass die Menschen die Finsternis mehr lieben als das Licht (vgl. Joh 3,19). Die Bibel gibt eine Erklärung für diesen seltsamen Sachverhalt: „Denn ihre Taten waren böse" (Joh 3,19). Wir kennen dies aus unserem eigenen Leben: Wer etwas Schlechtes tut oder getan hat, scheut das Licht, das es an den Tag bringen könnte. Lieber verstricken wir uns oft in Lügen und betrügen uns selbst, als dass wir uns der Wahrheit stellen. Nur wer diese Scheu überwindet, wird frei, um im Licht des Lebens froh zu sein. Johannes begreift dabei diese Abkehr vom Licht nicht als ein einmaliges, fernes, zurückliegendes Ereignis, vielmehr wiederholt sich die Weigerung, in den Wirkungskreis des Lichtes einzutreten, ständig, und dies bis zum heutigen Tag (vgl. dazu ausführlicher Joh 3,19-21).

All dies benennt Johannes auch mit dem Wort Finsternis. Sie steht in natürlichem Gegensatz zum Licht (vgl. Gen 1,2f.). Licht hat für den Menschen etwas Beruhigendes, Beglückendes, ja Faszinierendes. Finsternis dagegen hat eine Nähe zum Unheimlichen, zu Orientierungslosigkeit, ist etwas Beängstigendes und gerät darum auch in die Nähe der Unwissenheit. Wir werden hinters Licht geführt und fürchten finstere Machenschaften. Licht und Leben gehören für die Bibel zusammen. Die Finsternis wird dabei auch leicht mit dem Tod gleichgesetzt. So wird die Welt oft verstanden als eine große Auseinandersetzung zwischen Licht und Finsternis.

An dieser Stelle werden wir an viele wichtige Aussagen der Hl. Schrift erinnert: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben." (Joh 8,12) „Solange ihr das Licht habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne (und Töchter) des Lichtes werdet." (Joh 12,36) Jesus Christus ist das Licht der Welt (vgl. Joh 8,12; 9,5). Wir sollten schließlich alle durch unser Zeugnis und unseren Einsatz für die Botschaft des Evangeliums „das Licht der Welt" sein (vgl. Mt 5,14). Weil die Finsternis so mächtig ist, sind wir nicht schon verloren. Die Welt kann durch die Sendung Jesu in die Welt und unser Zeugnis von ihm gerettet werden (vgl. ausführlicher Joh 3,14ff.).

Dennoch durchzieht ein schmerzlicher Ton die Bibel. Es bleibt besonders für Johannes ein Rätsel, wieso die Menschen nicht bereitwillig das Licht, die Wahrheit, das Leben aufgenommen haben. Es ist geradezu ein tragisches Motiv mitten in der Botschaft vom Licht: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst." (1,5) In den schon zitierten Worten der späteren Verse 10-11 (die Welt erkannte ihn, die Seinen nahmen ihn nicht auf) wird dies gesteigert aufgenommen. Ja, manchmal hat es den Anschein als ob diese Erfahrung eine große Enttäuschung werden könnte, die am Ende irgendwie den Sieg davonträgt. So heißt es einmal bei Johannes fast resigniert: „Obwohl Jesus so viele Zeichen vor ihren Augen getan hatte, glaubten sie nicht an ihn." (12,37, vgl. auch Röm 10,16)

Aber Jesus zeigt uns, dass wir sehr nüchtern bleiben können in der Wahrnehmung, wie weit unsere Welt, zu der wir immer zuerst selbst gehören, erfasst ist von der Versuchung zum Bösen, gerade zur Gier in ihren verschiedenen Spielarten. Aber wir verzweifeln deshalb nicht, weil wir wissen: „Und das Licht leuchtet in der Finsternis." Johannes geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn er sagt: „Und die Finsternis hat es (das Licht) nicht erfasst." Johannes, der gerne vielsagend, ja manchmal auch rätselhaft mit den Worten spielt, sagt hier etwas Doppeltes: Die Finsternis hat das Licht nicht erfasst, aber dasselbe griechische Wort („katalambanein") kann zugleich übersetzt werden, dass das Licht in der Nacht nicht überwältigt wird von der Finsternis (vgl. auch Joh 12,35f.).

„Immer im Licht" - ich habe bei diesem Wort anfangs etwas gezögert. Immer? Immer im Licht? Gott selbst gibt uns den Mut zu dieser gewagten Aussage, die wahr ist, uns aber ganz einfordert, und zwar gerade auch gemeinsam als evangelische und katholische Christen. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz