Predigt am Ostersonntag

16. April 2006, im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Sonntag, 16. April 2006

16. April 2006, im Hohen Dom zu Mainz

Thema: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos. Wir werden dann auch als falsche Zeugen Gottes entlarvt ... Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos, und ihr seid immer noch in euren Sünden; und auch die in Christus Entschlafenen sind dann verloren. Wenn wir unsere Hoffnung nur in diesem Leben auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen.“ (1 Kor 15,14-18)

Manchmal mag uns die Geschichte von der Auferweckung Jesu Christi wie ein Traum über eine einmal heile Welt vorkommen, ein richtiges Ostermärchen. Ganz gewiss hat es auch der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi schon von Anfang an mit vielen Verdächtigungen und Zweifeln zu tun. Man empfindet die Rede von der Auferstehung als „Weibergewäsch“, weil Frauen mit zu den ersten Zeugen gehören. Man mutmaßt, die Jünger hätten den Leichnam gestohlen. Man denkt an Betrug. Es ist so ziemlich alles ausgeschöpft, was auch heute noch dagegen eingewandt werden kann.

Solche Bedenken kommen gewiss auch in manchen Anfechtungen den Christen selbst. Rasch denken wir an Faust: „Die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.“ Wir lernen auch aus der Heiligen Schrift, dass man – wie anfangs die Emmausjünger – alles über Jesu Tod und Auferstehung faktenmäßig wissen kann, aber doch nicht wirklich im Herzen von der Botschaft erfasst wird. Erst wenn das Herz brennt und man Jesus an verlässlichen Zeichen erkennt, stellt sich der Glaube ein. Ein wenig ähnlich ist es mit Maria aus Magdala in unserem heutigen Evangelium. Sie sucht nach Jesus und fragt sogar die Engel am Grab, wohin man ihren Herrn gelegt hat. „Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war ... sie meinte, es sei der Gärtner.“ (Joh 20,14) Jesus spricht sie bei ihrem Namen an. Dann erkennt sie ihn. Sein Wort ist wichtig.

Der heilige Paulus stellt sich im ersten Korintherbrief, also schon recht früh (man denkt an eine Entstehungszeit zwischen 53 und 55 n. Chr.), diesen Argumenten (vgl. 1 Kor 15,12-34). Er tut dies argumentativ, also unter Anführung von Gründen und Gegengründen, und zugleich rhetorisch, also unter Aufwendung aller Mittel, um Menschen zu überzeugen. Vermutlich hat er Menschen vor sich, die aufklärerische Skeptiker sind, vielleicht nicht gänzlich ein Leben nach dem Tod leugnen, aber doch nicht an eine Auferstehung des Leibes glauben können.

Paulus geht aufs Ganze. Er geht von der These der Gegner aus: es gibt keine Totenauferstehung. Danach zieht er unter dieser Voraussetzung klar die Konsequenzen: Christus ist nicht auferstanden; Verkündigung und Predigt sind leer; der Glaube ist sinnlos; die Apostel sind keine Zeugen, sondern Lügner. Am Ende wären wir dann bemitleidenswerter als alle Menschen, denn wir wären einer Illusion verfallen. Dann ist es schon besser, sich keine Illusionen zu machen und Heide zu bleiben (vgl. 1 Kor 15,9).

Die Fragen und Zweifel gehen heute gewiss in eine ähnliche Richtung, sind also auch schärfer geworden. Dann muss aber auch die Antwort tiefer werden. Dies können wir schon bei Paulus selbst sehen. Es wäre sinnlos, von Auferstehung zu reden, wenn wir nicht den Tod vor Augen hätten. Paulus scheut sich nicht den Schrecken des Todes nüchtern, aber drastisch beim Namen zu nennen. Er ist der „letzte Feind“ des Menschen. Der Tod ist nicht Erlöser. Er ist kein freundlicher Engel, sondern der letzte und schlimmste Bedrücker. Paulus nimmt hier die Sprache der Apokalyptik auf, also einer Wertung unserer Geschichte vom Ende her (vgl. Jes 25,8; Hos 13,14; Offb 6,8; 20,13 f.; Hebr 2,14). Nicht der Teufel und nicht die Sünde, sondern der geradezu personifizierte Tod ist der letzte Feind. Der Tod ist auch nicht einfach eine Maske Satans. Er ist wirklich die letzte lebenszerstörende, gottfeindliche Macht. Der Tod erscheint als die mächtigste, unheimlichste und bis zuletzt an der Macht bleibende Feindgestalt des Menschen.

Damit ist die Macht gemeint, die das Leben zerstört. Dies gilt aber nicht nur im physischen Sinne des Sterbens, sondern bezieht sich auf jedes Leben im weitesten Sinne, vor allem wenn es beeinträchtigt, angegriffen und gar zerstört wird. Deswegen gibt es bei Paulus auch eine so große Nähe des Todes zur Sünde in ihrer vielfachen Gestalt. Es ist auch ein Zeichen des Realitätssinns der Bibel, sodass auch das heutige Denken über den Tod und den Sinn des menschlichen Lebens an dieser Stelle seine Ohnmacht bekennt, wenn es wirklich ehrlich ist. Das Denken kann den Tod als den letzten Feind des Menschen nicht überwinden (vgl. E. Bloch, J. Habermas u.a.).

Indem Paulus uns diese Alternative vor Augen führt, setzt er mit großer Kraft das Bekenntnis dagegen: „Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen.“ (1 Kor 15,20) Paulus weiß, dass man den Zweifeln und Anfechtungen gerade an dieser Stelle, wo es um Tod und Leben geht, die größten Gegensätze in unserer menschlichen Erfahrung, nur das Glaubensbekenntnis mit seiner ganzen Hoffnungskraft ins Feld führen kann. Und er zeigt alle Konsequenzen auf, die eine Verwerfung dieses Bekenntnisses bedeuten würde. Dann leben die, die keine Hoffnung mehr haben, ehrlicher und erfolgreicher.

Dabei blickt er ganz auf Jesus von Nazareth. Auferstehung denkt er ganz von ihm her. Obgleich Jesus den schlimmsten Tod der Alten Welt am Kreuz gestorben ist, regelrecht hingerichtet worden ist, ist er nicht im Tod geblieben. Gott hat auch in der tiefsten Erniedrigung zu ihm gehalten. Unser Bekenntnis wäre trügerisch, wenn sich nicht Gott zuerst zu Jesus bekannt hätte, und er hat vor allem durch die Auferweckung das Lebensprogramm Jesu, die Hingabe seines Lebens für alle Menschen, die Einheit von Gottes- und Nächstenliebe, bekräftigt. Die Torheit der Liebe, die Jesu Leben durchzieht, hat am Ende Recht bekommen, auch wenn alles anders aussehen mag.

Diese Rettung im Tod und vor ihm wird in der Heiligen Schrift mit vielen Worten zum Ausdruck gebracht. Man spricht auch von der Erhöhung, gemeint ist: des Gerechten. Man redet auch von der Wandlung des Todes ins Leben. Aber am nächsten sind uns immer noch die Worte von der Auferweckung und von der Auferstehung. Es sind Alltagsworte, aber sie sind doch so tief, dass sie das Geheimnis dieses Weges vom Tod zum Leben mit seiner ganzen Tiefe zur Sprache bringen können.

Nehmen wir in dieser Predigt nur das Wort von der Auferstehung. Wir wissen sehr genau, was es bedeutet, dass ein Mensch aufstehen kann. Wir erheben uns wie selbstverständlich jeden Morgen vom Bett. Aber wir wissen auch, was es heißt, wenn ein Kranker nicht mehr aufstehen kann und auch Hilfe wenig nützt. Wir haben heute unglaublich viele Mittel, das Aufstehen durch viele Hilfen, Medikamente und die Fertigkeiten, von Menschen, zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen. Aber wir wissen auch, dass wir manchmal sagen müssen: er (sie) steht nicht mehr auf. Um so wunderbarer ist es, wenn Menschen, die man fast schon preisgegeben hat, dennoch wieder regelrecht ins Leben zurückkommen. Aber wir wissen auch, dass dieses Leben trotz mancher Versuche nicht endlos verlängert werden kann. Es gibt ein unwiderrufliches Ende. Der Tod ist wirklich der letzte Feind des Menschen, wenn alle anderen lebenszerstörenden Mächte vernichtet sind.

Beim Sterben Jesu ging es allen darum, dass er wirklich tot ist, endgültig das Leben ausgehaucht hat. Der Stoß der Lanze in die Seite Jesu sollte es allen offenkundig machen und beweisen. Auch das Rollen eines großen Steins vor das Grab. Aber Jesus hat das Leben neu vom Vater zurückerhalten. Das leere Grab, wie immer man es deuten muss, und die Erscheinungen des Herrn sind die Belege dafür. Die Auferstehung ist jedoch in letzter Tiefe ein Geheimnis Gottes selbst, so wie es auch die Erschaffung der Welt und des Menschen ist. Niemand ist dabei gewesen. Wir sind nur Zeugen vor allem durch die Erscheinungen Jesu. Darum ist und bleibt die erste und tiefste Osterbotschaft der freudige Ausruf der wiederversammelten Jünger: „Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen.“ (Lk 24,34)

Kommen wir wieder kurz auf Paulus zurück. Er verklammert die Auferstehung Jesu Christi aufs aller Engste mit unserer eigenen Auferstehung. Er scheut sich sogar nicht zu sagen, dass es eine regelrechte Reihenfolge gibt: „Erster ist Christus; dann folgen, wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören." (1 Kor 15,23b) Daher haben wir auch am Ende nur eine untrügliche Hoffnung auf ein Leben jenseits des Todes durch sein Leben und Sterben. Es gibt Plausibilitätsgründe für eine Unsterblichkeit der Seele. Aber letzte Gewissheit erlangen wir durch seine Auferweckung. Er selbst ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Er selbst ist der Weg vom Dunkel zum Licht. Durch seine Auferstehung ermutigt uns der Vater zur Nachfolge seines Sohnes. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz