Predigt anlässlich des Bistumsfestes zum 40-jährigen Bestehen der Pfarrgemeinderäte im Bistum Mainz

Datum:
Sonntag, 5. Oktober 2008

Wir begehen in diesem Jahr die 40-jährige Existenz von Pfarrgemeinderäten. Drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils fanden die ersten Wahlen zum Pfarrgemeinderat im Bistum Mainz statt. Bischof Hermann Volk hatte angeordnet, dass die Pfarrgemeinderäte bis zum 1. Mai 1968 errichtet werden. Wir stehen zurzeit in der jeweils vier Jahre dauernden, insgesamt elften Ratsperiode, sodass wir jetzt auf zehn Pfarrgemeinderatsperioden zurückblicken dürfen. Dies ist ein willkommener Anlass, um ein bisschen innezuhalten und auf diesen Weg dankbar zurückzuschauen und zugleich den Blick auf die künftige Entwicklung zu lenken.

Wir hatten in Deutschland schon eine eigene Tradition, die freilich verschiedene Namen und Bezeichnungen ausbildete. So sprach man z.B. von Pfarrausschüssen. Der deutsche „Pfarrgemeinderat" hat dabei von Anfang an eine Besonderheit. Er hat, bedingt durch unsere Geschichte, zwei Aufgaben. Er vereinigt zunächst einmal alle Aktivitäten und Initiativen des so genannten Laienapostolates, also besonders der von Laien geleiteten und verantworteten Vereine sowie Verbände, auf der Ebene der Pfarrei. Das Konzil hat gewünscht (vgl. das Dekret über das Laienapostolat „Apostolicam actuositatem", Art. 26), dass solche beratenden Gremien, soweit wie möglich, in jeder Gemeinde und auf den verschiedenen Ebenen gebildet werden. Zugleich sollte es aber auch ein Beratungsorgan für den Pfarrer im Blick auf die pastoralen Fragen geben (vgl. das Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe „Christus Dominus", Art. 27, CIC can. 536). Man hat sich für unsere Diözesen entschlossen, beide Möglichkeiten je eines eigenen Gremiums in einem Rat zusammenzufassen. Denn in dem räumlich oft kleineren Bereich einer Gemeinde war es besser, pastorale Aufgaben und den Dienst an der Welt sowie in der Gesellschaft eng miteinander zu verbinden. Es schien besser zu sein, dass ein einziges Gremium beide Aufgaben erfüllen kann. Die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland hat schließlich dieses Modell ausgearbeitet (vgl. Beschluss „Verantwortung des ganzen Gottesvolks für die Sendung der Kirche", Teil III, Nr. 1: Offizielle Gesamtausgabe I, 659 ff.).

Ich glaube, dass man nach 40-jähriger Erprobungszeit feststellen darf, dass diese Konzeption sich angesichts unserer konkreten Verhältnisse voll und ganz bewährt hat. Der bei uns ältere Pfarrverwaltungsrat (vgl. CIC can. 537), der die Gemeinde in wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen vertritt, ergänzt in einer geregelten Zusammenarbeit mit dem Pfarrgemeinderat diese Dienste. Nach meiner Erfahrung darf man wohl sagen, dass die Verwirklichung des Pfarrgemeinderates und ähnlicher Räte-Strukturen mit zu den größten Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils gehört und eine erhebliche Verlebendigung des Lebens und Wirkens unserer Gemeinden gebracht hat. Darum sind wir sehr dankbar für diese wirkliche Erfolgsgeschichte.

Dabei ist es unzureichend, im Pfarrgemeinderat vorwiegend eine Entlastung des Pfarrers allein zu erblicken oder ihn nur im Zusammenhang der Arbeitsteilung vieler Aufgaben in der Gemeinde zu verstehen. Oft trifft man auf dieses Missverständnis, das dann auch zu Misshelligkeiten im Miteinander führt. Dies leistet er natürlich auch, aber es ist nicht der tiefere Grund. Dieser liegt zunächst einmal in der aktiven Mitwirkung der Laien in der Kirche (vgl. dazu die Dogmatische Konstitution über die Kirche „Lumen gentium", Kap. IV und neben vielen anderen Texten hauptsächlich das schon genannte Dekret über das Laienapostolat). Dabei geht es hauptsächlich um die Verwirklichung des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen (vgl. „Lumen gentium", Art. 10). Dieses gründet in Glaube und Taufe, die neben der allgemeinen Zeugenschaft für das Evangelium auch noch besondere Aufträge und Sendungen erhalten können. Dabei ist es aufschlussreich, dass vor allem das Neue Testament dieses gemeinsame Priestertum in erster Linie in der ganzen Gemeinde, also als gemeinschaftliche Auszeichnung und Würde, erblickt und vor diesem Hintergrund im konkreten Christsein des Einzelnen. Der Pfarrgemeinderat dient der Erfüllung des Sendungsauftrages der Kirche. Damit hat er von vornherein die Aufgabe, die Menschen in seinem Bereich - auch wenn es eine Pfarrgruppe oder einen Pfarreienverbund ist - mit der Botschaft Jesu Christi in Berührung zu bringen.

Dieses gemeinsame Priestertum aller Gläubigen fordert eine fundamentale Mitwirkung aller Christen, zuerst im Lobpreis des Gottesdienstes, im Bekenntnis und Glaubenszeugnis, in Gebet und Fürbitte, im gegenseitigen Zuspruch und in wechselseitiger Hilfe in tätiger Liebe und in vielen anderen Formen. Es betrifft aber nicht nur den tätigen Dienst, sondern dieses gemeinsame Priestertum kann z.B. auch im geduldig ertragenen Leiden und Kranksein verwirklicht werden. Dies alles gilt auch für jeden, der ein Amt in der Kirche verwaltet oder einen amtlichen Auftrag innehat. Vor aller Entfaltung verschiedener Funktionen und Gaben ist bei jeder Rede von Amt, amtlichen Diensten und auch vom Pfarrgemeinderat dieses „gemeinsame Priestertum" als entscheidendes Fundament des christlichen Lebens zu beachten. Alle müssen sich zuerst im täglichen Christsein bewähren. Dies schließt selbstverständlich nicht aus, dass es ein besonderes Amt und spezifische Verantwortlichkeiten in der Kirche gibt (vgl. dazu „Lumen gentium", Art. 10). Diese gleiche Würde aller Christen und Mitglieder der Gemeinde verlangt auch, dass alle Formen von Herrschsucht und Rücksichtslosigkeit untereinander vermieden werden. Heute kann es eine Hilfe sein, dass wir dabei Spielregeln der Demokratie und parlamentarischer Gremien verwenden, aber dies sind nur stützende Hilfen für ein Gebilde, das nicht ausschließlich mit Strukturen gesellschaft-politischer Vereinigungen erklärbar ist.

Der hl. Paulus setzt voraus, dass es in jeder Gemeinde Menschen mit besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten gibt. Sie sollen ihre Begabung für den Aufbau des Reiches Gottes in das Ganze der Gemeinde einbringen. Es gibt viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, wo der Rat Betroffener und Sachkundiger unentbehrlich ist: Familie, Beruf, Arbeit, Soziale Dienste, Schule, Kultur, Umwelt, Erwachsenenbildung, Haushalts- und Vermögensverwaltung. Ähnlich gilt diese Mitwirkung für das innerkirchliche Leben, z.B. für die  Glaubensunterweisung und die Gestaltung des Gottesdienstes. Ein besonderes Feld ist die Verwirklichung der Nächstenliebe, also der Caritas, auf dem Boden der Gemeinde. Auch die Kirche ist in einer Welt, die immer mehr von einer spezialisierten Arbeitsteilung bestimmt wird, auf diese vielfältige Mitwirkung angewiesen. Gewiss ist zuerst das aktive Christ- und Zeugesein von der Gemeinde hinein in die säkulare Umwelt das Hauptbetätigungsfeld der Räte. Aber es wäre auch falsch, den Räten die Mitgestaltung und Mitverantwortung im gemeindlichen und kirchlichen Bereich abzusprechen. Selbstverständlich bedarf es hier einer besonderen Sensibilität für das Zusammenwirken mit dem Pfarrer und den Hauptamtlichen. Sonst entstehen leicht Konflikte. Es darf auch keine Flucht der Räte in den Binnenraum der Kirche oder gar eine stille „Klerikalisierung" geben.

Wir sprechen heute gerne vom ehrenamtlichen Engagement. Dies ist richtig und gut, aber es darf nicht verwischt werden, dass es zunächst und zuerst im Interesse des Wohls der ganzen Pfarrgemeinde und vor allem auch des Heils aller ein gemeinsames Fundament aus Glaube und Taufe sowie dem Lebenszeugnis dafür gibt, und zwar - wie schon gesagt - vor allen Unterscheidungen der Dienste und Ämter. In unserer Gesellschaft, die in hohem Maße von Spezialisierung, Professionalisierung, Arbeitsteilung und auch Bürokratisierung bestimmt wird, gibt es auch für die Kirche die Gefahr, dass unbeschadete der Existenz von besonderen Diensten und Ämtern das Leben der Kirche zu sehr von Hauptamtlichen, einschließlich des Pfarrers, bestimmt wird. Das Christentum lebt aber ganz fundamental vom Zeugnis aller ihrer Glieder. Der christliche Glaube ist auch überzeugt, dass in jedem Menschen Fähigkeiten und Begabungen schlummern und vielleicht auch für längere Zeit verborgen sind, deren Aktivierung dem Ganzen sehr förderlich ist.

Dies ist heute auch nicht nur wegen der spezifischen Hilfen und Fähigkeiten wichtig. Beim ehrenamtlichen Engagement wird deutlich, dass Glaube, Hoffnung und Liebe sowie ihr Zeugnis in die Welt hinein nicht zuerst eine Angelegenheit der Profis ist, sondern die Sache aller. Sie tun es nicht, weil es ihr „Job" ist oder weil sie bezahlt werden, sondern weil es ihre tiefe, im ganzen Menschen und im Herzen wurzelnde Überzeugung ist, dass sie für die Ausbreitung der Botschaft Jesu Christi eintreten. Dies geschieht auch auf vielfältige Weise: durch das Zeugnis des Lebens, durch eine vorbildliche Gestaltung der eigenen Ehe und Familie, durch die Sorge für Menschen in Not, schließlich auch durch das Bekenntnis und das Wort. Aber es ist von großer Bedeutung, dass dieses Glaubenszeugnis aus freien Stücken ergeht und so die Menschen auch besser anstecken kann. Wir sehen diese Sache ja auch beim Zeugnis der nebenberuflichen Ständigen Diakone. Viele sind - manchmal vielleicht übertrieben - der Ansicht, die Kirche der Zukunft sei ohnehin aus ganz verschiedenen Gründen viel stärker von „Ehrenamtlichen" geprägt und gebildet. Wie immer die Entwicklung sein wird, auf jeden Fall wird das Gewicht des Zeugnisses und des Mitwirkens möglichst vieler Christen in unseren Gemeinden immer größer werden. Wenn wir heute oft beklagen, dass viele getaufte Christen nicht aktiv im Leben der Pfarrgemeinde teilnehmen, so sind wir dankbar für den oft sehr lebendigen Kern der Gemeinde, auch wenn es gar nicht viele Personen sind. Dieser missionarische Kern, der seine eigene Ausstrahlungskraft hat, ist wie ein Leuchtturm.

Darum haben wir in den ca. 6000 Frauen und Männern, die in unserem Bistum allein in den Pfarrgemeinderäten tätig sind, ein nicht zu unterschätzendes Potenzial an Begabungen und Fähigkeiten, die unser Gemeindeleben bereichern. Ich denke dabei aber auch an alle, die auf der Ebene der Seelsorgeräte, der Dekanatsräte und der diözesanen Räte tätig sind: vom Katholikenrat über die Diözesanversammlung, den Pastoralrat bis zum Kirchensteuerrat. Selbstverständlich wird auch niemand den Anspruch erheben, man müsse, um heute ein wahrer Christ zu sein, in einem solchen Gremium mitwirken. Wir haben viele Mitchristen, die aufgrund ihrer familiären Situation und ihrer beruflichen Aufgabe, mindestens für eine gewisse Zeit oder überhaupt, nicht in der Lage sind, vor Ort regelmäßig in Gremien mitzuwirken. Sie sind oft auf anderem Weg aktiv und förderlich für die Gemeinde und das christliche Leben in unserer Gesellschaft. Wir sollten nie vergessen, dass zu Beginn unseres Glaubens es nicht zuletzt die Menschen unterwegs, die Kaufleute und Soldaten, gewesen sind, die den christlichen Glauben zu uns brachten. Es wäre auch vermessen, wenn alle Aktivitäten allein in einem formellen Rat konzentriert sein müssten. Es gibt daneben auch noch andere Gemeinschaftsgebilde, wie z.B. Vereine und Verbände, aber auch Geistliche Bewegungen und besonders die Orden. Aber die Zusammenarbeit mit dem Pfarrgemeinderat ist in jedem Fall erwünscht, und es ist auch seine Aufgabe, die Kooperation zu suchen. Darum ist es auch wichtig, dass im Pfarrgemeinderat Frauen und Männer, Jüngere und Ältere, verschiedene Schichten und Berufe, Einheimische und Zugezogene zusammenwirken. Die einzelnen Aufgaben können dann in den so genannten Sachausschüssen besser besprochen und für den ganzen Rat vorbereitet werden.

Wir haben in unserem Bistum seit langem dieses - nennen wir es einmal so - ehrenamtliche Engagement zu stärken gesucht. Dies gilt schon seit unserem ersten Pastoralprozess „... damit Gemeinde lebt" (1994 bis 1996). Dabei kommt es nach meiner Erfahrung besonders auf folgende Schritte an:

  • Pfarrer und Pfarrgemeinderat müssen Menschen mit Begabungen und Fähigkeiten in ihrem Bereich entdecken und zu gewinnen suchen.
  • Es kommt sehr darauf an, dass man den ehrenamtlichen Kräften bei aller Notwendigkeit der Zusammenarbeit eine gewisse Selbstständigkeit einräumt; man muss ihnen Vertrauen entgegenbringen.
  • In der Gemeinde muss von Zeit zu Zeit bekanntgemacht werden, welche Personen bestimmte Aufgaben übernommen haben, besonders wenn es öffentliche Dienste sind, aber es gilt auch für das unscheinbare, oft verborgene Tun vieler.
  • Die ehrenamtlichen Dienste brauchen von Zeit zu Zeit, nicht zuletzt auch beim Abschluss einer Tätigkeit, Anerkennung und ein Wort des Dankes.
  • Wir brauchen heute auch Verständnis dafür, dass manche Mitglieder der Gemeinde sich für eine begrenzte Zeit engagieren wollen, aber sich aus verschiedenen Gründen nicht auf unbestimmte und längere Zeit verpflichten lassen können und wollen. „Projektarbeit" hat heute auch in der Kirche eine große Chance.

In der konkreten Zusammenarbeit kann und wird es immer wieder Schwierigkeiten geben. Entscheidend ist jedoch die Einsicht, dass das Zusammenwirken von Pfarrer und Pfarrgemeinderat auf das Wohl und den Aufbau einer lebendigen Gemeinde ausgerichtet sein muss. Es wäre töricht, einen guten Rat nicht sorgfältig zu prüfen. Ebenso töricht wäre es, die bleibende Verantwortung eines hauptamtlich Tätigen und vor allem des amtlich beauftragten Pfarrers nicht gründlich zu respektieren. Vernunft allein wird jedoch nicht alles meistern. Vor Herrschsüchtigkeit und Denken in falschen Rangordnungen waren auch die Jünger Jesu nicht bewahrt. Paulus misst den Wert aller Dienste daran, ob sie wirklich im Blick auf das Wohl der Gemeinde „aufbauend", „konstruktiv" sind. Lukas lässt den Herrn diesen Streit mitten beim letzten Abendmahl ansprechen und ihn auch einer Lösung zuführen: In der Eucharistiefeier wird am meisten die Gesinnung des Herrn offenbar, die auch alle Christen bestimmen soll, nämlich Demut und Dienst. Darin können wir alle miteinander wetteifern und uns darin übertreffen, wie uns der hl. Paulus immer wieder deutlich macht. Hier ist und bleibt Jesus Christus der Herr und damit auch das Vorbild seiner Gemeinde: „Ich aber bin unter euch wie der, der bedient." (Lk 22,27) So kann die Zusammenarbeit im Pfarrgemeinderat - wenn sie selbstlos und großmütig geschieht - zugleich eine Einübung in die Praxis des christlichen Glaubens und Handelns sein.

Wir dürfen nach 40 Jahren feststellen, dass wir vieles davon in unseren Gemeinden dankbar erreichen konnten, dass wir aber zugleich auf einem Weg sind, der uns immer tiefer in den Dienst am Evangelium und in die Sendung in die Welt hinein führt. Amen.

 

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz