Kirche angefragt in der Irak-Krise

Datum:
Sonntag, 2. März 2003

Die Irak-Krise spitzt sich zu. Kein Wunder, dass auch die Kirche mit ihren bisherigen Stellungnahmen mehr zwischen die Fronten gerät. Den einen ist sie zu wenig pazifistisch, den anderen macht es Mühe, die jetzigen Stellungnahmen der Kirche im Einklang zu sehen mit der traditionellen Lehre von der Möglichkeit militärischer Interventionen.

Sowohl Papst Johannes Paul II als auch die Stellungnahmen der Deutschen Bischofskonferenz lassen keinen Zweifel daran, dass sie, auch wenn Saddam Hussein nicht direkt mit Namen genannt wird, das Handeln des irakischen Diktators als „ein Risiko für die internationale Ordnung" bezeichnen, das die Weltgemeinschaft nicht übersehen darf. Sie stellen sich auch hinter den Druck, den die Vereinten Nationen auf den Irak ausüben, und verkennen auch nicht die Notwendigkeit konkreter Drohung. In diesem Fall ist auch, wenn alle diplomatischen und politischen Mittel versagen („allerletzter Ausweg"), als letzte Möglichkeit bei Einhalten der klassischen Bedingungen (Verhältnismäßigkeit der angewandten Mittel, Aussicht auf Erfolg, Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung usw.) eine militärische Intervention nicht von vornherein und für immer auszuschließen.

 

Dies ist weit entfernt von einer radikalpazifistischen Position, die manche Christen auf den Demos vertreten und ihre persönliche Meinung oft mit der Haltung der Kirche ineinssetzen. Freilich hindert dies nicht die Überzeugung, dass der Krieg immer ein schwerwiegendes Übel ist und bleibt. Im konkreten Fall besteht die Sorge, dass die Drohkulisse militärischer Gewalt eine solche Eigendynamik entfalten könnte, dass am Ende ein Krieg unvermeidbar erscheint und wird. Die Hauptgefahr ist dabei, dass ein vorbeugender Krieg („Präventivkrieg") vom Zaun gebrochen wird, der nur im Fall schlimmster Menschheitsverbrechen, wie z.B. Völkermord, erwogen werden darf. Sonst ist und bleibt ein solcher Krieg eine Aggression. Das Recht auf Selbstverteidigung setzt einen tatsächlichen oder unmittelbar bevorstehenden Angriff voraus.

 

Hier entsteht ein Dilemma. Wenn „nur" eine vermutete Bedrohung existiert, ist nach dem Völkerrecht und der Lehre der Kirche ein Krieg zur Gefahrenvorbeugung nicht erlaubt. Wenn jedoch kein Druck ausgeübt wird zur Abwendung der Gefahr und wenn die Gegendrohung schwach bleibt, wird der Aggressor geradezu ermutigt (vgl. die Schwäche der europäischen Mächte gegenüber Hitler). Darum müssen Druck und Drohung, besonders wenn diplomatische und politische Mittel sich als unwirksam erweisen, glaubwürdig und nachhaltig sein. Aber deswegen darf es keine Eskalationslogik geben, die irgendwann zu einem Automatismus wird.

 

Es ist nicht Aufgabe der Kirche zu entscheiden, wann ein äußerster Fall gegeben ist, wo eine real existierende Gefahr eine Art international beschlossener Notwehr im Sinne einer militärischen Intervention erforderlich macht. Dies können und dürfen nur die zuständigen politischen Instanzen entscheiden. Sie stehen freilich unter den aufgezeigten ethischen Kriterien.

 

Es kommt also auch sehr auf den Zeitpunkt des Prozesses um Entspannung, um Druck und Drohung an. Man sollte sich jede Option für den Frieden offen halten, so weit dies nur möglich ist. Dies darf bei einer wirklichen Bedrohung auch nicht das Versprechen „friedlicher Alternativen" sein, wenn diese nur angekündigt werden, unklar bleiben und nichts bewirken. Vielleicht liegt die größte Schwierigkeit im jetzt vorliegenden Konflikt gerade auch der westlichen Partner bei aller Flexibilität darin, dass man sich von verschiedener Seite her zur Unzeit, viel zu früh „festgelegt" hat, als man dies vermutlich noch gar nicht konnte. Oder ist es „nur" der Ernst der realen Drohung und der Versuch der Vermeidung eines Krieges bis zum Äußersten?

 

Freilich, die Kirche kann nicht für eine radikalpazifistische Position vereinnahmt werden. Sie darf sich aber auch nicht instrumentalisieren lassen für die Unterstützung eines Krieges, der – wie gesagt – ein schwerwiegendes Übel darstellt. Manche scheinen mir nämlich nicht mit dem nötigen Ernst von den Folgen eines Krieges zu reden. Sie kennen offensichtlich – Gott sei Dank – einen Krieg und seine Konsequenzen nicht mehr. Ein künftiger Krieg ist noch viel schlimmer. Die Folgen für die Menschen nicht nur im Irak sind unabsehbar. Die Instabilität des Nahen Ostens wäre unberechenbar. Der internationale Terrorismus würde neue Nahrung finden.

Der Krieg ist kein Mittel zur Lösung anstehender Probleme. Er ist auch nicht die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Er wäre eine Tragödie für alle Beteiligten, auch und gerade für die in Verbindung mit ihnen stehenden Religionen. Die Welt wäre um eine große Hoffnung ärmer.

 

(c) Bischof Karl Kardinal Lehmann

Kirchenzeitung von März 2003

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz