Licht in tiefster Finsternis

Gastkommentar für die Allgemeine Zeitung Mainz am Karsamstag, 7. April 2007

Datum:
Samstag, 7. April 2007

Gastkommentar für die Allgemeine Zeitung Mainz am Karsamstag, 7. April 2007

Bald jubeln wir an Ostern über die Auferstehung Jesu Christi. Aber zwischen Karfreitag und Ostersonntag, in diesen drei Tagen, gibt es noch viele Geheimnisse. Früher, als man den Karsamstag als Tag mit einem eigenen Charakter feierte, sprach man von der Grabesruhe des Herrn und von der tiefen Verborgenheit Gottes an diesem Tag. Aber da ist noch eine Wahrheit, die nicht so leicht zu übersetzen und für heute umzusetzen ist. Immerhin ist es ein Artikel unseres Glaubensbekenntnisses: „Abgestiegen in die Hölle“ oder – wie wir heute eher beten – „Hinabgestiegen in das Reich des Todes“.

Wenn heute wenig über diese Glaubenswahrheit geredet wird, dann hat dies auch mit zahllosen Schwierigkeiten der biblischen Begründung und der Auslegung zu tun. Dies wollen wir hier einmal beiseite lassen. Wo ist der bleibende Kern?

Viele Hinweise belegen uns die Endgültigkeit des Todes Jesu: der Todesschrei, das durchbohrte Herz, die Kreuzabnahme, die Grablegung. Totsein und Gestorbensein bringen das volle Maß des Sterbens zur Entfaltung, durch das der Tod in seiner Härte und Rätselhaftigkeit festgehalten wird. Zum „Totenreich“ gehören Finsternis, Schweigen und Staub. Alle Bezüge nicht bloß zur Welt, sondern auch zu Gott sind abgeschnitten. Im Totenreich lobt niemand Gott. Es ist – auch wenn es noch nicht identisch ist mit der radikalisierten „Hölle“ – ein Land des Vergessens, der Schatten, der Einsamkeit und Verzweiflung. Auch wir können uns von heutigen Erfahrungen her diese vollständige Sinnleere vorstellen: brutale Kriege, bodenlose Verzweiflung, unüberwindbares Chaos, unvorstellbare Hartherzigkeit des Menschen. Die moderne Dichtung zeigt uns viel von dieser Höllenerfahrung.

Der Abstieg in das Totenreich bedeutet für Jesus, dass er in der Erfahrung vollkommener Einsamkeit und Finsternis den bitteren Becher seines Leidens und Sterbens bis zur Neige austrinkt. Jesus erleidet das volle Maß der Gottferne. Es ist nicht nur der triumphale Sieg, mit dem Jesus die Mächte des Bösen in der Unterwelt bezwingt, wie der Höllenabstieg oft gedeutet wurde, sondern es ist auch das ohnmächtige Ausgeliefertsein, das Erleiden der Gottferne. Jesus erfährt das Chaos der ganzen Welt. Als Sohn des Vaters aus der Mitte Gottes erfährt er die Macht des Bösen noch ganz anders als wir. In dieser vollkommenen Schwäche und Verlassenheit erweist Jesus das äußerste Maß seines freiwilligen Gehorsams und seiner unbesiegbaren Liebe. Auch der Abstieg in die Hölle ist noch eine letzte Konsequenz der völligen Hingabe an den Vater für die Menschen. So erreicht Jesus in seinem unvergleichlichen Totsein die letzten Tiefen und wirft zugleich, indem er das Reich des Todes umgreift, einen lichtend-gründenden Anker in die Bodenlosigkeit des Höllenabgrundes.

Es zeigt sich, dass der Gewalt des Bösen eine Grenze gesetzt ist. Der Gekreuzigte ist im Besitz der „Schlüssel des Todes und der Unterwelt“ (Offb 1,18). Vom äußersten Ende der Dunkelheit und verzweifelter Einsamkeit leuchtet das Licht Jesu Christi auf. So wird auch an das ergangene Unrecht, das nichtgesühnte Leid und an das trotz aller Wunden und Schmerzen geglückte Leben des gequälten Gerechten erinnert. Damit gilt auch die Solidarität nicht nur den Eingeweihten, den Frommen oder den Zeitgenossen, sondern unbegrenzt geht es „nach vorne“ und „nach rückwärts“ in der Heimholung des verlorenen Menschen und aller Kreatur.

Mit Jesus braucht man nichts wegzulügen vom Unrecht und von der Lieblosigkeit der Menschheitsgeschichte. Ungerechtigkeit und Tod behalten gewiss ihre volle Realität. Sie werden jedoch auch im Sieg Jesu Christi in ihrer elementaren Macht gebrochen. „Verschlungen ist der Tod im Sieg.“ (1 Kor 15,54)

So ist Jesus der unzertrennliche Gefährte der letzten Einsamkeiten des Menschen. Darum leuchtet sein Sieg noch in die äußerste Finsternis hinein. Seitdem gibt es eigentlich keinen Ort und keine Situation mehr, die pure Verzweifelung bedeuten muss. Dies bringt den Menschen in allen Herausforderungen einen ungeheuren Mut und eine ungebrochene Wiederstandskraft. Darum ist Ostern und damit eine endgültige Rettung aus allen Verlorenheiten am Ende nur überzeugend, wenn man diese ganze Kraft des Ausleidens und auch der Verborgenheit Gottes erkennt und annimmt. Darum ist der Karsamstag wichtig, nicht nur für Ostern, sondern auch zum Bestehen der Abgründe unseres Alltags.

(c) Karl Kardinal Lehmann 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz