"Politischer Aschermittwoch"

Fragen an einen zweifelhaft gewordenen Brauch

Datum:
Sonntag, 4. März 2012

Fragen an einen zweifelhaft gewordenen Brauch

Gastkommentar in der Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" vom 4. März 2012

Der Politische Aschermittwoch ist in den letzten Jahren nicht nur eine bayerische Einrichtung, sondern wird sogar in Schleswig-Holstein begangen. Die bundesweit bekannte Veranstaltungsform ist von hohem Medieninteresse. Inzwischen beteiligen sich alle Parteien in unterschiedlicher Stärke und an verschiedenen Orten daran.

Ursprünglich hat der Politische Aschermittwoch ganz und gar bayerische Wurzeln. Sie reichen mindestens bis zum Jahr 1580 zurück, als die bayerischen Bauern auf dem Vieh- und Rossmarkt in Vilshofen nicht nur über die Preise, sondern auch über die königlich-bayerische Politik diskutierten. Besonders im 20. Jahrhundert gab es immer wieder verschiedene Erneuerungen des Politischen Aschermittwochs: Missbraucht von den Nazis, lange durch die Bayernpartei praktiziert, wurde der Politische Aschermittwoch 1953 durch Franz Josef Strauß zu einer bundesweit bekannten Kundgebung mit einer wachsenden Publikumsgunst.

Diese Gunst mag zunächst davon herrühren, dass die Leute nach der Fastnacht wieder stärker in die Politik zurückkehren. Es ist der Auftakt zu einer politischen Reaktivierung der Gesellschaft. Aber gewiss ist es auch die Form, in der dies geschieht: die Bierzelt-Atmosphäre ist wichtig; es müssen kräftige Worte fallen; ein heftiger Schlagabtausch bringt die Leute in Schwung, vor allem durch die harten und polemischen Attacken auf den politischen Gegner.

Es ist ein richtiges Ritual geworden. Besonders vor politischen Entscheidungen - vor allem Wahlen - werden mit Bedacht die Anhänger hochgeputscht. Keine Partei kann es sich leisten, auf diese Veranstaltungsform zu verzichten. Viele Veranstaltungen z. B. Demonstrationen und Happenings, begleiten das ganze Geschehen.

Gewiss hat sich das einzige klassische Ritual, das vor allem Franz Josef Strauß beherrschte, im Niveau etwas abgesenkt. Übrig geblieben sind vor allem Polemik und Schlagabtausch. Viele müssen sich an diesen Kundgebungen durch ihre Parteiämter aktiv beteiligen, aber sie haben diese Form der Veranstaltung nicht im Griff. Dann sinkt sie unweigerlich unter ein bestimmtes Maß ab.

So ist auch längst schon der Punkt erreicht, wo der Politische Aschermittwoch mit dem, was seit mehr als 1000 Jahren am Aschermittwoch geschieht, so gut wie nichts mehr zu tun hat. Im Gegenteil, „Aschermittwoch" ist ja als Beginn der „Fastenzeit" - heute sagen wir eher Österliche Bußzeit - der Anfang einer neuen Zeit der Besinnung und der Nachdenklichkeit. Es ist die Abkehr von Verunglimpfung und hat ganz grundlegend mit dem Verzicht auf all das zu tun, was den Politischen Aschermittwoch auszeichnet: Draufhauen. Die Aschenauflegung erinnert uns seit 1000 Jahren an Mäßigung und Umkehr: „Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehren wirst.", man denke auch an das biblische Wort: „Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium!" (vgl. Mk 1,15)

Wo der Politische Aschermittwoch heute erfolgreich durchgeführt wird, da geschieht eigentlich das Gegenteil dessen, was der Aschermittwoch kulturell und spirituell ein Jahrtausend bedeutete (wobei viele rituelle Zeichen noch weiter zurückreichen). Anstatt die neue Zeit nach der Fastnacht mit Nachdenklichkeit und Umkehr zu beginnen, gibt es die Verunglimpfung des politischen Gegners, eine verletzende Wortwahl und ein Aufheizen primitiver Gefühle. Wenn man sich manches anhört, sieht es wie eine Karikatur, gelegentlich wie eine Perversion des Aschermittwochs aus.

Nun gehört es zur Geschichte, dass ursprünglich in der Frömmigkeit verwurzelte Formen „verweltlicht" werden und so ihren eigenen Charakter verlieren. Unsere weltliche Sprache hat vieles aus den Neuschöpfungen des religiösen oder gar sakralen Wortes übernommen. Wir wissen heute auch, dass z. B. die großen Parteitagsdemonstrationen der Nazis in entstellter und säkularisierter Form auf liturgische Elemente zurückgehen. Diese Säkularisierungen geschehen immer wieder. Die Kirchen müssen sich mit solchen problematischen Anleihen und Verwandlungen freilich auseinander setzen. In der Einführung des „Aschermittwochs der Künstler" haben wir, wenn er gut durchgeführt wird, eine Alternative.

Hat sich unter dieser Hinsicht, verglichen mit den Anfängen, der Politische Aschermittwoch nicht überlebt? Müsste man ihn redlicherweise nicht vom „Aschermittwoch" abkoppeln? Oder kann man zum ursprünglichen Sinn des Aschermittwochs auch im Blick auf die politischen Fragen unseres Landes nicht ernsthaft zurückkehren, wozu auch die Buße in Sack und Asche gehören müsste. Wir machen ja auch genügend falsch, sodass wir uns von verhängnisvollen Wegen abwenden könnten. Der echte Aschermittwoch ist hilfreicher als der Politische Aschermittwoch.

(c) Karl Kardinal Lehmann, Bischof von Mainz

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz