Predigt am Dreikönigstag, 6. Januar 2004,

im Mainzer Dom

Datum:
Dienstag, 6. Januar 2004

im Mainzer Dom

Liebe Schwestern und Brüder!

Könige waren es nicht, das hat erst eine spätere Zeit aus ihnen gemacht. Aber unsere heutige Übersetzung „Sterndeuter", ist wohl am besten. „Magier" werden sie auch genannt. Man darf das nicht in Verbindung bringen mit Zauberei, mit schwarzen Künsten. Sterndeuter der damaligen Zeit waren, wie uns die Wissenschaft in den letzten Jahren gezeigt hat, geistige Elite. Es waren hoch angesehene Leute. Besonders im heutigen Irak waren sie zu Hause, ein Höhepunkt der Kultur der damaligen Zeit. Was die Männer auszeichnet, das ist, dass sie aufbrechen, und dass sie die Wahrheit suchen. Sie sind unruhig in ihrem Leben, sie können sich nicht einfach mit vorläufigen und erkennbar brüchigen Antworten begnügen, auch wenn es religiöse Antworten sind. Sie wollen einen letzten festen Halt im Leben und im Sterben, eine Geborgenheit die ihnen nicht genommen werden kann. Dafür ist ihnen kein Weg zu weit und zu gefährlich. Sie gehen mitten durch weglose Wüsten, sie suchen und suchen, weil sie die Überzeugung haben, dass sie diese kostbare Wahrheit finden.

Es gibt viele Prophezeiungen, die sich erfüllen in diesem Suchen. Da ist eine merk-würdige Gestalt im Alten Testament, ein Heide, Biliam. Er sieht einen Stern, den Stern Jakobs, wie er ihn nennt, sagt aber dazu: „Ich sehe ihn, er ist aber noch nicht da." So brechen sie auf, lassen sich leiten durch diesen Stern, auch wenn sie noch nicht genau wissen können, was dieser Stern im Einzelnen bringt. Aber sie sind überzeugt, dass sich das Leben wirklich nur dann lohnt, wenn man nach Wahrheit sucht, und wenn man sie dann auch gefunden hat. Dafür ist ihnen - wie gesagt - kein Weg zu weit, und sie wissen auch, dass es Irrwege, Umwege, Abwese und Sackgassen geben kann auf dieser Reise. Dass es nicht einfach nur ein gerader Weg ist. Das ist auch ein Symbol für unsere Lebenszeit, unseren Lebensweg: Auf der Hauptstraße des Lebens, auf der Suche nach der Wahrheit bleiben. Da gibt es immer wieder Abweichungen nach links oder rechts, für kurze oder längere Zeit, bis Menschen wieder auf den rechten Weg kommen. Suchen, dran bleiben beim Suchen, nicht aufgeben, nicht sich einfach beruhigen bei vorläufigen Aufenthalten, die viel versprechen und doch nichts hergeben. Das zeichnet die Sterndeuter aus. Darum sind sie für alle Zeiten Vorbilder im Suchen geworden, im unablässigen Suchen.

Drei Dinge, können wir in dieser Erzählung feststellen: Das eine ist das ungeheure Wissen der Schriftgelehrten, die alles auswendig zitieren können, was in der Schrift steht, sogar den entscheidenden Satz in der Profetie: „Du Bethlehem bist keineswegs die unbedeutendste unter den Fürstenstädten." (vgl. Mi 5,1) Sie wissen alles und verstehen nichts. Das ist eine ungeheure Warnung auch für uns, die wir meinen: Kenn ich doch alles schon, weiß ich doch alles. Da ist es ein ganz kleiner Schritt zu sagen: Sagt mir auch nichts. Zu wissen und zu glauben, dass man alles kennt und alles weiß, und dass es keine Überraschung mehr gibt, das ist offenbar gerade für die im Glauben Wissenden eine große Gefahr. Nicht, dass wir Angst hätten vor dem Wissen, aber dass das Wissen uns stumpf macht, dass es uns das Abenteuer des Suchens nimmt, weil wir glauben, wir hätten ja alles schon sozusagen in der Tasche: Eine bestimmte Form des Wissens kann dem Menschen gefährlich, lebens-gefährlich werden.

Da ist die andere große Gefahr: die Macht. Die Macht des Herodes. Alles wird dieser Macht untergeordnet. Dafür werden alle Finten, alle Listen eingesetzt, um an der Macht zu bleiben. Wissen und Macht, das können Fallstricke für den suchenden Menschen werden und erst recht auch für den, der den Glauben sucht. Darum ist diese Geschichte von den drei Sterndeutern auch heute für uns Christen eine Warnung. In ihnen dürfen wir Menschen sehen, die aus allen Himmelsrichtungen kommen, geistigen Herkünften, aus anderen Religionen sich aufmachen; vielleicht auch ein wenig vermischt mit manchmal unheimlichen Praktiken oder mit Dingen, die wir nicht verstehen. Sie sind Magier im weitesten Sinn des Wortes, sie machen sich auf den Weg, sie suchen wirklich. Glauben wir, weil wir die Erkenntnis geschenkt bekommen haben, wo dieses Kind ist, was dieses Kind bedeutet? Wenn wir meinen, wir hätten es schon, dann gilt das als Warnung. So ist das Verhalten derer, die in Jerusalem sind und meinen, alles zu kennen uns zu wissen. Die Sterndeuter gehen ja nach Jerusalem, sie wollen sich dort auch den scheinbar Wissenden stellen. Aber sie gehen weiter, bis nach Bethlehem, und sie wissen sehr genau, dass sie dort das finden, was sie suchen, wenn der Stern stehen bleibt.

Suchen und Finden: Suchen allein nützt noch nichts, wenn wir nicht die Überzeugung haben, dass man auch finden kann. Wer unablässig sucht, und wer dran bleibt, der wird auch finden. „Klopft an, und es wird euch aufgetan"; „Suchet, und ihr werdet finden" (vgl. Mt 7,7 par.). Dieser Glaube ist der tiefste Kern des Glaubens überhaupt. Die feste Überzeugung zu haben: Wenn ich suche, dann werde ich auch finden.

Dann werden, meine lieben Schwestern und Brüder, Heiden, die in Israel eigentlich verachtet werden, denn sie sind ja nicht erwählt, zu Erben des Reiches. Nichtwissende werden zu den eigentlich Wissenden. Das ist eine Warnung an Israel damals und an uns heute. Darum wird uns in diesem Zeugnis auch gesagt, dass wir aufmerksam sein sollten auf alle, die suchen, auch wenn sie vielleicht zuerst Abwege, Umwege und Irrwege gehen. Solange sie unterwegs sind, haben sie die Möglichkeit zu finden.

Und schließlich die Erfüllung dieses Suchens, die man eigentlich immer auch nur spürt, wenn man sich tatsächlich auf den Weg gemacht hat. Wer wirklich sucht und sich freut, es gefunden zu haben, auch wenn es zunächst einmal Kleinigkeiten sind, der weiß die Freuden des Findens zu schätzen. Es ist nicht einfach ein Versprechen, eine Fata Morgana, irgendeine Utopie, die in unser Leben hineinleuchtet, aber niemals zum Licht führt, sondern hier ist wirklich der Stern stehen geblieben. Auf einen Stern zugehen, das ist eigentlich unser Leben. Da ist ein Ziel, und da bleibt der Stern stehen: Verblüffenderweise ist das ein Kind. Da hört alle menschliche Weisheit auf, da wird das Wissen gestraft und die Macht entlarvt, da ist ein Entdecken und Erkennen worauf es eigentlich ankommt. Da vollendet sich erst das Finden, indem sie das Kind erkennen als den, der verheißen ist. Da gehen große Prophezeiungen und die Sehnsucht der Völker in Erfüllung und deshalb werden auch alle die großen Profetien bei Jesaja an diesem Tag erfüllt, dass die Völker kommen zur großen Wallfahrt. (Jes 60,3 ff.)

Meine lieben Schwestern und Brüder, als die Sterndeuter angekommen sind, tun sie etwas, was zu diesem Suchen und Finden gehört: Sie fallen nieder. Niederfallen, das tun wir immer wieder; das tun wir auch vor den Götzen des Alltags. Immer dann, wenn wir meinen, wir hätten etwas gefunden, was ganz besonders wichtig ist, dem wir alles andere unterordnen, große, elementare Versuchungen, die auch Jesus nicht erspart geblieben sind: Macht, Prestige, Glanz, Genuss: alles Götzen, vor denen wir niederfallen. Aber nur vor einem darf man wirklich in die Knie gehen, und nur einen darf man wirklich anbeten. Dafür gibt es Worte, die in unserem Sprachschatz fast kaum mehr vorkommen: „huldigen, ihm huldigen, ihm die Ehre erweisen, ihn anbeten", ihn nur allein.

Die Sterndeuter bringen diese wunderbaren drei Gaben: Gold, die Kostbarkeit, die man gar nicht mehr steigern kann. Sie haben das wertvollste, das wichtigste gefunden: Gold. Dann Weihrauch, das Zeichen für die Huldigung, die Anbetung. Zeichen auch für die eigene Demut und die Majestät des Gefundenen. Und schließlich auch Myrrhe, ein Symbol für Leid und Schmerz. Was soll das hier? - Man kann nicht suchen, und man wird nicht finden, wenn man nicht auch den Schmerz annimmt. Den Schmerz loszulassen, den Schmerz einmal aus dem gewohnten Trott herauszugehen, den Schmerz auch für einige Zeit lang nicht zu wissen, vielleicht in der Unsicherheit zu tappen, vielleicht sich auch zu verirren und wieder reumütig umzukehren und zurückzukehren. Aber der Schmerz ist uns beim Suchen und Finden nicht erspart.

Kein Wunder, dass diese Geschichte über bald 2000 Jahre in allen Kulturen Menschen so angezogen hat, dass so viele Legenden sich darum gebildet haben. Da ist der Mensch gezeichnet wie er ist und sein soll. Da können wir uns auch selber entdecken. An welcher Stelle stehen wir denn eigentlich? - Stehen wir bei den drei Sterndeutern, gehen wir unterwegs mit, oder gehören wir eher in ganz vielfältiger Weise zu den Schriftgelehrten, die alles wissen und nichts verstehen? Oder sind wir in der Nähe von Herodes? Machen wir uns wirklich auf den Weg, entdecken wir das, worauf es auch in unserem Leben ankommt, wenn es auch klein und ohnmächtig ist, gar nicht so aussieht, als ob es bedeutsam wäre? Die Augen des Glaubens und die Augen der Liebe können entdecken, und sie entdecken etwas, was man sonst mit den Augen nicht sieht, und allein davor, meine lieben Schwestern und Brüder, dürfen wir wirklich in die Knie gehen. Dabei verlieren wir nicht unsere Freiheit. Was ist das für ein wunderbares Gebet, das wir in den Schriften von Pater Alfred Delp vom 6. Januar 1945 lesen können, als er weiß, dass er sein Leben verlieren wird! Wie er an jenem 6. Januar die Verse vom Niederknien allein vor ihm nimmt und sagt: Hier werd ich meine Freiheit nicht verlieren. In dieser Huldigung und Anbetung ist die Freiheit bis zum Letzten gerettet und nirgendwo sonst.

Darum ist diese Erzählung ganz tief verankert in der Suche des Menschen. Die Suche nach sich selbst, die Suche nach Wahrheit, nach Gerechtigkeit und die Suche nach Liebe. Bei diesem letzten Finden, da kommt alles zusammen. Da finden sie wirklich alles, was sie so leidenschaftlich suchen. Machen wir uns heute auf den Weg mit ihnen! Amen.

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copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz

Es gilt das gesprochene Wort

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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