Predigt im Pontifikalamt anlässlich des Weges des Weltjugendtagskreuzes durch das Bistum Mainz

am 27. Februar 2005 im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Sonntag, 27. Februar 2005

am 27. Februar 2005 im Hohen Dom zu Mainz

(in Konzelebration mit dem Erzbischof von Dijon,
Prof. Dr. Roland Minnerath, und Mitgliedern des Domkapitels unserer Partnerdiözese Dijon)

An diesem Sonntag findet auch in einer eigenen Feierstunde bei St. Christoph in Mainz das Gedenken an die Bombardierung der Stadt Mainz vor 60 Jahren am 27. Februar 1945 (unmittelbar nach dem Pontifikalamt) statt, bei der der Bischof von Mainz und der Erzbischof von Dijon ein eigenes Grußwort sprechen, sodass in diesem Gottesdienst das Gedenken daran eher etwas zurücktritt.

Lesungen: Kol 1,12 - 20; Lk 23, 32 – 34a, 39 – 43

Was ist mit diesem schlichten Holzkreuz los, dass es auf seiner Reise seit über zwanzig Jahren durch die ganze Welt und seit dem Frühjahr 2003 durch insgesamt 26 europäische Länder gerade junge Menschen in einer so überraschenden Weise anspricht und bewegt? Dieses Kreuz bereiste die Erdteile und pilgerte durch Slums, Gefängnisse und Fußgängerzonen. Es war ebenso am Ground Zero in New York wie in Einkaufszentren, in der Kapelle des Deutschen Bundestages und auch hier in Mainz an vielen Orten, bis es jetzt in den Dom kam.

Papst Johannes Paul II., mit dem wir heute gerade im Zeichen des Kreuzes innig verbunden sind, hat 1995 anlässlich des X. Weltjugendtages in Manila – es ist wohl dort die größte Versammlung in der Geschichte der Menschheit gewesen – gesagt: „Dieses pilgernde Kreuz kommt von einem Kontinent zum anderen, und die Jugendlichen von überallher versammeln sich, um gemeinsam die Tatsache festzustellen, dass Jesus Christus für einen jeden derselbe ist, und auch seine Botschaft ist immer dieselbe. In ihm gibt es keine Spaltungen oder völkischen Rivalitäten oder soziale Diskriminierungen. Alle sind Brüder und Schwestern in der einen Familie Gottes.“

Das Kreuz ist weltweit auf dem Weg der Versöhnung. Deshalb zieht es wohl so viele Menschen an in der Hoffnung, dass Versöhnung gelingt. Aber dies kann uns nur dann geschenkt werden, wenn wir im Zeichen des Kreuzes sensibel sind und werden für das, was das Kreuz uns im Blick auf unsere Welt sagt: Es ist zunächst Ausdruck eines primitiven Racheverlangens und der sadistischen Grausamkeit, die einzelne Herrscher, aber auch die Massen verlangten. Die Kreuzesstrafe ist das sichtbare Symbol für die im Menschen schlummernde Unmenschlichkeit. Es ist die Offenbarung der Macht des Bösen und der Dämonie menschlicher Grausamkeit. Die echten oder mutmaßlichen Gewaltverbrecher sollten in unsagbarer Weise tagelang zu Tode gefoltert werden. Die öffentliche Hinrichtung war eine äußerste Schändung des Opfers, dessen Leib kein Grab bekam, sondern den wilden Tieren und Raubvögeln zum Fraß diente. Die Verweigerung des Grabes ist in der alten Welt eine besondere Entehrung für einen Menschen. Die Kreuzigung ist auch in der alten Welt besonders bei Angehörigen der untersten sozialen Schichten angewendet worden.

Wir dürfen also den konkreten Tod des Menschen am Kreuz nicht entschärfen, auflösen oder beschwichtigen. Wir würden die harte Realität der Geschichte und auch unseres heutigen Lebens verfehlen, wenn wir das tiefe Ärgernis dieses „schändlichsten Todes“ in der Geschichte der Menschen verharmlosen würden. Wenn so viele junge Menschen in aller Welt heute das Kreuz Jesu Christi verehren und umarmen, dann wollen sie sich damit auch dem Leid und dem Leiden so vieler Menschen in der ganzen Welt solidarisch verbinden. Wir dürfen nicht das tiefe Skandalon des Kreuzes aushöhlen und schwächen, denn damit vermindern wir auch die Hoffnung, dass Gott uns in Jesus Christus überall, gerade auch in der Finsternis des Leidens und der Ungerechtigkeit findet und befreit.

Diese Hinweise zeigen uns auch an, was wir tun müssen, wenn wir wirklich mit dem Kreuz den Weg der Versöhnung beschreiten wollen. Dies ist nämlich das Schwerste, was uns zugemutet werden kann: Wir sollen uns zuerst einmal mit unserem Machtstreben zurücknehmen, sollen den Mut haben zum Dienen, sollen bereit werden, einander um Vergebung zu bitten. Dies gilt für die einzelnen Menschen, wenn sie einander die Hände reichen, aber auch für die Völker, wenn aus Feinden Freunde werden sollen. In den Texten der heutigen Lesungen kommt dies vielfach und mit großer Überzeugungskraft zum Ausdruck. Zwei echte Verbrecher werden rechts und links neben Jesus hingerichtet. Der eine höhnt: „Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns!“ Der andere weiß um sein Unrecht und bittet um Verzeihung: „Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.“ (Lk 23,39 ff). Und Paulus ist es, der wiederum mit der ganzen Kraft seines theologischen Denkens sagen kann, dass Jesus durch seinen Tod und seine Auferstehung, also durch das Kreuz, alles versöhnen wollte. „Alles im Himmel und auf Erden wollte er (Gott) zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.“ (Kol 1, 20) Versöhnung und Friede können wir – dies ist die Lehre des Kreuzes für alle – nur erreichen, wenn wir Verzicht leisten, umkehren von unseren Machtspielen, uns selbst nicht schonen, sondern trotz der Übermacht der Gewalt uns in den Streit um die Versöhnung hineingeben. Nichts anderes ist gemeint mit dem Wort, dass er den Frieden gestiftet hat „am Kreuz durch sein Blut“.

Jetzt verstehen wir auch, warum der heilige Paulus sagt, das „Wort vom Kreuz“ sei in den Augen derer, „die verloren gehen“, eine „Torheit“ (vgl. l Kor 1,18). In der Tat sehen damals und heute viele in der Verehrung des Kreuzes nicht nur eine elementare Herausforderung und ein tiefes Ärgernis, sondern geradezu Torheit und Verrücktheit. An keinem Punkt ist der Gegensatz zur damaligen Staatsreligion und auch zu den Religionen der Welt so groß, denn hier wird ja – vom Primat aller Macht und Herrschaft her gesehen – Schwäche verherrlicht. Dies ist ein Glaube, den man nur Aberglauben nennen kann. Eine der ältesten Darstellungen des Kreuzes zeigt im Sinne einer Spottkarikatur einen Gekreuzigten mit Eselskopf.

Erst wenn man diese Tiefe der Unmenschlichkeit und Entehrung hart und anschaulich auf sich wirken lässt, kann man auch die Hoffnung verstehen, die mit dem Kreuz für den Glauben gegeben ist. Der gekreuzigte Jesus ist ja, gerade wenn man diese letzte Tiefe durchschritten hat, nicht im Tod geblieben. Der Tod steht hier nicht nur für die schlimme gewaltsame Hinrichtung, sondern auch für Grausamkeit und Hass, Ungerechtigkeit und Sünde. In der Auferstehung Jesu Christi bekennt sich Gott zu diesem armen Gekreuzigten. Hier wird die Weltgeschichte wirklich auf den Kopf oder besser: wieder auf die Füße gestellt. Am Ende haben nicht die Mächtigen sich durchgesetzt, sondern ganz andere werden Sieger sein: die Schwachen, die Dienenden, die Liebenden, gerade wenn sie betrogen wurden. Dies zu glauben, ist freilich Torheit und Verrücktheit.

Dies ist der geheime Sieg, der im Kreuz liegt. Paulus kann ja geradezu jubeln, wenn er wie in einem Lied schreibt: „Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“ (1 Kor 15, 54 f) Aber es ist kein billiges Triumphieren. Und das Kreuz ist nicht einfach nur eine verblasste theologische Chiffre. Der Künstler Karlheinz Oswald hat in dem gekreuzigten Christus im Nordschiff unseres Domes, eine Broncefigur zum Jubiläumskatholikentag 1998, diese bleibende Einheit des leidenden und des auferweckten Herren sehr glücklich getroffen. Der Auferstandene behält in allem Sieg die Wundmale. Auch wir müssen wissen, dass wir trotz der unverbrüchlichen Hoffnung, die Jesu Botschaft für uns bedeutet, bedrängt und gewiss auch im Sinne der Welt besiegt werden. Aber zugleich ist das Kreuz schon früh, wenn auch selten, ein Zeichen dafür, dass wir nicht untergehen.

Dies zeigt uns, wie zuverlässig unsere Hoffnung ist, aber auch, wie nahe wir an den konkreten Erfahrungen unseres Alltags bleiben: bei den Enttäuschungen und Verletzungen der Menschen, bei den Schmerzen und Leiden so vieler, bei der sichtbaren und unsichtbaren Not in den Herzen, bei Vergeblichkeit und Scheitern, bei Ungerechtigkeit und allen Nöten, auch z.B. in der Arbeitslosigkeit und in allen Situationen der Tötung von Menschen. Hier ist das einzige Gegenmittel, das uns nicht verzweifeln lässt, sondern mitten in allen Enttäuschungen die Hoffnung nicht sterben lässt.

Der Heilige Vater hat bei der Übergabe des Weltjugendtagskreuzes am Palmsonntag 2003 an die Jugendlichen aus Deutschland eine Ikone der Gottesmutter zum Kreuz hinzugesellt, damit sie das Kreuz und uns auf dem Weg der Versöhnung begleite. Diese Ikone ist die Kopie der berühmten „Salus Populi Romani“, die besonders in Rom, aber auch weltweit verehrt wird. Sie erinnert uns an den Glauben der Gottesmutter mitten in den Schmerzen ihres Lebens, aber auch an die Nähe unseres Glaubens zu anderen Christen, nicht zuletzt zu den Ostkirchen. So wie in ihr das Kreuz des Herrn die Kraft und den Sieg hervorgerufen hat, gibt es ähnlich auch uns in allen Nöten eine unenttäuschbare Zuversicht.

Wenn wir am Anfang gefragt haben, warum das Kreuz auf dem Weg durch die Kontinente, Europa, und nun auch unser Bistum, so viel Begeisterung des Glaubens weckt, so scheint mir die darin begründete, geradezu unbändige Hoffnung in der unbezwingbaren Liebe Jesu Christi zu allen den Menschen zu bestehen. Diese wollen wir im August dieses Jahres gemeinsam als Zeugnis unseres Glaubens mit vielen jungen Menschen nach Köln tragen und von dort aus wieder hinaustragen in die ganze Welt. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz