Kraftvoll – lebendige Erinnerung bis heute

Vortrag beim Festakt der Deutschen Bischofskonferenz und der Diözese Würzburg am 21. November 2005 in Würzburg*

Datum:
Montag, 21. November 2005

Vortrag beim Festakt der Deutschen Bischofskonferenz und der Diözese Würzburg am 21. November 2005 in Würzburg*

Es ist ein guter Brauch, dass wir in einem nicht verabredeten, aber sinnvollen Modus die jeweils 10-jährige oder auch 25-jährige Wiederkehr vor allem des Abschlusses großer kirchlich bedeutsamer Versammlungen eigens begehen. So war es in den 40 Jahren seit dem Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils am 8. Dezember 1965, dem Ende der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland am 23. November 1975 und der Abschlusssitzung der Pastoralsynode der Katholischen Kirche in der (ehemaligen) DDR. Wir müssen uns, wie schon bei früheren Konzilien, die Beschlüsse jeweils wieder neu aneignen. Es ist dabei nicht nur eine Wiederholung des immer Gleichen, sondern wie bei Wachstumsringen und Spiralen schreiten wir, manchmal unmerklich, fort, auch wenn es um dieselbe Sache geht.

I.

Wer vom „Konzil“ spricht, darf nicht nur auf die vier höchst eindrucksvollen Jahre 1962 bis 1965 schauen. Freilich war dies der Höhepunkt: das Zusammentreffen von 2.400 Konzilsvätern aus aller Welt, die stürmischen Ereignisse vom Oktober und November 1962, die 2.200 Konzilsreden, die 500 Abstimmungen und die 16 verabschiedeten Dokumente. Die Beobachter und Delegierten der nicht-katholischen Kirchen spielten – auch ohne Stimmrecht – eine große und einflussreiche Rolle als Katalysatoren in einem umfassenden Gespräch. Es genügt auch nicht, an die unerwartete Konzilsansage durch den unvergesslichen Papst Johannes XXIII. am 25.01.1959 in St. Paul vor den Mauern zu denken. Heute sehen wir deutlicher, dass der Gedanke an ein solches Konzil schon länger sich immer wieder rührte. Aber die Zeitläufe waren der früheren Durchführung nicht günstig gesonnen.

40 Jahre danach erkennen wir auch, dass es in vielen Bereichen den schroffen und manchmal grobschlächtigen Unterschied von „vorkonziliar“ und „nachkonziliar“ so nicht gibt. Denn gerade die große Theologie und die umfassenden Bewegungen zur Erneuerung der Liturgie und des Laienapostolates, genährt durch eine vertiefte Kenntnis der Bibel, haben schon seit den 20er Jahren langsam einen Aufbruch geschaffen, ohne den das Konzil schlechthin nicht denkbar ist. Dass das Konzil trotz aller Auseinandersetzungen am Ende so einmütig begrüßt wurde, setzt eine lange intellektuelle und spirituelle Bereitung voraus, die freilich ohne das unverfügbare Wehen des Gottesgeistes nicht verständlich ist. Darum können auch heute noch viele Impulse aus der Zeit vor Konzilsbeginn origineller und schöpferischer sein als manches, was sich nach Konzilsende bis heute so ausgibt. Wir sind auch sensibler geworden, dass man sich nicht zu unbesehen auf Konzilstexte in globaler Weise berufen kann. Man hat keine Angst vor einer Erneuerung und will auch das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen, wenn man das Zweite Vatikanische Konzil bei allen frischen und manchmal auch umwälzenden Impulsen in Verbindung bringt mit den übrigen Konzilien und der kirchlichen Tradition. Wir würden uns selbst ärmer machen, wenn wir an ihren großen Schätzen vorbeigehen würden.

Was ist im Konzil eigentlich geschehen? Wo sind die Schlüsselereignisse? Im Mittelpunkt des konziliaren Geschehens standen die drei großen Felder: die innerkirchliche Erneuerung, die ökumenische Annäherung und das gewandelte Weltverhältnis. Die 16 Dokumente lassen sich auf diese Bereiche verteilen: Grundvollzüge im Leben der Kirche, neue Beziehungen zu den übrigen christlichen Kirchen sowie zu den Weltreligionen und erneuerte Sendung in die Welt hinein. Dabei standen vor allem folgende Themen im Vordergrund: Würde der menschlichen Berufung, Rang der menschlichen Person und ihrer personalen Rechte, Ehe und Familie, Kultur und Fortschritt, soziale und ökonomische Fragen der Völkergemeinschaft und nicht zuletzt der Frieden in der Welt.

Was war aber nun maßgebend geworden, um auf diesen drei Feldern sach- und zeitgerechte Aussagen zu machen, die auch eine gewisse innere Einheit aufweisen? Es sind wohl zwei Leitideen, die einen beherrschenden Einfluss hatten: Dienst und Dialog .

Dienst ist nicht bloß eine Beschreibung der letzten Zielsetzung des kirchlichen Amtes, sondern ist zuvor eine Grundkategorie im Verständnis des Handelns der Kirche in der Welt. Die Kirche ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern besinnt sich auf ihre ureigene Aufgabe, „Instrument“ des Heils für die ganze Welt zu sein. Dieser Dienst kann nur Früchte bringen, wenn ein unheilvoller Gegensatz zwischen dem Amt und den Laien überwunden wird, selbstverständlich ohne den jeweils eigenen Auftrag preiszugeben.

Das zweite Stichwort heißt Dialog. Dialog ist niemals als harmlose Weltverbrüderung und naives Sichanpassen an die Welt gedacht. Dialog ist auch kein unverbindliches Gerede. Im Unterschied zum Wort „Gespräch“ dient der Dialog dem gemeinsamen Finden und Anerkennen der Wahrheit und ? dies ist nun das Wichtigste ? benutzt zu diesem Zweck auch institutionalisierte Verfahrensweisen. Ein Dialog ist also entschieden zielgerichtet und auf einen herzustellenden Konsens bezogen. Der Dialog strebt nach einer Einigung, die einem zuvor bestehenden Missverständnis oder einem Streit ein Ende macht, mindestens sucht er eine Verständigung, die aufgetretene Gegensätze ausgleicht. Dabei können auch problematisch gewordene Geltungsansprüche zum Thema gemacht und auf ihre Berechtigung hin untersucht werden. Diese durch Argumentation gekennzeichnete Form der Kommunikation wird im neueren philosophischen Denken auch „Diskurs“ genannt. „Dialog“ ist etwas weiter gefasst, hat aber eine ähnliche Struktur. Er zielt auf eine Einigung in einer strittigen Sache, wobei es nicht zuletzt um die solide Haltbarkeit eines erreichten Konsensus geht, damit der Streit nicht bei nächster Gelegenheit wieder ausbricht. Andere Formen des Gesprächs haben eine lockere Fügung, sind direkt auf die Sache bezogen, wobei sich die angestrebte Einigung mehr auf verborgene Weise vollziehen kann. Der Dialog verläuft, wenn er sich selbst recht versteht, nach den Prinzipien des Findens der Wahrheit und der Wahrung der Freiheit. Im gemeinsamen Dialog hat jeder Teilnehmer gleiche Chancen. Das Gespräch gelingt nur durch die Antizipation, „dass beide Parteien auf der Ebene grundsätzlicher Gleichberechtigung und Freiheit in voller Offenheit miteinander zu sprechen bereit sind. Das erfordert nicht nur, dass derjenige, der es eingeht, diese Voraussetzungen bei sich selber realisiert, sondern das hängt auch davon ab, ob der Partner auf ein unter diesen Voraussetzungen geführtes Gespräch einzugehen bereit ist. Das Eingehen des Gesprächs ist also immer ein Wagnis und erfordert von den Beteiligten Mut und Überwindung der natürlichen Selbstbezogenheit.“ Äußere Überlegenheit und der Zwang des Mächtigeren dürfen bei der Wahrheitsfindung des Dialogs keine Rolle spielen. Wer sich auf einen Dialog einlässt, muss ferner ein gewisses symmetrisches Verhältnis von Hören und Sprechen zu wahren wissen und auf jede Form von „Gewaltanwendung“ außer der Kraft der Argumente verzichten. Damit ein solcher Dialog überhaupt gelingen kann, muss eine hohe Solidarität vorausgesetzt werden. Ein wirklicher Dialog ist also recht anspruchsvoll, wird allzu leicht verletzt und gelingt darum gar nicht so oft, wie man vielleicht denkt.

II.

Dienst und Dialog als Vollzugsweisen des Kircheseins kreisen nicht um sich selbst. Sie verdoppeln nicht einfach das, was die Welt schon selber weiß. Sie bringen eine eigene Botschaft. Wir nennen heute mit einem biblisch?theologischen Grundbegriff den Inhalt und auch die Form der Vermittlung dieser Botschaft „Evangelium“. Das Evangelium ist „die Einladung zum Glauben an Gottes geschichtliche Nähe in Jesus Christus. Diese Einladung ergeht in der Botschaft der Bibel und hat als solche heilschaffende Kraft. Es ist eine Botschaft, die dem Menschen Heil und Glück, Ganzheit und Vollendung bringen kann. „Evangelium“ ist nicht die Chiffre für ideologische Wünsche und Forderungen einzelner, ja ganzer Gruppen oder des Zeitgeistes. Das Evangelium von der rettenden Nähe Gottes ergeht in Jesus Christus, dem „treuen Zeugen“ des Vaters. In ihm, dem Sohn, ist grundsätzlich alles gesagt, was Gott dem Menschen von sich selbst enthüllt und mitteilt. Es ist die Botschaft von einem Gott, der voll und ganz, nicht mehr überholbar und reuelos, in unsere Geschichte eingetreten, selbst geschichtlich geworden ist. Das Evangelium ist die wirkmächtige und befreiende Botschaft Gottes selbst, sodass es nicht in seiner Kraft entleert wird, wenn es in unsere endliche, sterbliche Wirklichkeit kommt. Darum ist es auch ein heilschaffendes Wort, das nicht nur in diesem Leben gilt, sondern das in Jesus Christus durch den Abgrund des Todes gegangen ist und durch den Sieg über den Tod in der Auferstehung für alle Situationen des Lebens und des Sterbens einen letzten Halt bietet. Diese Botschaft behält Gottes Kraft, auch wenn sie in unsere Schwachheit kommt und die Welt zu durchdringen sucht.

Dieses Evangelium ist zu allen Menschen gesagt. Es lebt zwar in der Kirche und hat hier so etwas wie eine angestammte Heimat . Hier wird es elementar gehört und bewahrt, verkündigt und ausgerichtet. Aber das wirkmächtige Wort des Heils soll an alle gehen. Die Einladung ist unbeschränkt. Eine andere Sache ist es, wer diese Einladung Gottes wirklich im Leben annimmt. Es liegt auf der Hand, dass die Kirche, auch wenn sie die angestammte Heimat des Evangeliums ist, sich mit diesem nicht einfach deckt. Das Evangelium ist selbst auch das Maß für die Kirche, der kritische Maßstab, an dem sie selbst gerichtet wird. So wird es bis zur Vollendung der Welt ein stetiger Prozess sein, dass die Kirche über sich hinausgeht und immer wieder allen Menschen diese Frohbotschaft verkündet. Kirche gibt es nur unter diesem Auftrag und in dieser Sendung, das Evangelium allen Menschen zu verkünden, es unter die Leute zu bringen. Man kann von der Kirche nicht reden, ohne sie als Botin und Zeugin des Evangeliums für alle Welt darzustellen; man kann aber auch vom heilschaffenden Wort Gottes nicht reden, ohne die Kirche als konkret verantwortliche Trägerin dieser Botschaft im Auge zu behalten. „Evangelium“ ist dabei ein Grundwort des Alten und des Neuen Testamentes. Es soll frohmachen und befreien, nicht Angst einjagen und knebeln. So ist deutlich geworden, in welch hohem Maß „Evangelium“ die wahre Gabe des christlichen Glaubens darstellt. So versteht sich nun auch der fundamentale Zusammenhang von „Evangelium“ und „(Neu)-Evangelisierung“ besser.

Das Evangelium ist also das, worum sich alles dreht. Letztlich ist es in der Person Jesu Christi begründet und bezeugt zugleich die von ihm der ganzen Welt mitgeteilte Botschaft. Dienst und Dialog sind die Weisen, wie das Evangelium in die Welt kommt. Das Evangelium hat also grundlegend etwas mit Dienst und Dialog zu tun: Es ist ganz und gar Dienst an dem, was als verloren gilt und gerettet werden soll; es ergeht besonders wirksam im Dialog mit der Welt. Der Dialog ist nicht die einzige Form, in der das Evangelium wirksam wird. Dies kann auch anders geschehen: durch eine Mahnung, ein Lied, die Klage, die Erzählung, ein Protest, einen Befehl ... Aber ganz gewiss ist der Dialog eine besonders ausgezeichnete Weise, wie das Evangelium seine Adressaten erreicht. Der Dialog wurzelt bereits im Geheimnis der Menschwerdung: Gott selbst tritt als das in die Geschichte gesandte Wort in die Welt ein. Wie Jesus Christus sich den Mächten dieser Welt aussetzte und gar auslieferte – das Wagnis des Dialogs annehmend –, ähnlich muss sich die Kirche der ihr entfremdeten Welt stellen und sich mit ihr in liebendem Streit auseinander setzen. Anders kann man die Mauern der Trennung und des Missverständnisses nicht durchstoßen. „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab ... Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird“. Darauf zielte alles konziliare Geschehen: alle subtile Theologie, alle Institution, alle heilige Liturgie, alle mutige Mission.

III.

Die Kirchen in aller Welt haben nach dem Konzil versucht, diesen Aufbruch durch eine lebendige Vergegenwärtigung ins Heute (aggiornamento) jeweils auf ihrem geschichtlichen und kulturellen Boden aufzunehmen und zu übersetzen. Ich erwähne nur das eindrucksvolle, einmalige Erwachen der lateinamerikanischen Kirche in Medellin 1968 und die Synoden vor allem der deutschsprachigen Länder zu Beginn der 70er Jahre. Darauf ist noch zurückzukommen. Schließlich wäre das immense Reformwerk vor allem von Papst Paul VI. zu erwähnen. Heute sehen wir deutlicher als früher, dass dieser große und noch weithin in seiner Bedeutung unterschätzte Papst mutig die erneuernden Impulse von Johannes XXIII. als sein eigenes geistliches Erbe aufnahm und in unzähligen Bemühungen, in erstaunlich kurzer Zeit und insgesamt mit einem guten Erfolg die vielen Anstöße des Zweiten Vatikanischen Konzils für das Leben der Kirche in konkrete Münze umzuformen versuchte. Wir sehen heute auch deutlicher, wie die damals vorwiegend engagierte Generation von Theologen und Experten in vieler Hinsicht eine gründliche Arbeit leistete, die nur durch eine tiefe kirchliche Einstellung möglich wurde.

Freilich haben wir dabei auch gelernt, dass wir das Konzil mit seinen konkreten geschichtlichen und gesellschaftlichen Bedingungen verstehen müssen. Es gibt nicht das chemisch reine Konzil, das die christliche Botschaft keimfrei - gleichsam vakuumverpackt - anbieten könnte. Die Konzilstexte zeugen bei näherem Zusehen selbst von vielen tiefen Schichten, mehrdeutigen Anspielungen und Aufgabenbeschreibungen; viel mehr, als dass sie einfach fertige Lösungen dokumentieren. Sie stehen selbst in der Spannung von Kirche und Welt.

Deshalb gibt es auch nicht einfach die „Folgen“ des Konzils allein. Vieles, was schon lange im Untergrund rumorte und nach Antworten verlangte, schoss nun an das Tageslicht. Die „Schleifung der Bastionen“ (Hans Urs von Balthasar) setzte viele verdrängte Probleme frei. Neue einschneidende gesamtgesellschaftliche Wandlungen im Gefolge der Ereignisse der Kriege in Vietnam und Biafra, des Einmarsches der Russen in die Tschechoslowakei und der Studentenunruhen des Jahre 1968 zerstörten ziemlich rasch eine etwas naive Konzilseuphorie auf allen Seiten und stellten Fragen, zu deren Beantwortung kein Repertoire zur Verfügung stehen konnte.

Niemand wird Ein- und Umbrüche in der Kirche dieser Zeit leugnen können. Viele sind verunsichert worden. Manche Disziplin ist rasch verloren gegangen, aber offenbar war sie auch schon innerlich labil und in Krisen nicht mehr tragfähig genug (vgl. das Bußsakrament). Wir dürfen auch nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass manche Krisen Symptome der nachkonziliaren Zeit schon zurückreichen in die 50er und den Beginn der 60er Jahre: z.B. Schwächung der Verbände, Rückgang der geistlichen Berufungen, Verminderung der Reichweite katholischer Presse, Identifikationsschwierigkeiten vieler Kirchenmitglieder. Es gab schon länger eine Erosion von Grundüberzeugungen, die wir offensichtlich nicht rasch merkten.

Aus heutiger Sicht erkennen wir auch, dass manche unfruchtbaren Grabenkämpfe – ich rede bewusst einmal mit Schlagwörtern – zwischen Progressivisten, die sich wenig um verbindliche Inhalte kümmerten, und Traditionalisten, die sich wenig um die Gegenwartnähe der Kirche sorgten, dem Konzil in gleicher Weise geschadet haben. Gesichtslos gewordene Anpasser und unglückselige Bewahrer haben die Aufgabe des Konzils verstellt. Jeder wirklich mit der Realität der Kirche Vertraute kann viele Defizite und enttäuschte Hoffnungen aufzählen. Vieles wurde auch als Aufgabe wieder rasch vergessen, wie z.B. die Aussagen zum Atheismus. Einer der eindrucksvollsten Konzilstexte, die dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung, hat in der größeren Öffentlichkeit der Kirche und auch der Theologie wenig bewirkt. Die Kapitel IV bis VIII der Kirchenkonstitution werden wenig zitiert. Aber wir spüren in diesen Wochen und Monaten 40 Jahre nach dem Konzilsende, wie hilfreich und uneingelöst auch heute noch manche Texte sind.

Wir haben heute für das Verständnis der Texte viele wertvolle Hilfsmittel. Ich denke an die Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils, herausgegeben von Giuseppe Alberigo, deren italienische Ausgabe in fünf Bänden vollständig vorliegt (Bologna, 1995-2001). Es gibt auch Übersetzungen in englisch, französisch, spanisch, portugiesisch, russisch und deutsch (bisher drei Bände). Wichtige Konzilsväter und Theologen haben ihre Tagebücher veröffentlicht und geben damit Einsicht in manche unbekannten Details, so z.B. Y. Congar. Die Tagebücher von H. de Lubac und O. Semmelroth werden für eine Veröffentlichung vorbereitet. Manche Kenner der Situation in manchen Bereichen der Kirche versuchen eine Bilanz. Viele Kongresse und Symposien mit internationalem Charakter haben sich um einige Konzilstexte bemüht, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. So z.B. die Erklärung zur christlichen Erziehung „Gravissimum educationis“, die Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“, die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“, das Dekret über den Ökumenismus „Unitatis redintegratio“, die Konstitution über die heilige Liturgie „Sacrosanctum Concilium“, das Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche „Ad gentes“ und das Dekret über die zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens „Perfectae caritatis“. Große Anerkennung verdienen die Herausgeber und Autoren des Werkes „Herders theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil“. Dieser vierbändige Kommentar mit einer überarbeiteten Übersetzung der Texte – sie hat sich den Namen Studienausgabe gegeben – enthält auf insgesamt ca. 3.500 Seiten eine Kommentierung der Konzilstexte, die dankbar auf die bald nach Konzilsende erschienenen Kommentare der großen Zeitzeugen des Konzils zurückgreift, aber auch sehr sorgfältig die Texte im Lichte der Wirkungsgeschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils für unsere Gegenwart und nächste Zukunft auslegt. Es ist auch ein eindringliches Beispiel dafür, dass auch eine jüngere Theologengeneration, die selbst nicht mehr am Entstehen der Texte beteiligt war, sich heute die Dokumente von damals authentisch und verbindlich, historisch verlässlich und zugleich gegenwartsbezogen aneignet.

Nicht zuletzt darum haben wir auch genügend Grund, nach 40 Jahren dankbar von den vielen Errungenschaften zu reden, die wir durch das Konzil erhalten haben. Was wäre denn die Kirche heute ohne die im Ganzen erstaunlich gelungene Erneuerung des Gottesdienstes und der Sakramente , ohne die ökumenische Annäherung der Christenheit, ohne das Friedensethos des Konzil, ohne das Erwachen so vieler ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in sehr vielen Gemeinden, ohne das neue Leben in vielen geistlichen Bewegungen, Gemeinschaften und auch Orden? Denen, die in der Arbeit der nachkonziliaren Räte nur Wichtigtuerei sehen, muss man mit allem Freimut widersprechen. Man muss den Mut haben, die ganze Wahrheit zu sehen. Wer auf die Dauer immer nur die halbe Wahrheit behauptet, verfälscht die ganze Wirklichkeit. So muss man auch nüchtern fragen, warum wir uns oft so entmutigen ließen. Es ist immer wieder eine Gewissenserforschung in Sachen „Konzilsrezeption“ notwendig.

Auch und gerade nach 40 Jahren seit dem Abschluss des Konzils, wollen wir uns in aller Eindeutigkeit zu diesem Konzil, freilich auch zu den Aufgaben, die es uns hinterlassen hat, bekennen. Wir sagen uneingeschränkt Ja zu diesem Konzil: zu seinem Geist, den man allerdings nicht ohne die buchstäbliche Mühe um die Texte und ihren Sinn gewinnen kann; zum ganzen, unverkürzten Konzil mit allen seinen Dimensionen und Schattierungen; auch zu den Problemen, den noch aufzulösenden Knoten, den Aporien, dem Unvollkommenen und auch zu den Lücken. Dabei steht das Wort „Konzil“ für zwei Dinge zugleich: die in mühseliger Auseinandersetzung gewonnenen und mit fast unvorstellbar hoher Zustimmung verabschiedeten Aussagen und das geistliche Ereignis dieser Kirchenversammlung, das einen eigenen Stil des Miteinander-Umgehens in der Kirche ausprägte. Konzil – das ist diese umfassende und begeisternde, nüchtern-heilige Wirklichkeit, kein bloßer Deckname für unsere eigenen Wünsche und Projektionen. Zu diesem Konzil, 40 Jahre nach dem Ende auch im Lichte seiner Wirkungsgeschichte neu gelesen, sagen wir ein vorbehaltloses Ja. Dabei wissen wir, dass kein großes Konzil schlagartig und problemlos in der Geschichte der Kirche verwirklicht werden konnte. Auch ein vom Geist Gottes geführtes Konzil kann die Signatur der Endlichkeit, Begrenztheit und Brüchigkeit des menschlichen Lebens nicht abstreifen. Um wie viel mehr gilt dies erst Recht für die Geschichte seiner Rezeption! Es darf uns nicht wundern, dass hier Fremdeinflüsse die Anstöße des Konzils überlagern können, partielle Fehlentwicklungen möglich sind und also Überprüfungen sowie Korrekturen des eingeschlagenen Kurses notwendig werden können. Es ist nicht übertrieben, wenn der italienische Bischof Luigi Bettazzi, Bischof von Ivrea und Teilnehmer des Konzils, ein kleines Buch mit dem Untertitel „Pfingsten unserer Zeit“ versieht. Dabei darf man sich gewiss nicht einfach ausruhen. M.-D. Chenu OP sagte schon vor 30 Jahren in einem berühmten Interview, das nun auch in deutscher Sprache vorliegt: „Wenn meine Diagnose zutrifft, wenn das Konzil wirklich prophetisch ist, dann gilt es, jetzt nicht nur seine Aussagen zu kommentieren oder seine Weisungen anzuwenden. Es ruft zu einer radikalen Anstrengung auf, zu einer geschärften Wachsamkeit für das Werden des Menschen und der Welt, zu einer Anstrengung permanenten Forschens, der Findung und Erfindung um der geschichtlichen Struktur des Christentums selbst willen, nicht aus Opportunismus, nicht aus Geschicklichkeit, sondern weil und insofern das Christentum ein Gebilde in der Kirche ist.“

IV.

In wenigen Tagen, nämlich am 23. November, werden es 30 Jahre sein, dass die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland – wir nennen sie auch mit einer Kurzformel die Würzburger Synode – ihren Abschluss gefunden hat. Die Gemeinsame Synode war der Versuch, das weltkirchliche Ereignis des Zweiten Vatikanischen Konzils in unserer deutschen Situation konkret gegenwärtig zu machen. Einzelne Diözesen, wie z.B. Hildesheim und Wien, hatten dies schon auf ihre Weise versucht. Schon vorher hatte das Niederländische Pastoralkonzil auf der Ebene eines Landes eine solche Umsetzung versucht (6 Vollversammlungen von 1966 bis 1970). Die eindrücklichste Einwurzelung des Konzils – ich habe es schon gesagt – geschah jedoch wohl bei der Zweiten Lateinamerikanischen Bischofsversammlung von 1968 in Medellin.

Man muss dies deutlich herausstellen, um den Aufbruch nach dem Konzil nicht zu vergessen, der in vielen Ländern stattgefunden hat. Die deutschsprachigen Kirchen in Mitteleuropa haben diesen Grundimpuls der spezifischen Umsetzung aufgegriffen. So kam es in recht unterschiedlicher Form und Struktur zu den Synoden in Österreich, in der Schweiz, in der ehemaligen DDR und auch in der Bundesrepublik Deutschland. Wenn wir in diesen Tagen die 30. Wiederkehr begehen dürfen, haben wir zugleich das immer noch fast unglaubliche Glück, in einem nun vereinigten Deutschland auch den Abschluss der Pastoralsynode der Katholischen Kirche in der DDR, kurz auch Dresdener Pastoralsynode, mitbegehen zu können.

Wir wollen nicht zuviel zurückschauen. Aber ein wenig lebendige Erinnerung tut gut. In wenigen Monaten des Herbstes 1968 und Winters 1969 hatte die Bischofskonferenz die Forderung drängender Kräfte nach einer solchen Synode, die sich besonders auf dem Essener Katholikentag im September 1968 formierten, aufgegriffen. In kurzer Zeit war man sich einig, dass man in dieser gärenden Zeit nach dem Konzil endlich ein wirkungsvolles Instrument braucht, um die vorwärtsdrängenden, spannungsvollen und kritischen Ideen zu sammeln und gemeinsam zu klären. Man musste Neuland betreten, um eine Struktur mit dem Apostolischen Stuhl abzustimmen, die der Synode insgesamt und damit auch den Laien ein beschließendes Stimmrecht zuerkannte, ohne die Verantwortung des bischöflichen Amtes auszuhöhlen. Die Bischofskonferenz hatte sich im Februar 1969 zu einer solchen Synode entschlossen – ein ungewöhnlich rascher und klarer Beschluss. In knapp zwei Jahren konnte die erste Sitzungsperiode stattfinden, welche die Synode erst richtig arbeitsfähig machte (Konstituierende Sitzung vom 3.-5.Januar 1971). In acht Sitzungsperioden von ca. vier Tagen wurden in jeweils mindestens zwei Lesungen 18 Synodenbeschlüsse verabschiedet; sechs Arbeitspapiere wurden mit der Autorität der insgesamt zehn Sachkommissionen abgeschlossen und mit Zustimmung der Zentralkommission veröffentlicht. Beide Bände der Offiziellen Gesamtausgabe der Synode mit insgesamt 1200 Seiten konnten in den Jahren 1976 und 1977 der Öffentlichkeit übergeben werden.

Die einzelnen Beschlüsse hatten gewiss ein unterschiedliches Schicksal. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass viele Beschlüsse in diesen 30 Jahren Geschichte gemacht haben. Das Bekenntnis der Synode „Unsere Hoffnung“ wird auch heute noch oft als nachdrückliches Zeugnis des Glaubens in unserer Zeit zitiert. „Der Religionsunterricht in der Schule“ hat aus einer sehr verworrenen religionspädagogischen Diskussion herausgeführt und ist auch heute noch in vielem wegweisend. „Christlich gelebte Ehe“ formuliert auch heute noch eindrucksvoll die Grundlagen und die uns immer noch bedrängenden Probleme. Die Beschlüsse über die pastoralen Dienste in der Gemeinde und die pastoralen Strukturen haben die Planungen und nicht zuletzt die neueren pastoralen Berufe bis heute geprägt. Die Beschlüsse über den Gottesdienst und die Sakramentenpastoral, über die Jugendarbeit sowie die Orden und die Geistlichen Gemeinschaften, über die Ökumene und den Missionsauftrag sind durchaus noch lesenswert. Der Beschluss „Kirche und Arbeiterschaft“, der lange heiß umstritten war, erwies sich wie ein reinigendes Gewitter zur Klärung von Störungen in der Vergangenheit und zur Gewissensschärfung in der Gegenwart. Ich bin auch heute noch der festen Überzeugung, dass die gemeinsam gefundenen Grundsätze zur „Verantwortung des ganzen Gottesvolkes für die Sendung der Kirche“ in der Substanz heute noch hilfreich sind für die Beteiligung aktiver Mitglieder aus unserer Kirche für das Leben in den Gemeinden, Diözesen und auch das Wirken der Kirche in unserem Land. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken gibt selbst Zeugnis davon. Ich hoffe nicht, dass wir diese Einheit, die den einzelnen Bistümern noch genügend Freiheitsgestaltung gibt, verlieren.

Manche Beschlüsse, die weit in den gesellschaftlichen und politischen Raum hineinreichen, wie z.B. die Aussagen über die ausländischen Arbeitnehmer, zu Entwicklung und Frieden sowie zur kirchlichen Verantwortung im Bildungsbereich, lassen im Abstand von 30 Jahren stärker den geschichtlich bedingten Standort erkennen, aber es lohnt sich, sie heute wieder in die Hand zu nehmen. Von den sechs Arbeitspapieren sind mindestens drei impulsgebend und weiterführend: das katechetische Wirken der Kirche, Sinn und Gestaltung menschlicher Sexualität und: Aufgaben der Kirche in Staat und Gesellschaft. Ich habe früher schon zentrale Perspektiven der Synodenbeschlüsse formuliert. An anderer Stelle habe ich vier Hauptfelder genannt, auf denen die Synode vor allem gearbeitet hat:

I.Der Grundauftrag der Kirche Jesu Christi

II.Die Erneuerung aller Charismen, Ämter und Strukturen für einen besseren gemeinsamen Dienst am Glauben

III.Der Einsatz der Kirche für die Menschen in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen

IV.Die Sorge um die Einheit der Kirche sowie um ihre weltweite Sendung und Verantwortung

In einer Hinsicht war der Abschluss vor 30 Jahren weniger günstig. Wenn Vorschläge gemacht worden sind, die wegen des weltkirchlichen Gesamtcharakters nicht von einer teilkirchlichen Synode beschlossen werden konnten, hat man Voten an den Apostolischen Stuhl verabschiedet. Das einzige Votum, das damals wirksam umgesetzt werden konnte, ist heute nicht mehr in der damaligen Gestalt in Kraft, nämlich der Beschluss zur Beteiligung der Laien an der Verkündigung. Aber es lohnt sich immer noch, sich mit dem Text zu beschäftigen. Die übrigen Voten sollten bei der Verabschiedung des neuen Kirchenrechtes, die im Jahr 1983 erfolgte, berücksichtigt werden, was leider nicht geschah. So quälen wir uns heute noch wenigstens mit einem wichtigen Beschluss herum, nämlich „Ordnung der Schiedsstellen und Verwaltungsgerichte“. Es ist wenigstens eine bleibende Mahnung, die uns auch nach 30 Jahren zeigt, dass noch nicht alles eingelöst oder gar erledigt ist. Aber auch hier ist in letzter Zeit noch etwas Wichtiges gelungen. Wir haben eine Kirchliche Arbeitsgerichtsbarkeit mit Zustimmung des Hl. Stuhls eingerichtet. Diese wäre nicht möglich ohne eine Reihe von Elementen, die auch die Fundamente einer Verwaltungsgerichtsbarkeit darstellen, so z.B. die Gewaltenteilung. Wir werden den kirchlichen Arbeitsgerichtshof auf der Ebene unseres Landes am 23. November, also genau 30 Jahre nach dem Abschluss der Gemeinsamen Synode, in Bonn formell errichten.

Die Pastoralsynode der Katholischen Kirche in der DDR war ganz anders strukturiert. Im Seitenschiff der Dresdner Hofkirche tagten 140 Synodalen unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit. Um der Freiheit der Synode willen hatte man manches Zugeständnis nach vielen Seiten hin gemacht, tatsächlich aber doch viele wertvolle Äußerungen vollbracht, die in mancher Hinsicht sogar noch ihre Zukunft haben könnten. Es ist die Synode des Mutes zum kleinen Weg. Es ist die Synode, die bescheiden zu finden versuchte, was die Gemeinden realisieren können. Der Glaube hat der kleinen Herde Mut gemacht, ohne Angst und mit Zuversicht in die Zukunft hineinzugehen. Man hat die Glaubensnot sehr ernsthaft aufgenommen. Viele Menschen haben in Jesus Christus und im Raum der Kirche einen Atemraum menschlicher Freiheit gewonnen und gefunden. Unvergessen ist ein Wort von Kardinal Bengsch in der Schlusspredigt: „Unsere jetzt abgeschlossene Synode enthält Daten, Fakten, Texte, Arbeit, Grenzen, wie jede andere in der Geschichte der Kirche und überall auf der Welt. Und danach wird man sie beurteilen, loben oder kritisieren, zum Material weiterer Arbeit machen. Aber unsere Schlussabstimmung sollte sein, dass wir sie der Gnade Gottes überliefern, aus der wir leben. Er kann Begonnenes vollenden, Geringes fruchtbar machen und Misslungenes heilen.“

Wir wollen jedoch nicht nostalgisch und weinerlich zurückschauen, auch wenn wir unsere guten Erfahrungen nicht vergessen wollen. Was trägt die Synode aus für unsere eigene Zukunft? Wo bleiben beide Synoden auch angesichts ihrer Unterschiedlichkeit vorbildlich? Warum wollen wir von dem geistlichen Ereignis Synode, das uns z.B. 32 Tage im Würzburger Dom fesselte, nicht lassen? Ich formuliere es mit wenigen Aktualisierungen wie in den letzten Jahren:

1.Wir wollen unaufhörlich dem Evangelium Jesu Christi vertrauen. Es ging bei der Synode gewiss auch sehr menschlich zu. Aber am Ende haben wir eigentlich doch immer wieder der Dynamik Gottes und stets wieder auf der Suche nach seinen Spuren in der gegenwärtigen Kirche und Gesellschaft ihm allein vertraut. Dafür waren die sorgfältig vorbereiteten Gottesdienste aller Art mit ihren Predigten und Meditationen ein unvergesslicher Rahmen, der alles umspannte und immer wieder zusammenführte. Wenn es manchmal bis zum Bersten angespannt war – ich denke an die Beschlussfassung zu „Christlich gelebte Ehe“ –, haben wir immer wieder bei allem Ringen und Streiten den versöhnenden Gottesgeist unter uns gespürt. Deswegen war es gut, dass wir im Würzburger Dom tagen durften. Das Haus Gottes hat uns nicht den Mut zur Auseinandersetzung genommen, aber uns immer wieder auf die wesentliche Mitte hin orientiert.

2.Wir haben uns nicht gegenseitig aufgegeben. Die Konflikte waren mitunter hart, auch zwischen einzelnen Personen. Aber es blieben keine Gräben zurück. Immer wieder wurde versucht, auch in der Meinung des Andersdenkenden ein Körnchen Wahrheit zu finden. In mehreren tausend Abänderungsvorschlägen zu Textentwürfen wurde Rücksicht aufeinander genommen, und oft wurde ein Konsens gefunden, der uns in die Weite der Wahrheit führte und uns von den manchmal auch eng geführten persönlichen Meinungen befreite. Die nüchternen Beratungen und der geistliche Vollzug des Glaubens stießen sich oft im Raum, aber dennoch hat das eine das andere befruchtet und belebt.

3.Wir konnten unseren Auftrag für die Gegenwart gemeinsam sagen und verbindlich aussprechen. Nach Abschluss der Gemeinsamen Synode schrieb ich aus dem ersten, frischen Rückblick in der Allgemeinen Einleitung zur Offiziellen Gesamtausgabe I: „Im gemeinsamen Beten und Feiern wuchs der Einzelne über alle partikulären Standpunkte immer wieder über sich hinaus und hinein in die größere Gemeinschaft der Kirche. Daraus entsprang wiederum ein neues Ethos der Sachlichkeit und der Friedfertigkeit. Hier war der Ort, wo sichtbar wurde, dass die Grundgesetze einer Synode bei aller Anleihe demokratischer Verfahrensweisen ihren Ursprung nicht zuerst dem Parlamentarismus und einem allgemeinen Demokratisierungspostulat, sondern ungeachtet sonstiger Differenzen dem gemeinsamen Auftrag zum Dienst am Glauben verdanken.“ Und dies ist wohl auch der Grund, warum die Synode als „geistliches Ereignis“ für alles, gerade auch für die Themenbehandlung und die Ergebnisse tonangebend blieb. Und so konnten wir trotz mancher Versuchung zu Formelkompromissen, der wir sicher auch da und dort erlegen sind, in einer Welt zunehmender Polarisierung und Individualisierung gemeinsam sprechen und so auch gemeinschaftliches Handeln vorbereiten.

Deshalb danken wir an diesem Tag zuerst Gott, der uns dieses Wunder des gemeinsamen Glaubenszeugnisses schenkte, und den beinahe vierhundert Synodalen und Beratern, die dieser Synode viel Zeit schenkten. Unvergesslich steht die Gestalt des Präsidenten der Gemeinsamen Synode vor uns, Julius Kardinal Döpfner, der ein halbes Jahr nach dem Abschluss der Synode zu früh starb, und dessen 30. Todestag wir in dankbarer Erinnerung im kommenden Jahr begehen. Ich denke aber auch an seinen Berliner Nachfolger, Alfred Kardinal Bengsch, Präsident der Dresdner Pastoralsynode, den Gott im Dezember 1979 zu sich rief. Viele Synodalen und Berater der damaligen Zeit haben uns verlassen. Ich nenne nur aus dem Präsidium Bischof Bernhard Stein und Mons. Henry Fischer, von den Synodalen Ida Friederike Görres und Karl Rahner, Franz Böckle und Hans Werners, nicht zu vergessen den ersten Sekretär Karl Forster und die unvergesslichen Bischöfe Franz Kardinal Hengsbach und Klaus Hemmerle. Schließlich wollen wir nicht vergessen, dass der heutige Nachfolger Petri, Papst Benedikt XVI., entsendet durch die Deutsche Bischofskonferenz – wenn auch für kurze Zeit –, Mitglied der Gemeinsamen Synode war.

Würden wir noch einmal eine Synode machen? Für meine Person möchte ich mit einem differenzierten Ja darauf antworten. Die synodale Praxis ist ja auch in der Gestalt von Diözesansynoden und pastoralen Foren nicht eingeschlafen. Man müsste schon eine ähnlich Form finden wie in Würzburg vor 30 Jahren. Es könnten vielleicht weniger Mitglieder, aber auch weniger Themen sein. Ich will damit nicht im Stil mancher Äußerungen der letzten Jahre zu einer neuen Synode aufrufen. Ich weiss im Übrigen auch aus den Jahren 1968 – 1977, den ersten Überlegungen bis zum endgültigen Erscheinen der zweibändigen Offiziellen Gesamtausgabe, wie viel Zeit und Kraft das Ganze gekostet hat. Aber wir haben Grund in der Sache offen zu bleiben. Überlassen wir dies dem Wehen des Geistes in der Zukunft. Wir jedenfalls dürfen in der lebendigen Erinnerung zuversichtlich sein.

Inzwischen haben wir gewiss einen Grundzug, der schon beim Konzil, noch ein wenig stärker bei der Gemeinsamen Synode spürbar war, außerordentlich verstärkt, nämlich das missionarische Bewusstsein der Kirche. Viele Dokumente der letzten Jahre geben davon Zeugnis. Karl Rahner sagte dazu 1966 bei einem Kolloquium in Paris: „Die Theologie von heute und morgen muss eine Theologie des Dialogs mit den Menschen sein, die meinen, nicht glauben zu können, sie muss daher in ganz neuer Anstrengung und radikaler Ehrlichkeit darüber nachdenken, was sie eigentlich meint und wie sie es sagen muss, wenn sie von Gott und Christus spricht.“

Schließlich möchte ich das letzte Wort Julius Kardinal Döpfner überlassen, der in seiner Predigt am 11. Mai1975 sagte: „’Damit er (der Sohn) allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben schenkt.’ (Joh 17,2) Die Menschen gehören also nicht uns, sondern dem Vater. Alle Eingrenzung und Erfolglosigkeit unserer apostolischen Sendung steht im Geheimnis der Erwählung des Vaters, über die wir nicht verfügen. Wie macht uns das demütig, gelassen, geduldig in unserem nach dem Beispiel Christi sich verzehrenden Dienst an den Menschen. Wir machen keine eigene Eroberung, sondern verherrlichen den Vater durch unseren Dienst.“

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

Redemanuskript: Im Original sind eine Reihe von Fußnoten und Literaturangaben vorhanden.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz