Laudatio für Professor Dr. Erich Zenger bei der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille im Rahmen der Zentralen Eröffnungsfeier der Woche der Brüderlichkeit 2009 am 1. März 2009 in Hamburg

Datum:
Sonntag, 1. März 2009

Unter den Christen und erst recht Theologen, die Träger der Buber-Rosenzweig-Medaille sind[1], gibt es nun mit Professor Dr. Erich Zenger von der Universität Münster einen katholischen Alttestamentler, der in unserem Land schon seit 1972, zuerst in Eichstätt, ein Jahr später in Münster, Altes Testament lehrt. Freilich wäre er heute kein Preisträger, begrenzte sich seine Tätigkeit auf diese wichtige wissenschaftliche Einzeldisziplin. Aber sie ist die Basis für Zengers Rolle im jüdisch-christlichen Dialog.

Erich Zenger, vor bald 70 Jahren in Dollnstein (Oberbayern) geboren, hat ein sehr breites und gediegenes Studium der Philosophie, Theologie und Orientalistik in Rom, Jerusalem, Heidelberg, Münster und Würzburg absolviert. Er ist ein Gelehrter für das Alte Testament, der nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil dieses Fach über den deutschen Sprachraum hinaus maßgeblich geprägt hat und der seit Jahrzehnten in vorderster Reihe ein einzigartiger Vertreter des christlich-jüdischen Dialogs auf vielen Ebenen ist.

Erich Zenger ist zunächst durch und durch der alttestamentlichen Wissenschaft verpflichtet. Mit über 25 Buchpublikationen hat er eine reiche Ernte vorzulegen. Gehörte von Anfang an der Entstehung und der Theologie der fünf Bücher Mose, des Pentateuch, seine ganze Aufmerksamkeit, so hat er in den letzten 20 Jahren der Psalmenforschung einen großen Teil seiner Arbeitskraft geschenkt und legt in der von ihm herausgegebenen Reihe „Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament" zusammen mit Frank-Lothar Hossfeld einen auf vier Bände hin konzipierten Kommentar zu den Psalmen vor, der schon vom Umfang und der aufgearbeiteten Literatur her seinesgleichen sucht: die beiden bereits erschienenen Bände zu den Psalmen 51 bis 150 haben über 1600 Seiten. Der dritte Band zu den Psalmen 1 bis 50 ist derzeit in Arbeit. Von den zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen nenne ich nur noch die von ihm herausgegebene, bereits in siebter Auflage vorliegende und mehrfach übersetzte „Einleitung in das Alte Testament". Sie ist ein herausragendes Standardwerk geworden und wurde immer wieder aktualisiert und erweitert. Unnötig zu erwähnen, dass viele wissenschaftliche Arbeiten wie ein Kranz diese großen Bemühungen begleiten, vor allem zu den Büchern Genesis, Exodus, Levitikus, Ijob, Judit, Ruth, Jesaja und Hosea.

Der Ruf Erich Zengers beruht aber auch auf seiner Fähigkeit, die Schriften des Alten Testamentes mit dem ganzen heute möglichen Wissen im Blick auf ihre existentielle, gesellschaftliche und kirchliche Bedeutung eindrucksvoll und einleuchtend zu erschließen. Schon die Titel zeigen dies: Durchkreuztes Leben, Gottes Bogen in den Wolken, Die Zukunft der Welt liegt auch in unserer Hand, Mit meinem Gott überspringe ich Mauern, Ich will die Morgenröte wecken, Die Nacht wird leuchten wie der Tag, Dein Angesicht suche ich. Er drückt sich auch nicht vor harten Anfragen an das biblische Gottesbild, so z. B. wenn er in dem Buch „Ein Gott der Rache?" Verständnishilfe für die sog. Fluchpsalmen gibt. Immer wieder begeistert er seine Leser und hat in den 60 Semestern seiner akademischen Lehrtätigkeit unzählige Frauen und Männer, die Theologie studierten, angeleitet, in Predigt und Religionsunterricht viel stärker die Botschaft der ganzen Bibel zu vermitteln.

Überhaupt schafft Erich Zenger einen neuen Zugang zum Alten Testament. Dafür kämpft er von Anfang an. Seine Veröffentlichung „Das Erste Testament" (1. Auflage 1991, 5. Auflage 1995) ist eine leidenschaftliche Streitschrift (auf so etwas versteht er sich auch!) für eine Revision des oft ungeklärten Verhältnisses der Christen zu diesem Ersten Testament, das er als grundlegenden und eigenständigen Teil der christlichen Bibel verteidigt. Entweder, so beklagt er, wird das Alte Testament faktisch ignoriert, oder es wird nur selektiv gelesen und in gewisser Weise von den christlichen Themen her vereinnahmt. Er kämpft um das Erstgeburtsrecht des Alten Testamentes, das er lieber „Erstes Testament" nennt. Nicht zuletzt deswegen hat er viele Schriften des Alten/Ersten Testaments sorgfältig ausgelegt und verborgene Schätze erschlossen, die man üblicherweise wenig kennt. In dem fast 2000 Seiten umfassenden Werk „Stuttgarter Altes Testament" (Stuttgart 2004) hat er mit vielen Mitarbeitern den Text der Einheitsübersetzung durch einen durchgängigen Kommentar und ein Lexikon neu verstehen gelehrt.

Eine Eigenschaft Erich Zengers, die seine geradezu unglaubliche Fruchtbarkeit und Schöpferkraft erklärt, ist seine wissenschaftsorganisatorische Fähigkeit, viele Fachgelehrte zu einem Teamwork zusammen zu bringen. Er hat das Talent, dabei die notwendige Freiheit für den Einzelnen mit der strammen Disziplin des verantwortlichen Herausgebers zu verbinden. So beruhen etwa 30 Bände recht unterschiedlichen Charakters auf seiner Herausgeberschaft. Darunter sind auch viele Schüler. Acht Lehrstühle im deutschen Sprachgebiet sind mit seinen Schülern besetzt. Wohl an die 30 Dissertationen sind unter seiner Leitung abgeschlossen worden. Drei Festschriften, die er erhielt, belegen seine Anerkennung. Die ihm zu seinem 65. Geburtstag gewidmete Festschrift trägt den programmatischen Titel: „Das Manna fällt auch heute noch" (2004).

Gerade weil Erich Zenger immer überzeugt war, dass das Alte Testament kein vergangenes oder gar veraltetes Buch darstellt, hat er leidenschaftlich nicht nur die Gegenwartsbedeutung der ganzen Bibel betont, sondern sich auch um Rezeption und Integration der zeitgenössischen jüdischen Schriftauslegung bemüht. Deshalb hat er - auch dies ein Meilenstein in der Bibelwissenschaft - einzelne Bände der von ihm herausgegebenen Kommentarreihe jüdischen Gelehrten anvertraut, so z. B. Sara Japhet die Bücher der Chronik, Moshe Greenberg den Propheten Ezechiel und Yair Zakovitch das Hohelied.

Damit stehen wir vor einem großen Bereich der Tätigkeit Erich Zengers, der sich nun fast von selbst nahelegt, nämlich seiner Rolle im jüdisch-christlichen Dialog. Sie beginnt mit dem Kampf gegen alle Formen einer Unterbewertung oder eines faktischen Umgehens des Ersten Testamentes, also des „Markionismus", gegen antijüdische Klischees und erst recht gegen jeden Antisemitismus. Immer wieder betont er die Unverzichtbarkeit und den Eigenwert des Alten Testaments für den christlichen Glauben sowie die christliche Unterweisung. In der zentralen Schrift „Das Erste Testament" (1991) dankt er den jüdischen Partnern aus dem Gesprächskreis Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ab 1976). Hier schreibt er im Vorwort: „Nach Auschwitz und angesichts der durch das Zweite Vatikanum eröffneten neuen Sicht des Verhältnisses von Kirche und Israel wird es höchste Zeit, dass das Erste Testament als authentisches Buch der Juden und als unverzichtbarer Teil der christlichen Bibel sein Erstgeburtsrecht zurückerhält" (S. 10). Mit hoher Zustimmung zitiert er gerne die Rede von Papst Johannes Paul II. zu den Juden von Rom aus dem Jahre 1986: „Die jüdische Religion ist für uns nicht etwas ‚Äußerliches', sondern gehört in gewisser Weise zum ‚Inneren' unserer Religion. Zu ihr haben wir somit Beziehungen wie zu keiner anderen Religion. Ihr seid unsere bevorzugten Brüder, und, so könnte man gewissermaßen sagen, unsere älteren Brüder" (vgl. Das Erste Testament, S. 11 u.ö.). So ist es für Erich Zenger auch keine Frage, dass er national und international bei Gesprächsforen und Kommissionen zum christlich-jüdischen Dialog mitarbeitet. Unablässig setzt er sich in Fortbildung und Erwachsenenbildung für den Rang des Ersten Testamentes ein. In über 30 Gastvorlesungen an Universitäten und Hochschulen hat er unermüdlich den bleibenden jüdischen Grund des Christentums und den von Gott den Juden nie gekündigten Bund hervorgehoben.

Ich bin überzeugt, dass uns Erich Zenger auch in Zukunft noch manche reife Frucht seiner Forschungen schenken wird. Schon heute wird er in ausgezeichneter Weise dem Motto der diesjährigen Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille gerecht „1949 - 2009. So viel Aufbruch war nie". Dies gilt in allen genannten Bereichen und Ebenen für Professor Dr. Erich Zenger. Darum erhält er zur rechten Zeit diese hohe Auszeichnung. Ich bin gewiss, dass das, was er in drei Jahrzehnten, gemeinsam mit vielen Weggefährten aus Christentum und Judentum, auf- und ausgebaut hat, die alternativlose Richtung unseres Verhältnisses zueinander ist. Dafür gebührt Erich Zenger und der Jury ein großes Danke und ein herzlicher Glückwunsch, und zwar bewusst in der diesjährigen Woche der Brüderlichkeit, aber auch im Zusammenhang der unsäglichen Auseinandersetzung der letzten Wochen um den Antisemitismus in unserer Kirche. Dies ist eine neue Ermutigung für den Weg, den der jüdisch-christliche Dialog im vergangenen halben Jahrhundert bis heute eingeschlagen hat. Dahinter gibt es kein Zurück.

Anmerkung

[1]

  Kurz vor der Preisverleihung 2009 erschien der Band „Denk an die Tage der Vergangenheit - Lerne aus den Jahren der Geschichte" mit den Personen, Institutionen oder Initiativen, die sich insbesondere um die Verständigung zwischen Christen und Juden verdient gemacht haben. Dabei sind auch die Preisträger der Jahre 1968 bis 2008 mit den Laudationes und Dankesreden verzeichnet. Der Band ist erschienen in der Reihe „Forum Christen und Juden", Band 7, Berlin 2009 (LIT Verlag), 7ff. (Beschreibung des Preises durch Prof. Dr. Martin Stöhr, Preisträger: 17-378, Gesamtverzeichnis: 379-381)

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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