ROLLY (c) Bistum Mainz (Ersteller: Bistum Mainz)

Predigt beim Pontifikalrequiem anlässlich der Beerdigung von Weihbischof em. Wolfgang Rolly

Datum:
Freitag, 4. April 2008

am 4. April 2008 im Mainzer Dom

„Mit dir (Herr) erstürme ich Wälle, mit meinem Gott überspringe ich Mauern." (Ps 18,30)

„Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn" (Röm 8,38/39)

Die meisten von uns, die wir am Gottesdienst und an der nachfolgenden Beerdigung teilnehmen, kannten Weihbischof Wolfgang Rolly persönlich und wissen auch um sein Leben. Sieben Mal habe ich von seinem 60. Geburtstag bis zu seinem 80. Geburtstag über ihn gesprochen und geschrieben. Vieles lässt sich nachlesen in der Festschrift zum 70. Geburtstag „In der Kraft, die weiterträgt" (Mainz 1997). Deshalb will ich nicht lange über sein Leben und Wirken sprechen, aber doch einige Lebensstationen dankbar in Erinnerung rufen.

Wolfgang Rolly hat uns am Dienstag-Abend nach dem Osterfest im 81. Lebensjahr verlassen. Dankbar durften wir am 25. November des vergangenen Jahres seinen 80. Geburtstag feiern. Seit 55 Jahren ist er Priester in unserem Bistum. Die Gemeinden in Lämmerspiel, Gau-Algesheim, Lampertheim, Friesenheim und Gießen werden sich heute noch an ihren Kaplan erinnern, der in sechs Jahren alle drei Regionen des Bistums gut kennen lernte. Schon früh wurde seine Berufung und Eignung zum Dienst für die Jugend erkennbar: als Dekanatsjugendseelsorger in Gießen, als Religionslehrer an der Maria-Ward-Schule (1959-1972), als Geistlicher Leiter im Bistum und später als Bundeskaplan der Heliand-Schülerinnengemeinschaft/KSJ und schließlich später auch als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Jugendpastoral (1979-1986). Er war gerade zum Sekretär des Priesterrates berufen, als er durch Papst Paul VI. zum Titularbischof von Taborenta und Weihbischof in Mainz ernannt worden ist (5. Juni 1972 / Bischofsweihe 2. Juli 1972).  Bald wurde er Referent bzw. Bischofsvikar für die Pastoralen Räte (1973-1991) und für die Weiterbildung/Erwachsenenbildung. Er hat für den klugen, vertrauensvollen und geduldigen Aufbau der Räte auf allen Ebenen in unserem Bistum höchste Verdienste, ähnlich wie er als Bischofsvikar für die Weiterbildung/Erwachsenenbildung (ab 1972) sowohl im Hinblick auf die Struktur als auch die Inhalte eine gute Grundlage bis heute schaffte, nicht zu vergessen die Planungen für die Akademie des Bistums Mainz, den Erbacher Hof. Auch in der Deutschen Bischofskonferenz war er für mehrere Kommissionen: die Pastoralkommission (1972-1978), die Kommission Erziehung und Schule (ab 1972) und die Publizistische Kommission (ab 1988) ein stets präsentes und konstruktiv mitdenkendes Mitglied. Ähnlich wichtig war er in der Gemeinsamen Synode und auch bei zwei ordentlichen Bischofssynoden der Weltkirche, nämlich in den Jahren 1977 (Katechese in unserer Zeit) und 1987 (Berufung und Sendung der Laien in Kirche und Welt). Für fast zehn Monate war er 1982/83 während der Sedisvakanz zwischen Hermann Kardinal Volk und mir - so hieß es damals - Kapitularvikar des Bistums Mainz. Seit 1986 war er bis zu seiner Emeritierung als Domdekan und Domkustos von besonderer Treue erfüllt für eine würdige Gestaltung der Gottesdienste, nicht zuletzt auch für die Chöre am Dom und den Erhalt des Bauwerkes. Mit fast 76 Jahren wurde er am 20. Februar 2003 von Papst Johannes Paul II. entpflichtet. Als Wolfgang Rolly jetzt sein Leben in die Hand des Schöpfers zurückgab, war er 36 Jahre Weihbischof in unserem Bistum. Wir haben also Grund genug, ihm von Herzen zu danken.

Deshalb hat auch Papst Benedikt XVI. durch seinen Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone in einem Schreiben an mich vom 27. März sein Leben und Wirken in unserem Bistum gewürdigt, das ich Ihnen vorlesen darf:

„Der Hl. Vater Papst Benedikt XVI verbindet sich mit Ihnen und der Diözese Mainz im Gebet für den Hochw. Herrn Weihbischof Wolfgang Rolly, den der Herr über Leben und Tod in die ewige Heimat gerufen hat. Möge der allmächtige Gott den Einsatz des Verstorbenen in Verkündigung und Seelsorge mit himmlischem Lohn vergelten und ihn in den österlichen Lobgesang der Erlösten einstimmen lassen. Seine Heiligkeit erteilt allen, die im Gebet und Opfer des verstorbenen Weihbischofs gedenken, den Apostolischen Segen."

So haben wir ihn gekannt und in Erinnerung, wie er uns auf dem Foto beim Tisch mit den Kondolenzunterschriften und im Gedenkbildchen mutig, freundlich und entgegenkommend anschaut und zulächelt. Dazu passt in hervorragender Weise der bischöfliche Leitspruch, den er sich aus Psalm 18 auswählte: „Cum Christo trans muros" - „Mit dir erstürme ich Wälle, mit meinem Gott überspringe ich Mauern", oder wie er auch gerne übersetzte: „Mit Christus über alles Trennende". Dieses Wort ist in seinem Ursprung und in seinem Inhalt (vgl. 2 Sam 22,30) einem Jubelruf aus dem Dankgebet des König David genommen, nachdem er aus der Gewalt der Feinde und Sauls errettet worden war. Mauern und Wälle sind kein Hindernis, wenn Gott gegenwärtig ist. Dies gilt auch für die Stunde der Not und der Bedrängnis. Gerade im Dunkel bleibt Gott bei uns, auch wenn wir nach ihm suchen und schreien müssen. Wolfgang Rolly hat immer wieder diese grenzenlose Zuversicht, gerade auch für junge Menschen, ausgestrahlt und vielen wirklich geschwisterlich Mut gemacht in widrigen Lebenssituationen. Darum prägte ihn dieses bischöfliche Leitwort bis tief in sein Leben und auch Sterben hinein.

Wir fragen uns auch angesichts der Zeit, in der er lebte (Nationalsozialismus, Krieg, Nachkriegszeit) und im Blick auf das Leiden der letzten Jahre, woher denn Wolfgang Rolly diese Gewissheit nahm und woher er die Festigkeit hatte, diese Gewissheit unablässig über Jahrzehnte den Menschen zu verkünden. Ich möchte gerne die Antwort mit den letzten Sätzen des hl. Paulus im Brief an die Römer geben. Auf dem Höhepunkt des ganzen Briefes ruft Paulus in geradezu dichterischer Sprache das Grundbekenntnis seines Glaubens aus. „Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn" (Röm 8,38/39)

Paulus ist vorsichtig mit großen, enthusiastischen Worten. Er kennt das Leid der Menschen und die Wahrheit und Wirklichkeit des Kreuzes. Aber an dieser Stelle, wo er auf einem Gipfel seines theologischen Denkens und auch des Lobpreises der Gnade Gottes angelangt ist, redet er wie selten sonst von einer letzten Gewissheit, die alles trägt. Er gebraucht dieses heute oftmals so schmählich misshandelte Wort Liebe nicht leichthin. Gottes Liebe zu uns ist von unzerstörbarer Gewissheit. Unter den Mächten die Paulus aufzählt und die uns nicht von dieser Liebe scheiden können, gehört an erster Stelle der Tod. Dass wir alle sterben müssen, ist eine unumstößliche, selbstverständliche Gewissheit. Schon darin erweist sich der Tod als sehr viel stärker im Vergleich zur menschlichen Liebe. Diese kann Krankheit, Entbehrung, vorübergehende Trennung und Schuld überwinden, aber es gibt keine Liebe ohne Trennung, und der Tod trennt unerbittlich und endgültig. Zwar heißt es im Hohenlied „Stark wie der Tod ist die Liebe" (Hld 8,6). Aber erweist er sich am Ende nicht doch als der Stärkere? Ist er nicht ungleich mächtiger als alle zerbrechlichen Gewissheiten unseres menschlichen Lebens?

Paulus wagt es dennoch, diese Allmacht des Todes zugunsten der Liebe Gottes zu uns zu bestreiten. Er weiß dabei um dessen Gewalt, nennt er ihn doch an anderer Stelle selbst „den letzten Feind" (1 Kor 15,26). Die Mächte, die Paulus in seinem Bekenntnis aufzählt: Engel, Mächte, Gegenwärtiges und Zukünftiges, kurz: alles Geschaffene, das unser Herz gefangen nehmen und uns nicht selten von Gottes Liebe trennen will, sind bei aller Kostbarkeit nur Zeichen, ja Boten des Todes, die uns der Nichtigkeit ausliefern wollen. Der Apostel weiß dagegen mit unerschütterlicher, in Gott selbst gründender Gewissheit um einen letzten Boden und Halt, die auch dann nicht versinken, wenn alles unter uns wankt. Es sind ja nicht unsere schwankenden Stimmungen und wechselnden Launen, die uns tragen. Wir finden diese unumstößliche Gewissheit nicht in uns selbst. Da stoßen wir auf viele Abgründe. Die Antwort, die wir suchen, können wir uns nicht selbst geben. Sie kann nur von außen kommen. Wir hören sie als Gottes Antwort, die er uns zuspricht. Sie befreit uns von unseren Befindlichkeiten und Zweifeln, weil hier gerade nicht unser Tun gefordert, sondern alles für uns von ihm schon getan ist. Wenige Verse vor unserem Bekenntnis fasst der Apostel auf andere Weise die Antwort zusammen: „Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?" (Röm 8,31/32)

Meine verehrten, lieben Schwestern und Brüder, liebe Freunde von Weihbischof Wolfgang Rolly, diese Gewissheit, dass der Herr immer bei uns ist, in allen Situationen, und dass er uns nie verlässt, hat Weihbischof Wolfgang Rolly die Zuversicht und Freudigkeit seines Lebens und Wirkens, den heiligen Mut und die unbeirrbare Menschenfreundlichkeit gegeben, an der er nicht irre geworden ist. Dies ist etwas, was unsere äußersten Gegensätze überschreitet und allein in Gemeinschaft mit Jesus überwindet, nämlich Wasser und Feuer, noch mehr: Leben und Tod. Es gibt etwas, was sogar über diese äußersten Gegensätze hinausführt. Wir sind auch dann nicht allein.

Dafür, meine lieben Schwestern und Brüder, wollen wir Wolfgang Rolly  in ganz besonderer Weise danken. (Und nun zum Sarg hingewandt) Lieber Wolfgang, wir danken dir für dieses einzigartige Zeugnis des Glaubens und das Beispiel deines unermüdlichen Dienstes für Gott und die Menschen. Viele Menschen sagen dir in diesen Tagen und besonders heute ein herzliches Vergelt´s Gott für deine unerschöpfliche Hingabe und deine nicht enttäuschbare Liebe, die dir immer wieder geholfen haben, Enttäuschung und Schmerz, ja Leid und sogar den Tod zu bestehen und gar zu überwinden. Wir hoffen, dass die Begeisterung deines Lebens immer wieder über alles Trennende hinweg auf viele Menschen überspringt und Funken schlägt für neue Christen und aus ihnen kommende Berufungen. Ich möchte Dir auch meinen ganz persönlichen dank für alle große Unterstützung zurufen. Der Herr schenke dir immerwährenden Segen und ewiges Leben.

Wir haben aber auch den Menschen zu danken, in ganz besonderer Weise seinen Eltern und Geschwistern, die von uns gegangen oder - Gott sei Dank - unter uns sind. Wir danken allen Freunden und Weggenossen, die auch in den dunklen Stunden bei ihm ausgeharrt haben, ganz besonders möchte ich zwei Menschen diesen Dank auch unter Nennung ihres Namens abstatten: Ihnen, sehr verehrte Frau Gertrud Uftring, die Sie besonders seit dem Ausbruch der Krankheit vor neun Jahren, buchstäblich Tag und Nacht Wolfgang Rolly zur Seite standen und ihm ein Leben zu Hause ermöglichten, was jetzt besonders für ihn wichtig war. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Cornelius Kortsik mit allen Ärztinnen und Ärzten, Schwestern und Pflegern, den vielen Einrichtungen im Katholischen Klinikum und auch in der Mainzer Dialysestation für die unermüdliche Begleitung, die ihm viel Hoffnung und Halt gab. Ihnen wollen wir gerade an diesem Tag ein herzliches Vergelt´s Gott zurufen. Dankbar begrüßen wir auch seine Sekretärinnen und seine Assistenten, die ihn stets begleiteten.

Der heutige Tag des Abschieds ist gewiss eine Zeit der Trauer. Aber wenn wir im Glauben tiefer blicken, gibt er auch Anlass zu Freude und Zuversicht: Gott steht und bleibt auf unserer Seite. Er lässt uns nie ins Bodenlose versinken. Er schenkt uns immer wieder bewegende Zeugen seiner Frohbotschaft. Das Leben Wolfgang Rollys ruft uns allen zu: Es lohnt sich zu glauben, zu hoffen und zu lieben - allem Anschein zum Trotz. Der Tod nimmt uns nicht diese Freude, er rückt sie uns neu näher. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz