Katholische Kirche im geeinten Deutschland Bemerkungen zum Vereinigungsprozess

Eröffnungsreferat bei der Tagung der Kommission für Zeitgeschichte am 23. Oktober 2009 in Erfurt

Datum:
Freitag, 23. Oktober 2009

Eröffnungsreferat bei der Tagung der Kommission für Zeitgeschichte am 23. Oktober 2009 in Erfurt

I.

Zwanzig Jahre sind keine lange Zeit, aber man kann sich in zwei Jahrzehnten auch auf merkwürdige Weise zu einem Ereignis in Distanz bringen. Dies ist in gewisser Weise schon beim fünften, zehnten und fünfzehnten Jahresgedenken der deutschen Einheit spürbar gewesen. Im Lauf der Jahre gibt es verschiedene Zugänge zu diesem Ereignis. Auch beim einzelnen Beobachter kann dies im Gang der Zeit wechseln. Man muss also auch gegen seine eigene Wahrnehmung misstrauisch sein, selbst wenn man sich einen Zeitzeugen nennen darf. Manchmal kommt dann im Verlauf der Jahre noch das Bestreben prominenter Akteure dieser Zeit hinzu, nicht nur in der Politik, ihre Rolle beim Zustandekommen der Einheit neu zu definieren und meist zu erhöhen. Nicht umsonst konnte Richard Schröder ein ganzes Buch schreiben mit dem Titel „Die wichtigsten Irrtümer über die deutsche Einheit"1.

Davon dürfen wir uns möglichst nicht irre machen lassen. Etwas hilft uns dabei ganz entscheidend: Die Wiedervereinigung ist ein Faktum. Bevor sie von allen Seiten aus gedeutet wird, ist sie, ganz gewiss auch entstanden aus vielen Motiven, eine unleugbare Tatsache, die in sich selbst gegen alle möglichen Interpretationen eine eigene Widerständigkeit besitzt. Sie ist freilich kein „factum brutum" im Sinne eines blinden Schicksals, das über uns hereingebrochen ist. Es ist ein Stück Geschichte, das sich vielen Umständen verdankt, aber auch für sich steht.

Wenn wir ehrlich sind, dann müssen die meisten von uns, jedenfalls im Westen Deutschlands, in der alten Bundesrepublik, zugleich bekennen, dass wir an eine solche Wiedervereinigung überhaupt nicht mehr geglaubt haben und dass wir sie in der Stille unseres Denkens irgendwo auch aufgegeben hatten. Dies schließt nicht aus, dass wir Verbindung zu Freunden und Bekannten gehalten haben und uns um die Menschen „drüben" gekümmert haben. Wie es in den Köpfen und Herzen der Menschen in der damaligen DDR aussah, wage ich nicht zu beschreiben.

Vielleicht dürfen wir überhaupt nicht sofort und zu schnell von der Wiedervereinigung und von der deutschen Einheit als Motiv sprechen. Sie ist uns selbstverständlich geworden durch die Ereignisse. Gewiss streben die Menschen in Zerrissenheiten immer wieder nach Einheit: z.B. zwischen den Konfessionen, unter den verfeindeten Ländern Europas. Bei der deutschen Einheit gab es noch durch die Gemeinsamkeit der Sprache und Kultur, der gelungenen und erlittenen Geschichte mit ihren Höhepunkten und Niederlagen, aber auch schon durch Verwandtschaften besondere Gründe. Aber ich habe den festen Eindruck, dass am Anfang und in der Wurzel die Sehnsucht nach Freiheit ein maßgebendes Motiv gewesen ist. Deshalb fügt sich die deutsche Einheit auch wieder zusammen mit den anderen Freiheitsbewegungen des Ostens. Insofern hat der ganze Prozess, der zur deutschen Einheit führt, im Kern durchaus etwas Revolutionäres, auch wenn uns dieser Begriff angesichts der hohen Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit des Prozesses eher unangemessen erscheint. Aber in Wirklichkeit lässt sich ja das Faktum eines Umsturzes in der friedlichen, sanften Revolution nicht leugnen.

Wir sollten nach meinem Urteil diesen Kampf um die Freiheit nicht von der glücklich gefundenen deutschen Einheit trennen. „Dass schließlich die deutsche Einheit eine Chance ist, die sich aus der in der friedlichen Revolution errungenen Freiheit ergab, und dass die Einheit auf der Basis des Grundgesetzes (vgl. Art. 23) diese Freiheit auch am besten und am friedlichsten bewahrt, wurde im Verlauf der Ereignisse von 1989 bis 1990 die Überzeugung der meisten Menschen in der DDR".2 Ich habe dafür persönlich eine unauslöschliche Erinnerung: Als ich 1987 in der Rolle des damals Stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz für die Kirche im Westen am Katholikentreffen in Dresden (10. bis 12. Juli 1987) teilnahm, sah ich auf der Elbe-Brücke in der Nähe der Hofkirche auf den Bürgersteigen links und rechts viele Poster und auch mit Kreide oder Farbe entworfene Bilder. Es waren stumme und doch außerordentlich sprachgewaltige Zeugen der Menschen, die dies alles auf die Brücke brachten und hinlegten, aber schnell wieder verschwanden. In meiner Erinnerung waren dies weitgehend Schreie nach Freiheit. Die Bilder, die den Ängsten und Sorgen, aber auch den Wünschen und Hoffnungen Ausdruck gaben, waren oft umrahmt von Gefängnissen. Es gab viele Hinweise auf die Angst vor Atombomben und Raketen. Aber das Eingesperrtsein war doch ein unübersehbarer Hinweis auf das Land als ein einziges großes Gefängnis. Auch die Folgen wurden sichtbar durch die vielen Alkoholflaschen und die Drogen auf den Bildern. Als ich dies alles vor mir sah, machte mich mein Begleiter darauf aufmerksam, dass wenige Meter vor uns ein wichtiger Mann der SED sich die Bilder ebenfalls anschaue. In der Tat konnte ich den damaligen Dresdner Bezirkschef der SED Hans Modrow identifizieren. Es sah sich die Bilder sehr aufmerksam an. Ich wunderte mich, wie viel Zeit er sich für die Betrachtung der Bilder nahm, und ich fragte mich, was in seinem Kopf wohl vor sich ging. Schließlich hat er am 8. November 1989 das Amt des letzten Ministerpräsidenten der DDR übernommen. Über ihn sagt Richard von Weizsäcker: „Er (gemeint: Hans Modrow) war ein persönlich integrer Mann mit Reformneigungen und zugleich in einer für ihn kaum zu bewältigenden Lage."3 So scheint mir dieser Schrei nach Freiheit im Ganzen doch eine erste Priorität zu haben.

Deswegen scheint es mir wichtig zu sein, nicht nur auf das zweifellos bedeutsame und enorm symbolträchtige Ereignis des Mauerfalls am 9. November 1989 zu schauen. Es war gewiss ein einschneidender Tag, als Günter Schabowski am Abend mitteilte, dass nun Privatreisen nach dem Ausland ohne große Schikanen beantragt werden können. Noch in der gleichen Nacht strömten Zehntausende von Ostberlinern über die Sektorenübergänge in den Westteil der Stadt. Die Grenzsoldaten kapitulierten, öffneten die Schlagbäume und ließen die Menschen ohne Visum passieren. Hunderte erkletterten die Mauer vor dem Brandenburger Tor. Die West-Berliner spazierten ungehindert nach Ost-Berlin. Unvergesslich bleiben auch die Worte des SPD-Ehrenvorsitzenden und Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt am 10. November: „Wir sind jetzt in der Situation, wo zusammenwächst, was zusammengehört." Aber - wie gesagt - bei aller Bedeutung dieser Vorgänge darf man den Kampf um die Freiheit nicht übersehen, der besonders im September und im Oktober durch die Menschen in Leipzig, Ostberlin und Dresden stattfand, wobei viele Menschen aus anderen Städten dazukamen.4 Man denke nur an die 120.000 Menschen, die am 16. Oktober in Leipzig für Reformen und demokratische Erneuerung auf die Straßen gingen. Am 23. Oktober zählt man am Montagabend 300.000. In Ostberlin sind es am 4. November eine halbe Million. Es ist gut, dass wir gerade in diesem Jahr besonders dieser friedlichen Revolution gedacht haben und nicht alles auf den 9. November verschieben.

Man wollte auf jeden Fall eine größere Freiheit haben. Es scheint, dass man vielerorts, wohl auch in der katholischen Kirche, nicht sofort daran dachte, die DDR könnte als Staat aufhören zu bestehen. Man dachte sehr nüchtern über die Stabilität der Diktatur. Eher hat man sich gefragt, wie lange wohl die Regierung noch existiert. Freie Wahlen waren gefordert. Im Lichte dieser Ereignisse habe ich immer schon den Eindruck gehabt, dass es der Situation nicht angemessen ist, wenn man diesen Schrei nach Freiheit und die „sanfte Revolution" weitgehend als „protestantische Revolution" (vgl. unten Anm. 7) begreift. Selbstverständlich spielten nicht nur die zahlenmäßig größere evangelische Kirche, sondern auch ihre Friedensgebete mit dem Eintreten für Gewaltlosigkeit eine große Rolle, die niemand leugnen wird. Aber es geht nicht nur darum, dass auch viele einzelne Katholiken sich mit an die Spitze dieses Prozesses setzten, sondern es war vor allem eine breite Bürgerbewegung, die diese Freiheit erkämpfte.

An dieser Stelle darf man auch die Wirkung der ökumenischen Zusammenarbeit in dieser Zeit nicht vergessen. Dies gilt besonders im Blick auf die Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung (1988 bis 1989)5, in deren Verlauf unter dem Schutz der Kirchen die Einübung in demokratische Spielregeln begann. Man darf die Bedeutung dieses ökumenischen Prozesses nicht unterschätzen, wie überhaupt in dieser Situation die Eigenart und Wirkung der ökumenischen Zusammenarbeit einer besonderen und sorgfältigen Untersuchung bedarf.6 Es versteht sich von selbst, dass dieser Prozess, der zum Teil schon in die Zeit der wachsenden Protestbewegung hineinläuft, eine große Bestärkung des Verlangens nach Freiheit bedeutete.7 Dabei ist gerade hinsichtlich der Gewaltlosigkeit die Verbindung mit der Friedensbewegung nicht zu unterschätzen.

Dies darf natürlich nicht so verstanden werden, als ob die konfessionelle Ausprägung des Verhaltens der Kirchen gegenüber dem SED-Staat gleichgültig wäre. Ausführlicher kann dies aber hier nicht dargelegt werden. Sonst müsste näherhin die Rede sein von der Intimität und Vertraulichkeit kleiner christlicher Gemeinden und Gemeinschaften, die einerseits verlässlichen Schutz boten und anderseits auch eine Übung im Gespräch und Diskurs miteinander ermöglichten, wie sie nach der „Wende" wichtig wurde beim Aufbau der kommunalen Institutionen. Viele Bürgermeister und Gemeinderäte haben hier ihre erste Kommunikationsschule bekommen. Manche tauchten hier auch regelrecht unter und blieben so unbelastet. Es wäre aber auch ein Blick auf die Wirkung des Nachbarstaates Polen und besonders des polnischen Papstes Johannes Paul II auf die gesamte Situation im Ostblock notwendig. Auch das übergehe ich hier unter Verweis auf die entsprechende Literatur.8 Nicht wenige schweigen - wie ich meine zu Unrecht - über diese Zusammenhänge ganz.

II.

Dies sind einige Rahmenbedingungen, die ich persönlich hier zum Thema für wichtig halte. Um so notwendiger ist es jetzt, auf die Voraussetzungen einzugehen, die aus der Sicht der damaligen Deutschen Bischofskonferenz in der alten Bundesrepublik für das Verständnis der katholischen Kirche im anderen Teil Deutschlands wichtig waren. Dafür lassen sich einige Richtpunkte aufzählen:9

1. Man darf nie vergessen - vor oder nach der deutschen Einheit - dass die Katholiken in jenem Teil Deutschlands, der 40 Jahre die DDR war, eine extreme Minderheit waren und sind. Nur wenige regionale Gebiete, darunter vor allem das Eichsfeld, bilden eine Ausnahme. Dabei geht der anteilige Prozentsatz der Katholiken oft sehr weit herunter, zum Teil weit unter die fünf Prozent-Grenze, sodass auch die organisatorische Struktur jeden Zusammenhalt beträchtlich erschwert. Man ist geneigt, von Diaspora-Situation zu sprechen. In Wirklichkeit ist dieser Begriff aber unzureichend. Denn, wie Karl Rahner10 schon in den 50er und 60er Jahren formuliert hat, sind die Christen heute auch bei anderen Größenverhältnissen in einer Diasporasituation. Dies gilt besonders bis heute auch für die evangelische Kirche im Osten Deutschlands. In dieser Diasporasituation sind die Katholiken dann noch einmal „eine Minderheit in der christlichen Minderheit" (H. J. Meyer). Darum ist es angemessener, die auch sozialwissenschaftlich und theologisch präzisere Redeweise von der Minderheit anzuwenden. Es ist selbstverständlich, dass einer solchen Minderheit Grenzen im öffentlichen Auftreten gesetzt sind. Sie hat aber, wie noch zu zeigen sein wird, eigene Wirkmöglichkeiten, die man nicht unterschätzen darf.

2. Viele katholische Christen in der DDR hatten immer schon eine gesamtdeutsche Orientierung. Eine größere Anzahl der Katholiken war durch die eigene Herkunft oder durch nahe Vorfahren mit dem Westen verbunden. Bis 1952 kamen auch viele Priester aus dem Westen. Es gab also immer schon verwandtschaftliche oder personale Beziehungen in die Bundesrepublik. Dies galt z.T. auch für die Katholiken, die als Flüchtlinge und Heimatvertriebene in der DDR blieben.11 Für die evangelischen Christen war das gewiss anders, denn für den Protestantismus war einfach schon geografisch und historisch diese deutsche Region so etwas wie ein Mutterboden.

Die genannte katholische Verbundenheit hatte sich über viele Jahrzehnte durchgehalten und wurde ganz bewusst gepflegt: von den Mutter- bzw. Ursprungsdiözesen, von allen deutschen Bistümern gemeinsam, vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken, vom Bonifatiuswerk, vom Deutschen Caritasverband, nicht zuletzt aber auch durch die Verbände, z.B. das Kolpingwerk. So schwierig es mit den Laienaktivitäten war, so gab es doch immer wieder Kontakte, die insgesamt durchaus kontinuierlich waren. Auf einigen Feldern hatte sich diese Zusammengehörigkeit, wenigstens punktuell, recht gut erhalten, z.B. in der Jugendseelsorge, bei Katholischen Studentengemeinden (z.B. Jena - Mainz) und in der Akademikerseelsorge.12 Wenn man noch den wichtigen Aspekt hinzunimmt, dass die Katholiken keine national bestimmte Kirche bildeten, sondern über den Papst und die Nachbarkirchen einer Weltkirche angehörten, kann man verstehen, warum gerade eine so eingeschränkte Minderheit diesen Zusammenhalt dringend brauchte, aber auch besonders nützen konnte. In den 80er Jahren gab es hier eine eigentümlich spannungsvolle Situation, weil der DDR-Staat wegen der Auszehrung und Erosion der Bevölkerung sich einerseits immer mehr vom Westen abgrenzte und anderseits doch zur Stärkung der eigenen Identität und auch des eigenen Ansehens Kontakte zuließ.

3. Die kleine Kirche hatte unabhängig von manchen äußeren und inneren Gefährdungen auch einen Vorteil. Sie konnte einigermaßen intakt bleiben und innerhalb ihrer eigenen Strukturen und freilich auch Grenzen eine Art von Gegenwelt ausbilden. Dies geschah in recht verschiedener Weise in den einzelnen Epochen. So scheint es der Kirche schon in früher Zeit (1945-1949) trotz der repressiven Kirchenpolitik gelungen zu sein, ein Art von Subsystem zu bilden, das sich vor allem in einigen Nischen eine relative Selbstständigkeit erkämpfen konnte. Unter diesem Dach gab es die Möglichkeit des offenen Wortes und des freien Gedankenaustausches. Dies war ja auch für viele Menschen ein Grund, um sich den christlichen Kirchen anzuschließen. Kein Geringerer als Eberhard Jüngel hat immer wieder darauf aufmerksam gemacht, wie er - aus einer Familie ohne Religion kommend - im Bereich der evangelischen Kirche eine geistige Heimat für das offene Gespräch und die Freiheit gefunden hat: „Und das war die Entdeckung der evangelischen Kirche als des einzigen Ortes innerhalb der stalinistischen Gesellschaft, an dem man ungestraft die Wahrheit hören und sagen konnte."13 Dies macht zugleich einen Unterschied aus zu vielen größeren Kirchen im Bereich der östlichen Staatsdiktaturen. Man darf trotz einiger persönlicher Verfehlungen sagen, dass dem Ministerium für Staatssicherheit kein großer Einfluss auf den Weg der katholischen Kirche in der DDR gelungen ist. Dabei ist es auf der anderen Seite wieder erstaunlich, dass es doch Nischen gab, in denen die Kirche ihr Leben und Wirken freier gestalten konnte, wie dies z.B. im Bereich der Caritas und ihrer Krankenhäuser möglich war,14 vermutlich auch in der gemeindlichen Katechese.

4. Aus diesem Gesamtzusammenhang ergibt sich eine nicht leichte Bewertung über die öffentliche und politische Stellung der Kirche, die selbstverständlich auch standortabhängig ist. Hier gibt es gewiss zudem verschiedene Phasen, die zu beachten sind. So hat schon J. Pilvousek darauf hingewiesen, dass sich wohl erst um die Mitte der 50er Jahre so etwas wie eine „Katholische Kirche in der DDR" mit eigenem Profil entwickelte. Bischof Dr. Otto Spülbeck aus Meißen hatte 1956 auf dem Kölner Katholikentag erklärt, die Katholiken trügen zwar die weltanschauliche Basis der DDR nicht mit, wollten sich aber unter den dortigen Bedingungen einrichten.15

Man hat diese Haltung verschieden umschrieben. Es gab dafür die Begriffe der „politischen Abstinenz" oder auch der „loyalen Distanz". Diese Linie hielt sich länger durch. Auch Alfred Kardinal Bengsch betonte den Wunsch der katholischen Kirche nach „friedlicher und gedeihlicher Zusammenarbeit". Die politische Abstinenz war freilich vor allem ein Preis für die Einheit des Bistums Berlin, speziell für den Zugang des im Ostteil residierenden Bischofs zum Westteil der Stadt. Diese Abstinenz schloss jedoch nicht aus, dass die Kirche sich aus theologischen Gründen zu gesellschaftspolitischen Themen deutlich äußerte (1972: Abtreibungsgesetzgebung, 1974: sozialistisches Bildungssystem, 1981: Jugendweihe usw.). „Politische Abstinenz" bedeutete auch nicht, dass die Kirche keine Gespräche mit dem Staat führte. Es gab organisatorisch und amtlich geordnete Kanäle der Kommunikation, die durch bischöfliche Beauftragte die regelmäßigen Verhandlungen mit staatlichen Stellen auf verschiedenen Ebenen ermöglichten, auch mit dem Ministerium für die Staatssicherheit und mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen. Es scheint mir, dass man diese sehr heiklen Bemühungen unterhalb des bischöflichen Amtes im Einzelnen noch beschreiben und wohl auch differenzierter beurteilen muss. Dies gilt auch für die beteiligten Personen.

Es scheint, dass diese politische Abstinenz aus verschiedenen Gründen zwar in ihrer Grundkonstellation erhalten blieb, aber sich jedenfalls in den 80er Jahren doch stärker mit einer Öffnung zur Gesellschaft hin verband, ohne dass dies eine irritierende Identifikation mit dem SED-Staat bedeutete. Dabei spielte auch die Perestrojka in der Sowjetunion eine wichtige Rolle im Blick nicht nur auf die Atmosphäre, sie war auch eine Art von Katalysator. Die Sowjetunion schien sich etwas zurückzuziehen. Gewiss hat auch die Abhaltung der Pastoralsynode der Jurisdiktionsbezirke der DDR von 1972 bis 1975, bewusst parallel zur Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, das Selbstbewusstsein der ostdeutschen Katholiken gestärkt. Dabei hatte im Blick auf sie besonders Kardinal Bengsch große Sorgen wegen der vermuteten Unkalkulierbarkeit, der befürchteten Unterwanderung und der kirchenpolitischen Auswirkungen. Doch insgesamt darf man die Pastoralsynode wohl als eine Stärkung der ostdeutschen Katholiken betrachten.16

„Freilich war möglicherweise die Bewahrungsstrategie eine Option, die nur einer hierarchisch strukturierten Minderheitenkirche offenstand, welche überdies durch die besonderen Bedingungen der deutschen Geschichte seit dem Fall des alten Reiches am Anfang des 19. Jahrhunderts eine auch in der katholischen Welt seltene Homogenität entwickelt hatte. Jedenfalls besteht kein Grund zu katholischer Selbstgerechtigkeit. Denn die evangelischen Christen, die das Gesicht der östlichen Teile des heutigen Deutschlands im besonderen Maße kulturell bestimmt hatten, konnten der frontalen Auseinandersetzung mit der atheistischen Macht gar nicht ausweichen, weil sie, jedenfalls in den ersten Jahren, die große Mehrheit der Bevölkerung bildeten."17

Ich breche hier ab, denn es ging hier nur um die Voraussetzungen für das Leben und Wirken der katholischen Kirchen während des Prozesses der deutschen Einigung18 und unmittelbar danach.19 Dabei beschränke ich mich hier auf das Zusammenwachsen der beiden Bischofskonferenzen im Kontext der deutschen Einheit, hier wiederum auf die wichtigsten „amtlichen" Elemente und Vorgänge.20

III.

In diesem Kontext muss nun noch die Rede sein vom Gewinn der deutschen Einheit und vom Zusammenwirken der Katholischen Kirche in den beiden Teilen Deutschlands, die schließlich 1989/90 auch sichtbar und organisatorisch wieder eng zueinander fanden. Es ist gewiss deutlich geworden, dass dafür in vieler Hinsicht schon manche Voraussetzungen gegeben waren. Einmal ist es dem SED-Regime nicht gelungen, die Gebiete der westlichen Diözesen, zu denen große Teile der katholischen Kirche im Osten gehörten, voneinander abzutrennen. Auf dem Gebiet der SBZ/DDR lagen bei Kriegsende der größte Teil der Bistümer Berlin und Meißen, ein Rest des Erzbistums Breslau und Teile der westdeutschen (Erz-)Diözesen Paderborn, Fulda und Osnabrück. Seit 1945 trafen sich regelmäßig Vertreter der verschiedenen Bistümer und Bistumsteile. Obgleich der Wunsch nach einer Schaffung eigener ostdeutscher Bistümer innerhalb der DDR vor allem vom Westen stets abgelehnt wurde, gab es im kirchenrechtlichen Instrumentarium der katholischen Kirche Modelle, um eine völlige Abkoppelung zu verhindern und zugleich dennoch eine eigene seelsorgliche Führung dieser doch wiederum selbstständiger gewordenen kirchlichen Bereiche zu gewährleisten. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland (1971-1975) den ursprünglichen Plan einer Beratung und Beschlussfasung über eine neue Bestimmung der Bistumsgrenzen in der Bundesrepublik Deutschland wegen der negativen Folgen für die deutsch-deutsche kirchliche Situation aufgeben musste.21 Die Zwischenphase der vatikanischen Ostpolitik übergehe ich in diesem Zusammenhang. Sie gipfelte in dem Besuch des späteren Kardinalstaatssekretärs, Erzbischof Agostino Casaroli, in der DDR (Mai 1975).22 Schließlich gab es so viele Formen des Zusammenhalts mit den westdeutschen Diözesen, wie wir es vorher beschrieben haben, dass eine vollkommene Abkoppelung einfach nicht durchführbar war.

Während Verbände, Laienorganisationen und einzelne Persönlichkeiten eher einen Weg zueinander fanden, war es für die Bischöfe und die kirchenleitenden Personen zum Teil recht schwierig, einander zu begegnen. Über längere Zeit gelang dies fast nur außerhalb der beiden Territorien Deutschlands mit Hilfe des Zentrums der Weltkirche, z.B. bei der Abhaltung von Bischofssynoden oder/und des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE), der am Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils gegründet worden war. Dies gilt natürlich auch in hohem Maß für die anderen kommunistisch beherrschten Staaten in Mittel- und Osteuropa. Reisen von Bischöfen unmittelbar in die DDR waren jedenfalls für Diözesanbischöfe und besonders die Ordinarien der Mutter-(Erz-)Bistümer Paderborn, Osnabrück und Fulda sehr schwierig, wenn nicht unmöglich. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat, wie schon angedeutet, über viele Jahre eine beständige Verbindung gehalten, vor allem mit den Laienvertretern aus der DDR.23 Auch für Theologen, die zu wissenschaftlichen Tagungen - auch der Ökumene - oder zu Fortbildungsveranstaltungen in die DDR reisten, war es - ob offiziell angemeldet oder eher privat getarnt - recht schwierig, in irgendeiner Form in der DDR aufzutreten. Bei Ein- und Ausreise gab es dafür ziemliche Schikanen. Ich habe dies vielfach zwischen 1968 und 1983 erfahren.

Im Herbst 1989 erschien die katholische Kirche, wie schon gesagt, eher etwas zurückhaltend und zögerlich24, gewiss abgesehen von einzelnen Laien und Geistlichen. Man muss allerdings hier auch bedenken, dass es zunächst ein gewisses Vakuum in der Führung gab. Joachim Kardinal Meisner ging um den Jahreswechsel 1988/89 nach Köln. Sein Nachfolger in Berlin, Erzbischof und (heute, seit 1991) Kardinal Georg Sterzinsky, wurde am 9. September 1989 zum Bischof geweiht und am 7. November zum neuen Vorsitzenden der Berliner Bischofskonferenz gewählt. In den Tagen nach dem 9. November sprach ich in Rom für die Deutsche Bischofskonferenz am 13. und 14. November zweimal ausführlich mit Papst Johannes Paul II, aber auch intensiv mit den in Rom anwesenden Journalisten. In der Folgezeit gab es mehrere Kontakte mit den bischöflichen Kollegen aus der immer mehr daniederliegenden DDR. Ich bin als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz damals über eine Reihe von Monaten bei den Zusammenkünften der Berliner Bischofskonferenz25 gewesen, und zwar in Begleitung des damaligen Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz, Prälat Wilhelm Schätzler. Eine erste Begegnung erfolgte am 3./4. Dezember 1989. Ein nächstes Treffen geschah am 1. März 1990. Dabei wurde vor allem eine Begegnung der Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz mit den Mitgliedern der Berliner Bischofskonferenz bei der Frühjahrs-Vollversammlung 1990 in Augsburg geplant.

Dieses Treffen fand dann in der Tat bereits am 7. März 1990 in Augsburg statt, wobei dies in doppelter Form zum Ausdruck kam, einmal durch den Empfang der Brüder aus der Berliner Bischofskonferenz mit Aussprache und durch die gemeinsame Eucharistiefeier. Am 8. März wurde eine Gemeinsame Erklärung veröffentlicht: noch stärkere gemeinsame pastorale Verantwortung, Teilnahme an den Vollversammlungen der Deutschen Bischofskonferenz. Die Frage der Form der politischen Einheit bleibt offen. In einer ausführlicheren Begrüßungsrede habe ich vor allem auch den mutigen Menschen in Mittel- und Osteuropa für die „beispiellose Umwälzung" gedankt.26 „Der Ruf des Menschen nach Freiheit, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit wurde - nicht zuletzt dank der heutigen Medien und der damit hergestellten Öffentlichkeit - weltweit mit großer Anteilnahme und Sympathie vernommen. Viele stellten überrascht fest, dass auch eine jahrzehntelange, massive ideologische Einwirkung nicht in der Lage war, den Hunger und die Sehnsucht nach Freiheit und Eigenverantwortung auszulöschen. Wir durften große Stunden miterleben, die zu schätzen und zu werten wir noch gar nicht in der Lage sind. Wir werden noch lange Zeit von diesem geistigen Aufbruch und seinen inneren Kräften her leben, gerade wenn wir jetzt vor nicht weniger großen Aufgaben stehen, die neu gewonnene Freiheit in einer verlässlichen staatlichen und gesellschaftlichen Form des Zusammenlebens der Menschen zu bewahren."

Schließlich habe ich auch hinzugefügt: „Besonders unsere evangelischen Schwestern und Brüder haben, vor allem in den letzten Jahren, ihre Kirchen und Gemeindezentren zu einem einzigartigen Ort werden lassen, wo die Kräfte der Freiheit sich sammeln, ins Gespräch kommen und in kleinen Kreisen ihre Strategien der Freiheit erproben konnten. Wir sollten nicht vergessen, dass dieser ‚politische' Dienst ein großes Wagnis war, für dessen glücklichen Ausgang wir besonders dankbar sind. Wir wollen in dieser Stunde nicht fragen, warum die katholischen Kirchen nicht in gleicher Weise zum Hort des freien Gespräches und Schutzes der gesellschaftlichen Gruppen werden konnten. Eine ausgesprochene Minderheitskirche konnte in dieser Zeit nicht in gleicher Weise zum Bannerträger der Veränderung der Verhältnisse werden, obgleich viele Katholiken dabei mitwirkten."

Ich habe den Katholiken und ihren Bischöfen gedankt, „dass sie über 40 Jahre lang kompromisslos Nein sagten zu diesem menschenverachtenden System. Diese konsequente Form der Opposition, die viele Opfer von den Laien verlangt hat, hat bewusst und entschieden davon abgesehen, das bisherige System in der DDR nach innen oder außen zu legitimieren." Ich habe von „der großen und langen Verweigerung" gesprochen, die das System vor aller Welt relativierte und dass dies auch eine wichtige Grundlage und Voraussetzung des Umschwungs war. Sie hat die Menschen vor einer „letzten Anpassung" zum Widerstand ermutigt. „So haben sie auch - man vergesse nicht die lange Zeit von vier Jahrzehnten - dazu beigetragen, durch die Geduld des Standhaltens nicht angeglichen und aufgesogen zu werden und den Hunger sowie die Sehnsucht nach einem anderen Leben in Freiheit lebendig zu halten." Ausführlicher habe ich auf die verbliebenen Klammern zwischen unseren Diözesen und über alle Grenzen hinweg aufmerksam gemacht. Dabei stand besonders das Bistum Berlin mit seiner Zugehörigkeit zu beiden Bischofskonferenzen im Vordergrund - ein Thema, das gewiss noch stärkerer Beachtung bedarf: Ort zwischen den Systemen, Partizipation an beiden, schmerzliches Symbol möglicher Einheit.

Eigens habe ich auf die Schwierigkeiten der neuen Situation hingewiesen, dabei auch gewarnt: „Wir freuen uns über die Ablösung eines menschenverachtenden Systems, aber wir wollen nicht als triumphalistische Sieger auftreten; wir wissen um die grundsätzliche Überlegenheit unserer demokratischen Lebensform, aber wir verkennen auch nicht ihre Schwächen; wir sollten uns nicht benehmen wie der große Onkel, der zu seinem armen Neffen kommt; die Menschen in der DDR haben schließlich stellvertretend und wie ein Bruder den Kopf dafür hingehalten, was auch uns hätte treffen können; darum gibt es keinen Grund für ein angemaßtes Auftreten." Es gab ja leider damals vielfach im Westen ein solches herablassendes Benehmen.

Wir haben aber auch alle damaligen Preisungen der sozialistischen „Errungenschaften" zurückgewiesen. „Dabei wissen wir sehr wohl, dass wir die eigenen Lebensbedingungen, besonders für Bedürftige und Arme, immer wieder in Gerechtigkeit und Liebe verbessern müssen. Wir stehen jedoch eindeutig zu dieser Bundesrepublik Deutschland. Es ist nicht leicht, zu einem ‚Provisorium' ein engagiertes, ja sogar vielleicht ein liebendes Verhältnis zu gewinnen. Wir lieben dieses Land und seine Menschen, auch wenn die Kirche auf manchen Widerspruch stößt. Die Bundesrepublik Deutschland ist das beste und am meisten menschenfreundliche Staatswesen, das die Deutschen hatten. Darum bekennen wir uns auch zu seiner Verfassung, den Grundrechten, der Gewaltenteilung, der Kontrolle durch die Gerichtsbarkeit, besonders durch das Bundesverfassungsgericht, den freien Verbänden und gesellschaftlich organisierten Kräften und zum differenzierten Staat-Kircheverhältnis. Wir möchten allen legitimen Bedürfnissen der Menschen in der DDR entgegenkommen und uns in einem Höchstmaß öffnen, bitten aber auch um Verständnis darum, wenn wir die mühsam errungene konkrete Freiheit unserer demokratischen Lebensform grundsätzlich nicht aufs Spiel setzen wollen. Wir wollen gerne manche Opfer bringen, aber dieses Opfer wollen wir nicht bringen."

Gerade weil wir die Einheit der Kirche nicht ganz verloren haben, sie vielmehr jetzt wieder uneingeschränkt sichtbar machen wollen und voll leben müssen, wollen wir auch keine „unverantwortliche Hektik" fördern. „Wir bestimmen nicht das politische Tempo und die politische Form der Einheit. Wir tun nicht so, als ob wir allem voraus wären, was sich jetzt erst wieder finden muss, aber wir möchten uns an Offenheit füreinander von niemandem übertreffen lassen. Wie wären wir sonst Kirche! Seien Sie darum nochmals in unserer Mitte als wahre Brüder herzlich willkommen."

Der Gedanke der Einheit der Kirche wurde dann besonders in der Eucharistiefeier am 7. März hervorgehoben: „Die Eucharistie birgt das tiefste Band der Einheit, das zwischen uns sein kann. In Jesus Christus, in seinem Geist und Wort, in seinem Leib und Blut, sind wir tiefer und unauflöslicher miteinander verbunden als durch alle menschlichen Klammern, die uns so teuer sind, wie gemeinsame Sprache, Kultur und Nation. Das Geheimnis des Lebens Jesu Christi soll uns helfen, alle Hindernisse, die zwischen uns bestehen, zu überwinden und alle Wege zu gehen, die uns miteinander verbinden." Die Gemeinsame Erklärung vom 8. März habe ich schon genannt.

Ich habe bewusst diese Texte vom 7. März zitiert. Sie sind gewiss etwas schwerer zugänglich. Aber es ist insgesamt überraschend zu sehen, dass neben vielen Themen und Problemen der DDR-Forschung der institutionelle, „amtliche" Prozess hin zur deutschen Einheit im Spiegel der Kirchen, gerade in der Zeit vom September 1989 bis zum Oktober 1990, und die Herstellung der kirchlichen Einheit in unserem Land bisher nach meiner Kenntnis nicht die nötige Aufmerksamkeit gefunden haben.27 Wir brauchen nichts zu verstecken, im Gegenteil. Die Archive, besonders der Berliner Bischofskonferenz sind großzügig geöffnet. Es gibt auch eine Unterstützung der Forschung, z.B. durch Stipendien.

IV.

Die folgende Entwicklung geschieht relativ rasch. Trotz der Warnung vor einem zu eiligen Tempo konnte die Kirche selbstverständlich die Geschwindigkeit des politischen Prozesses nicht bestimmen. Es kann und muss hier offen bleiben, ob, in welchem Maß und aus welchen Gründen einzelne Bischöfe der DDR vom Herbst 1989 bis zum späten Frühjahr 1990 eine politische Einheit mit der Bundesrepublik Deutschland sehr skeptisch betrachteten oder sogar noch an eine demokratische Evolution der DDR oder gar eine Zweistaatlichkeit dachten.

Die Stimmung schlug jedenfalls relativ bald um. So kam es bereits vor der Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990 zu dem genannten offiziellen Treffen zwischen den beiden Deutschen Bischofskonferenzen in Augsburg. Ich habe den Eindruck nicht verloren, in Augsburg sei hier über den künftigen politisch wünschbaren Weg noch manches offen gewesen.

Nach der Wahl zur Volkskammer am 18. März mit dem hohen Erfolg der für die deutsche Einheit eintretenden Kräfte haben beide Konferenzen den Wunsch nach einem Zusammenschluss geäußert. Die westdeutschen Mutterbistümer glaubten wohl zu dieser Zeit noch, dass ihnen die in der DDR gelegenen Teile wieder angegliedert werden würden. So rasch, wie der Einigungsprozess verlief,28 gestaltete sich nun aber auch der kirchliche Weg zur Einheit der beiden Bischofskonferenzen. Ich begegnete am 11. Juni in Berlin und am 3. September in Dresden mit Prälat W. Schätzler den Mitgliedern der Berliner Bischofskonferenz. Bei der Sitzung am 3. September hat die Berliner Bischofskonferenz die Bitte um Auflösung formuliert und an den Hl. Stuhl gerichtet. Auf der Versammlung vom 24. bis 27. September 1990 in Fulda nahmen erstmals alle Bischöfe aus der ja noch bestehenden DDR an der Sitzung der Deutschen Bischofskonferenz teil. Ich habe selbst in dem üblichen Grundsatzreferat zum Thema gesprochen „Die stille Revolution der Freiheit: Ihre Bedingungen und ihr Preis".29

In ökumenischer Hinsicht sei vermerkt, dass am 26. Juni 1990 die Deutsche Bischofskonferenz (K. Lehmann), die Berliner Bischofskonferenz (G. Sterzinsky), der Rat der EKD (M. Kruse) und die Konferenz der Evangelischen Kirchenleitungen (Chr. Demke) eine umfangreichere Erklärung veröffentlichten, die freilich nur mühsam zu Stande kam.

Darauf brauche ich nicht im Einzelnen zurückzukommen. In der Schlussandacht der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 27. September 1990 konnte ich zu Beginn des Gottesdienstes mitteilen: „Wir haben zusammen einen Antrag der Berliner Bischofskonferenz zur Kenntnis genommen, dass sie den Hl. Vater darum bittet, dass die Berliner Bischofskonferenz aufgelöst wird, dass ihre Mitglieder in der Deutschen Bischofskonferenz aufgenommen werden und künftig wieder eine einzige Deutsche Bischofskonferenz sein wird. Wir Bischöfe in der Deutschen Bischofskonferenz haben dies einstimmig und nachdrücklich von Herzen begrüßt. Wir wollen damit auch danken, dass wir wieder eine einzige Bischofskonferenz werden." Am Ende des Gottesdienstes nach der Predigt des Bischofs von Passau fügte ich hinzu: „Soeben ist uns von Rom mitgeteilt worden, dass der Hl. Vater positiv Kenntnis genommen hat von beiden Schreiben (18. und 26. September). Wir werden noch unsere Statuten und unsere Satzungen, die wir bereits beschlossen haben, nachreichen und dürfen dann bald und rasch mit einer formellen Genehmigung rechnen. Ich freue mich, dass ich Ihnen dies noch sagen kann, solange wir in Fulda sind, und danke dem Hl. Vater, dass er uns noch vor dem 3. Oktober, dem Tag der Einheit Deutschlands, es ermöglicht hat, dies hier mitzuteilen."

Am 23. August hatte die Volkskammer den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland zum 3. Oktober 1990 beschlossen. Am 20. September 1990 billigen die Volkskammer in Berlin und am selben Tag der Bundestag in Bonn den Einigungsvertrag (bemerkenswert ist die Präambel zum Ganzen). Die kirchliche Einheit der katholischen Kirche in Deutschland kam also schon vor dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 zustande. Die Berliner Bischofskonferenz und die Deutsche Bischofskonferenz begrüßten in aufeinander abgestimmten Worten vom 18. und 27. September die am 3. Oktober 1990 bevorstehende deutsche Einigung. Nach der formellen Bestätigung von Rom schlossen sich am 24. November 1990 beide Konferenzen zusammen. Innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz wurde am 3. Dezember 1990 eine „Arbeitsgemeinschaft der Bischöfe - Region Ost" gegründet, die sich aus den Mitgliedern der ehemaligen Berliner Bischofskonferenz zusammensetzte. Sie sollte sich den besonderen Fragen, Problemen und Erfordernissen in den neuen Bundesländern stellen. Im November 1990 wurde ferner der „Gemeinsame Aktionsausschuss katholischer Christen in der DDR" in das Zentralkomitee der deutschen Katholiken eingegliedert.

Am Tag der deutschen Einheit (3. Oktober 1990) habe ich beim Ökumenischen Gottesdienst in der St. Marienkirche in Berlin zu dem von mir selbst gewählten Text aus Röm 15,7 gepredigt:30 „Darum nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat, zur Ehre Gottes." In dem damaligen Enthusiasmus („Einheitstaumel") über die gewonnene Einheit und der manchmal flotten Rede von den „blühenden Landschaften", die man durchaus richtig verstehen konnte, habe ich versucht, eine größere Nüchternheit, gerade auch im Blick auf die kommenden Aufgaben, hineinzubringen. Wir brauchen ein neues Denken und Fühlen, um uns wirklich wechselseitig anzunehmen. Manche haben mich nach der Predigt und beim Auszug aus der Kirche für diese nüchternen Worte sehr kritisch angeschaut. Ich habe meine Worte nicht bereut. Das Geschenk der Einheit und Freiheit „eröffnet uns neue Möglichkeiten, die wir noch nicht einmal ahnen. Doch wir wissen alle: diese Freude ist nicht ungetrübt. Viele sind ratlos und können sich nicht zurechtfinden. Was recht und schlecht funktionierte, aber so immerhin vertraut war, gibt es nicht mehr, und das verheißungsvolle Neue ist oft noch nicht überzeugend da. Viele Menschen wurden in Lernprozesse hineingeworfen, die ihnen keine Zeit lassen. Arbeitslosigkeit bedroht viele. Es ist schwer, mit einem auslaufenden Staat zu leben. Lauern auch die Häscher des Stasi nicht mehr im Nacken, so weiß keiner so recht, was alles über ihn ausspioniert und zusammengelogen wurde. Die dunklen Schatten der Vergangenheit machen jeden Neuanfang schwer ... Das Gewicht einer wohlhabenden und erfolgreichen Bundesrepublik kann (so) auf dem anderen, der sich immer wieder in die Vorschulklasse zurückgesetzt empfinden muss, schwer lasten. Die noch so gut gemeinte Hilfe des Besitzenden kann für den, der darauf angewiesen ist, zur Zumutung werden."

Bei der Berliner Sitzung der Ost-Bischöfe am 3. Dezember 1990 waren Prälat Schätzler und ich selbst wiederum und wohl zum letzten Mal anwesend. Wir haben in der ganzen Zeit unseres Mitdabeiseins viel zugehört, um die Probleme kennenzulernen, mit Ratschlägen haben wir uns eher zurückgehalten. Ich habe im Lauf der Zeit vor allem immer wieder drei Themen für die geistige und spirituell-theologische Zukunft der Kirche im deutschen Osten betont:

  1. Die bleibende Bedeutung des Theologischen Studiums in Erfurt31
  2. den Erhalt des St. Benno-Verlags in Leipzig als Basis für kirchliche Publikationen in den neuen Bundesländern und
  3. die Schaffung einer Akademie in Berlin für alle kirchlichen Bereiche der ehemaligen DDR zur geistigen „Aufarbeitung" der Vergangenheit (mit dem späteren ersten Direktor, Staatsminister a.D. Dr. Werner Remmers).

Ich brauche jetzt nicht darüber zu reden, wie groß die materielle Hilfe war, die wir vom Westen bis heute unserer Kirche in den neuen Bundesländern leisten. Auch verzichte ich jetzt auf ein weiteres spannendes Thema, das im Einzelnen noch wenig Beachtung gefunden hat, nämlich die Neuordnung der Diözesen, vor allem in den neuen Bundesländern, mit der Gründung des Erzbistums Hamburg. Der Hl. Stuhl hatte der Deutschen Bischofskonferenz diesen Auftrag gegeben, der unter Leitung des Vorsitzenden nach vielen Sitzungen im Jahr 1994 mit der förmlichen Errichtung der neuen Diözesen abgeschlossen werden konnte. In dieser Zeit musste auch entschieden werden, ob das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn bleibt oder nach Berlin umzieht. Wir planten schließlich das Katholische Büro und eine neue Apostolische Nuntiatur in Berlin.

Ein wichtiger Dienst, den die Deutsche Bischofskonferenz nun als ganze zur „Aufarbeitung der Vergangenheit" leisten konnte, war die Entscheidung, beim Verdacht einer Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit in der DDR selber als Kirche Vorermittlungen zu unternehmen, den zuständigen Bischöfen Empfehlungen zuzuleiten und nicht auf die Entlarvung z.B. durch die Medien zu warten. Die entsprechende Arbeitsgruppe stand unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Engelbert Niebler (München). Sie hat wohl einen guten Dienst getan.32

Die Zusammenarbeit ging jedenfalls rasch weiter. Die gute gegenseitige Kenntnis und manche bisherige punktuelle Zusammenarbeit haben sich schnell und positiv auf die neue Deutsche Bischofskonferenz ausgewirkt. Die Bischöfe aus der ehemaligen DDR wurden mit wichtigen Aufgaben versehen. Das Statut der Deutschen Bischofskonferenz konnte im Jahr 2002 endgültig den neuen Bedürfnissen angepasst werden. Ähnliches gilt für die Satzung des Verbandes der Diözesen Deutschlands (25. November 2003). Das Zusammenwachsen konnte dadurch sehr rasch erfolgen.

In diesem Zusammenhang war auch die Fachtagung wichtig „Caritas im geeinten Deutschland" vom 30. Januar bis 1. Februar 1991 in Erfurt. Als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz habe ich dort und auch an anderer Stelle geistig und spirituell für die „innere Einheit"33, die ja noch zu finden war, solidarische Hilfe zu leisten versucht und in die gemeinsamen Beratungen eingebracht.34 Dabei waren vor allem auch wichtig der Blick auf das gemeinsame Haus Europa35 und die Notwendigkeit einer Neu-Evangelisierung in Ost und West, die missionarische Aufgabe.36

Dabei will ich noch auf ein Thema aufmerksam machen: Die schwierige staatskirchliche Struktur ist zwischen 1996 und 2005 in allen Ländern besser gelöst worden, als man früher denken konnte.37

Damit bin ich aber schon beim Thema, das Herr Bischof Dr. Joachim Wanke beim Abschluss dieser Tagung38 eingehender und aus eigener Erfahrung behandeln wird.39

 

  1. H. J. Meyer, Vom rechten Maß der Einheit. Nicht Lehrling, sondern Bürger, in: Neue Sammlung, hrsg. von G. Becker u.a. (3/1999), 457-472; vgl. auch ders., Spuren, die bleiben. Reden zu Katholizismus, Kultur und Wissenschaft 1997-2006, Freiburg i. Br. 2007, 64ff. u.ö.; ders., Die Bundesrepublik Deutschland nach der Wiedervereinigung.
  2. Eine interdisziplinäre Bilanz, in: Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augsburg, Bd. 60, hrsg. von A. Wirsching, München 2000, 115-132.
  3. Der Weg zur Einheit, München 2009, 104, vgl. auch 133.
  4. Vgl. beispielhaft H.-J. Sievers, Stundenbuch einer deutschen Revolution. Die Leipziger Kirchen im Oktober 1989, Göttingen 1990. 
  5. Vgl. K. Seifert, Glaube und Politik. Die Ökumenische Versammlung in der DDR 1988/89, Leipzig 2000; dies., Durch Umkehr zur Wende. Zehn Jahre Ökumenische Versammlung in der DDR - eine Bilanz, Leipzig 1999.
  6. Vgl. H.-A. Raehm, in: E. Gatz (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, Freiburg i. Br. 1994, Bd. III, 196-201 (Lit.).
  7. Vgl. dazu die Beiträge von D. Pollack, Der Umbruch in der DDR - eine protestantische Revolution?, G. Krusche, Das ökumenische Engagement des Bundes der evangelischen Kirche in der DDR, in: T. Rentdorff (Hg.), Protestantische Revolution? Kirche und Theologie in der DDR: Ekklesiologische Voraussetzungen, politischer Kontext, theologische und historische Kriterien, Göttingen 1993, 41-78, 145-168; J. Pilvousek/E. Preuß (Hg.), Hugo Aufderbeck 1909 bis 1981, Heiligenstadt 2009.
  8. Vgl. G. Weigel, Zeuge der Hoffnung. Johannes Paul II, Paderborn 2003 (Lit.); St. Samerski, Johannes Paul II, München 2008 (Lit.); H. Maier, Revolte der Gottesfürchtigen, in: Th. Brose (Hg.), Glaube, Macht und Mauerfälle, Würzburg u.a. 2009, 19-21.
  9. Dafür war mir u.a. hilfreich H. J. Meyer, Der deutsche Katholizismus nach der Wiedervereinigung, 116ff.
  10. Vgl. Sendung und Gnade, 4. Aufl., Innsbruck 1966, 13ff.; Sämtliche Werke 19, Freiburg i. Br. 1995, 430ff., konkret vgl. B. Mitzerlich, Diktatur und Diaspora, Paderborn 2005.
  11. Zu dieser Frage vgl. H. Heidemeyer, Flucht und Zuwanderung aus der SBZ/DDR, Düsseldorf 1994; W. Weidenfeld/K.-R. Korte (Hg.), Handbuch zur deutschen Einheit, Frankfurt 1993, Art. Vertriebene: 682-690 (Lit.).
  12. Vgl. Näheres in dem aufschlussreichen Band U. von Hehl/H. G. Hockerts (Hg.), Der Katholizismus - gesamtdeutsche Klammer in den Jahrzehnten der Teilung? Erinnerungen und Berichte, Paderborn 1996. 
  13. Vgl. Wertlose Wahrheit. Zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens. Theologische Erörterungen III, München 1990, 1ff. u.ö.  
  14. Vgl. dazu Chr. Kösters (Hg.), Caritas in der SBZ/DDR 1945-1989, Paderborn 2001; ders., Staatssicherheit und Caritas 1950-1989, 2. Aufl., Paderborn 2002.
  15. Vgl. E. Gatz, Die katholische Kirche in Deutschland im 20. Jahrhundert, Freiburg i. Br. 2009, 102.
  16. Vgl. dazu H. J. Meyer, Spuren, die bleiben, 10, 252ff., 288, 299, 356-364. Vgl. auch ausführlicher R. Schumacher, Kirche und sozialistische Welt. Eine Untersuchung zur Frage der Rezeption von „Gaudium et spes" durch die Pastoralsynode der katholischen Kirche in der DDR, Leipzig 1998. Vgl. die Textausgabe: Konzil und Diaspora. Die Pastoralsynode der Katholischen Kirche in der DDR, Berlin 1977.
  17. H. J. Meyer, Der deutsche Katholizismus nach der Wiedervereinigung, 118.
  18. Zum Forschungsstand vgl. H. Dähn, Die Kirchen in der SBZ/DDR (1945-1989), in: R. Eppelmann u.a. (Hg.), Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung im Auftrag der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Paderborn 2003, 205-216 (dort umfangreiche Literatur: 497-500); Chr. Kösters/W. Tischner (Hg.), Katholische Kirche in SBZ und DDR, Paderborn 2005 (Lit.); J. Pilvousek, Katholizismus und katholische Kirche in der DDR seit 1985, in: Kirchliche Zeitgeschichte 20 (2007), 47-65; K. Gabriel u.a., Religion und Kirchen in Ost-Europa: Deutschland-Ost, hrsg. von P. M. Zulehner u.a., Stuttgart 2003; E. Gatz (Hg.), Geschichte des kirchlichen Lebens in den deutschsprachigen Ländern seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, Bd. III: Katholiken in der Minderheit, Freiburg i. Br. 1994, 19ff., 127ff. (in den übrigen Bänden finden sich viele weitere Informationen); E. Gatz, Die katholische Kirche in Deutschland im 20. Jahrhundert, Freiburg i. Br. 2009, 162ff., 181ff., 203ff.; E. Gatz (Hg.), Kirche und Katholizismus seit 1945, Bd. 1: Mittel-, West- und Nordeuropa, Paderborn 1998, darin J. Pilvousek: 132-150; H. Dähn, Die Rolle der Kirchen in der DDR, München 1993; B. Schäfer, Staat und katholische Kirche in der DDR, Köln 1998; Th. Raabe, SED-Staat und katholische Kirche. Politische Beziehungen 1949 bis 1961, Paderborn 1995; J. Pilvousek (Hg.), Kirchliches Leben im totalitären Staat. Seelsorge in der SBZ/DDR 1945 bis 1976. Quellentexte aus den Ordinariaten, Hildesheim 1994; G. Lange u.a. (Hg.), Katholische Kirche - Sozialistischer Staat DDR. Dokumente und öffentliche Äußerungen 1945 bis 1990, erweiterte Neuauflage, 2. Aufl., Leipzig 1993; D. Pollack, Kirche in der Organisationsgesellschaft, Stuttgart 1994; U. Haese, Katholische Kirche in der DDR, Düsseldorf 1998; M. Höllen, Loyale Distanz? Katholizismus und Kirchenpolitik in SBZ und DDR. Ein historischer Überblick in Dokumenten, Bd. 1: Berlin 1994, Bd. 2: Berlin 1997, Bd. 3,1: Berlin 1998, Bd. 3,2: Berlin 2000; W. Tischner, Katholische Kirche in der SBZ/DDR 1945 bis 1951, Paderborn 2001; F. G. Friemel (Hg.), ...wie die Träumenden. Katholische Theologen zur gesellschaftlichen Wende, Leipzig 1990 (weitere Lit.: 143f.); A. Beck, Christ sein können. Religiöse Kompetenz in der katholischen Diaspora Ostdeutschlands = Erfurter Theologische Studien 95 (umfangreiche Literatur: XV bis XXXV, hier verweise ich besonders auf die Studien von J. Pilvousek XXIXf., Würzburg 2009); D. Grande (Hg.), Der deutsch-deutsche Umgang mit der SED-Vergangenheit = Schriftenreihe Gerechtigkeit und Frieden der Deutschen Kommission Justitia et Pax 42, Bonn 2001; D. Grande/B. Schäfer, Zur Kirchenpolitik der SED. Auseinandersetzungen um das Katholikentreffen 1983 bis 1987, Hildesheim 1994; dies., Kirche im Visier. SED, Staatssicherheit und katholische Kirche in der DDR, Leipzig 1998; E. Neubert, Vergebung oder Weißwäscherei. Zur Aufarbeitung des Stasiproblems in den Kirchen, Freiburg i. Br. 1993; F. Schirrmacher u.a., Die neue Republik, Berlin 1995. - Zu den historischen Daten vgl. H. G. Lehmann, Chronik der DDR, München 1987; Die Fischer Chronik Deutschland, Frankfurt 2001; G. Gillessen, 1990 und 1991. Eine Jahreschronik, Frankfurt 1991, 1992; Das Jahr der deutschen Einheit, Herausgeber: Die Welt, 3. Aufl., Berlin 1991. Vgl. auch weitere Publikationen in den Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen, Reihe B: Forschungen, Paderborn.
  19. Dazu Th. Brose (Hg.), Glaube, Macht und Mauerfälle. Von der friedlichen Revolution ins Neuland. 
  20. Ich zitiere in Folgenden nicht alle Quellen ausführlich, die in den genannten und noch zu nennenden Dokumentensammlungen leicht zugänglich sind, z.B. von M. Höllen, J. Pilvousek, G. Lange/U. Preuß usw.
  21. Vgl. dazu Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Freiburg i. Br. 1977, 685, 701, Bd. II, Freiburg i. Br. 1977, 20, 235; vgl. auch D. Emeis/B. Sauermost (Hg.), Synode - Ende oder Anfang, Düsseldorf 1976, 365f. (Lit.).
  22. Dazu Hj. Stehle, Die Ostpolitik des Vatikans, München 1982; K.-J. Hummel (Hg.), Vatikanische Ostpolitik unter Johannes XXIII und Paul VI, 1958 bis 1978, Paderborn 1999; E. Gatz, Art. Casaroli, in: Lexikon für Theologie und Kirche XI, Freiburg i. Br. 2001, 42f. (Lit.). 
  23. Vgl. den zusammenfassenden Bericht von F. Kronenberg, in: U. von Hehl, u.a. (Hg.), Der Katholizismus - gesamtdeutsche Klammer in den Jahrzehnten der Trennung, 39-68. Hier war die Bischofskonferenz lange Zeit durch ihren Bischöflichen Assistenten, Bischof Prof. Dr. Klaus Hemmerle (Aachen), mitvertreten. Ich selbst habe einige Male an diesen wichtigen Begegnungen teilgenommen. Vgl. aber auch M. Albus, in: ebd., 69-81.
  24. Dieses Urteil bedarf allerdings noch der Überprüfung. Es gibt immerhin aus September und Oktober 1989 Äußerungen einzelner Bischöfe und auch der Berliner Bischofskonferenz (vgl. die „Verbalnote" an die Regierung vom 9. Oktober), die ein differenzierteres Urteil nahe legen. Vgl. zur ersten Information jedenfalls M. Höllen, Loyale Distanz?, Bd. 3/2, 260ff. - In diesem Beitrag muss ich es mir versagen, Meinungsverschiedenheiten innerhalb der katholischen Bischöfe eingehender zu behandeln. Diese waren ja schon früh greifbar, insbesondere muss ich hier absehen von den zahlreichen Äußerungen von Bischof Johannes Braun, Apostolischer Administrator in Magdeburg. - Hier wäre vor allem auch der „Erfurter Linie" mit den Bischöfen H. Aufderbeck und J. Wanke nachzugehen, die schon früh eine zu exklusive Konzentration des kirchlichen Handelns auf eine strikte Kirchenpolitik, mit der sie inhaltlich durchaus weitgehend einverstanden waren, indirekt in Frage stellten und andere Perspektiven für die Pastoral entwickelten, vgl. die genannte Literatur und dabei besonders A. Beck, Christ sein können. Eine größere Untersuchung scheint mir jedoch zu fehlen. Wir dürfen sie von Clemens Brodkorb (München) erwarten. Vgl. J. Pilvousek/E. Preuß (Hg.), Hugo Aufderbeck 1909-1981, Heiligenstadt 2009.
  25. Zur Klarstellung des Hintergrundes: Nach dem Abschluss der Ostverträge der Regierung Brandt/Scheel (1972) zog der Hl. Stuhl nach, indem er für Westpolen eine Bistumsorganisation schuf und den in der DDR liegenden Teil des früheren Erzbistums Breslau zur Apostolischen Administratur Görlitz erhob. Nach Abschluss des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR (21.12.1972) erhob der Hl. Stuhl schließlich die in Erfurt, Magdeburg und Schwerin residierenden Kommissare (Titularbischöfe und Generalvikare) zu ständigen Apostolischen Administratoren, während seitdem die Jurisdiktion der westdeutschen Bischöfe für ihre in der DDR liegenden Bistumsteile ruhte. Papst Paul VI wollte diese schließlich 1978 unter dem Druck der DDR-Regierung zu selbstständigen Bistümern erheben. Damit wäre die Teilung Deutschlands anerkannt worden. Doch dieser Plan kam wegen seines Todes nicht mehr zur Verwirklichung. Papst Johannes Paul II zeigte, gestärkt durch seine polnischen Erfahrungen, gegenüber dem DDR-Regime von Anfang an kein Entgegenkommen mehr. Angesichts des immer schärferen kirchenfeindlichen Kurses der DDR-Regierung hatte übrigens schon Papst Pius XII im Jahr 1950 eine Ostdeutsche Ordinarienkonferenz eingerichtet, die im Jahr 1976 eine förmliche Bischofskonferenz wurde (Berliner Bischofskonferenz), die in der Regel unter dem Vorsitz des Berliner Bischofs stand. - Hier muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass auch frühere Teile des Bistums Würzburg, nämlich der Bezirk Meiningen, zum Bereich des späteren Bistums Erfurt kamen (Bischöfliches Amt Erfurt/Meiningen). Im Detail: 1917 wurde für die südthüringischen Diasporagebiete des Bistums Würzburg in Meiningen ein bischöfliches Kommissariat errichtet. Wegen der Zugehörigkeit zur DDR entwickelte sich daraus ab 1953 ein selbstständiger Bereich mit eigener Jurisdiktion. Dieser Bereich kam 1994 endgültig zum neu gegründeten Bistum Erfurt. Viele Abhandlungen nennen diese Änderung gar nicht oder falsch.
  26. Die folgenden Texte entstammen alle meinem eigenen Archiv bzw. der Sammlung der eigenen Manuskripte.
  27. Eine Ausnahme bildet J. Pilvousek, vgl. z.B. Im kirchenpolitischen „Korsett" der Bischofskonferenz. Bischofskonferenz, Bischöfe und die friedliche Revolution von 1989, in: Th. Brose (Hg.), Glaube, Macht und Mauerfälle, 82-90; vgl. dazu auch das Themenheft „Kirche nach 1989" der Zeitschrift Theologie der Gegenwart 52 (2009), Heft 2, 94-104, 116-122 (Lit.). In diesem Heft finden sich ausführliche Studien von J. Pilvousek (Lit.), E. Preuß und Ph. Förter zum Thema.
  28. Vgl. dazu B. Guggenberger/T. Stein (Hg.), Die Verfassungsdiskussion im Jahr der deutschen Einheit, München 1991; H. Teltschik, 329 Tage. Innenansichten der Einigung, Berlin 1991; Th. Sempf, Die deutsche Frage unter besonderer Berücksichtigung der Konföderationsmodelle = Schriften zur Rechtslage Deutschlands 11, Köln 1987; J. Kocka, Vereinigungskrise, Göttingen 1995. Vgl. auch Der Vertrag zur deutschen Einheit, Frankfurt 1990 (in 2. und 3. Lesung am 20.9.1990 verabschiedet).
  29. Vgl. K. Lehmann, Zuversicht aus dem Glauben. Die Grundsatzreferate des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Freiburg i. Br. 2006, 107-122. Der Text wurde auch schon vorher öfter veröffentlicht (1990, 1993 u.ö.).
  30. Vgl. den Text in K. Lehmann, Glauben bezeugen, Gesellschaft gestalten. Reflexionen und Positionen, Freiburg i. Br. 1993, 621-623.
  31. Dies war kein Problem, da wohl fast alle Mitglieder der Berliner Bischofskonferenz in Erfurt studiert hatten und das Studium nach innen und von außen einen hervorragenden Ruf hatte.
  32. Zur Sache vgl. J. Isensee (Hg.), Vergangenheitsbewältigung durch Recht, Berlin 1992.
  33. Vgl. dazu R. Schröder, Vom Gebrauch der Freiheit, Stuttgart 1996; Chr. Meier, Deutsche Einheit als Herausforderung. Welche Fundamente für welche Republik, München 1990; Hj. Meyer, Spuren die bleiben, 64-83; W. Weidenfeld/K.-R. Korte (Hg.), Handbuch zur deutschen Einheit, 372-383 (Lit.).
  34. Ein Teil der Texte ist veröffentlicht in K. Lehmann, Glauben bezeugen, Gesellschaft gestalten, Freiburg i. Br. 1993, 632-680.
  35. Ebd., 681ff., 697ff.
  36. Zur missionarischen Aufgabe ebd., 662ff., 689ff., 697ff.
  37. Vgl. Chr. Hermes, Konkordate im vereinigten Deutschland, Ostfildern 2009. 
  38. Vgl. J. Wanke, 20 Jahre Seelsorge in einer freien und pluralen Gesellschaft - zum Beispiel im Freistaat Thüringen. Öffentlicher Vortrag bei der Tagung der Kommission für Zeitgeschichte der Deutschen Bischofskonferenz am 24.10.2009 in Erfurt (12 Seiten).
  39. Vgl. dazu J. Wanke (Hg.), Wiedervereinigte Seelsorge. Die Herausforderung der katholischen Kirche in Deutschland, Leipzig 2000; vgl. auch E. Gatz, Die katholische Kirche in Deutschland im 20. Jahrhundert, 203-220, bes. 206ff.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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