Predigt im Ökumenischen Gottesdienst zu „60 Jahre Rheinland-Pfalz“

am 18. Mai 2007 im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Freitag, 18. Mai 2007

am 18. Mai 2007 im Hohen Dom zu Mainz

Lesung: Jer 29,4-17a

So spricht der Herr der Heere, der Gott Israels, zur ganzen Gemeinde der Verbannten, die ich von Jerusalem nach Babel weggeführt habe:

Baut Häuser und wohnt darin, pflanzt Gärten und esst ihre Früchte!

Nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, damit sie Söhne und Töchter gebären. Ihr sollt euch dort vermehren und nicht vermindern.

Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zum Herrn; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl.

Denn so spricht der Herr der Heere, der Gott Israels: Lasst euch nicht täuschen von den Propheten, die unter euch sind, und von euren Wahrsagern. Hört nicht auf die Träume, die sie träumen.

Denn Lüge ist das, was sie euch in meinem Namen weissagen; ich habe sie nicht gesandt - Spruch des Herrn.

Ja, so spricht der Herr: Wenn siebzig Jahre für Babel vorüber sind, dann werde ich nach euch sehen, mein Heilswort an euch erfüllen und euch an diesen Ort zurückführen.

Denn ich, ich kenne meine Pläne, die ich für euch habe - Spruch des Herrn -, Pläne des Heils und nicht des Unheils; denn ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben.

Wenn ihr mich ruft, wenn ihr kommt und zu mir betet, so erhöre ich euch.

Sucht ihr mich, so findet ihr mich. Wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt,

lasse ich mich von euch finden - Spruch des Herrn. Ich wende euer Geschick und sammle euch aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch versprengt habe - Spruch des Herrn. Ich bringe euch an den Ort zurück, von dem ich euch weggeführt habe.

Zwar werdet ihr sagen: Auch in Babel hat der Herr für uns Propheten auftreten lassen.

Fürwahr, so spricht der Herr über den König, der auf dem Thron Davids sitzt, und über das ganze Volk, das in dieser Stadt wohnt, eure Brüder, die noch nicht mit euch in die Verbannung fortgezogen sind,

so spricht der Herr der Heere: Seht, ich schicke unter sie Schwert, Hunger und Pest und ich behandle sie wie verdorbene Feigen, die so schlecht sind, dass sie ungenießbar sind.

***

Wenn wir heute auf 60 Jahre Rheinland-Pfalz zurückschauen, müssen wir uns auch vergegenwärtigen, in welchem Elend viele Menschen damals lebten. Als das Land gegründet wurde, sahen viele darin einen einseitigen Akt der Besatzungsmacht. Es galt als ein „Land aus der Retorte“, das fremd erschien. Es kamen Gebietsteile zusammen, deren Menschen einander ziemlich fremd waren. Sie wären wohl kaum auf den Gedanken gekommen, sich selbst für eine solche politische Einheit in diesem Raum zu entscheiden. Man braucht sich auch nur die Fotos aus dieser Zeit anzuschauen, um das Ausmaß der Kriegszerstörungen vor Augen zu haben. Die Ernährungslage war trostlos. Die Bewältigung der Vergangenheit war mehr als schwierig.

60 Jahre danach spüren wir, wie die Geschichte seither eigene und andere Wege gegangen ist. Das Land, das man als ein „Produkt der Zonengeografie“ bezeichnet hat, hat sich in diesen sechs Jahrzehnten neu gefunden. Man entdeckte auch frühere gemeinsame historische Wurzeln. Es kam zu einer langsameren, aber stetigen Aufwärtsentwicklung. Keiner würde heute mehr, wie man es damals gemacht hat, vom „Armenhaus“ Rheinland-Pfalz unter den Bundesländern sprechen. Es bewegt sich in vieler Hinsicht auf den vorderen Plätzen, oder wenigstens im ersten Drittel der Länder der Bundesrepublik Deutschland. Aus dem ungeliebten Besatzungsstaat ist ein sympathisches, selbstbewusstes Land geworden, das heute viele Menschen lieben, und das in der Vielfalt deutscher Länder sich einen festen Platz erobert hat.

Darum können wir die Worte des Propheten Jeremia gut verstehen, denn er hat schon damals seine Landsleute trotz der düsteren Stunde, in der sie lebten, ermutigt. Dabei war er im Blick auf die Verwüstungen der Zeit stocknüchtern. Deshalb ist er auch der Schwarzseherei und der Resignation angeklagt worden. Das Heil sei doch sehr viel näher. Aber der Prophet weiß, dass jede Hoffnung einen langen Atem haben muss, und so ruft er den Verschleppten in der Fremde das Gotteswort zu: „Denn ich, ich kenne meine Pläne, die ich für euch habe – Spruch des Herrn –, Pläne des Heils und nicht des Unheils; denn ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben.“ (29,11) Jeremia verschweigt nicht das Dunkel und den Schmerz der Geschichte. Er redet wenig von den großen Entwürfen einer Zukunftshoffnung. Er gibt seinen Landsleuten im Exil merkwürdig einfache Ratschläge, nämlich das Nächstliegende zu tun: „Baut Häuser, und wohnt darin, pflanzt Gärten, und esst ihre Früchte! Nehmt euch Frauen, und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen, und gebt euren Töchtern Männer, damit sie Söhne und Töchter gebären. Ihr sollt euch dort vermehren und nicht vermindern. Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch weggeführt habe, und betet für sie zum Herrn; denn in ihrem Wohl liegt euer Wohl.“ (29,5-7)

Man darf annehmen, dass solche und andere Texte auch in den Jahren nach dem schrecklichen Krieg, der eigentlich nur von Aussichtslosigkeit kündete, den Menschen Hoffnung und Zukunft versprachen. Jedenfalls galt das Jesuswort, der den Jüngern trotz des ergebnislosen Fischzugs während der Nacht am Morgen befahl, wieder auf die hohe See hinauszufahren. Nur „auf dein Wort hin“ haben sie es wieder gewagt. So stehen auch wir heute trotz so vieler Aufgaben, die uns noch bedrängen, vor einem reichen Ertrag, der in diesen 60 Jahren unerwartet, aber mit einem hohen Einsatz vieler fleißiger Menschen zustande kam. Gott schenkt Zukunft und Hoffnung nicht in schlechthin untätige Hände, so wenig sie allein von der Leistung abhängig gemacht werden dürfen. Darum gehört zur Verheißung auch der Auftrag, nach Gott zu suchen und nach ihm zu rufen: „Wenn ihr mich ruft, wenn ihr kommt und zu mir betet, so erhöre ich euch. Sucht ihr mich, so findet ihr mich. Wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, lasse ich mich von euch finden.“ (29,12 ff.)

Die Schöpfer der Verfassung wussten um Willkürherrschaft und Pervertierung von Recht und Staat. Sie wussten auch, dass der Mensch von sich allein aus noch kein gerechtes, auf Dauer angelegtes und friedliches Zusammenleben garantieren kann. Die Präambel der Mainzer Verfassung nennt darum Gott als „Urgrund des Rechts und Schöpfer aller menschlichen Gemeinschaft.“ Ähnlich wie in vielen anderen Verfassungen dieser Zeit beginnt auch der Vorspruch der Verfassung bewusst mit der religiösen und ethischen Dimension: „Im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott, dem Urgrund des Rechts und Schöpfer aller menschlichen Gemeinschaft, von dem Willen beseelt, die Freiheit und Würde des Menschen zu sichern, das Gemeinschaftsleben nach dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit zu ordnen, den wirtschaftlichen Fortschritt aller zu fördern und ein neues demokratisches Deutschland als lebendiges Glied der Völkergemeinschaft zu formen, hat sich das Volk von Rheinland-Pfalz diese Verfassung gegeben.“ (Vorspruch)

In der Präambel gibt es darum Forderungen, die über die Zeit vor 60 Jahren hinausgehen und uns auch heute sehr konkret erreichen. Dies gilt z.B. wenn gesagt wird: „Von dem Willen beseelt ... das Gemeinschaftsleben nach dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit zu ordnen, den wirtschaftlichen Fortschritt aller zu fördern ...“ Dies ist heute noch so aktuell wie vor 60 Jahren. Wenn ich recht sehe, gibt es nur wenige Verfassungen, in denen so direkt von „sozialer Gerechtigkeit“ die Rede ist. Auch wird das Prinzip der Subsidiarität – gewiss nicht nur für die kommunale Selbstverwaltung – kräftig hervorgehoben (vgl. Art. 49).

Der Staat steht unter einem Maß, das wir nicht selbst schaffen. Er ist sich seiner Grenzen bewusst. Darum darf er auch nicht mit allen Ansprüchen überlastet werden. Er steht unter einer Verantwortung, die sich nicht im politischen Tageskalkül erschöpft. Ein solcher Staat ist in seiner Offenheit menschenfreundlicher und wandlungsfähiger. Er weiß um seine Vorläufigkeit und um die Notwendigkeit ständiger Erneuerung.

Wir sind in Rheinland-Pfalz mit diesen Voraussetzungen gut gefahren. Darum wollen wir Gott und den Menschen danken und um den Segen Gottes für die Zukunft bitten.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz