Predigt beim Aschermittwoch der Künstler im Hohen Dom zu Mainz

am 1. März 2006

Datum:
Mittwoch, 1. März 2006

am 1. März 2006

Verehrte, liebe Schwestern und Brüder!

In diesen Tagen kann man immer wieder lesen - in Wochenzeitungen, Tageszeitungen und auch in den Magazinen - es gebe zur Zeit wieder eine Rückkehr des Glaubens, eine neue Götterdämmerung. Da werden viele Beispiele aufgezählt, die dafür bürgen sollen. Ganz gewiss können wir selbst immer wieder feststellen, dass nicht nur ein äußeres neugieriges Interesse für Fragen der Religion und der Kirche im Wachsen begriffen ist, sondern dass es auch erstaunliche Bewegungen gibt, die wir lange so nicht mehr wahrnehmen konnten. Gott sei Dank treten weniger Schwestern und Brüder aus der Kirche aus, und sehr viel mehr als früher kommen wieder zurück und treten wieder ein. Wir haben in den letzten Jahren immer wieder gespürt, dass nach großen Katastrophen - etwa der 11. September 2001, die Tsunami-Welle oder sonst etwas vergleichbaren Ausmaßes - die Menschen neu nachdenklich wurden. Die Kirchen waren in den Tagen und Wochen darauf bei entsprechenden Gottesdiensten gefüllt.

Wir haben uns aber nie einfach einer Täuschung hingegeben. Wir wussten, dass das nicht einfach anhält, und dass dann auch große Ereignisse wie der Weltjugendtag, der in unserer Kirche und weltweit so viel Echo hatte, nicht einfach festgehalten, nicht einfach verlängert und fixiert werden können. Aber wir haben doch viele Impulse gehabt, die uns Menschen in einer offeneren Atmosphäre ansprechen helfen; und dafür sind wir dankbar. Zugleich wissen wir aber, dass der Weg nicht einfach automatisch in die Kirche führt. Menschen verstehen heute unter Religion sehr vielfältige Dinge. Manchmal sogar das genaue Gegenteil von Religion, wenn das Suchen gerade nämlich zum Aberglauben wird. So müssen wir uns auch immer wieder fragen, was denn nun eine Wiederauferstehung von Religion konkret bedeutet. Da gibt es viele abartige Dinge. Da gibt es auch sehr viele Formen bis zum Satanismus, die wir bekämpfen müssen.

Trotzdem haben wir dabei eine Chance, und zwar durch die Unterscheidung der Geister. So können wir vielleicht ein wenig dem, was Glaube bedeutet, näher kommen Die Österliche Bußzeit, die Fastenzeit, ähnlich wie der Advent mit den herausragenden Tagen, sind heute dafür eine wunderbare Gelegenheit.

Wir werden in dieser Zeit durch ein uraltes Brauchtum, das tief in die Menschheitsgeschichte zurückreicht, an die Hand genommen, und es wird uns gezeigt, worum es geht. Gerade in der Österlichen Bußzeit und ganz besonders heute, am Aschermittwoch, gibt es immer wieder diesen wichtigen Dreiklang dessen, was Religion ist; dessen, was diese Österliche Bußzeit uns bedeutet. Wir haben von diesem Dreiklang gerade auch im Evangelium gehört. Er reicht weit zurück und begegnet uns, wie wir schon bei der Lesung gehört haben, auch in uralten Texten aus dem Alten Testament. Dieser Dreiklang heißt in der traditionellen Sprache: Fasten, Gebet, Almosen. Das scheint in der Religion fast selbstverständlich und routinemäßig zu sein. Dieser Dreiklang kommt immer wieder auch in unterschiedlichen Gewichtungen in manchen anderen Religionen vor. Wir wissen uns dabei vereint mit vielen Menschen aus den großen Weltreligionen.

Doch was ist für uns heute vor allem damit gemeint? Fasten – das bedeutet zunächst einmal: Verzicht, Einbüßen. Das ist nicht leicht für uns. Wir können uns so vieles bestellen, so vieles besorgen. Warum sollen wir dann verzichten, wenn wir es haben können? Aber wir wissen auch, dass wir viel zu viel in uns selbst hineinstopfen, nicht nur beim Essen, sondern dass wir auch sonst viel zu viel nur für uns selbst sorgen, für uns selbst verbrauchen. Wir wissen, dass wir gerade auch in unseren westlichen hohen Zivilisationen immer wieder in Versuchung kommen, dass wir alles für uns verzehren. Da tut es gut, wenn wir fasten, wenn wir verzichten; da tut es gut, wenn wir uns einmal fragen, ob wir nicht bei dem, was wir alles anhäufen für uns, auch manche Götzen haben. Wir merken dies oft nur, wenn wir zuerst einmal leer werden. Wir müssen versuchen, leer zu werden von diesen Götzen, die ganz unterschiedliche Namen haben. Wir kennen alle die Versuchungen, die Jesus selbst erfahren hat: Macht, Prestige, Reichtum. Das sind die urewigen, die uralten Versuchungen des Menschen. Und deswegen ist es wichtig und gut, dass wir uns im Fasten einmal von all diesen Verabsolutierungen unseres Lebens lösen, auch wenn das schmerzlich ist und weh tut. Es ist dann manchmal gut, wenn wir etwas entbehren müssen; wenn wir im leer Werden spüren, dass wir uns an vieles gewöhnt haben, dass wir unser Herz an manches gehängt haben, das uns nicht mehr frei gibt.

Aber um Leere allein kann es nicht gehen; und darum ist in diesem Dreiklang das Gebet zu nennen. Wir sollen uns öffnen über uns hinaus. Nicht zufällig sind die verschiedenen Haltungen des Betens schon ein Hinweis: Wenn wir die Hände falten und einfach still werden, vieles einmal beiseite lassen, was uns sonst so wichtig erscheint; wenn wir einfach da sind. Oder wenn wir die Hände ausbreiten und uns öffnen zu Gott hin, um zu sagen: Von dir empfangen wir alles, von dir haben wir alles, von mir aus bin ich eigentlich leer und arm und manchmal auch hohl. Dann geht es gar nicht in erster Linie darum, viele Worte zu machen im Gespräch mit Gott. Das bedeutet zuerst einmal, still werden zu können; das bedeutet zuerst einmal, hinhören zu können, besinnlich und nachdenklich zu sein, zu lauschen auf die Stimme Gottes in uns selbst, um uns herum, in der Natur und in der Welt. Dazu gehört gewiss auch das regelmäßige Gebet in ganz unterschiedlichen Formen - vom Stoßgebet bis zum Vater unser - all das, was wir mit dem eigenen Herzen Gott über uns selbst sagen, vielleicht nur die Stimme unseres Herzens, die sonst niemand hört, außer Gott selbst.

Aber das ist kein religiöses Spiel für sich. Das ist nicht einfach sozusagen eine Attitüde, eine fromme Haltung. Wahr wird dies nur, wenn wir uns zugleich für den anderen einsetzen. Daher der dritte Aspekt im Dreiklang: Almosen steht hier für Dienst am Nächsten, Dienst am nahen Nächsten und am fernen Nächsten. Erst dann entrinnen wir den Gefahren des selbstverliebten Fastens und des Betens von denen wir gehört haben im Evangelium. Hinter den scharfen Worten wie „Heuchler“ steht vieles, was auch gerade bei den großen Propheten immer wieder als Gefahr erkannt wurde: dass Gott bisweilen gerade die Gottesdienste verflucht, weil sie nicht übereinstimmen mit unserem Leben, weil wir heuchlerisch sind. Darum ist es so wichtig, dass wir uns, wenn wir verzichten, wenn wir offen werden, ganz konkret auch den Bedürftigen und den Armen zuwenden. Erst dann erfüllt sich eigentlich dieser Dreiklang der zum Leben des Christen, zum Leben des Glaubens und im Grunde auch zu jeder Religion gehört. Dann erst, wenn sich das eine korrigieren lässt am anderen - am Fasten, am Gebet und am Almosen geben - dann gibt dies erst Sinn und Erfüllung. Dann bereichert dies auch unser Leben. Dann spüren wir, wie wahr die Alten und auch manche unserer gegenwärtigen Denker sprachen, wenn sie sagten: „Der Verzicht nimmt nicht, er gibt“ (Martin Heidegger). Dann werden wir wieder frohe und vielleicht sogar glückliche Menschen.

Meine lieben Schwestern und Brüder, so können wir auch nochmals kurz zurückkommen auf die Renaissance von Religion, wenn es so etwas in unseren Tagen gibt. Wir müssen nur aufpassen, was damit gemeint ist: Wir wollen keine Wellness-Religion; wir wollen keine Religion, die nur dazu dienen soll, sich eben wohl zu fühlen, aber sich sonst eigentlich nichts ändert und sonst nichts anders wird. Da gibt es auch manchen Betrug, dass wir mit einer neuen Wohlbefindlichkeit abgespeist werden sollen bei unseren Problemen, bei unseren Fragen, die wir haben. Das ist nicht das, was wir verkünden. Der Weg Jesu, gerade auch in der Österlichen Bußzeit, verschweigt nicht, dass es in dieser Welt auch Leiden gibt. Es ist ein Leiden so vieler Menschen, das wir lindern sollen. Wir ahnen, dass es diesen großen letzten Feind des Menschen gibt – den Tod, dem wir nicht ausweichen können; dem wir mit Jesus und mit seinem Weg allerdings auch ins Gesicht sehen können. Wir können aus diesem Glauben zuversichtlich auch unser Kreuz, unsere täglichen Kreuze, jeden Tag auf die Schulter nehmen und mit ihm gehen, in der Nachfolge Christi. Dann werden wir vieles bewältigen können, was uns sonst vielleicht zu Boden drückt. Daraus können wir Kraft schöpfen, das zu korrigieren, wozu wir auch im Religiösen versucht sind.

Einer meiner großen Lehrer, Bernhard Welte, hat in den 50er Jahren ein kleines Bändchen geschrieben mit dem Titel „Vom Wesen und vom Unwesen der Religion“. Das Religiöse kann auch, wenn es sich nicht immer wieder korrigiert, wenn es nicht immer wieder auch zu dieser Umkehr bereit ist, abgleiten in etwas, was der wahren Religion fremd ist. Darum braucht es diese Unterscheidung der Geister.

Meine lieben Schwestern und Brüder! Was könnte uns näher zu diesem Weg anleiten als dieses kleine Symbol, das wir nun gleich wieder, wie in jedem Jahr an diesem Abend, neu erfahren – die Asche? Es ist das Zeichen unserer Endlichkeit, das Zeichen auch für die Sterblichkeit des Menschen. Aber es ist auch das Zeichen, dass wir Gottes geliebte Geschöpfe sind; es ist auch das Zeichen, dass uns eine schöne große Zeit geschenkt ist, Zeit unseres Lebens. Daher sollen wir die Zeit nicht einfach verplempern, sondern sie - wie der hl. Paulus sagt - auskaufen wie ein guter Kaufmann, der seine Chance nutzt und den günstigen Augenblick, den Kairos, ausschöpft. Die Kirchenväter zitieren ein Wort, das ein echtes Jesuswort sein könnte, auch wenn es nicht in der Bibel steht, immer wieder: „Werdet kundige Wechsler!“ - Wechsler, die Falschgeld und gutes Geld mit einem Blick schnell voneinander unterscheiden; die unterscheiden können, damit wir nicht auf alle möglichen Parolen hereinfallen, sondern dass wir aufrecht im Glauben sind. Dazu müssen wir immer wieder zurückgerufen werden von unseren Eitelkeiten, von unseren Selbstüberschätzungen, von all dem, was wir anderen antun. Dann spüren wir, dass wir tief geeint und solidarisch sind, gerade auch in der kreatürlichen Armut, die wir annehmen müssen und nicht überspielen dürfen. Es ist eine Armut, der wir nicht bitter zu begegnen brauchen, sondern die uns gerade auch eine eigene Gelassenheit, ein eigenes Lachen und einen eigenen Humor schenkt. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz