Jesus sagte zu ihr: Maria!

Predigt im Pontifikalgottesdienst am Ostersonntag, 12. April 2009 im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Sonntag, 12. April 2009

Predigt im Pontifikalgottesdienst am Ostersonntag, 12. April 2009 im Hohen Dom zu Mainz

Evangeliums-Text zur Predigt: Joh 20,1-18, bes. 11-18 (siehe unten)

Sehr verehrte, liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Zunächst möchte ich Ihnen mit dem österlichen Halleluja ein gutes Osterfest wünschen: Gottes Segen in Freude und Friede! Grüßen Sie bitte auch alle, die zu Hause geblieben sind, nicht zuletzt die älteren Mitbürger, die Kinder und die Kranken.

Ich bin leider noch nicht mitten unter Ihnen im Mainzer Dom, wie ich es mir ursprünglich vorgestellt habe. Die Ärzte meinten jedoch, ich solle die nach der Operation notwendige Erholungszeit nicht unterbrechen. Darum grüße ich Sie sehr herzlich und verbinde meine guten Wünsche mit der Predigt zum Evangelium, das Sie soeben gehört haben.

Maria von Magdala kommt am ersten Tag der Woche, also am Sonntag, in aller Frühe zum Grab und findet das Grab geöffnet. Schrecken und Entsetzen liegt über ihrem Besuch, da das Grab offenbar gewaltsam geöffnet war und der Leichnam Jesu nicht mehr in der Grabkammer lag. Sie teilt Simon Petrus und Johannes die Schreckensnachricht mit; diese beiden besichtigen die Grabkammer daraufhin gründlicher. In aller Kürze wird nach einer genaueren Beschreibung des Grabes mindestens von Johannes festgestellt: „er sah und glaubte".

Maria bleibt am Grab oder kommt bald wieder zurück. Sie weint. Sie hat ihren Herrn verloren. Was bleibt ihr anderes übrig? Die Feinde Jesu haben gesiegt. Eine große Hoffnung ist gescheitert. Dazu kommt noch die schlimme Erfahrung, dass - das letzte Andenken - der tote Jesus selbst verschwunden ist. Es ist ein Tiefpunkt an Traurigkeit erreicht. Von uns Menschen aus finden wir hier nicht weiter, auch wenn wir noch so sehr die Grabkammer besichtigen und alles historisch erforschen.

Da sieht Maria zwei Engel in weißen Gewändern beim Grab sitzen. Diese Boten Gottes künden zunächst einmal, dass die Antwort auf das Geschehene nicht aus uns selbst und unseren Erfahrungen kommt. Deshalb kann auch Maria in dieser Perspektive nur weinen und klagen, dass ihr Jesus sogar weggenommen wurde. Sie sucht überall. Sie wendet sich nach allen Seiten. So dreht sie sich auch nach hinten um und sieht Jesus dastehen, erkennt ihn aber nicht. Sie sucht Jesus immer noch bei den Toten. Es ist geradezu tragisch und zugleich komisch, dass sie meint, es sei der Gärtner. Vielleicht war er es, der Jesus weggebracht hat: „Sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen." Beinahe kurios, diese Verwechslung!

Was Maria hier geschieht, können auch wir erleben. Jesus steht oft unerkannt mitten unter uns. Auch die Emmaus-Jünger erkennen ihn lange Zeit nicht, obwohl er mit ihnen geht und so viel von sich erzählt. Um Jesus als den auferstandenen Herrn zu erkennen, müssen uns die Augen und das Herz geöffnet werden. Das Sehen und das Verstehen muss für eine andere Wirklichkeit verwandelt werden. Gerade der auferstandene Herr, der nicht mehr an die raum-zeitliche Erscheinung gebunden ist, geht oft unerkannt neben uns her. Auch heute.

Darauf hin kommt nun die Geschichte zu ihrem Höhepunkt: Jesus spricht Maria mit ihrem Namen an: Maria! Auferweckung und Erscheinung sind nicht einfach ein anonymes, mythisches Geschehen, das uns überkommt. Man kann Jesus nicht einfach für sich selbst wie ein Gespenst auf eine Fotografie bannen oder als Videoaufnahme vorzeigen. Er erschließt sich nur dem glaubenden Menschen, Einzelnen wie Maria von Magdala, aber auch den Aposteln und anderen (vgl. 1 Kor 15,5ff.). Jesus offenbart sich selbst als derjenige, der aus dem Tode kommt und lebt, in der persönlichen Anrede. Es ist ja auch gesagt, dass es zum besonderen Verhältnis des Hirten zu den ihm Anvertrauten gehört, dass sie seine Stimme hören und vernehmen (vgl. Joh 10,4f.). Dabei genügt ein Wort, wie es auch bei uns heute noch in Begegnungen der Fall ist: Wir hören unseren Namen. Jetzt wissen wir, dass wir gemeint sind. Ostern können auch wir nur so richtig feiern, wenn wir in der Stille unseres Herzens und unseres Gebetes hören, wie Jesus unseren Namen ausspricht und uns dadurch mitten aus Gewalt, Finsternis, Leid und Tod zuruft: Habt Mut! Ich habe die Welt besiegt (vgl. Joh 16,33).

Jetzt versteht Maria. Sie hat ja ein besonders liebendes und dankbares Verhältnis zu Jesus. Nachdem er auf sie zugegangen ist, erkennt sie ihn wieder. Aber dies ist zugleich ein Bekenntnis, das uns zunächst einmal auf Hebräisch-Aramäisch überliefert worden ist: „Rabbuni!", was man übersetzen könnte: Mein Herr! Mein Lehrer! Mein Meister! Es ist zwar ihr Herr, den sie wiederentdeckt, aber zugleich schwingt hier auch schon ein Bekenntnis mit: Er ist nun der Herr ihres Lebens. Wir müssen freilich immer wieder Jesu Stimme hören und uns ihm zuwenden („Da wandte sie sich ihm zu ...", 20,16). So viel interessierte Aufmerksamkeit und aktive Offenheit verlangt der Glaube, er ist nicht einfach ein Mirakel.

Jesus wendet sich nun mit einem nicht leichten Wort an Maria. Vielleicht war sie trotz dieser Verehrung für Jesus auf den Gedanken gekommen, sie hätte ihn jetzt ja wieder, wie früher, als er vertrauten Umgang mit den Seinen pflegte. Vielleicht war Maria sogar überschwänglich und wollte Jesus nicht mehr loslassen. Da aber weist Jesus darauf hin, dass er zwar nun ganz nahe ist bei Maria, in unserer Welt erscheint, aber eben doch nicht mehr den bisherigen Bedingungen eines Menschen mit Fleisch und Blut unterliegt: „Halt mich nicht fest!" Es ist das berühmte „Noli me tangere!" (Berühre mich nicht!), was uns die Maler aller Zeiten immer wieder ins Bild setzten. Man kann Jesus nicht mehr so begegnen wie bisher. Er gehört auch nicht mehr einfach unserer Welt an, so dass man über ihn, sein Kommen und Bleiben verfügen könnte. Er hat seine eigenen Gesetze des Kommens und Sich-Zeigens. Man kann ihn nicht dingfest machen. Wenn man dies versucht, entzieht er sich, wie viele Ostererzählungen aufzeigen. Er gehört auch nicht mehr einzelnen Menschen und Gruppen. Er lebt zuerst aus der Gemeinschaft mit dem Vater, zu dem er aufsteigt. So ist er auch für alle da.

Er lässt uns deshalb auch nicht einfach als Waisen zurück. Er geht zu Gott in dem Sinne, dass er „mein Vater und euer Vater, mein Gott und euer Gott" ist (vgl. 20,17). Wir dürfen teilhaben an dieser Gemeinschaft.

Jesus sagt Maria noch etwas Entscheidendes, was sie offenbar sofort versteht. Auferstehung und Erscheinung machen uns nicht einfach interessante und private Mitteilungen über Jesu Geschick. Er lässt uns daran auch nicht einfach passiv teilnehmen, sondern er nimmt uns in Anspruch. „Geh aber zu meinen Brüdern, und sag ihnen" (20,17). Zur Auferweckung und Erscheinung gehören auch und gerade durch die Anrede Sendung und Zeugnis. Darum entspringt auch alle Mission dem Ostergeschehen. Dies gilt nicht nur gleichsam für die amtlich bestellten Zeugen, die Apostel. Maria von Magdala bezeugt uns, dass es für alle gesagt ist. Und sie hat verstanden: „Maria von Magdala ging zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie richtete aus, was er ihr gesagt hatte." (20,18)

Dies gilt auch alles für uns heute. Wir müssen unser Denken und unsere Einstellung zur Wirklichkeit verwandeln lassen, wenn wir Ostern verstehen wollen. Wir müssen uns Jesus zuwenden, damit wir hören, wie er uns bei unserem Namen ruft. Er ruft jeden von uns, freilich meist leise und vielleicht unauffällig, aber unüberhörbar, wenn wir uns ihm nur ein wenig öffnen. Er ruft uns jenseits von Gewalt und Tod in ein neues Leben. Dies gibt uns und besonders auch allen Trauernden Trost. Dann schickt er uns auch in unsere Welt. Wir dürfen an Ostern nicht weltflüchtig werden, wenn wir uns über das neue unzerstörbare Leben aus Jesu Auferstehung freuen, das auch uns verheißen ist. Er schickt uns wie die Apostel und Maria von Magdala in die Welt, um dort ohne Furcht Friede und Freude, Hoffnung und Gerechtigkeit zu verkünden und durch unser Leben zu bezeugen. Erst mit dieser Übernahme der Sendung Jesu feiern wir in seinem Sinne Ostern. Amen.

 

Karl Kardinal Lehmann
Bischof von Mainz

 

Evangeliumstext:

1 Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war. 2 Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat. 3 Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab; 4 sie liefen beide zusammen dorthin, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als erster ans Grab. 5 Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging aber nicht hinein. 6 Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein. Er sah die Leinenbinden liegen 7 und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle. 8 Da ging auch der andere Jünger, der zuerst an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte. 9 Denn sie wussten noch nicht aus der Schrift, dass er von den Toten auferstehen musste. 10 Dann kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück. 11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein. 12 Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten. 13 Die Engel sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Man hat meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat. 14 Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. 15 Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen. 16 Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister. 17 Jesus sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. 18 Maria von Magdala ging zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie richtete aus, was er ihr gesagt hatte.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz