Keine Nebelwerferei!

Bischof Lehmann zur "Ergebnisoffenheit" der Schwangerschaftskonfliktberatung

Datum:
Donnerstag, 24. Juni 1999

Bischof Lehmann zur "Ergebnisoffenheit" der Schwangerschaftskonfliktberatung

NACHFRAGE:

 

Ort der Szene: Deutscher Bundestag, Aktuelle Stunde am 24. Juni 1999 mit dem Thema "Politische Schlußfolgerungen aus dem Beschluß der Katholischen Bischofskonferenz zur Schwangerschaftskonfliktberatung"

 

Redner: 13 Frauen, 1 Mann.

Ich habe das vorliegende Wortprotokoll sehr gründlich studiert. Ich danke der CDU/CSU-Opposition, besonders Herrn Geis und den Damen Eichhorn, Störr-Ritter und Rönsch, für die zutreffende Interpretation und Verteidigung der Substanz des Bischofskonferenz-Beschlusses. Die anderen schlagen kräftig drauf: Die Bischöfe verunsichern, machen Druck und laden alles ab auf dem Rücken der Frau. Von Doppelmoral, "absolut scheinheilig", Zwielicht, Pontius-Pilatus-Prinzip ist die Rede. Zwar wird der parteiübergreifende Kompromiß von 1995 über den grünen Klee gelobt (historisch war da manches anders); dennoch wird die Pflichtberatung überhaupt infrage gestellt. Nicht selten werden trotz hohen Lobes für die katholischen Beratungsstellen unverhohlen politische Konsequenzen angedroht (z.B. "die katholische Kirche in diesem sozialen Bereich für unseren Staat nun leider kein verläßlicher Partner mehr").

 

Gewiß, es spielten Enttäuschung und auch offene Wut eine Rolle. Da muß man in einer Debatte manches nachsehen. Aber auch nachdem der erste Pulverdampf verzogen ist, lohnt es sich, etwas näher hinzuschauen:

 

Ich finde kein Wort, daß die Abtreibung, von den Indikationen abgesehen, Unrecht ist und bleibt. Dies ist jedoch das Fundament von allem.

 

Die Zielbestimmung der Beratung, nämlich Ermutigung und Hilfen für die Frau zum Austragen des Kindes, erscheint nur an ganz wenigen Stellen, eher formelhaft.

 

Von dem Grundkonflikt zwischen dem bleibenden Unrecht der Abtreibung ("rechtswidrig") und der Straflosigkeit der Abtreibung für die Frau im Fall der Beratung, aus dem letztlich die Widersprüchlichkeit kommt, ist nicht die Rede.

 

Im Vordergrund steht weitgehend - betont und fast leidenschaftlich - die "Ergebnisoffenheit" des Beratungsgesprächs. Die Kirche würde nun die ergebnisoffene Beratung abschaffen. Die Frau finde keine Hilfe und kein Verständnis mehr.

 

Was ist denn "unbedingt ergebnisoffen"? Hier ist fast überall ein problematisches Verständnis von Ergebnisoffenheit mit im Spiel. In der Tat muß das Beratungsgespräch so offen geführt werden, daß die Freiheit und Verantwortung der Frau für ihre Entscheidung nicht beeinträchtigt werden. Nachträglich kann sich dann herausstellen, daß die Beratung zum Leben in der konkreten Situation erfolglos war. Aber für alle Beratungssituationen ist die Zielorientierung des Lebenserhalts bleibende Voraussetzung. Ergebnisoffenheit ist nicht Zieloffenheit. Hier ist oft ein Wortgebrauch von "Ergebnisoffenheit" im Spiel, der nicht gesetzeskonform ist und schon gar nicht dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 28.5.1993 entspricht.

 

Man staunt, daß in der Aussprache im Blick auf die Abtreibung von "Gewissensentscheidung" die Rede ist, obgleich das Verfassungsgericht l993 angesichts des Lebensrechtes des ungeborenen Kindes jede Berufung auf Gewissensfreiheit eindeutig ablehnt (vgl. Leitsatz 5).

 

Hier liegt der eigentliche Unterschied in der Diskussion. Hier wird eine sehr einseitige Gesetzesauslegung betrieben. Dies ist aber nicht nur eine kirchliche Angelegenheit oder ein "Scheinproblem von Männern", gar von Bischöfen. Es geht wirklich um die Konformität mit allen Absichten und Dimensionen des Gesetzes vom 21.8.1995 und um den vollen Sinn unserer Verfassung.

 

Es ist darum absurd, zu erklären, die Kirche stehe nun Frauen in Konfliktsituationen nicht mehr zur Seite. Soll die Kirche so viel Verständnis haben, daß sie insgeheim eben doch der Abtreibung zustimmt? Was wird da immer an "Verständnis" suggeriert? Wenn die ersten Zornesausbrüche vorbei sind, muß der Streit darum gehen. Alles andere ist Nebelwerferei. Dann wird man sehen, wo die wahren Freunde bedrängter, ungewollt schwangerer Frauen sind.

 

© Bischof Karl Lehmann, Mainz

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz