Predigt am Hochfest Weihnachten

25. Dezember 2009 im Mainzer Dom

Datum:
Freitag, 25. Dezember 2009

25. Dezember 2009 im Mainzer Dom

Zweite Lesung aus der Messe „Am Tag": Hebr 1,1-6

1 Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten

2 in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt und durch den er auch die Welt erschaffen hat;

3 er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt;

4 er ist um so viel erhabener geworden als die Engel, wie der Name, den er geerbt hat, ihren Namen überragt.

5 Denn zu welchem Engel hat er jemals gesagt: Mein Sohn bist du, / heute habe ich dich gezeugt, und weiter: Ich will für ihn Vater sein, / und er wird für mich Sohn sein?

6 Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt einführt, sagt er: Alle Engel Gottes sollen sich vor ihm niederwerfen.

Bei den großen christlichen Festen können wir immer wieder beobachten, wie Worte und Begebenheiten, die einzelne Personen betreffen, und solche, die das öffentliche Leben, ja die ganze Welt angehen, unterschieden werden müssen und doch zusammengehören. So ist es mit Ostern und mit Weihnachten. Die stärker persönlich orientierten Erzählungen finden wir in den ersten beiden Messen dieses Tages „In der Nacht" und „Am Morgen". Jetzt „Am Tag" wird gleichsam der ganze Vorhang aufgezogen. Das Geheimnis der Nacht wird nun vor der ganzen Welt enthüllt. Diese Texte haben wir gerade gehört. Jesaja hat es uns angekündigt: „Alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes" (52,10b). Der so genannte Prolog aus dem Johannesevangelium hat dieses Geheimnis in seiner ganzen Tiefe erschlossen: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht." (Joh 1,18). Heute wollen wir die ersten zwei Verse des Hebräerbriefs dafür näher betrachten.

 

Nicht zufällig sind es bei diesen Texten bereits die ersten Worte, die wie ein Fanfarenstoß wirken. Es ist eine mit aller Kraft einsetzende Ouvertüre. Sie bringt den Christen, die zu lesen oder hören beginnen, den Höhepunkt jener Offenbarungssymphonie zu Ohren, die seit den Zeiten der großen Propheten in Israel klang. Kein zentrales Motiv im Gesamtbereich des Glaubens, aus Schöpfung und Erlösung, fehlt. Gott ist der erste Grund und das letzte Ziel des Daseins. Der Horizont ist umfassend: über uns öffnet sich der Himmel, wir stehen auf dem festen Boden von Gottes Schöpfung, hinter uns liegt die Geschichte der göttlichen Zuwendung zum Menschen, zugleich schauen wir nach vorne auf die Vollendung. Dies alles wird in einem kunstvollen griechischen Satz von 72 Wörtern (1,1-4) eindrucksvoll geformt und zu einer Einheit gebracht. Es ist ein Satz über Jesus Christus, wobei die ganze eindrucksvolle Komposition von Gott als dem Subjekt des Ganzen getragen wird.

 

Schon der erste Satz fasst die ganze Religionsgeschichte und vor allem die bisherige Heilsgeschichte zusammen: „Vielfach und vielfältig hat Gott vormals gesprochen zu den Vätern durch die Propheten." (1,1) Gott hat gesprochen - dies ist zunächst die Hauptsache. Es ist ein bestimmter, ein einziger Gott (nicht zufällig mit Artikel vgl. auch Mk 12,29ff., Röm 3,30; 1 Kor 8,4). Diesen redenden Gott findet man nicht zuerst und allein in der Natur, in der religiösen Begeisterung oder sonstwie. Er ist durch sein Reden, sein Personsein und durch seine Einzigkeit bestimmt. Gottes Wort ist dabei nicht einfach eine Mitteilung über etwas, was schon da ist, sondern indem Gott spricht, schafft er auch. Deshalb ist es ein wirkmächtiges Wort. Kein Zufall, dass das „Wort" (Logos) die wohl wichtigste Übersetzungshilfe ist, wenn es um Gott und sein Wirken nach außen geht (vgl. schon Gen 1).

 

Dies ist eine Revolution im Gottesverständnis. Er thront nicht einsam jenseits unserer Welt. Der biblische Gott ist kein Hinterweltler. Er ruht auch nicht einfach selig in sich selbst. Er will in voller Freiheit von seiner Güte etwas mitteilen, lässt darum Geschöpfe entstehen und schenkt uns seine Gaben. Es ist ein Gott, der sich der Welt, die von ihm stammt, und den Menschen zuwendet. Dies geschieht immer mehr: durch die Schöpfung, durch die Weisungen und Gebote, durch die Gegenwart der Bundeslade (in der sein Wort verwahrt wird), durch die Führer des Volkes und nicht zuletzt durch die Propheten. So senkt er sich immer mehr hernieder und steigt ab in unsere Welt. Doch büßt er in diesem Herabsteigen nicht seine Gottheit ein. Er bringt sein ewiges Leben mitten in unsere vergängliche Welt.

 

Aus diesem Grunde wird etwas Wichtiges schon in der ersten Zeile hinzugesagt: „Vielfach und vielfältig hat Gott ...." gesprochen (1,1). Man kann auch übersetzen: Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott gesprochen. Dabei ist zuerst an die biblische Heilsgeschichte von Anfang an gedacht. Es ist eine einzige Offenbarung, die uns aber in einer langen Geschichte und in vielen Formen erschlossen wird. Man darf hier ruhig an die Bilder der Bibel und ihre verschiedenen Vollzugsweisen denken (z.B. auch Träume, Visionen usw.). Ganz gewiss sind zuerst die biblischen Propheten gemeint, die uns lehren, in rechter Weise das Heil zu erwarten (vgl. IV. Hochgebet). Aber man wird dieses „durch die Propheten" auch nicht zu sehr pressen dürfen. Hier ist wohl auch mitgemeint, dass Gott überhaupt schon früh sich eben auf vielfache Weise und oft bezeugt hat, gewiss immer wieder auch durchmischt mit Unvollkommenheiten und Irrtümern.

 

Erst vor dieser Geschichte des Heils und des sich darin offenbarenden Gottes wird aber nun voll erkennbar, was heute, was jetzt geschehen ist: „ ... Am Ende dieser Tage sprach Er zu uns durch einen, der Sohn ist." (1,2). Jetzt wird deutlich, wo der Zielpunkt der ganzen Bewegung ist. Deswegen wird die bisherige Geschichte, vornehmlich Israels, nicht abgewertet. Israel bleibt der Mutterboden. In großer Betonung wird gesagt: „am Ende dieser Tage". Damit ist deutlich zum Ausdruck gebracht, dass dies der unüberbietbare Höhepunkt der Offenbarung Gottes ist, der letzte Tag, über den hinaus es kein Mehr gibt. Beides gehört zusammen: die Treue Gottes zu seinem Volk und die Unvergleichlichkeit seines jetzigen Kommens.

 

Gott kommt nicht in irgendeiner Marionette, sondern er kommt „zu uns durch einen, der Sohn ist". Dieser Höhepunkt aller Offenbarung ist zunächst einmal keine Sache, kein Ding, sondern eine individuelle, unverwechselbare Person. Der Sohn ist Gott dem Vater am nächsten. Er kommt ganz aus ihm und gibt in ganz authentischer Weise Kunde von ihm (vgl. Joh 1,1-18). Er ist der „Erbe über alles", „Abglanz seiner Herrlichkeit", „Ebenbild seines Wesens" (1,2f.). Mehr kann auch Gott nicht geben als seinen Sohn, in dem er sich selbst weggibt und sendet. Deswegen haben frühere Ausleger immer wieder auch gesagt, die Menschwerdung sei das Ende der Wege Gottes. Gott hat alles zusammengefasst, was er an Zuwendung den Menschen geschenkt hat, in seinem Sohn. Darum kann man ihn auch den „Sohn der Liebe" nennen. Weihnachten birgt dieses Geheimnis.

 

Der Sohn ist der unübersteigbare Höhepunkt in der Offenbarung Gottes. Er schenkt uns die größte Nähe Gottes zu uns. Ihm können wir am meisten vertrauen. Er teilt aber auch unser Leben. Die spätere kirchliche Lehre wird sagen, dass er gleichen Wesens wie der Vater ist, aber auch uns wesensgleich ist. Er kennt den Menschen. Er streift unsere Welt nicht wie ein lichtvoller Komet, der wieder im Dunkel des Alls verschwindet. Er wird einer von uns. Er bringt uns damit auch die „Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters" (Tit 3,4). Er kennt aber nicht nur die Wünsche und Träume, sondern auch das Leid und die Grenzen des Menschen. So wird vom „Sohn" - ungeachtet seiner machtvollen Stellung - gesagt, dass er „durch Leiden Gehorsam gelernt hat" (vgl. 2,10; 5,1.8). Hinter der Krippe ragt schon das Kreuz empor. Aber dabei bleibt es nicht. Er befreit uns von unserem Versagen, der Anhänglichkeit an die Macht. Darum sagen auch die großen Lehrer der Kirche schon in der Frühzeit: Alles, was er angenommen hat, hat er auch erlöst. Also kann in ihm die Welt bis in alle Winkel und Fugen hinein zum Guten verändert werden. Dies schließt zuerst Solidarität und Liebe, Gerechtigkeit und Ehrfurcht vor dem Leben, aber gerade deshalb auch Verzicht, Mäßigung und Schonung ein. Dann brauche ich nicht mehr über die Bankenkrise mit ihren finanziellen und wirtschaftlichen Folgen, über die Verwüstung unserer Erde und unsere Unfähigkeit, ihr Einhalt zu gebieten, und viele Symptome der Unmenschlichkeit predigen. Der Bundespräsident bringt es in seiner Weihnachtsansprache konkret auf den Begriff. Dann beginnen wir am besten bei uns selbst. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz