Ökumenischer Mut beim Papstbesuch in Erfurt

SWR2 Wort zum Sonntag

Datum:
Sonntag, 25. September 2011

SWR2 Wort zum Sonntag

Heute ist der letzte Tag des Besuches von Papst Benedikt XVI. in unserem Land, bevor er nach den vielen Gesprächen und Begegnungen in Freiburg am Abend vom Flughafen Lahr aus nach Rom zurückfliegt. Viele Worte und Gesten, Zeichen und Symbole bleiben in Erinnerung. Die einen sind mehr flüchtig, andere werden auch künftig zum Besuch zählen. Dazu gehört für mich die ökumenische Begegnung und der anschließende gemeinsame Gottesdienst im so genannten Schwarzen Kloster der Augustinereremiten in Erfurt am 23. September, also am Freitag, vorgestern.

Ich habe schon einmal gesagt, der Besuch eines Papstes an dieser Stelle ist einer Sensation ähnlich. Dieses Kloster der Augustinereremiten in Erfurt ist ganz eng mit Luthers Weg und Leben verbunden. Am 17. Juli 1505 bittet Luther um Aufnahme in dieses sehr strenge Reform-Kloster. Luthers Vater ist immer noch gegen diesen Klostereintritt. Dort erhält Luther im Jahr 1507 die Priesterweihe. Hier beginnt er auch das Studium an der Universität.

Man muss sich vergegenwärtigen, dass Martin Luther von seinem 22. bis zu seinem 42. Lebensjahr als Mönch lebte. Trotz vertiefter Kritik z. B. an den Mönchsgelübden im Jahr 1520 hielt er an der klösterlichen Lebensweise fest. Auch auf dem Reichstag von Worms am 17. April 1521 trug er das Ordenskleid. Offensichtlich hat er ab Herbst 1524 oft ohne Ordensgewand gepredigt. Den endgültigen Bruch vollzog er jedoch erst, als er im Juni 1525 Katharina von Bora heiratete. 1532 übertrug Kurfürst Johann Luther und seiner Familie sogar das Kloster mit Hof und Garten als erbliches Eigentum.

Das zweite Drittel des Lebens Martin Luthers und damit auch die Vorbereitung, das Werden und die ersten Jahre der Reformation sind also eng mit dem Schwarzen Kloster in Erfurt verbunden. Dies ist nicht nur ein äußeres Datum. Die heutige Forschung betont nicht so ausschließlich die Missstände in damaligen Klöstern und die Kritik der Gelübde durch Martin Luther, wie dies früher geschah. Die Gelübde gefährdeten nach seiner Ansicht die christliche Freiheit des Gewissens. Er fürchtete auch ein unevangelisches Streben nach der so genannten Werkgerechtigkeit im Mönchtum. So konnte es zu harten Formulierungen kommen: „Ein Kloster ist eine Hölle, darin der Teufel Abt und Prior ist, Mönche und Nonnen die verdammten Seelen." Heute erkennen wir aber stärker - und dies darf nicht verschwiegen werden -, dass Luther nicht nur lange an der klösterlichen Lebensweise festhielt, sondern dass er auch besonders spirituell und intellektuell durch die klösterlich orientierte Theologie, die so genannte monastische Theologie, geprägt war und blieb.

Wenn Papst Benedikt XVI. jetzt das Augustinerkloster betrat, wurden wir also sehr leibhaftig an die Reformation und ihre Kritik der damaligen Kirche erinnert. Dies jährt sich 2017 zum 500. Mal. An vielen Stellen wird dieses Jubiläum vorbereitet. Der Papst scheute sich nicht, den Boden dieses Klosters zu betreten. Selbstverständlich ist dies gewiss nicht, wenn man z. B. an Luthers Worte gegen das Papsttum denkt. Gerade deshalb ist es aber auch ein eindrucksvolles Zeichen, dass in diesem Kloster, das zugleich so etwas wie die Wiege der Reformation ist, der Papst mit den Christen aus den reformatorischen Kirchen sprach und an derselben Stelle mit ihnen betete.

In diesem - wie mir scheint geradezu aufregenden - Zeichen können wir den Wandel der Situation zwischen den Kirchen einschätzen. Er wird sinnenfälliger als durch Worte und Schriften allein. Ich bin deshalb auch fest überzeugt, dass von dieser Ökumenischen Begegnung in Erfurt frischer Mut ausgehen wird für die manchmal etwas müde gewordene Suche der Christen nach der Einheit der Kirche Jesu Christi.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz
25. September 2011

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz