Predigt im Gottesdienst am Karfreitag, 29.3.2002, im Hohen Dom zu Mainz

- Zusammenfassung -

Datum:
Freitag, 29. März 2002

- Zusammenfassung -

Die Predigt, die ich wegen der reichen Texte am Karfreitag immer etwas kürzer halte, geht auf folgende Kerngedanken hinaus:

In der Passionsgeschichte widerfährt Jesus in äußerster Zuspitzung die ganze Serie menschlicher Gewalttaten, angefangen von Verrat unter den Freunden über die Verleugnung des Petrus, das falsche Zeugnis der Gegner, die Abfolge von Verspottung, Verhöhnung und grausame Verletzung bis zum Tod am Kreuz, der durch den Lanzenstich des Soldaten besiegelt wird.

Man gewinnt den Eindruck, als würde sich hier die Bosheit und Gewalt der ganzen Welt versammeln. Dies steht in unübersehbarem Kontrast dazu, dass Jesus der Unschuldige schlechthin ist, den kein Schuldspruch trifft. So soll er regelrecht vernichtet werden. Paulus fasst dies alles zusammen, indem er zweimal das ungeheure Wort prägt, Jesus Christus sei zur Sünde gemacht worden (nicht: zum Sünder). Dies zeigt die Macht und die Gewalt des Bösen, die zerstört und alles nur aus dem Blick der eigenen Interessen sieht, in diesem Sinne wirklich radikal egozentrisch ist. Wenn ein Anderer im Weg steht, wird er darum am Ende auch beseitigt. Dies scheint das Grundgesetz aller Gewalt zu sein.

Dies ist aber nicht alles, was der Karfreitag zu dem Geschick Jesu sagt. Der gewaltsame Tod erscheint in einer ganz neuen Deutung: Er gab sein Leben hin für die Vielen, für alle, für unsere Sünden. Dies ist aber nicht nur gemeint in dem Sinne, dass er für unsere Ungerechtigkeit und an unserer Stelle leidet, sondern dass er sein Leben hingibt zugunsten aller, also in einem positiven Sinne.

Dies wird am Karfreitag in den „Großen Fürbitten" in einzigartiger Weise entfaltet. In den zehn Großen Fürbitten, die in der Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils von Grund auf erneuert wurden, geht es wirklich um das Heil und Wohl aller Menschen. Dieses „alle" wird entfaltet im Blick auf die Kirche, die Einheit der Christen, die Juden, die Angehörigen der nichtchristlichen Religionen, die Nichtglaubenden, die Regierenden und schließlich alle notleidenden Menschen, gewissermaßen der Höhepunkt. Hier ist der stärkste Kontrast zur egozentrischen Gewalt, indem die Lebenshingabe Jesu Christi wirklich allen Menschen zugewandt wird. Hier stehen universale Offenheit und Solidarität gegen Egomanie und Rücksichtslosigkeit um jeden Preis. Hier geht es nicht nur um eine abstrakte Menschheit, sondern um alle einzelnen konkreten Menschen in der Gemeinschaft aller.

Dies ist mehr als eine Vision. Sie ist in Jesus Christus Wirklichkeit geworden. Es ist und bleibt ein Paradox, dass das Leben der Liebe und des Einsatzes für Andere am Ende den Sieg davonträgt über den Hass und den Zerstörungstrieb. Dies gilt sogar durch den Tod hindurch, der darum trotz aller Brutalität nicht das letzte Wort hat. Dies ist die Stärke des christlichen Glaubens, dass er dem Leiden nicht ausweicht, es aber auch nicht glorifiziert.

Eine solche Sicht ist kein Gesetz, nach dem die Welt regiert werden kann. Es geht zuerst um das unersetzliche Zeugnis des einzelnen Christen, der in diesem Geist lebt. Davon muss auch die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche selbst, als Botin der Gewaltlosigkeit und des Friedens in der Welt bestimmt sein. Damit kann Gewalt wenigstens gemindert, Friedensbereitschaft verstärkt werden. Dies ist ein wichtiges, unübersehbares Friedenssignal für alle privaten und öffentlichen Schlachtfelder der Welt, für die persönlichen Auseinandersetzungen, besonders aber auch für die Kriege und Gewaltanwendungen in der ganzen Welt, nicht zuletzt in Israel und Afghanistan.

 

Weil dies im Symbol des Kreuzes geheimnisvoll verdichtet und geborgen ist, verehren die Christen am Karfreitag das Kreuz und setzen sich damit in einer Weise mit Gewalt und Leid in der Welt auseinander, wie es wohl keine andere Weltreligion tut.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz