Predigt im Gedenken an den Völkermord in Ruanda im Ökumenischen Gedenkgottesdienst anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Partnerschaft Rheinland-Pfalz/Ruanda

am 20. April 2007 in der Johanniskirche Mainz

Datum:
Freitag, 20. April 2007

am 20. April 2007 in der Johanniskirche Mainz

Predigttext: 2 Kor 1,3-7

Wenn wir 25 Jahre Partnerschaft zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda feiern, dann dürfen wir auch die traurigen Stunden in dieser Geschichte nicht einfach außer Acht lassen. Dazu gehört der Völkermord des Jahres 1994. Der Bürgerkrieg in der ersten Hälfte der 90er Jahre, die Massaker von 1994 und auch die blutigen Racheakte, die in der Folge begangen wurden, haben ein Land, das viele als die Perle Afrikas gepriesen haben, an den Rand des wirtschaftlichen, politischen und moralischen Ruins getrieben. Obgleich wir noch in derselben Epoche leben, können wir uns diese schlimme Situation kaum mehr vorstellen und schon gar nicht verständlich machen. Wir sprechen heute von 900.000 Menschen, die ihr Leben verloren haben. Heute werden zwischen acht und neun Millionen Einwohner angegeben. Nur so kann man sich an das Ausmaß dieses Völkermordes, wo von April bis Juni 1994 getötet worden ist, ein wenig vorstellen: mehr als jeder Zehnte wurde ermordet. So dürfen wir an diesem Tiefpunkt in der Geschichte des Landes nicht vorbeigehen. Alles andere wäre eine Missachtung des unsäglichen Leidens der Opfer.

Es ist vielfach erörtert worden, wie man in den letzten zwölf Jahren versucht hat, die Untaten zu bestrafen und den Völkermord, wenn dieses Wort erlaubt ist, „aufzuarbeiten“. Es ist auch bekannt, wie man Laien-Tribunale aufgestellt hat, um vor allem auf dem Land die Gerichtsbarkeit auszuüben. Aber man hat sich von diesen „Gras“-Gerichten (Gacaca-Gerichte) vor allem auch versprochen, dass sie zur Versöhnung beitragen können. Aber wir wissen auch, wie schwierig dies ist, da viele Beschuldigten jede Beteiligung abstreiten oder keine Reue zeigen. Man will aber nicht auf eine Aufarbeitung verzichten, da damit eine Verhöhnung der Opfer gegeben wäre.

Gerade in solchen Situationen kann uns der Glaube helfen. Dies gilt besonders auch für Ruanda, denn mit über 50 Prozent Anteil von Christen gehört Ruanda zu den am meisten christianisierten Ländern Afrikas.

Dazu ist unter den heutigen Texten und Gesängen auch ein kurzes Stück aus dem Zweiten Korintherbrief des hl. Paulus ausgewählt worden. In diesem Text, den wir soeben gehört haben, fällt auf, dass ein Wort in den wenigen fünf Versen zehnmal vorkommt. Wir übersetzen es gewöhnlich mit „Trost“/„trösten“ („parakaleo/paraklesis“). Auf jeden Fall ist darunter ein „Zuspruch“ verstanden. Vor allem werden damit bedrängte Menschen wieder aufgerichtet. Es geht um den Beistand Gottes in den Krisensituationen des Menschen. Das Evangelium ist eine Rettungsbotschaft, die vor allem den Opfern eine tröstliche Wirkung vermitteln soll. Dieser Trost soll ermutigen und stärken. Dies ist nur von Gott her möglich.

Es ist für uns heute nicht leicht, in gemäßer Weise mit dem Wort vom Trost umzugehen. Es ist auch zu viel Missbrauch betrieben worden, indem Trost verwechselt wurde mit Vertröstung. Man hat die Gefahr nicht immer vermieden, von der Not und vom Elend, vom Schmerz und vom Leid dieser Welt abzulenken und so in einer fragwürdigen Weise zu vertrösten. Die Religionskritik hat dies erbarmungslos getadelt und kritisiert.

Heute jedoch entdeckt man, dass zwischen Trost und Vertröstung ein großer Unterschied ist. Selbst sehr entschlossene Religionskritik macht deutlich, dass „Trost“ vor allem mitten im unbegreiflichen Leid etwas ist, was offenbar nur Religion und Glaube dem Menschen zusprechen können. Man kann dies in den jüngeren Schriften von Jürgen Habermas nachlesen. Es gibt einen Trost, den nur Gott für uns hat.

Dies wird auch ganz deutlich in unserer heutigen Lesung. Dort wird nämlich in ganz besonderer Weise auch auf das unbegreifliche Leiden Jesu Christi verwiesen: „Er (der Gott allen Trostes) tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden. Wie uns nämlich die Leiden Christi überreich zuteil geworden sind, so wird uns durch Christus auch überreicher Trost zuteil.“ (2 Kor 1,4 f.)

Es gibt nicht nur die Leidensgemeinschaft mit Jesus Christus, sondern auch eine Teilhabe an seinem Trost und an dem, was uns Jesus Christus gebracht hat. Wir dürfen uns auf ihn verlassen. Er ist derjenige, der alles Unrecht und alles unbegreifliche Leid auf sich genommen hat und uns von der oft tödlichen Ungerechtigkeit befreit hat. Die Welt ächzt und stöhnt noch unter der Macht des Bösen, aber dieses hat nicht mehr das letzte Wort. Nur darum kann es auch wirklich Trost geben, weil Gott einmal alle Tränen abwischen wird.

Deshalb dürfen wir uns natürlich nicht im falschen Sinne „vertrösten“ lassen. Wahrer Trost von Gott will nicht einfach auf die Versöhnung am Ende der Welt warten, sondern dass wir jetzt schon, gerade nach Ostern, Frieden und Versöhnung suchen. Darum wollen wir den vielen beistehen, die dies seit Jahren, teilweise auch mit der Hilfe aus unserem Land, in Ruanda versuchen. Wir wollen für Ihre Stärkung und Ihre Ausdauer beten. Dann gilt das letzte Wort unserer Lesung für uns alle in besonderer Weise: „Unsere Hoffnung für euch ist unerschütterlich; wir sind sicher, dass ihr mit uns nicht nur an den Leiden teilhabt, sondern auch am Trost.“ (2 Kor 1,7) Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz