Predigt anlässlich der Sendungsfeier von vier Pastoralreferentinnen

am 4. September 2005 im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Sonntag, 4. September 2005

am 4. September 2005 im Hohen Dom zu Mainz

Liebe Pastoralreferentinnen,

liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

Auf der ersten Seite des Liedblattes ist das Bild von Papst Gregor dem Großen zu sehen. Man sieht ihn dort beim Schreiben. In der Tat sind uns eine große Zahl von Briefen von ihm erhalten, weit mehr als von allen seinen Zeitgenossen. Wir erfahren darin bis in die Wirtschaftsgeschichte und viele Dinge des alltäglichen Lebens von damals hinein so manches, ganz besonders aber über das Leben in der Kirche. Bei diesem großen Papst sehen wir etwas, was uns auch heute noch wichtig ist, weil er es ganz exemplarisch herausgestellt hat für alle Dienste und Ämter in der Kirche.

Gregor der Große kam aus einer sehr angesehenen römischen Familie: Es war eine Familie mit Reichtum, eine Familie auch mit großem Einfluss in der Politik – eine Senatorenfamilie. Er hatte also alle Voraussetzungen, um in diesem großen Staat eine wichtige Rolle zu übernehmen. Als er dann Priester geworden ist und später zum Papst gewählt wurde, hat sich gezeigt, dass er von seiner Familie, von dem Erbe einer großen römischen Familie, vieles mitgenommen hat für die Leitung und Führung der Kirche. Vieles, was gewachsen ist, verdanken wir heute ihm: in der Missionstätigkeit, in der Liturgie, in der Theologie, im Verhältnis zum Osten. Er war ein Herrscher, ohne jede Frage einer, der das Zeug dazu hatte, aber der sich an entscheidender Stelle das Evangelium ganz besonders zu Eigen gemacht hat. Wir haben es gehört in den Lesungen, ganz besonders im Evangelium. Da wird davon gesprochen, dass die Herrscher sich sozusagen über die Menschen setzten. Das ist eine Versuchung bis zum heutigen Tag, dass diejenigen, die herrschen, nicht nahe genug sind bei den Menschen, besonders nicht bei denen, die leiden.

Wir sehen in diesen Tagen bei der Flutkatastrophe in den Südstaaten der Vereinigten Staaten, wie schnell Herrschende weit weg sein können vom leidenden Volk. Nicht so Gregor. Bei ihm war das Wort des Herrn tief in seiner Seele verwurzelt, nämlich das Wort: „Bei euch soll es nicht so sein“. Das ist ein sehr deutliches Wort Jesu: „Bei euch soll es nicht so sein.“ – Jesus tadelt nicht, dass jemand führen kann, er tadelt nicht, dass jemand leiden kann. Aber dass man einfach über andere befindet, oft indem man über sie einfach hinweggeht, das tadelt er. Es ist deshalb auch nicht zufällig, dass wir Papst Gregor dem Großen den wichtigsten, den schönsten, den tiefsten Titel verdanken, den die Päpste haben; er kommt von ihm: Servus servorum Dei – Knecht der Knechte Gottes. Wenn man die Palette der Titel, die dem Papst zukommen, durchgeht - Bischof von Rom, Patriarch des Abendlandes, Stellvertreter Christi - dann kommt am Schluss gleichsam als Höhepunkt dieses „Knecht der Knechte Jesu Christi“. Der Papst verwendet diesen Titel auch immer wieder bei der Unterzeichnung von wichtigen Entscheidungen.

Ich denke, das ist auch für uns, für alle Dienste und Ämter, von ganz großer Bedeutung. Ich glaube, dass man das bei den neuen pastoralen Berufen in ganz besonderer Weise sehen kann - bei den Gemeindereferenten und bei den Pastoralreferenten. Da gibt es nämlich nicht einfach große Titel, große Abzeichen; sondern das ist gleichsam wirklich reiner Dienst. Dem müssen wir immer wieder gerecht werden. Denn alle Menschen - und wir selbst haben dies mitbekommen bis tief in unsere Herzen hinein - streben nach Herrschaft. Das ist das, was von der Ursünde geblieben ist: über andere herrschen zu wollen, über anderen zu stehen, ihnen befehlen zu können, Autorität der Macht für sie zu sein, eine ewige Versuchung!

Wir müssen stets darum ringen. Der hl. Paulus sagt es uns in der Lesung mit aller Klarheit. Und ich danke Ihnen, meine verehrten, lieben Schwestern Pastoralreferentinnen, dass Sie das auch zum Leitwort dieses Gottesdienstes gewählt haben: „Wir verkündigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn.“

Das ist genau das, was Jesus uns gesagt hat: Bei euch soll es nicht so sein! Wir wollen nicht uns selbst suchen, wir vergessen uns ja ohnehin nicht, dafür sorgt schon die Natur. Aber wir wollen immer wieder uns bewusst werden, wie gefährdet wir sind, dass wir nämlich stets direkt und indirekt auf sehr subtile und manchmal sehr verborgene Weise uns selbst suchen. Wir müssen immer kämpfen, um von uns selbst loszukommen; müssen immer schauen, dass wir wirklich auch Ihn suchen als den Herrn, als den Kyrios, als den Einzigen, von dem wir das Programm unseres Lebens uns vorgeben lassen. Wir suchen Ihn als den Einzigen, vor dem wir unsere Knie beugen: nicht vor Götzen und Idolen. Bei Ihm wissen wir, dass er als unser Herr uns eine große Freiheit schenkt. Wir werden dann nicht einfach vor allen möglichen Dingen in die Knie fallen und alle möglichen Tempel unseres modernen Lebens uns wählen als Ort, wo wir niederfallen, sondern dann werden wir ihm allein dienen.

Ich denke, in den Berufen, die wir in den letzten Jahrzehnten empfangen durften in der Kirche, wird deutlich sichtbar: Es braucht nicht viele Amtszeichen, es braucht nicht viele Würden, es braucht nicht viele Titel – auf etwas aber kommt es ganz entscheidend an, nämlich auf den Dienst. Es ist ja nicht ganz zufällig, dass das Neue Testament nicht die Worte wählt, die man normalerweise im Griechischen für „Amt“ gewählt hätte, sondern dass das entscheidende Wort für das „Amt“ unser Wort „Dienst“, „diakonia“, ist. In diesem Wort vom Dienst ist durchaus das an Vollmacht enthalten, was man auch im Dienst Jesu Christi braucht. Das ist wahrhaftig kein leeres Amt, wenn man in seinem Namen sprechen darf, wenn man in seinem Namen handelt. Aber alles das ist nichts anderes als der Dienst für Jesus Christus und an seinem Wort, an seinem Evangelium.

Meine lieben Schwestern und Brüder, das macht uns wirklich stark. Es ist eben nicht so, dass wir, wenn wir Ihm dienen, uns einfach verlieren. Je mehr wir Ihm dienen, umso tiefer werden wir uns zurückgegeben und zurückgeschenkt von Ihm. Deshalb gibt es hier Erfüllung in ganz besonderer Weise. Wir wollen deshalb auch an diesem Tag froh und dankbar sein, dass wir gerade auch in den letzten Jahrzehnten neben den klassischen Berufen in der Kirche neue Berufe gerade auch für die Seelsorge geschenkt bekommen haben. Wir freuen uns und sind dankbar, dass wir immer wieder Frauen und Männer geschenkt bekommen haben, die den Ruf für diesen Dienst hören, die ihm nachgehen, und die in den Eltern, in den Geschwistern, in den Ehegatten und in den Freunden Menschen finden, die Ja dazu sagen; die sie begleiten, erst in der Ausbildung und dann in den Gemeinden. Deshalb ist dies ein Fest der Freude und der Dankbarkeit. Ich sehe auch eine große Ermutigung darin, dass wir immer wieder junge Menschen finden, die diesen Ruf hören, ihn empfangen, annehmen und alles andere dafür lassen.

Wir suchen nicht uns selbst. Meine lieben Schwestern: Das muss man sich jeden Tag wieder neu sagen. Das muss man jeden Tag wieder neu lernen, und an jedem Abend muss man auch Abbitte tun, dass man das, was man aus der Tiefe des Herzens wünschte, doch nicht immer erreicht hat. Aber sich täglich zu erinnern, dass Er der Herr unsers Lebens ist, ja nicht nur unseres persönlichen Lebens, sondern auch der Herr der Welt, der Kyrios, der einmal zum Gericht kommen wird, das macht uns wieder mutig, trotz unseres Versagens und trotz unserer Fehler: Wir können ein volles und vorbehaltloses Ja sagen zu diesem Dienst.

Vieles hat Papst Gregor der Große – wie gesagt - bewegt. Wir erinnern uns durch das Bild auf der ersten Seite des Liedheftes, aber auch durch den Gesang der Schola aus Seligenstadt, die sich verdient gemacht hat um den gregorianischen Choral, an die großen Leistungen dieses Mannes. Er war ein ausgesprochener Römer, aber zugleich jemand, der weit über die Grenzen von damals hinausblickte: denken wir nur an die große Mission, die er begonnen hat für das heutige England. Davon sind auch wir wieder indirekt beschenkt worden, denn die großen Missionare unseres Landes kamen ja aus Irland und aus England. Sie kamen von dem erstarkten Glauben, der nicht zuletzt auch durch Gregor befördert worden ist. Gerade dann, wenn man dieses Wort verfolgt, dass man Ihn sucht als den Herrn, dann greift man weiter aus, man geht wirklich in eine neue Weite hinein und wird dadurch auch selbst wieder beschenkt. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz