Plädoyer für eine immer wieder neue und junge Kirche

In der Kirche wächst mehr Positives, als wir oft denken

Datum:
Sonntag, 1. Juli 2012

In der Kirche wächst mehr Positives, als wir oft denken

Gastkommentar in der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 1. Juli 2012

Die öffentliche Stimmung ist zurzeit ziemlich kritisch gegenüber den Kirchen, seit einiger Zeit gegenüber der katholischen Kirche im besonderen. Die Serie der Missbrauchsfälle hat das Unbehagen ausgelöst. Andere Dinge kamen hinzu, z. B. die Ereignisse im Vatikan selbst, um die Vatikanbank und um die Verhaftung eines Dieners des Papstes selbst. In einer solchen Atmosphäre haben es viele Ereignisse besonders schwer, angemessen beurteilt zu werden.

Nun, Missstände dürfen nicht heruntergespielt oder gar geleugnet werden. Nur mit einem entschiedenen Willen zur Aufklärung und auch zur Änderung von anfälligen Strukturen kann das beschädigte Vertrauen wiedererlangt werden. Dies ist besonders schwer, da die Leute auf Grund der Fakten prinzipiell misstrauisch geworden sind. Es ist dann auch ein schwerwiegender Fehler, wenn vermeidbare und zusätzliche Pannen geschehen.

Aber dies alles rechtfertigt nicht, dass man positive und gelungene Dinge verdrängt und abschiebt.

Deshalb möchte ich einige Dinge hervorheben, die es verdienen, mehr zur Kenntnis genommen zu werden. Es ist verständlich, dass dies keine besonders auffälligen Ereignisse sind, die auch die öffentliche Sensationsgier befriedigen. Sie sind trotzdem für das Leben der Kirche wichtig und viel bedeutsamer als viele „Neuigkeiten".

Ich denke dabei zuerst an zumeist junge Menschen, Frauen und Männer, die sich Jahr für Jahr in den Dienst der Kirche stellen. Sie wissen durchaus um die belastenden Ereignisse, leiden darunter, aber sie wagen diesen Dienst für die Kirche. Es sind keine großen Zahlen, aber jede einzelne Entscheidung hat ihr Gewicht. Jede Berufung ist ein Geschenk. Gott sei Dank, dass jeder Berufsstand in der Kirche in jedem Jahr eine neue Kräftezufuhr bekommen hat. Dies ist nicht überall so. Wir haben zwei Diakone geweiht, die Priester werden wollen. Wir danken für die drei Ständigen Diakone, die ein wichtiges Zeugnis des Glaubensmutes in die Gemeinden bringen. Am vergangenen Samstag wurden vier Diakone zu Priestern geweiht. Kurz davor konnten wir drei neue Gemeindereferentinnen zum Dienst senden. Am 1. September werden voraussichtlich zwei junge Frauen als Pastoralreferentinnen in den Dienst des Bistums übernommen. An die 50 Damen und Herren konnte ich eine Urkunde für die kirchliche Beauftragung zum Religionsunterricht in der Schule übergeben. Für den nächsten Pastoralkurs haben sich mehrere Teilnehmer aus verschiedenen pastoralen Berufsgruppen qualifiziert. Drei Dominikanerpatres durften wir im Monat Mai in Mainz zu Priestern weihen.

Unsere Ordensgemeinschaften tun sich - ähnlich wie wir mit Priesterkandidaten im Bistum - mit Nachwuchs schwer. Aber es ist doch eine Freude, dass das Leben in manchen Gemeinschaften weitergeht. Die Benediktin-erinnen in der Abtei Engelthal haben z. B. vor 50 Jahren das verlassene Kloster der Zisterzienserinnen mit 20 Schwestern aus der Mutterabtei Herstelle neu besiedelt. Im Mai konnten wir dieses Jubiläum mit 22 Schwestern feiern. Ich weiß sehr wohl, dass es auch in vielen Gemeinschaften große Verluste und eine hohe Trauer gibt. Aber ich weigere mich, nur die Negativ-Bilanz zu sehen.

Viele junge und ältere Menschen lassen sich durch die Musik begeistern. Es gibt viele Jugendchöre und Musikgruppen im Bistum, die in den Pfarreien zu Hause sind oder ihnen nahe stehen. An den drei Chören im Mainzer Dom singen fast 400 Mädchen und Jungen, Männer und Frauen mit. Es gibt darüber hinaus nicht wenige Beispiele aus den Gemeinden des Bistums, auch wenn es kleine Zahlen sind und mancherorts auch ein akuter Mangel besteht.

Es wäre noch manches zu ergänzen. Bei den Gemeindebesuchen komme ich immer wieder mit vielen ehrenamtlichen Männern und Frauen innerhalb und außerhalb der Räte zusammen, die mit vielen Fähigkeiten das Leben unserer Pfarreien mittragen. Auch in den Verbänden regt sich vieles. Ich konnte dies bei den Jugendverbänden und z. B. im Kreuzbund sehen. Auch die intensive pädagogische und religiöse Arbeit in unseren Kindertagesstätten und Schulen muss hier wenigstens genannt werden.

Es wäre undankbar, wenn wir uns von Krisen, aber auch vom Krisengerede entmutigen lassen würden. Wir müssen, ohne Scheuklappen für Versagen und Schwächen anzuziehen, die oft verborgenen und frischen Kräfte sehen, die es in der Kirche von heute gibt. Noch vieles wäre zu nennen. Man kann sie aber nur entdecken, wenn man in der Kirche und mit ihr lebt. Darauf kommt es am Ende doch wieder an. „Komm und sieh", dies gilt auch hier.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz