Perspektive Deutschland – Perspektive Caritas – im Bistum Mainz.

Theologisch-pastorale Aspekte

Datum:
Samstag, 15. September 2007

Theologisch-pastorale Aspekte

Kurz-Vortrag beim Jubiläum zum 90. Gründungstag des Caritasverbandes der Diözese Mainz am 15. September 2007 in der Katholischen Fachhochschule in Mainz

I.

Die Caritas ist in ihren vielen Gestalten so alt wie die Kirche. Sie wurzelt im Evangelium Jesu Christi und ganz besonders in der Botschaft für die Armen. Jesus verbindet bei seinem ersten öffentlichen Auftreten ein Kernwort des Alten Testaments mit seiner eigenen Sendung, wenn er das Prophetenwort bei Jesaja (61,1 f.; 29,18) anführt: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ (Lk 4,18 f.) Diese Grundbotschaft hat einen vielfältigen Ausdruck erhalten und umschreibt auch heute noch eindrucksvoll den bleibenden Ursprung der Caritasarbeit. Wir sehen dies schon in der Apostelgeschichte und in den Paulusbriefen des Neuen Testaments. Große Bischöfe der östlich-byzantinischen und der westlich-römischen Welt haben in der Antike in herausragender Form die Caritas über die Initiative einzelner Christen hinaus zu einer fundamentalen Aufgabe der Gemeinde gemacht. Erst vor wenigen Tagen haben wir das Fest des heiligen Johannes Chrysostomus (13.9.) gefeiert, der nicht nur einer der größten Prediger und Theologen, sondern ein Pionier der christlichen Caritas ist. Große Theologen, wie Gregor von Nazianz, Gergor von Nyssa und Basilius der Große waren auch Bischöfe, die Caritasgeschichte geschrieben haben. Schon im frühen Mittelalter waren es vor allem Ordensgemeinschaften, wohltätige Stiftungen, aber auch Bischöfe, die sich um die Pestkranken, die Alten und Siechen, die Kranken überhaupt gekümmert haben. Dadurch wurde auch die antike und die germanische Mentalität in hohem Maß verändert, die für diese Aufgaben der Caritas, besonders im Blick auf die Schwachen, wenig Sensibilität an den Tag legte. Wir haben in unserem Bistum viele Beispiele dieser Caritastätigkeit über die Jahrhunderte hinweg, etwa die sehr alte Stiftung des Hospitals in Bensheim aus dem 12. Jahrhundert.

Immer wieder sind es auch große Caritas-Heilige gewesen, die anderen Menschen einen großen Ansporn gegeben haben für diesen Dienst der Liebe. Franziskus von Assisi (1182-1226) ist hier ein leuchtendes Beispiel. Die heilige Elisabeth von Thüringen (1207-1231) ist ein Beleg dafür, dass gerade auch vermögende Menschen sich dem Dienst an den Ärmsten der Armen verschrieben haben. Wir feiern ja in diesem Jahr die 800. Wiederkehr ihres Geburtstages.

Dies gilt auch und besonders für das alte, große Erzbistum Mainz und für das neue, zunächst ja eher armselige Bistum Mainz. Schon der Anfang dieses neuen Bistums bringt uns in Bischof Josef Ludwig Colmar (1802-1818) einen in letzter Zeit immer mehr geschätzten Bischof, der „ein Hort und Muster hingebender Caritas (war), besonders der opfervollen Krankenpflege, für die er vergeblich Schwestern ersehnte“. Als Wahlspruch wählte er zwei Worte: „Caritas Christi“. Das Jahr 1848 brachte mit dem Parlament in der Frankfurter Paulskirche besonders für die Katholiken eine neue Zeit. Es war nun sehr viel leichter, Vereine zu gründen, die viele Aktivitäten in Angriff nahmen. In diesem Zusammenhang kam es auch zum ersten deutschen Katholikentag im Oktober 1848 in Mainz. Hier spielte Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler, damals Pfarrer von Hopsten im Münsterland, zugleich Abgeordneter der deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und zwei Jahre später Bischof von Mainz (vorher kurz Propst an St. Hedwig in Berlin), eine große Rolle. Der Präsident der Versammlung, Franz Joseph Ritter von Buß, einer der Gründer des sozialen Engagements, hat dafür gesorgt, dass die soziale Frage in das Programm des Katholikentags aufgenommen worden ist. So wurde damals z.B. der erste Vincenz-Verein gegründet. Sein Hauptzweck: „Die Armen in ihren Wohnungen zu besuchen; ihnen je nach ihren Bedürfnissen Unterstützung in Naturalien zu bringen; gleichzeitig aber auch ihnen geistlichen Trost zu spenden.“ Jedes Mitglied versprach seine Mitarbeit: „Jeder verpflichtete sich zum regelmäßigen Besuch von bestimmten Familien.“ Bald gab es auch Frauenvereine mit demselben Ziel. Nicht lange danach kamen die „Elisabethenvereine“, manchmal auch „Armenvereine“ hinzu. Bischof von Ketteler hat die Vincenz- und Elisabethenvereine gefördert, wo er nur konnte. Ich will nur ein Wort von ihm zitieren, das in unserem Zusammenhang große Bedeutung hat: „Die bloße individuelle Freiheit, ohne die Freiheit, sich für alle menschlichen Interessen mit anderen zu vereinigen, ist keine wahre Freiheit. Denn erst durch diese Vereinigung kann der Mensch seine volle Individualität entwickeln.“ Bald gelang es auch Bischof von Ketteler die schon lange Jahre ersehnten Ordensschwestern von Aachen her, aber auch durch Neugründungen in Mainz zu verstärken, wie die Schwestern von der göttlichen Vorsehung.

Es ist die Zeit, da Bischof von Ketteler bald erkannte, dass man sich bei aller Dringlichkeit sofortiger Hilfe nicht nur mit Almosengeben zufrieden stellen darf. Im Zeitalter der Industrialisierung kam eine erschreckende Verelendung, vor allem der Arbeiterschichten an den Tag. Deshalb konnte man sich mit der caritativen Tätigkeit allein, so unentbehrlich sie ist, nicht zufrieden geben. Ketteler forderte über die Caritas hinaus das, was wir heute Sozialpolitik und Sozialreform nennen. Ich brauche hier nur die Namen der beiden Seligen Adolph Kolping und den Speyerer Priester Paul Josef Nardini zu nennen, die diese Aufgabe in herausragender Form zur eigenen Lebensaufgabe gemacht haben. Caritas und – so hieß es dann – „staatliche Armenpflege“ ergänzten sich. Der junge Philosoph Georg von Hertling, der von 1917 bis 1918 deutscher Reichskanzler war, also zur Gründungszeit des Caritasverbandes, schrieb 1897: „Das Prinzip der einen (Caritas) ist die Bruderliebe, das des anderen (staatliche Armenpflege) die Gerechtigkeit; bei der einen herrscht unbedingt Freiwilligkeit, die andere findet ihre Durchführung auf dem Wege des Zwanges.“ Die staatliche Tätigkeit sei die unentbehrliche Ergänzung der Caritas. „In der Anerkennung eines Rechtes des Bedürftigen auf die Mittel zur Existenz kommt die vom Christentum gepredigte Solidarität des Menschengeschlechts zum Ausdruck.“

Auf dieser Linie lag auch die Gründung von Diözesancaritasverbänden. Auf den Fuldaer Bischofskonferenzen 1915 und 1916 hatten die deutschen Bischöfe zu ihrer Gründung aufgerufen. 1897 wurde in Köln auf Anregung des späteren ersten Präsidenten Lorenz Werthmann der „Caritasverband für das katholische Deutschland“ gegründet. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges wurde in einer besonders schlimmen Zeit auch in Mainz der „Caritasverband der Diözese Mainz“ gegründet, und zwar am 3. Juli 1917. Domkapitular Dr. Bendix sagte als Vorsitzender: „Wenn man die Diözese Mainz nennt, so entsteht bei vielen Katholiken im weiten deutschen Vaterlande die Erinnerung an die alte Erzdiözese, mit ihrer gewaltigen Vergangenheit, mit ihrer großen Ausdehnung und der hervorragenden Stellung ihrer Oberhirten, nicht nur als Bischöfe, sondern auch als Landesherren. – Diese Erinnerung, so schön sie auch sein mag und gut gemeint obendrein, entspricht aber nicht der heutigen Wirklichkeit, ist Fantasie, Traumgebilde geworden. Die heutige Diözese Mainz besitzt von dem alten Gebiet der Erzdiözese nur einen sehr kleinen Teil.“

Was war nun das Neue an diesem „Verband“? Man wollte ganz bewusst die „Ineinanderarbeit“ all derer fördern, die sich in ganz verschiedener Weise der Armen und Benachteiligten annahmen. Dies waren die schon genannten Vereine, die klösterlichen Genossenschaften, die einzelnen örtlichen Gemeindetätigkeiten. Es war ein interessantes Programm, nämlich eine Verstärkung der Organisation, eine größere Öffentlichkeit und auch mehr Reflexion und „Studium“. Es ging auch um damals schon fachliche Weiterbildung der Caritas-Arbeit. So ging es um einen „Verbund“ von Mitgliedern, in dem Einzelpersonen wie „Kooperationen“ sich zur Gemeinsamkeit verpflichteten.

Eine große Bewährungsprobe kam schließlich mit dem Zweiten Weltkrieg, der Zerstörung der Städte, den Flüchtlingen in den ländlichen Gebieten, vor allem Oberhessens. Es gab viel Elend, Leid und Grauenhaftes. In dieser Zeit wurden auch die Bezirksverbände Gießen und Offenbach ins Leben gerufen. Bischof Stohr schrieb 1947 in einer Broschüre: „In dieser entsetzlichen Not muss die Liebe beispiellos sein und ungewöhnliche Wege gehen. Sie muss tiefer in den Besitz einzugreifen wagen, als wir es bisher gewohnt waren.“ Die Not wurde als Anruf Gottes empfunden – dies ist Caritas zu allen Zeiten.

Die Gründung des Caritasverbandes für die Diözese Mainz – dies ist wohl deutlich geworden – ist natürlich nicht der Anfang der Caritas in unserem Bereich, sondern ist nur insofern etwas Neues, als die längst bestehenden sozialen Aktivitäten und Einrichtungen nun mit dem Ziel einer gegenseitigen Abstimmung, einer wechselseitigen Stärkung und einer stetigen Verbesserung unter einem gemeinsamen Dach zusammengefasst wurden. „Das Datum 3. Juli 1917 markiert den Beginn einer neuen Zusammenarbeit längst bestehender caritativer Vereinigungen und Bewegungen, die bis dato mehr unverbunden nebeneinander gearbeitet hatten, und den Beginn systematischer Planung und Entwicklung fachlicher Caritashilfe bis zur Höhe der heutigen Qualität.“ (Caritas in der Diözese Mainz, 36)

Wie die Caritas weiterhin gewachsen ist und sich organisatorisch vielfach verzweigte, braucht hier nicht dargestellt zu werden. Die Broschüre zum heutigen Jubiläum „Caritas in der Diözese Mainz“ gibt einen ersten Einblick in den Reichtum der Aktivitäten. Dort sind auch viele Zahlen zu finden. Es geht dabei um die Krankenhäuser, die Altenheime, die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen, die Altenpflegeschule, die Qualifizierung von jugendlichen und erwachsenen Arbeitslosen, die Betreuungsvereine, die Sozialverbände, das Christophorus-Hospiz in Mainz, die Nichtsesshaftenhilfe und viele einzelne Initiativen, die im genannten Heft selbst wenigstens genannt werden. Von vielem müsste die Rede sein, den Sozialstationen und Gemeindepflegestationen, von der Arbeit in sozialen Brennpunkten, von den vielen Stellen für Beratung: Lebensberatung, Sozialberatung, Erziehungsberatung, Eheberatung, Beratung für Suchtkranke, Drogenangehörige, psychisch behinderte Menschen, psychisch Kranke, Frühberatungsstellen für entwicklungsgestörte Kleinkinder, Migrationsdienste, Einrichtung für Menschen im Wachkoma. Nicht vergessen werden dürfen aber auch die Verbände, die einerseits selbstständig sind, anderseits aber unter dem Dach der Caritas intensiv mitarbeiten. Ich denke hier besonders an den Sozialdienst katholischer Frauen in Mainz und in Gießen, an den Malteser Hilfsdienst und den Kreuzbund, aber auch an mehr lokale Initiativen wie die Pfarrer-Landvogt-Hilfe in Mainz.

Von je her war es eine herausragende eigene Note, dass der Dienst der Caritas nicht nur aus Hauptamtlichen und professionell Ausgebildeten bestand, sondern dass er viele Ehrenamtliche in allen Bereichen umfasste. Eine ganz zentrale Aufgabe besteht auch in dem kaum überschätzbaren Dienst unserer über 200 Kindergärten. Ohne das vielfältige ehren- und hauptamtliche Engagement tausender Frauen und Männer in Verbindung mit dem Caritasverband wäre unsere Kirche und unsere Gesellschaft sehr viel ärmer. Sie alle geben der Kirche ein Gesicht. Sie repräsentieren den wichtigen Grundauftrag der Kirche, der neben Glaubensunterweisung sowie Glaubenszeugnis und Gottesdienst/Sakramente ein Kernbestand allen kirchlichen Handelns ist. Sie geben durch ihren Einsatz selbst Zeugnis von der Menschenfreundlichkeit Gottes.

Unter dem Dach des Caritasverbandes sind mehr als 15.000 Menschen ehrenamtlich engagiert. Die Vielfalt der im Caritasverband kooperierenden Verbände, Vereine und Initiativen macht dieses Engagement erst möglich. Dabei muss man auch an die etwa 100 Caritasausschüsse in den Pfarrgemeinden denken, in den Verwaltungsräten und Elternausschüssen der 207 Kindertagesstätten. So können unsere ca. 9500 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in vielen Einrichtungen sehr vielfältige Hilfe leisten.

Es ist hier nicht der Ort, um eine ausführliche Analyse der gegenwärtigen Situation zu versuchen, obwohl ein solcher Tag dazu einlädt. Dabei gibt es eigentümliche Befunde. Während in der Gesellschaft durch die Säkularisierung eine starke Erosion des katholischen, ja auch des christlichen Wertemilieus stattfindet, die auch viele Bereiche des kirchlichen Lebens erfasst hat, so ist der Bereich der Caritas, mindestens was die äußere und gesellschaftliche Präsenz betrifft, viel weniger davon mitbetroffen. Sie bekundet sich freilich in anderer Hinsicht, wenn man z.B. den Rückgang der Ordensangehörigen in den letzten Jahrzehnten betrachtet, die im Dienst der Caritas stehen. Es gibt gewiss auch Probleme im kirchlichen Selbstverständnis mancher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Einfluss der Kirchen scheint in den „sozialen Zonen“ der Gesellschaft unangetastet zu sein. Sie haben auch eine eigene Chance. Die Wohlfahrtsverbände leisten manche Vermittlungen zwischen z.B. öffentlichen Ämtern und gewerblichen Unternehmungen. Sie bilden einen eigenen Typus des gesellschaftlichen Handelns. Sie stehen zwischen dem Staat auf der einen und dem privatwirtschaftlich organisierten Markt auf der anderen Seite. Damit entsteht eine vielfache Brückenfunktion. Eine solche Position kann man gewiss auch nicht mit Leben erfüllen, ohne dass es immer wieder zu Spannungen und Konflikten kommt, sei es gegenüber dem Staat, sei es gegenüber dem Markt. Darauf hat die Caritas zunehmend mit Prozessen der Selbstreflexion und der Suche nach Leitbildern reagiert. Dabei geht es immer auch darum, die besondere Stellung der verbandlichen Caritas als Bindeglied zwischen der unmittelbaren Hilfe von Mensch zu Mensch und der formell organisierten Hilfe in der Gesellschaft zu beachten und zwischen diesen Polen zu vermitteln. Darum hat auch die Caritas – ähnlich wie die Diakonie – im Hilfesystem unseres Landes eigenständige Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen zu bewältigen.

Eine schwierige Situation ist die unverkennbare Ökonomisierung des caritativen Gesamtbereichs. Nun ist es selbstverständlich, dass auch im Bereich der Caritas, ähnlich wie im medizinischen Bereich, stärker Konzentrationen und Sparmaßnahmen überlegt werden mussten als früher. Es ist auch nicht auszuschließen, dass in diesem Bereich durchaus ein angemessener Wettbewerb zwischen den caritativ-diakonischen Einrichtungen stärker vorherrscht als bisher. Aber dazu gehören auch gewisse Bedingungen. Einmal sind von staatlicher Seite da und dort sehr rasche, kaum verabredete Kürzungen und Streichungen erfolgt, die bei uns zu erheblichen Schwierigkeiten führten. Zum anderen gab es auch durch den Druck neuer privater Anbieter, wenigstens in der Anfangssituation eines neuen Wettbewerbs, Unterbietungen der notwendigen Leistungen, die nicht mehr das Wohl der Patienten im Auge hatten. In manchen Katalogen der erbrachten Leistungen fehlten auch grundlegende menschliche Bezüge, wie z.B auch nur ein Minimum an Zeit für Gespräche mit oft einsamen Patienten. Hinter dem Kostendruck und einer fragwürdigen Wettbewerbssituation zeigte sich manchmal auch, dass nicht in allen Einrichtungen neuer Anbieter die Standards eingehalten worden sind. Dies war zum Nachteil der klassischen Einrichtungen, die ja auch andere Verpflichtungen arbeitsrechtlicher Art hatten. In der Zwischenzeit sind hier manche Fehler aufgedeckt worden oder haben sich selbst herausgestellt. Aber der Kostendruck lastet noch schwer auf dem ganzen Bereich.

Nach wie vor ist es eine wichtige Aufgabe von Caritas und Diakonie, dass sie sich ganz besonders der Menschen annehmen, die in der Öffentlichkeit nicht lautstark vertreten werden, die keine Lobby haben, und die in gewisser Weise auch für den Markt nicht besonders interessant sind. Sie sind oft sprachlos. Die Caritas muss ihre Stimme anwaltschaftlich für sie erheben. Dabei sind dies nicht nur die Schwachen einer Gesellschaft, wie z.B. chronisch Kranke, Behinderte, Suchtabhängige, Langzeitarbeitslose, jugendliche Arbeitslose, Alleinerziehende, sondern es sind auch z.B. Familien mit mehreren Kindern darunter. Das Aufdecken dieser Defizite, auch in der Medienkultur, ist eine ganz wichtige Aufgabe der Caritas.

Bei der Konzentration und den Sparmaßnahmen gibt es immer wieder eine Suche nach Prioritäten. Diese ist unverzichtbar, so schmerzlich sie ist. Aber man muss auch im höchsten Maß darauf aufpassen, dass dabei gerade die Ärmsten der Armen nicht unter die Räder kommen. Deswegen muss die Caritas heute in noch höherem Maß Anwalt der Armen, Benachteiligten und Bedürftigen sein und immer mehr werden. Unter dieser Voraussetzung möchte ich einige Aufgaben nennen, die mir heute besonders vordringlich erscheinen, ohne deswegen andere Aufgaben hintanzustellen. Erste Priorität sollten m.E. haben:

·Die Beratung zum Leben, besonders für Frauen in Not und Konfliktsituationen, „Netzwerk Leben“.

·So genannte „illegale“ Menschen bei uns dürfen nicht vergessen werden.

·Die Teilnahme - zugleich mit pastoralen und spirituellen Hilfen - bei Präventionsprogrammen, besonders auch im Blick auf Suchtabhängigkeiten.

Unsere Stärke sind die Menschen, die mit uns und bei uns arbeiten. Viele sind hochmotiviert. Sie sind der Spiegel und das Gesicht von Caritas und Kirche. Mit ihnen reichen wir weit hinaus über unsere institutionellen Grenzen. Ihnen allen möchte ich ein sehr herzliches „Vergelt’s Gott!“ zurufen für Ihren außerordentlichen Dienst. Ich denke immer wieder an meine Erfahrungen z.B. in Einrichtungen mit schwerstbehinderten Kindern, aber auch mit Wach-Komapatienten. Sie vollziehen einen zentralen und radikalen Dienst der Kirche an den Menschen. Sie sind zusammen mit denen, die ihre Hilfe erhalten, ein wahrer Schatz in der Kirche. Ich wünsche ihnen und uns allen, dass dieser Tag uns bei der Förderung dieser Schätze ermutigt.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz