Predigt beim Regionalen Weltjugendtag

am 1. April 2006 im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Samstag, 1. April 2006

am 1. April 2006 im Hohen Dom zu Mainz

Liebe jungen Freunde,

Wir haben heute schon vieles gehört, miteinander gesprochen, und ihr seid ja auch noch einige Stunden zusammen. Aber einen Gedanken, oder besser vielleicht gesagt: einen Blick, nämlich den auf das Kreuz, wollen wir noch mitnehmen, wenn es nun ab morgen in die letzte Etappe der Österlichen Bußzeit geht. Es beginnt die so genannte Passionswoche vor der Karwoche. Das ist auch die Zeit, in der in einem früher stärker geübter Brauch das Kreuz verhüllt wurde bis zum Karfreitag bei der Kreuzenthüllung. Ja, es ist gut, wenn wir vielleicht mal das Kreuz für einige Zeit verhüllen, weil es uns so selbstverständlich geworden ist, weil viele es einfach als gar nicht mehr erkanntes Schmuckstück tragen, und das Kreuz in vielen Situation geradezu entwürdigt wird, weil es gedankenlos getragen wird. Deshalb ist es gut, wenn wir für kurze Zeit das Kreuz verhüllen, damit es nicht einfach nur banal und selbstverständlich erscheint und am Karfreitag, wenn wir es enthüllen, neu zu uns sprechen kann.

Zu den großen Erfahrungen des Weltjugendtages in Köln, den wir ja schon lange vor dem eigentlichen Ereignis im August 2005 vorbereitet haben, gehört für mich und für viele andere die außerordentliche Aufmerksamkeit, die das immer mitgeführte schlichte Holzkreuz bisher bei den Weltjugendtagen auf der ganzen Welt erfahren hat. Man sieht diesem Kreuz die Spuren seiner langen Weltreise an. Wir haben es zum Weltjugendtag in Deutschland gehabt, jetzt geben wir es nach Sydney weiter für den nächsten Weltjugendtag 2008. Wir übergeben es an Palmsonntag unseren jungen Schwestern und Brüder aus Australien, damit es wieder neu diese Reise macht, und dann auch in den letzten Kontinent, in dem es noch nicht war, kommt. Eswird so zum Zeichen, dass die ausgespannten Arme des Kreuzes in alle Himmelsrichtungen weisen und die Welt umfangen.

Niemand hätte gedacht, dass sich gerade junge Menschen von dieser Begeisterung, von dieser Ehrfurcht und auch von dieser Zuneigung, dieser starken Wahrnehmung der Symbolkraft des Kreuzes, so ansprechen lassen. Viele sehen im Kreuz ein Ärgernis im Glauben der Christen. Sie meinen, da wäre etwas hineingekommen, was das Leid verklärt; mit dem viel Schindluder getrieben worden ist. Sie meinen, eigentlich müsste man dieses Kreuz möglichst an den Rand stellen; es sei ein Unglück gewesen, dass man das Kreuz besonders nach dem Krieg Konstantins 313 zu einem Zeichen des Sieges des christlichen Glaubens gemacht habe.

Nehmen wir aber einmal das Kreuz in seiner ganzen Schlichtheit. Es ist ein Zeichen, dass wir in unserer Welt immer wieder auf etwas treffen, was widrig ist. Das Kreuz ist ein Zeichen der Ungerechtigkeit, des Leidens, des Schmerzes. Wir Christen wollen das nicht einfach verdrängen. Wir wollen nicht so tun als ob es das nicht gäbe mitten in unserer Welt. Wir haben vielmehr den Mut, auch und gerade dieser Ungerechtigkeit und dem Bösen in die Augen zu schauen. Wir haben den Mut, den Jesus von uns verlangt. Ich finde es ein großartiges Wort, dass jeder sein Kreuz hat und es auf sich nimmt: nicht nur das Kreuz Jesu, nicht nur das Kreuz von Golgotha. Er sagt uns ganz klar, dass jeder von uns früher oder später, irgendwann einmal ein Kreuz in besonderer Weise auf seinen Schultern spürt, indem er es trägt für andere. Vielleicht trägt er auch schwer an dem, was ihm selbst aufgeladen ist. Aber wenigstens wollen wir nicht einfach wegschauen; wir wollen immer wieder Mut und Kraft schöpfen aus dem Kreuz; wir wollen nicht kapitulieren, wenn wir zu Boden gehen. Wir wollen nicht einfach so tun, als ob es das in unserer Welt und besonders auch in unserem Leben gar nicht geben würde. Deshalb finde ich es so faszinierend, dass so viele junge Menschen bei uns im Lande und in ganz Europa dieses Kreuz mit dieser großen Treue durch das Land getragen haben: Vorbei an allem, was bei uns an Schönem und Hässlichem, Gutem und Bösem ist. Das Kreuz hat, obwohl es so schmucklos ist, eine so große Zustimmung erfahren. Darum freue ich mich, dass es auch heute wieder bei uns steht.

Dieses Kreuz ist ja – das dürfen wir nie vergessen - ein Zeichen für den schlimmsten Tod, den ein Mensch in der alten Welt sterben konnte. Nicht nur wegen der besonderen Qualen und Schmerzen, die man am Kreuz aushalten musste, sondern weil es auch ein Zeichen der schlimmsten Diskriminierung, der allergrößten Demütigung war. Ein römischer Staatsbürger konnte nicht gekreuzigt werden, nur Sklaven und Verbrecher wurden gekreuzigt. Jesus, der Reinste und Gerechteste von allen, wurde ans Kreuz gebracht. So viel Mut hat unser Glaube, dass er nicht flüchtet davor. Er weiß um dieses Unrecht und auch, wie viel Kraft ausgegangen ist und täglich noch ausgeht in die ganze Welt und zu vielen Menschen, die glauben. So können sie manches tragen, manchem widerstehen und manches auch unter Anstrengung aller Kräfte zum Guten ändern. Das Kreuz gibt Kraft. Und wir wissen es auch gerade aus den Kreuzeshymnen und aus den Worten am Karfreitag, wie viel am Holz des Kreuzes auch an Hoffnung und an Zuversicht entsteht.

So wollen wir mit den Worten des Evangeliums von heute in diese Tage hineingehen. Wir wissen, dass das nicht selbstverständlich ist, und wir müssen uns auch selbst immer wieder bekehren, umkehren zu dem Geheimnis des Weizenkorns. Das Weizenkorn, das nicht in die Erde fällt und stirbt, bringt keine Frucht. Das ist schwer zu verstehen, dass wir unser Leben hingeben sollen. Das muss nicht immer dramatisch sein im Sinne eines gewaltsamen Todes oder gewaltsamen Erleidens. Es geschieht auch, indem wir für andere eintreten und uns hingeben für viele: sie mitnehmen, mittragen, für sie eintreten. Da, wo sie Hilfe brauchen, da geschieht auch ein solches Sichhingeben im Sinne dessen, was Jesus für uns und für alle am Kreuz getan hat.

Wir würden das aber nicht tun - oder wir würden es nur ein wenig narkotisiert tun, wenn wir nicht zugleich wüssten: Dieses Kreuz ist nicht nur das Zeichen des Leidens und des Todes, sondern es ist auch ein Zeichen des Sieges und der Liebe über alle Gewalt. Da werden manche lachen: Schau doch in die Weltgeschichte hinein, wie kannst du so etwas sagen? Aber wir wissen: Wer Ja sagt zu Jesus, wer mit ihm auf dem Weg bleibt, wer auch mit ihm wie Simon von Cyrene das Kreuz mitträgt für das Leid der Welt, der hat am Ende doch Recht. Wenn wir das auch erst im Gericht sehen, wenn wir zur Verantwortung gezogen werden, alle zur Verantwortung gezogen werden, Große und Kleine, wenn die Geschichte gegen den Strich gebürstet wird: Dann werden wir einmal erkennen, wer wirklich groß ist, und wer eigentlich erbärmlich klein ist, obwohl er in den Geschichtsbüchern der Welt steht. So steht das Kreuz über unserem Leben mit diesem abgründigen Geheimnis, dass wer sich weggibt eigentlich beschenkt wird, und dass der nie bereuen muss, dass er dies getan hat. Dies ist auch das Geheimnis des Kreuzes in unserem eigenen Leben, wenn wir dazu immer wieder den Mut aufbringen.

(c) Karl Kardinal Lehmann 

Leicht bearbeitete Bandabschrift 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz