Predigt am Hochfest zu Weihnachten

am 25. Dezember 2010 im Mainzer Dom

Datum:
Samstag, 25. Dezember 2010

am 25. Dezember 2010 im Mainzer Dom

Lesungen der Messe vom Tag: Jes 52,7-10; Hebr 1,1-6; Joh 1,1-18

Verehrte, liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Es ist ein großer Unterschied, wenn wir am Vorabend bzw. in der Nacht Christmette halten oder heute am Vormittag des Weihnachtsfestes die Botschaft von der Geburt Jesu vernehmen. Da ist die stille Vorbereitung, die Reise von Josef und Maria zur Volkszählung, die Geburt unterwegs im Stall. Nur wenige haben in dieser Unscheinbarkeit wahrnehmen können, was sich wirklich begeben hat. Es sind vor allem die Hirten, exemplarisch für einfache, aber sehr wache Menschen, die eine große Sensibilität bezeugen. Aber nun in diesem festlichen Gottesdienst scheint ein ganz anderer Ton angeschlagen zu werden: Der Blick geht hinaus in die ganze Welt. Es geht nicht mehr um die unscheinbare Begebenheit, die so viele Anspielungen enthält an die Atmosphäre in einem kleineren Kreis. In diesen Lesungen wird plötzlich die ganze Welt präsent. Jetzt wird offenbar, was die Geburt Jesu für die Menschheit und die ganze Schöpfung bedeutet.

Gegenüber dem intimen Milieu der Weihnachtsgeschichte vernachlässigen wir oft diesen Blick auf die ganze Welt hin. Wir wollen uns jedoch gerade heute dieser weltweiten Dimension von Weihnachten stellen. Sonst sind wir in Gefahr, Weihnachten romantisch in eine weltabgewandte Ecke zu stellen.

Die Lesung aus dem Propheten Jesaja, der uns in diesen Wochen immer stärker begleitete, eröffnet die Feier. Die gute Nachricht, dass Gott Mensch geworden ist, ist nicht überall angekommen. Aber die Boten Gottes, die wachsam sind und wissen, welche Stunde geschlagen hat, verkünden überallhin die große Freude. Es gibt für die Menschen eine neue Hoffnung, wenn Gott selbst mitten unter ihnen lebt. Deshalb verkünden sie überall „Gott ist König". Und sie sagen dies zu allen Völkern: „Der Herr macht seinen heiligen Arm frei vor den Augen aller Völker. Alle Enden der Erde sehen das Heil unseres Gottes." (52,10) Jetzt strahlt das Licht der Weihnacht aus in die ganze Welt. Es gibt keinen Winkel, der davon ausgenommen wäre.

Dabei werden wir durchaus daran erinnert, dass die Menschen immer diese Hoffnung gesucht und Rettung aus dem Elend ersehnt haben. Der Anfang des Hebräerbriefes, eines späteren, theologisch tiefen Dokumentes des Neuen Testamentes, fasst es in einer großen Zusammenschau überzeugend in das Wort: „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn." (1,1f.) Die ganze Religionsgeschichte mit allen Ereignissen von Offenbarung und den vielen Weisen der Mitteilung an den Menschen: im Wort und in der Tat, in Bildern und Gesten, wird in Erinnerung gerufen Das Kommen Jesu hat etwas mit dem Suchen aller Religionen nach einem letzten Sinn von allem in der Welt zu tun, auch wenn sie verschiedene Antworten haben. Jetzt aber gibt es eine letzte Nachricht an die Menschheit: „In dieser Endzeit hat er zu uns gesprochen durch den Sohn." (1,2). Es geht um ein Letztes, das nicht mehr überboten werden kann. Gott schickt in der Reihe seiner Botschafter nochmals einen, der seine Herrschaft ankündigt. Dieser richtet nicht nur wie ein Verkünder eine Botschaft an uns aus. Er ist selbst in höchstem Maße Botschaft und Bote zugleich. Er bringt alles, weil er selbst aus dem Herzen des Vaters kommt. Er offenbart das Gesicht Gottes. „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht." (Joh 1,18) Darum wird er mit Recht der Sohn genannt. So verstehen sich auch die Worte der neutestamentlichen Lesung, dass er „der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens" (1,3) ist. Er bringt den Glanz, das Strahlen und damit die Herrlichkeit Gottes in unsere vergängliche Welt. Darum ist er auch viel erhabener als alle Engel, alle Kräfte zwischen Himmel und Erde.

In diesem Sohn, mag er noch so sehr ein unscheinbares Kind sein, kommt nicht nur etwas Glanz in unsere Hütten, sondern in ihm kommt Gott selbst in unsere Welt. Das Evangelium nach Johannes bringt dies meisterhaft im ersten Kapitel in einem Lied zur Sprache: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott." (Joh 1,1) Der allmächtige Gott spricht sich selbst und sein Innerstes aus durch das Wort. Im Wort haben die Religionen und viele, die nach dem Urgrund dieser Welt suchten, ob Sterndeuter oder Philosophen, den letzten Sinn unserer ganzen Wirklichkeit gesehen. Aber dieses Wort verliert sich nicht in den Spekulationen menschlicher Suche, sondern kommt in unsere Welt, wird ein Mensch wie wir und wird ein Kind. Vielen erscheint dies auch heute lächerlich. Denn sie suchen immer in der menschlichen Macht, in der Gewalt oder im Reichtum einen letzten Sinn. Der menschgewordene Gott ist ein ohnmächtiges Kind. Er ist der Sohn des Vaters für uns und bringt uns mit dem Erbarmen Gottes auch Gnade und Wahrheit. „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade." (Joh 1,16; vgl. 14.17)

Da ist keine Spur mehr von einer bloß rührseligen Geschichte. Für viele Menschen erschöpft sich Weihnachten darin. Deswegen vergessen sie auch alles oft wieder schnell wie aus einem Märchen. Die Texte dieses ersten Weihnachtsfeiertages zeigen uns jedoch, wie die ganze Welt, auch unsere globale Welt von heute, mit dem Suchen des Menschen nach Sinn und Erfüllung von Jesu Kommen bestimmt wird. Es ist wirklich eine Botschaft für die ganze Welt.

Wir haben immer noch die dominierende Leitvorstellung, Macht müsse sich auch in einem hohen Gewaltpotenzial darstellen. Solange wir so denken, erfassen wir von Weihnachten sehr wenig. Aber die Künstler aller Zeiten haben es so dargestellt, dass der kleine Jesus den ganzen Globus, die ganze Weltkugel in der Hand hält. Wenn wir uns auf ihn einlassen, dann können wir in seinem Geist die Bindekräfte finden, die uns als Menschen zusammenhalten und uns immer wieder zusammenführen, wenn wir von Abneigung und Hass, Machtgelüsten und Zerstörungswut beherrscht zu werden. Durch die Ohnmacht des Kindes werden wir auch daran erinnert, dass wir von dem leben, was wir nicht machen können: vor allem vom Verständnis füreinander, von der Anerkennung des Anderen (auch wenn er uns fremd ist und bleibt), von der Wahrung der Würde eines jeden Menschen: vom Anfang bis zum Ende, dass wir vor allem aber Solidarität und darüber hinaus Liebe haben zu allen Menschen.

Weihnachten ist nicht einfach ein Welttheater, hat aber der ganzen Welt etwas zu sagen. Wenn das Fest zu Ende geht, wird leider alles schnell wieder wie eine Kulisse abgebaut bis zum nächsten Jahr. Dies aber wäre das größte Missverständnis. Weihnachten bedeutet auch den Auftrag, dieses Kommen Gottes zu uns und seine Liebe zu allen Menschen ungeachtet aller Hindernisse, die sich uns in den Weg stellen, in unserer Welt zu bezeugen. Hier lässt nämlich das Weihnachtsevangelium bei allen ermutigenden und Freude schaffenden Tönen keinen Zweifel: Die Finsternis hat aber das Licht nicht erfasst. „Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf." (Joh 1,10f.) Weihnachten kommt nicht von selbst in die Welt. Es gibt viele Mächte, die sich ihm entgegenstellen. Dazu gehört auch der romantische Kitsch, den wir oft mit Weihnachten betreiben. Hinter der Krippe steht das Kreuz. Die Heiligen um das Weihnachtsfest herum, allen voran Stephanus, sprechen uns auf unser Zeugnis für diesen Jesus an: in unserem Verhältnis zu Hause untereinander, in unseren Lebenskreisen, zu den Fremden bei uns, zu den leidenden und bedrängten Menschen, nicht zuletzt aber zu denen, die im Schatten dieses Festes leben. Dazu gehört auch die Sammlung ADVENIAT am heutigen Tag für die Not der Völker in Mittel- und Südamerika. Vergessen wir aber auch die Christen in vielen verfolgten Ländern nicht, nicht zuletzt im Irak. Schließlich steht hier die Wiege unseres Glaubens.

An Weihnachten soll uns dieses Licht aufgehen, jedem und uns allen zusammen. Dies macht die Freude und den Frieden dieses Festes aus. Wenn dieses Licht aus Bethlehem aufgeht, strahlen wir, werden neue Menschen. Dies ist die zweitausend Jahre alte Freude an Weihnachten, die auch heute wieder durch die gemeinsame Feier, Wort und Musik, Wirklichkeit werden kann. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz