Predigt am Gründonnerstag

13. April 2006, im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Donnerstag, 13. April 2006

13. April 2006, im Hohen Dom zu Mainz

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

was wir in diesen Tagen feiern, reicht weit zurück in die Anfänge der Geschichte des Heils. So trifft es sich in diesem Jahr ganz besonders gut, dass am heutigen Tag auch die Juden das Paschamahl halten. Auch wenn die Eucharistiefeier etwas anderes ist, hat sie doch tiefe Wurzeln in diesem elementaren Gottesdienst des Volkes Israel. So ist es auch gut, wenn wir immer wieder auf das schauen, was uns tiefer hineinführt in das Geheimnis. Wir denken an die Frage Jesu: „Begreift ihr was ich an euch getan habe?“ Wir dürfen nicht einfach stehen bleiben, sondern müssen transparent werden lassen, was dies für unseren Glauben heute heißt. So verjält es sich auch mit der Fußwaschung. Dreimal kommt sie im Neuen Testament an wichtiger Stelle vor: Einmal ist es Maria aus Betanien, die Jesus die Füße salbt, dann die Sünderin, die ihm den Dreck von den Füßen wegwäscht und schließlich wäscht er seinen Jüngern die Füße.

Keine Frage, eine Fußwaschung ist ein sehr erniedrigender Dienst. Selbst die jüdischen Sklaven brauchten den Gästen nicht die Füße zu waschen. Das hat man heidnischen Sklaven, sozusagen der letzten Unterschicht, überlassen. An den Füßen klebte der Schmutz der Straße. In den Straßen der damaligen Zeit floss das gesamte Abwasser des Haushaltes ab. Man hat auch alles auf die Straße geworfen, was wirklich den Dreck der Welt ausmacht. Und da gehörte es ohne einen rituellen Hintersinn einfach zur Höflichkeit des Gastgebers, dass er den Hereinkommenden schon vor dem Mahl die Füße gewaschen hat. Jesus wäscht beim Abendmahl seinen Jüngern die Füße. Aber Petrus entrüstet sich und sagt: Du willst mir die Füße waschen? Du weißt doch, dass das eigentlich nur ein heidnischer Sklave tut, Du kannst das doch nicht machen. Wenn es einer tun muss, dann bin ich es. Als Jesus ihm erwidert, dass er dann aber keinen Anteil an ihm habe, braust Petrus genauso leidenschaftlich emotional auf und fordert: Dann aber auch gleich den Kopf und die Füße und alles....!

Petrus wehrt sich. Er möchte im Blick auf Jesus nicht, dass der Herr und Knecht verwechselt wird. Jesus ist der Herr, und er sagt später ja auch: Ich bin euer Lehrer, ich bin euer Herr, euer Kyrios. Ich bin es in Wahrheit. Und deswegen protestiert Petrus: Du kannst das doch nicht tun.

Jesus tut es dennoch. Er vollzieht den niedrigsten Dienst, den man sich im Alltag von damals nur vorstellen kann. Trotzdem verliert er nicht seine Souveränität und seine Würde. Ich bin euer Lehrer und ich bin euer Herr. Dabei bleibt es. Und insofern hat Petrus ja auch nicht Unrecht gehabt. Jesus tut diesen Dienst, indem er wirklich die Karriereleiter ganz nach unten geht; den tiefsten Platz nimmt er damit ein.

Diese Geschichte, die auch sprachlich wunderbar gefüllt ist, hat viele kleine Anspielungen. Das kleine Wort, mit dem gesagt wird, dass Jesus seine Kleider, sein Obergewand, ablegt, ist dasselbe Wort das der Evangelist an anderen Stellen verwendet, wenn er sagt, dass Christus sein Leben hingibt. Er nimmt sein Obergewand weg, entäußert sich im mehrfachen Sinn. Indem er dies tut, setzt er ein Zeichen. Es ist ein Zeichen, wie er viele gewirkt hat in seinem Leben. Später wird die Kirche sagen: Unter diesen Zeichen gibt es einige, die wir seit dem 12. Jahrhundert bis heute Sakramente nennen. Sie haben einen bleibenden Rang. Sie gehören ganz eng zum Leben der Kirche hinzu. Lange Zeit hat man auch in der Fußwaschung, als der Begriff „Sakrament“ noch weit benutzt worden ist, gesagt: Die Fußwaschung ist ein „sacramentum“, ist ein solches Zeichen. Denn da beginnt das, was Jesus uns sagt, ganz real durch seine persönliche Zuwendung zu erscheinen. Dies ist eben dieselbe Geste wie im Abendmahl, wenn er unter den Zeichen von Brot und Wein sein Leben symbolisiert: Das ist mein Leib, das ist mein Blut. Auch darum geht es in der Hingabe seines Lebens. Das ist die Zielrichtung, sozusagen die Grundstimmung seiner ganzen Existenz. Er gibt sein Leben für alle. Gerade auch für die Ärmsten; für die, die im Schmutz liegen. Auch sie verdienen Reinigung und Unterstützung. Das ist ein tiefes und großes Geheimnis unseres Glaubens, unserer Kirche und ganz besonders unserer Liebe.

Könnte es ein schöneres Bild für die Caritas, die Nächstenliebe, des Einzelnen, aber auch unserer verbandlichen Caritas geben als diese Fußwaschung? Wir brauchen keine Angst zu haben, in den Dreck der Welt hinabzusteigen; wir können auch alle Wunden verbinden, die es gibt; wir brauchen uns nicht zu scheuen, dies zu tun und gar nicht zu fragen, ob es sich lohnt. Wir sollen nicht einmal fragen, wer es ist, der unsere Hilfe braucht. Insofern tut Jesus etwas ganz Entscheidendes. Jesus hört nicht auf Petrus, der auf die Ordnung pochen möchte: Du bist der Herr, Du bist der Meister; wir sind Deine Jünger, wir sind Deine Knechte. Jesus zeigt es ganz genau, und er zeigt es allen, dass er diese Ordnung von „unten und oben“, von „Herr und Knecht“ in der Tat auch umstürzen will. Er tut dies nicht in dem Sinne, dass er gar nicht haben will, dass es Autoritäten gibt, dass es einen Herrn, einen Meister gibt. Er will nicht grundsätzlich ablehnen, dass es Diener gibt. Er selbst als der Herr tut diesen Dienst des Knechtes, wird zum Diener für die anderen. Deshalb gibt er uns auch Hinweise auf die Ordnung in unserem Zusammenleben. Es bleibt jedoch dabei nicht. Denn in seiner Tat erwächst auch der Auftrag an uns, es ebenso zu tun und zu dienen. In diesem Zeichen geht es um das Tun. So können wir ihm ganz konkret auch heute noch nachfolgen.

In unserer Bibelübersetzung wird leider ein bisschen wenig zum Ausdruck gebracht, was Jesus meint, wenn er sagt: Ihr sollt dies an meinem Beispiel sehen. Wenn man das Original genauer übersetzt, dann bedeutet es, dass er das Urbild, das Urbeispiel für dieses Tun, das vorbildliche Beispiel für alle, ist. Er ist wirklich der Führer des Glaubens; er geht uns voran; er zeigt es uns; er redet nicht nur darüber, sondern er tut es mit seiner ganzen Existenz ohne irgend etwas zurückzunehmen oderzu verlieren: vorbehaltlos und in jeder Hinsicht ganz und gar.

Das zeigt auch die Einsetzung der Eucharistie, die wir an diesem Abend besonders begehen. Es versinnbildlicht in mehrerer Hinsicht und in vielen Zeichen das, was sein Leben für uns ausmachen kann. Jesus zeigt es in dieser Fußwaschung ganz praktisch. Er zeigt wirklich deutlich, dass dies auch konkrete Auswirkungen auf unseren Alltag hat, nicht nur im Gottesdienst, nicht nur wenn es feierlich zugeht, nicht nur dann, wenn wir einen uralten Brauch nachvollziehen. Wir dürfen uns nicht zu schade und zu erhaben sein, diesen Dienst zu leisten. Wir können tatsächlich auch in unserem Wirken der Liebe den Mut haben, hinabzusteigen in die Niederungen des Lebens. Denn gerade hier entfaltet sich, was er uns gebracht hat. In diesem Sinne wollen wir uns ein Beispiel nehmen an dem, was er für uns tut. Vielleicht haben es die Jünger an diesem Abend noch nicht in aller Konsequenz begriffen. Jesus fragt: Begreift ihr was ich euch getan habe? Nach der Auferstehung ist ihnen dann voll aufgegangen, was für ein wichtiges Zeichen diese Liebestat Jesu für sie und für die Kirche bis heute ist. Amen.

(C) Karl Kardinal Lehmann 

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz