Predigt bei der Verabschiedung des Apostolischen Nuntius, Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender

am 2. Oktober 2007 in der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin

Datum:
Dienstag, 2. Oktober 2007

am 2. Oktober 2007 in der St. Hedwigs-Kathedrale in Berlin

Messe: Fest der Heiligen Schutzengel

Lesungen: Ex 23,20-23 a;

Evangelium: Mt 18,1-5.10

Das Schutzengelfest hat in unserer Kirche eine große Tradition. Aber zugleich muss man dies auch etwas einschränken und ins rechte Licht setzen. Es ist zunächst erstaunlich, dass es für die Existenz und das Wesen von Schutzengeln keine verbindlichen Lehrentscheidung gibt. Aber jeder weiß, dass dies deswegen auch nicht so notwendig ist, weil wir in der Heiligen Schrift selbst viele Hinweise auf solche schützenden Geister haben.

Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass die Frömmigkeit immer ein enges Verhältnis zur Verehrung der Engel hatte. Ähnliches gilt für die Ikonografie. Raphael erscheint z.B. oft in einer Wanderer- bzw. Pilgerkleidung als Begleiter des Tobit. Bei Rembrandt sind Engel sehr menschennahe Begleiter. Erst im 17. Jahrhundert erscheinen jedoch mehr und mehr Schutzengeldarstellungen im Sinne eines Bildtypus.

Die Frömmigkeit hat in den Schutzengeln immer wieder individuell dem Menschen zugesellte, meist geflügelte Gefährten gesehen, die die Menschen, besonders Kinder, als ständige Beschützer in gefährlichen Situationen begleiten und besonders auch im Schlaf behüten. Aber Schutzengel waren z.B. auch Leibwächter an der Front, Tröster der Verwundeten sowie Sterbenden und Begleiter der Gefallenen.

Heute freilich werden die (Schutz-)Engel in der Esoterik und in der New-Age-Bewegung als populäre Lebenshelfer entdeckt. Für manche, die diese Gestalten vor allem psychologisch zu entmythologisieren suchen, sind die Schutzengel seelische Doppelgänger oder Archetypen. Da sie sehr stark auch als Werbefiguren missbraucht werden, ist man in der Kirche eher etwas zurückhaltender geworden. Es gab ja auch viele Verengungen (vgl. dazu auch E. Peterson, Marginalien zur Theologie, Würzburg 1995, 115-121, bes. 115 f.).

Um so wichtiger ist der Blick in die Heilige Schrift. Engel gehören in der Bibel zur Lenkung der Welt durch Gott und zur Führung seines Volkes (vgl. Ps 148,2-5; Ex 23,20.23; Apg 8,26; Hebr 1,14). Aber sie sind auch speziell schützende Begleiter für den einzelnen Menschen, nicht zuletzt für seinen Weg zum Heil (vgl. Apg 12,15; Gen 24,7.40; 48,16; Ps 91,11 f.; Dan 3,49.95; Tob 5,22; Jdt 13,20 Vg; 2 Makk 11,6; 15,22 f.). Sie haben eine besondere Nähe und Unmittelbarkeit zu Gott (vgl. Mt 18,10) und helfen Gott bei der Ausführung seiner Ratschlüsse in der Schöpfung und in der Geschichte.

Die Schutzengel stehen sehr in Verbindung mit der göttlichen Vorsehung und mit dem universalen göttlichen Heilswillen. Vor allem aber muss man die Schutzengel im Zusammenhang der geistigen und leiblichen Brüchigkeit und Fragilität des Menschen sehen. Der Mensch kann immer wieder straucheln und braucht darum auch eine stützende Hilfe. Gott ist mit uns, Gott ist für uns und Gott ist in uns. Die rettende Nähe Gottes, besonders in krisenhaften Lebenslagen, ist konkret bei uns anwesend und wirksam. Die Schutzengel sind die lebendigen Zeichen, Spuren, Gedanken und Funken Gottes in unserer Welt, besonders im Alltag. Schutzengel übersetzen diese konkrete Nähe Gottes in den Alltag unseres Lebens. Dies ist auch der Grund, warum der Mensch immer wieder nach ihrer Nähe sucht und sie in verschiedenen Zeichen in seine eigene Nähe ruft, wie man z.B. an den Anrufungen der Schutzengel in den Medaillen unserer Autos sehen kann. Mag auch viel Kitsch damit zusammenhängen – manchmal sind die Schutzengel nichts anderes als Maskottchen –, so verbirgt sich darin doch ein tiefes Vertrauen in hilfreiche Geister. Unser Aberglaube spiegelt noch den echten Glauben und manchmal auch nur noch seine Splitter. In Wirklichkeit sind aber die Schutzengel durch ihre Nähe zu Gott und dadurch dass sie von ihm gar nicht getrennt werden können, viel anspruchsvoller und geistiger als ein bloßer Talisman.

Die Menschen wissen, dass ein Schutzengel wenig Garantie bei der Unfallverhütung bietet. Aber er ist nahe bei der Rätselhaftigkeit und Abgründigkeit von uns Menschen mit all den Gefahren und Unfällen, die auf uns lauern: „Ob einer an Schutzengel glaubt oder nicht, wenn er auf den gebahnten Wegen des Alltags geht, ist ziemlich gleichgültig. Aber ob einer, der in das dunkle Tal, in dem ihn die dunkle Angst anfällt, mit dem Wissen geht: ‚denn du bist bei mir’ oder nicht, ist wesentlich. Denn der dies Wissende kann den Engel an der Stelle sehen, wo Gottes Hilfe seine eigenen Fußspuren berührt ... Der Engel ist dann einfach Gottes mir leibhaft nahe Hilfe. Unser Denken, Vorstellen und Verstehen kann bei dem Reden von Schutzengeln, bei dem Vertrauen zu einem schützenden Engel, den Gott mir in die Gefährdung schickt, und bei dem erfahrenden schützenden Engels ruhig ganz zurücktreten.“ (Cl. Westermann, Gottes Engel brauchen keine Flügel, München 1965, 29 f.)

Wir feiern an diesem Abend den Abschied von unserem bisherigen Apostolischen Nuntius Erzbischof Dr. Erwin Josef Ender, der auch nach 37 Jahren im diplomatischen Dienst der weltweiten Kirche seine aktive Arbeit beendet. Ich bin fest überzeugt, dass ein echter Nuntius wirklich viel gemeinsam hat mit einem Engel. Engel, das vom griechischen Wort „angelos“ kommt, heißt ja im Ursprung „Bote“, „Gesandter“. Der Gesandte, der Nuntius richtet uns etwas aus. Wir erwarten alle eine gute Nachricht. Engel ist ein uraltes Wort und kommt in unserer Sprache schon im 8. Jahrhundert vor. Es gibt Spuren vielleicht in die iranische Sprache, letztlich in die Sprache der Weltreligionen. In der hebräischen Sprache geht das Wort Engel auch weit zurück und bedeutet „Bote Gottes“ („melek“).

Und in der Tat ist es so, dass Nuntien sehr oft solche Boten sind. Es war eine gute Entscheidung, nach dem Krieg zu uns einen amerikanischen Bischof als Nuntius zu senden (A. Muench), der, obwohl von den Siegermächten kommend, uns wieder zu neuem Leben ermutigte. Er hatte ja auch einen deutschen Namen und erschien dadurch vielleicht auch als besonders vertrauenswürdig. Schließlich habe ich einmal ganz konkret gespürt, was für ein hilfreicher Bote ein Nuntius für ein ganzes Land und ein ganzes Volk sein kann. Als ich vor 20 Jahren in Kuba war, habe ich dort ein bisschen das Schicksal der Kirche erfahren. Die Bischöfe sagten mir, sie seien nach der Machtergreifung durch Castro ganz verzweifelt gewesen, weil ihnen die Schulen genommen worden sind und weil die spanischen Schwestern und Patres bzw. Brüder vertrieben worden sind und nicht mehr ins Land durften. Sie meinten, dies wäre das Ende ihrer Kirche und sahen keinen Weg mehr in die Zukunft. Da bekamen sie einen Nuntius, der von Außen auf sie zukam. Er hat sie ermutigt und ihnen gezeigt, dass es in der Weltkirche auch andere Gestalten des Kircheseins gibt und dass man nicht zu verzweifeln braucht, wenn einem vieles, was einem teuer geworden ist, genommen wird. Dieser Bote war wirklich für die Katholiken Kubas, besonders für alle Verantwortlichen, ein echter Bote Gottes. Er hat sie vor der Gefahr der Verzweiflung bewahrt und ihnen Brücken zu einem neuen Leben aufgezeigt. Ich bin heute noch tief beeindruckt, wie sehr die Kubaner diesen Nuntius, den ich noch kennen lernen durfte, ausgesprochen verehrt haben. Sind dies nicht auch Gottes Boten, ganz konkret in unserem Leben?

Herr Apostolischer Nuntius Erwin J. Ender, Sie waren für uns auch ein solcher guter Bote im Namen des Herrn und des Heiligen Vaters, Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz