Karfreitags-Gottesdienst am 13. April 2001 im Hohen Dom zu Mainz

- Zusammenfassung -

Datum:
Freitag, 13. April 2001

- Zusammenfassung -

In diesen Wochen und Monaten steht die öffentliche Diskussion um das menschliche Leid und seine Bewältigung mehr im Vordergrund als sonst. Viele glauben, die Errungenschaften der modernen Biomedizin könnten in einem sehr hohen Maß Leid und Schmerz vermindern oder gar beseitigen. Die Gesetzgebung in Holland über die aktive Sterbehilfe hat einen vermeintlichen Ausweg beschritten, der uns in ganz neue Dimensionen auch des ärztlichen Handelns führt.

Es besteht kein Zweifel, dass gerade der Christ alles vermeidbare Leiden verhindern muss. Darum geht unser Kampf gegen Krankheiten, Seuchen und Ungerechtigkeit. Aber es gibt auch viel unsichtbares Leid, das Menschen einander von der Rücksichtslosigkeit über die Ausbeutung bis zur Tötung zufügen. Außerdem bleibt ein Rest von offensichtlich unvermeidlichem Leid, das sicher mit den Grenzen des Menschlichen zusammenhängt, gewiss auch mit den Folgen der Ursünde, der Schuld, der Endlichkeit und Sterblichkeit des Menschen. Die Stellung des Menschen zu Leid und Leiden ist sehr verschieden. Der eine zerbricht an dem ihm auferlegten Leben, der andere lässt sich auch durch das schwerste Leid nicht in seinem Lebensmut beeinflussen. Viele Menschen haben eine große Sehnsucht, unsere Welt überhaupt vom Bösen zu befreien, ganz besonders von Krankheit. Der "neue Mensch" soll von diesen Unvollkommenheiten und Fehlern befreit werden. Nach einer neuen Umfrage (Allensbach) befürworten 70 % der Deutschen darum auch die aktive Sterbehilfe.

Dies hat etwas zu tun mit unserem Verständnis der Welt, des Menschen und Gottes. Es gehört zur menschlichen Sehnsucht, dass er einmal in einer leidfreien Zone zu leben hofft. Darum hat auch für viele Religionen Gott nichts mit dem Leid zu tun. Daraus entsteht dann die Gefahr, ihn auch für das Böse verantwortlich zu machen und die Anschauung zu vermitteln, die Religion gebiete schlechthin die Hinnahme von Leid und Leiden. Nicht selten brechen Menschen mit Religion und Kirche, weil sie keine Antwort finden auf die Frage nach dem "Sinn" von Leid und Leiden oder weil sich die Religionsgemeinschaften nach ihrer Meinung damit schnell abfinden, dass es eben Leid und Leiden unvermeidlich gibt.

Der Karfreitag zeigt uns nun, dass Gott selbst das Leid nicht einfach ignoriert und abgeschieden von allem Schmerz über uns thront, sondern dass Gott in Jesus Christus mitten im Leiden ist. In seiner Sendung liegt es zweifellos auch, Leid und Leiden unter den Menschen zu verhindern. Dies gilt auch für den leiblichen Bereich. Darum heilt er Kranke aller Arten. Er stillt den Hunger und hält die Menschen an, durch Umkehr zu einem anderen Leben das Böse grundsätzlich zu meiden und den Anfängen zu wehren. Dennoch gibt es auch für Jesus Leid und Leiden. Er erfährt in ganz besonderer Weise rohe Gewalt und wird regelrecht zum Mann der Schmerzen. Auch hier zeigen sich viele Ursachen für Leid und Leiden, sofern sie nicht physisch bedingt sind: Abneigung, Hass, Neid, Vernichtungswille. Jesus geht mit dem Leid so um, dass er es von innen her trägt und besiegt. Er geht davon aus, dass jeder täglich sein Kreuz zu tragen hat. Bei allem Willen zur Vermeidung von Leid und Leiden dürfen wir nicht der Illusion erliegen, es würde in dieser Zeit eine vollkommene Befreiung von jedem Leid stattfinden können. Wir bekommen auch nicht eine – uns wenigstens zufriedenstellende – Antwort auf unsere Frage nach dem "Warum".

In diesem Geist haben Menschen in allen Jahrtausenden von innen heraus das Leid bekämpft und Leiden ertragen, auch wenn sie immer mit ihm gerungen und über es geklagt haben. Darin ist uns Jesus vorausgegangen. Das Kreuz macht uns nicht einfach gefügig, sodass wir alles hinnehmen. Das Kreuz ist jedoch ein Zeichen dafür, dass wir dem Bösen, dem Leid und dem Leiden nicht ausweichen in der oft schwierigen, ja verzweifelten Wirklichkeit des Lebens mit seinen Absurditäten bleiben und besonders dem bedrängten Nächsten helfend nahe bleiben. Dies geschieht heute in aller Welt millionenfach, nicht zuletzt auch durch die heilenden und pflegenden Berufe. Die medizinische Schmerzbekämpfung, die noch mehr bekannt werden muss, kann viel erreichen, die christliche Hospizbewegung schafft gerade für Menschen auf ihrer letzten Wegstrecke eine neue Nähe. Das Kreuz ist in dieser Hinsicht auch ein Zeichen, dass es nicht bei der Zerstörung und Verzweiflung enden muss, sondern dass es mitten im Leid die Macht der Liebe ist, die vieles erträglich macht. Gott ist selber im Leid und geht uns im Kreuz voran. Die Kreuzigungsdarstellungen aus allen Jahrhunderten und aus aller Welt zeigen eindrucksvoll, wie die Menschen immer wieder Zuflucht gesucht haben bei dieser Quelle des Trostes, nicht der Vertröstung.

Wenn wir nun glauben, andere Wege gehen zu müssen, z.B. in der aktiven Sterbehilfe, so verabschieden wir uns auch von dieser Kraft, Leiden zu mindern und im Geiste Jesu Christi tragen zu helfen. Wir verstoßen damit gegen ein elementares Gebot der Menschlichkeit "Du sollst nicht töten" und wir verkehren den Auftrag des Arztes. Die ist nicht nur ein Dammbruch, weil er Tür und Tor zu subtilem Missbrauch eröffnet, sondern bedeutet auch letztlich einen Bruch im Umgang mit dem Leben und mit der Kultur, die wir als Erbe übernommen haben.

 

Der Karfreitag schließt uns nicht ein in Tod und Trauer, sondern gibt den Christen eine große Kraft in Leid und Leiden nicht zu versinken, sondern die niedrigen Mächte unseres Lebens von innen her in Schach zu halten oder gar zu überwinden. Auch wenn es noch ein verborgener Sieg ist, so hat Gott doch das entscheidende Wort gesprochen.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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