Predigt beim Festgottesdienst anlässlich der 50-Jahr-Feier des Cusanuswerks auf Schloss Eringerfeld

am 11. Juni 2006 in Geseke

Datum:
Sonntag, 11. Juni 2006

am 11. Juni 2006 in Geseke

Wir haben Grund zum Dank, dass das Cusanuswerk (Bischöfliche Studienförderung) fünfzig Jahre seines Bestehens feiern kann. Es ist heute eines der elf Begabtenförderungswerke in unserem Land. Wenn ein solches Werk über eine lange Zeit hinweg gelingen soll, dann braucht es immer mindestens drei gute Voraussetzungen und Umstände.

Einmal hat sich die Gründungsidee als tragfähig erwiesen, nämlich begabte katholische Studierende an Universitäten, Fach- und Musikhochschulen sowie Kunstakademien interdisziplinär zu bilden und in materieller Hinsicht zu fördern. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft, das Studium auf der Grundlage einer herausragenden Begabung mit hohem intellektuellem Einsatz und mit schöpferischer Phantasie zu betreiben. Auch gehört die Bereitschaft zum Dienst an unserem Gemeinwesen dazu, so eben auch geistig persönlich Stellung zu beziehen und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Die jungen Frauen und Männer sollten im Übrigen ihren Glaubensweg ernstnehmen, mit der Kirche leben und sie von ihren Erfahrungen her mitgestalten.

Wenn man auf die Zahl und die Qualität der Geförderten schaut, darf man sagen, dass dieses Konzept bei allen gesellschaftlichen Wandlungen sich bewährt hat und auch heute noch gültig ist. Um dies zu erreichen, haben wir – Gott sei Dank – immer wieder Frauen und Männer gefunden, die diese Idee über die fünf Jahrzehnte so umsetzten, dass sie dem Konzept grundsätzlich treu blieben, aber auch flexibel und kontextbezogen mit ihm umzugehen wussten. Darum haben wir von den Gründergestalten bis heute unzähligen Frauen und Männern in den Leitungsorganen und allen Gremien mit einem tiefen „Vergelt’s Gott“ zu danken.

Nicht weniger dankbar dürfen wir heute auch feststellen, dass die für das Cusanuswerk Verantwortlichen aller Ebenen dieses Konzept nach innen und nach außen glaubwürdig und überzeugend vertreten haben, auch gegenüber der Deutschen Bischofskonferenz.

Vor diesem Konzept liegen jedoch bereits zwei wesentliche Voraussetzungen, die an diesem Tag genannt werden müssen. Zuerst geht es um den vielfältigen und oft auch einseitig verstandenen Begriff der Begabung. Es geht nicht um einen zu eng gefassten Elite-Begriff, der nicht selten auch einen problematischen Dünkel gefördert hat. Als Christen sind wir überzeugt, dass in jedem Menschen als einem Ebenbild Gottes Fähigkeiten bereitliegen oder mindestens verborgen sind, die – auf welche Weise immer – die Einmaligkeit einer Person in ihrem Wesenskern und in ihren Wirkungen ausmachen. Deshalb ist es gut, wenn wir im Zug der letzten Jahrzehnte am Beginn jeder Bildung und Ausbildung der Chancengleichheit einen hohen Stellenwert eingeräumt haben. Es kommt gerade darauf an, solche Begabungen zu entdecken und sie dann entschieden zu fördern. Wer zu einer solchen breiten Grundlage für die Auswahl ja sagt, der muss freilich auch den Mut haben, besondere und überdurchschnittliche junge Frauen und Männer auszuwählen und in außerordentlicher Weise zu unterstützen. Aber diese Begabungen beziehen sich nicht ausschließlich auf die formale intellektuelle Fähigkeit, geschweige denn auf den I.Q. allein. Echte Begabungen sind auch bei hohem intellektuellem Einsatz immer wieder gemischt. Und auch hier gilt, dass zur Förderung die Forderung gehört: Begabte müssen ihre Fähigkeiten auch annehmen, ausbilden und wirksam machen wollen. Dies setzt Konzentration, Disziplin, und auch – ich scheue mich vor dem Wort nicht – Askese voraus, um ein Ziel mit allen Kräften zu erreichen. Dann, wenn man dies alles annimmt, mag man auch den Begriff der Elite anwenden, vor dem wir uns nicht grundsätzlich scheuen. Damit sagen wir ja zu geistigem Wettbewerb und menschlich entwickelten Führungsqualitäten, aber auch zu sensibler Verantwortungsbereitschaft.

Das Cusanuswerk hat nie verleugnet, dass es im Schoß und Raum der katholischen Kirche entstanden ist und sich auch bei aller Verwendung staatlicher Förderungsmittel heute so versteht. Dies hat Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Vernunft und Glaube unter Einschluss ihres Verhältnisses zur konkreten gesellschaftliche Realität. Wir sind überzeugt, dass es für das ganze Wohl des Menschen förderlich ist, das Verhältnis zwischen Vernunft und Glaube positiv aufzunehmen. Die Zeit eines puren Positivismus und einer illusionären Autonomie absolut voraussetzungsloser Wissenschaft ist längst vorbei, ohne dass dies der Eigengesetzlichkeit wissenschaftlichen Forschens geschadet hat. Gerade als katholische Christen sind wir überzeugt, dass der Glaube uns Impulse schenkt, die mit dem Licht der Vernunft eine universale Bedeutung erhalten können. Wir dürfen keine Angst haben, Vernunft und Wissenschaft könnten einen geistig verantwortungsbereiten Glauben aus den Angeln heben. Selbstbewusst sagen wir mit Thomas von Aquin: Niemals aber wird der Glaube durch die Vernunft entleert. Dies schließt nicht aus, dass es gelegentlich zu Konflikten kommt. Sie können auch nicht immer sofort gelöst werden. Das Cusanuswerk hat auf die wechselseitige Herausforderung und Horizonterweiterung, auch auf eine wechselseitige Befruchtung beider gesetzt. Andere Lösungen sind gewiss einfacher, indem man – von welcher Seite immer – den wechselseitigen Ausschluss von Glauben und Vernunft dekretiert. Wir wollen uns auch nicht mit jener Lösung zufrieden geben, die dem jeweiligen Bereich zwar eine eigene Existenz zubilligt, diese aber höchstens im Sinne einer letztlich gleichgültigen, schiedlich-friedlichen Koexistenz im Sinne eines indifferenten Nebeneinanders versteht. Nein, wir wollen auch durchaus eine wechselseitige Beunruhigung, Herausforderung, und sei es auch eine gewisse Verunsicherung über bisherige Antworten, die neu gefunden werden müssen. Es gibt nicht nur banale Harmonie oder zerstörerischen Konflikt. Fragendürfen – freilich nach allen Richtungen – gehört zu den förderungswürdigen Tugenden.

Gegenüber allen Vereinfachungen bitte ich das Cusanuswerk, das Spannungsdreieck „Vernunft – Glaube – Gesellschaft“ nicht aufzugeben. Es gehört nicht nur zum Auftrag gerade des Cusanuswerkes, sondern dieses dreifache Gefüge muss auch vom Einzelnen gestaltet sowie geistig und spirituell verantwortet werden. Damit ist auch von Anfang an zum Ausdruck gebracht, dass es keinen einzigen Typ für einen katholischen Intellektuellen gibt, sondern eben viele lebendige Formen und Muster, die jeweils wieder vorbildhaft wirkende Impulse auf andere hin erzeugen können. Bleiben Sie darum auch in Zukunft einer interdisziplinären Bildung mit vielen Angeboten treu. Wir wollen keine Fachidioten fördern, die keine Sensibilität haben für da Bemühen in anderen Wissenschaften und zu keiner Verantwortung bereit sind in Kultur, Gesellschaft und Kirche.

Damit sind wir fast wie von selbst zum großen Namengeber unseres Werkes gestoßen. Nikolaus von Kues. Er hat ein vielfaches Gesicht und passt so genau in das Werk seines Namens. Zum einen ist er tief im Mittelalter verwurzelt. Aber nicht nur dies. Nikolaus von Kues war auch die heidnische und die christliche Antike, gleichsam die ganze klassische Bildung Europas gegenwärtig, nicht zuletzt auch im Blick auf den Islam. Dabei geht es nicht nur um Philosophie und Theologie, sondern auch z.B. um Mathematik und Astronomie. Zum anderen aber weist er zugleich und ganz besonders in die Zukunft. Man hat ihn nicht zufällig „Pförtner der Neuzeit“ genannt. Er gilt als eine der großen Symbolfiguren an einer einschneidenden Epochenwende der europäischen Geschichte. Damit steht er für eine Entwicklung , die sich allerdings gewiss nicht nur an einem Tag und in einem Mann vollzieht, sondern in vielen Stufen – bis heute.

Dafür ist es gut, seinen Namen zu verwenden.

Ich möchte dies an einem Gedanken aufzeigen. Für Nikolaus ist der menschliche Geist das lebendige Bild Gottes (mens viva Dei imago). Für Nikolaus kommt die Gottebenbildlichkeit gerade in den geistigen Fähigkeiten des Menschen zum Ausdruck, ohne dass wir den Leib abspalten dürften. Als lebendiges Bild Gottes ist der Geist wesentlich frei. Wie kaum jemand vor ihm hat Nikolaus die schöpferische Fähigkeit des Menschen mit der Autonomie und der Spontaneität des Geistes verbunden. Dabei vergisst er nie, dass der Geist ein lebendiger Spiegel Gottes ist. Vieles davon kommt erst bei späteren Denkern zum Tragen. Aber er vergisst auch nicht, dass der Mensch als Bild Gottes sich ethisch und spirituell dem Urbild annähern muss; es geht nicht um eine unumschränkte Freiheit grenzenloser Willkür, sondern in letzter Tiefe ist das Erkennen eng mit der Gottesliebe und besonders auch der Liebe und Anerkennung anderer Geschöpfe verbunden. Nikolaus weiß, dass diese Bild Gottes im Menschen durch unsere Schwächen immer wieder verdunkelt wird, aber in aller Verlorenheit kann es doch wieder durch Jesus Christus selbst zurückgerufen werden und durch Umkehr seine ursprüngliche Wirklichkeit wieder entfalten.

In der schönen, im Schicksalsjahr 1453 entstandenen Schrift „Gott sehen“ (De visione Dei), die nicht leicht zu lesen ist und im Zusammenhang mathematischer Überlegungen entstanden ist, übrigens auch im engen Kontext von Überlegungen zu Toleranz und Religionsfreiheit (De pace fidei), gibt es einige Kernsätze für das Gesagte. So sagt der Mensch zu Gott: „An mir liegt es, mich für dich, soweit ich es vermag, immer mehr empfänglich zu machen.“ Nikolaus legt Gott sogar in Anwendung auf den Menschen die Worte in den Mund: „Sei du dein, und ich werde dein sein.“ In einer Predigt für Mariä Himmelfahrt des Jahres 1456, die von einem einzigen Wort handelt, nämlich „Effeta“ (Mk 7,34), – es geht um die Öffnung und Heilung des Taubstummen – steht der verblüffende Satz: „Er (Gott) hat die Macht, (dem Menschen) zu sagen: ‚Sei du das, was du willst!’“ Dem Menschen wird eine grundlegende Fähigkeit zur Selbstgestaltung zugesprochen, und zwar von Gott selbst.

Dies ist ein kleines Beispiel dafür, wie kühn Nikolaus denkt, wie sehr er aber auch im Glauben verwurzelt bleibt. Es ist darum falsch, diese kühnen Ideen wie aus einem Steinbruch als einzelne Findlinge herauszubrechen und zu glauben, man könne die theologischen und angeblich mittelalterlichen Reste hinter sich lassen. Ohne eine ständige Rückkehr zum bleibenden Ursprung des menschlichen Geistes fürchtet Nikolaus tief um den Missbrauch dieser großen Freiheit des Menschen. Er sieht die Gefahr vor allem in einem Wissenshochmut, einem vermessenen Vertrauen bloß auf die „eigene Kraft der Vernunft“ und in einem falsch verstandenen Fortschritt in der Wissenschaft. (Nachweise bei J. Stallmach, Ineinsfall der Gegensätze und Weisheit des Nichtwissens, Münster 1989, 49 mit 145). Davor sind auch wir heute nicht gefeit.

Damit ist der Bogen auch geschlagen zu den Problemen, die wir heute nicht mehr mit Nikolaus allein lösen können, für die er uns aber grundlegende Wegweisungen mitgeben kann. Darum ist er mit gutem Recht der große Patron unseres Werkes. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort  

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz