Kardinal Volk zum Gedenken

Gastkommentar in der Kirchenzeitung von Juli

Datum:
Sonntag, 13. Juli 2003

Gastkommentar in der Kirchenzeitung von Juli

Nicht wenige Wissenschaften, die sich an der Diagnose der Situation unserer Gegenwart ver-suchen, sind der Meinung, sie wäre durch eine immer größere Beschleunigung der Zeit und unseres Lebenstempos gekennzeichnet. Darum wird auch vieles schnell vergessen und rasch weggeworfen. Diese geschieht nicht nur mit leblosen Dingen, sondern auch mit Menschen. Vor allem zeigt sich dieses Phänomen auch darin, dass wir unsere Toten oft nach kurzer Zeit aus dem Gedächtnis verlieren. Es gehört zum Menschsein und zum Bekenntnis des Glaubens, diesem Strom des Vergessens entgegenzuhandeln.

An jedem 1. Juli eines Jahres begehen wir seit 1988 den Todestag unseres früheren Bischofs, Hermann Kardinal Volk. 15 Jahre sind seit seinem Hinscheiden nach kurzer schwerer Krank-heit vergangen. Wir erschrecken, wenn wir feststellen, wie rasch diese Zeit vergangen ist. Es waren bewegte Wochen und Tage. Ende April 1988 wurde Dr. Franziskus Eisenbach, ehema-liger Sekretär des Kardinals, zum Bischof geweiht. Wenige Tage vor dem 1. Juli sandte Papst Johannes Paul II., der mit Kardinal Volk und Mainz eng verbunden war und ist, anlässlich seines Österreich-Besuches von Salzburg aus durch mich die letzten Grüße an das Kranken-bett des Kardinals. Wenige Stunden nach dem Tod von Hermann Volk wurde der mit ihm ebenfalls sehr befreundete Schweizer Theologe Hans Urs von Balthasar, gerade zum Kardinal ernannt, in seiner Luzerner Heimat zu Grabe getragen. Man spürte, dass eine wichtige Zeit, die uns auch in der Kirche große Männer und Frauen des Glaubens schenkte, zu Ende geht.

 

Im zeitlichen Abstand verwischt sich manches im Detail, aber die entscheidenden Linien einer menschlichen Gestalt treten manchmal noch deutlicher hervor. Hermann Kardinal Volk zeigte uns von Anfang an die Einheit von Glauben und Leben, von Frömmigkeit und Wissenschaft, von Reden und Handeln auf. Diese nahtlose Einheit machte seine tiefe Menschlichkeit und seine Glaubwürdigkeit aus. Das überzeugte und überzeugende Christsein war an erster Stelle. Darum hat er sich auch immer wieder den grundlegenden Lebensvollzügen im Alltag zuge-wandt: das Gebet und die Anbetung, die Herrlichkeit Gottes und der Lobpreis, die Zeichen der Schöpfung und die Sakramente, Leid und Leiden in der Schöpfung, Heiligkeit in der Welt. So steht er als ein Mann tiefer Gläubigkeit vor uns: der leidenschaftliche Theologe, der seine Hörerinnen und Hörer – auch später noch in der Predigt – für Gott und die göttlichen Dinge zu begeistern wusste; der Mann der Ökumene, der gerade aus der Tiefe seines ureigenen ka-tholischen Glaubens nicht müde wurde, die verlorene Einheit der Kirche zurückzugewinnen; der Bischof, der – gerade auch in den schweren Jahren während des Krieges – ein unermüdli-cher Seelsorger war; der Kardinal der Weltkirche, dem das Zweite Vatikanischen Konzil, das er tief in das Leben des Bistums einwurzelte, bis heute viel verdankt.

 

Dies kann nur im Sinne einer Miniaturskizze an die Gestalt erinnern. Hermann Kardinal Volk, am 27. Dezember 1903 geboren, wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Darum wollen wir auch am 5./6. Dezember 2003 in unserer Akademie „Erbacher Hof“ eine Studientagung über sein Leben und Wirken abhalten, in der manches noch in frischer Erinnerung an ihn an den Tag kommen soll. Heute schon möchte ich dazu einladen, besonders aber zum dankbaren Gebet für das Geschenk eines großen Mannes des Glaubens und der Kirche.

 

 

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz