Predigt im Pontifikalgottesdienst am Hochfest der Erscheinung des Herrn (Dreikönig)

am 6. Januar 2006 im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Freitag, 6. Januar 2006

am 6. Januar 2006 im Hohen Dom zu Mainz

Leicht bearbeitete Tonbandabschrift

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

Der heutige Festtag Dreikönig öffnet uns endlich die Augen und Ohren für das, was Weihnachten ist, wenn wir uns damit bisher vielleicht etwas schwer getan haben. Denn wir dürfen auf keinen Fall hängen bleiben bei den vertrauten, liebenswerten Geschichten von der Krippe, vom Stall, von den Hirten, von den Engeln und vom Himmel. Freilich, das gehört auch dazu und verweist uns durchaus auch in die Mitte des Geschehens. Aber die ganze Weite dessen, was geschehen ist, wird am heutigen Tag, an dem besonders ein großer Teil der Ostkirchen Weihnachten feiert, offenkundig. Erst in den späteren Schriften des Neuen Testamentes kommt ein Wort zur Anwendung, das diesem Fest den Namen gegeben hat: Epiphanie. Es ist ein Wort der Religionsgeschichte. Es bezeichnet das Hereinbrechen, das plötzliche Erscheinen Gottes; und zwar so, dass er meist einfach nur kurz erscheint und vorbeizieht. Dieses Wort ist ein kräftiges Wort, um Aufmerksamkeit zu schaffen dafür, dass etwas ganz Ungeheuerliches, etwas ganz Neues, etwas völlig Anderes geschehen wird. Immer wieder haben die Menschen darauf gewartet, dass es dieses Erscheinen Gottes, auch Theophanie genannt, gibt. Sie haben gewartet, dass dieses Erscheinen die Welt ändert, das Böse zurückdrängt und das Gute zum Sieg führt.

Zur Sehnsucht der Menschen und der Völker gehört, dass endlich einmal ein Tag komme, an dem dies Wirklichkeit wird. Aber die geschichtliche Erfahrung mit den vielen Enttäuschungen und Vergeblichkeiten, dem Machtmissbrauch und allem, was an Rückschlägen da war, hat dem Menschen gezeigt, dass es wohl in dieser Zeit so etwas wie Epiphanie, dieses unmittelbare Kommen Gottes, nicht geben wird. Darum ist Epiphanie ein Wort geworden, das man vor allem an das Ende der Geschichte gesetzt hat: Dann wird einmal offenbar sein was ist; dann wird Gott kommen beim Weltgericht; dann wird er enthüllen was ist; dann ist wirklich Epiphanie.

Nun hat der christliche Glaube den Mut aufgebraucht, durch die Ankunft Jesu Christi, des Messias, zu glauben: Diese Epiphanie kann auch jetzt schon, wenn auch gleichsam vorläufig, aber wirklich heute geschehen. Deswegen spielt im Evangelium Jesu Christi in den verschiedenen Verkündigungsszenen von Weihnachten das kleine Wort heute eine besondere Rolle: „Heute ist euch der Heiland geboren“, „jetzt ist die Zeit des Heils“, „jetzt ist die Stunde“. Das verändert auch unser Verständnis der Zeit und das Verhältnis von Zeit und Ewigkeit, und zugleich weitet sich alles, was wir von unserer menschlichen Erfahrung her in unserem Umfeld kennen, in den Horizont der Menschheit.

ER ist gekommen als der Herr der Welt; er ist gekommen für alle, ja buchstäblich für alle. Das ist gar nicht so leicht zu denken, da wir immer wieder in der Gefahr sind auszugrenzen. Wir meinen, es gehörten eben doch nicht alle dazu. Er ist aber tatsächlich für alle gekommen – ausnahmslos. Das, meine lieben Brüder und Schwestern, öffnet uns die Augen über ein vielleicht manchmal zu vertrautes und mal ein zu märchenhaftes Weihnachten hinaus.

Das Neue Testament sagt im Titusbrief: „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, um alle Menschen zu retten.“ (Tit 2,11) Dieses Wort vom Erscheinen hat alles an sich von dem großen Stichwort der Religionsgeschichte: Es ist Epiphanie, der Herr kommt. Er kommt mit seiner ganzen Macht. Wie kommt er? Er kommt als Gott und Herr, aber er steigt herab in die Niedrigkeiten unseres Lebens. Er verbleibt nicht bei der puren Göttlichkeit, sondern entäußert sich und wird ein Mensch, ja er wird ein Kind. Wenn wir Gottes Größe verstehen wollen, dann dürfen wir nicht in den Kategorien menschlicher Machtsehnsucht denken: immer höher, immer größer, immer steiler, immer mehr entfernt von unseren Enden. Dann müssen wir umgekehrt denken: Gott kann es sich leisten, klein zu werden; seine Größe scheitert nicht daran, wenn er herabsteigt; seine Größe liegt im Sich-Beugen zum Menschen, im Herabsteigen. Das heißt: nicht in Ausübung von gewalttätiger Mächten, sondern im Schonen, im Verzeihen, im Lebenlassen.

Meine lieben Schwestern und Brüder, darum ist es gut, dass wir heute am Dreikönigsfest einen zweiten Akzent von Weihnachten haben. Den ersten brauchten wir auch für uns selbst, dass wir Weihnachten wirklich eindringen lassen in unsere Herzen, in unser Gefühl. Aber dann müssen wir auch darüber hinaus gehen, um zu erkennen, was da geschieht. Dann dürfen wir auf die Magier - oder die „drei Könige“ - schauen, die aus dem Osten kommen. Menschen, die schon lange auf der Suche waren. Sie haben sicher da und dort auch etwas gefunden, was sie erfreut hat, aber die wirkliche letzte Sehnsucht ihres Lebens haben sie noch nicht erfüllt gefunden: Sie suchen noch nach etwas, worauf sie sich letztlich verlassen können im Leben und im Sterben, nach einem Halt, der nicht einfach genommen werden kann; etwas, wo man nicht ins Bodenlose versinkt. Das haben sie noch nicht gefunden.

Meine lieben Schwestern und Brüder, wir sind heute oft in der Gefahr, dass wir gar nicht mehr suchen. Wir suchen dann im Alltag vielleicht ein bisschen herum nach modischen Neuigkeiten, nach neuen Nachrichten und so fort. Aber suchen wir noch mit dem ganzen Leben? Suchen wir so, dass das, was wir finden und finden wollen, allen Fragen standhält? Zum Menschen gehört das Fragen und das Suchen. Der Philosoph Heidegger sagte einmal: Das Suchen und Fragen sei die Frömmigkeit des Denkens - und Denken gehört zum Menschen. Der Mensch verrät sich selbst, wenn er nicht mehr sucht. Er soll aber nicht so suchen, dass er gleichsam auf einer endlosen Reise ist, wo er überall anklopft und antippt, überall probiert und nippt und eigentlich nie findet, was er sucht. Wir Menschen suchen oft lange vergebens. Wir erfahren auch, was die drei Magier unterwegs erfahren: Sie müssen durch Wüsten, sie gehen Irrwege, sie wissen noch nicht, ob sie überhaupt ein Ziel finden. Aber sie haben entdeckt, dass sie manchmal unbemerkt doch schon geführt werden. Der Stern führt sie. Kein Wunder, dass die Menschen immer wieder auch auf die Sterne geschaut haben, ob diese auch das Rätsel unseres Lebens vielleicht enthalten und entschlüsseln könnten; ob sie nicht doch sehr viel mehr hergeben als man zunächst vermutet. Man kann an einem solchen Stern hängen bleiben. Aber wir suchen eine Orientierung, die wirklich verlässlich ist. Nach einen Stern uns auszurichten, das tun wir eigentlich immer. Manchmal bleiben wir hängen beim Roten Stern, beim Mercedes-Stern, bei Stars und Sternchen. Überall sind Sterne. Aber auf den Stern zuzugehen, der uns wirklich auch als Stern am Abend unseres Lebens bleibt oder am Morgen früh der Morgenstern ist – darauf kommt es an. Ein Stern, der immer leuchtet. Ein Stern, der uns nicht verlässt und der uns nicht in die Irre führt.

Meine lieben Schwestern und Brüder, wir haben als Kirche eine große Chance, wenn Menschen suchen. Wenn sie überhaupt suchen, wenn sie sich nicht einfach mit dem Kleinkram jeden Tages begnügen; wenn sie nicht einfach in kleinen Eifersüchteleien untergehen, sondern wenn sie wirklich mit ihrem Herzen suchen: Dann haben wir auch eine Chance. Nur wer sucht, kann wirklich auch glauben. Sonst hält er sich vielleicht an Gewohnheiten, die er kennt, aber er sucht nicht mit der Tiefe seines Herzens.

Das ist auch eine Chance für uns heute in der Kirche. Mag sein, dass manche weit weg sind, gerade auch solche, die zwar getauft worden sind, vielleicht aber gar nicht mehr suchen. Solche, die meinen, alles schon zu kennen; die glauben, dass es sich gar nicht lohnt, sich mit dem, was sie doch scheinbar so gut kennen und schon abgelegt haben, nochmals neu zu beschäftigen. Aber es gibt eine unauslöschbare Sehnsucht im Herzen der Menschen und es gibt im Menschen eben auch dieses vielleicht sehr verborgene Suchen. Zu diesem Suchen gehört auch, die Hoffnung zu finden.

Suchen ohne zu finden, das ist Verzweiflung; das ist am Ende auch ein Herumirren von einem kleinen Fund zu einem anderen kleinen Fund. Ein solcher gibt aber nicht das her, wonach wir uns im Stillen sehnen. Daher wollen wir auch in unserem eigenen Leben mit den drei Magiern aufbrechen. Die Reise unseres Lebens gibt uns immer noch und immer wieder die Chance, dass wir echte Suchende sind. Dann werden wir auch finden können: Klopft an, und die Tür wird euch aufgetan. (Mt 7,7) Wir sollen den verborgenen Schatz im Acker suchen. (Mt 13,44-46) Das Evangelium ist voll von der Aufforderung, dass wir suchen – und es ist voll von der Verheißung, dass wir, wenn wir mit ganzem Herzen suchen, auch tatsächlich finden. Das geht oft nicht, ohne dass es schmerzlich ist.

Nicht zufällig bringen die drei Weisen auch Myrrhe mit in die Anbetungsstunde hinein. Myrrhe ist ein Zeichen der Bitterkeit, des Schmerzes. Wer wirklich sucht, der erfährt diesen Schmerz; der muss auch manchmal Abschied nehmen von Enttäuschungen und von Irreführungen und bequemen Wegen, die einem lieb geworden sind. Dann muss man auch zurückkehren, umkehren. Es ist nie leicht umzukehren, aber es gehört dazu, dass wir den Mut haben, umzukehren und neu wieder einzusetzen, uns auf den Weg begeben. Nur dann, wenn man so tief mit dem Herzen gesucht hat, wenn man wirklich ergriffen ist von der Wahrheit, gerade auch, wenn man sie eine Zeit lang oder ganz verloren hatte, dann kommt die Freude der Anbetung vor dem Kind in der Krippe, dann hat man wirklich gefunden.

Meine lieben Schwestern und Brüder, das ist keine Romantik, mit der Weihnachten wie ein Märchen verlängert werden soll. Es ist auch nicht nur etwas für unsere Gefühle. Gerade Menschen, die vor dem Äußersten standen, haben sehr gut gespürt, was es heißt, in einer solchen Stunde in der Anbetung den Höhepunkt des Menschseins zu finden. Wenn man liest, was Menschen wie Alfred Delp und Dietrich Bonhoeffer in den letzten Wochen ihres Lebens gerade in der Zeit um Dreikönig erfahren haben: Sie haben die Anbetung dieses Tages in engsten Zusammenhang gebracht mit unserer menschlichen Freiheit. Vor wieviel Götzen knien wir nieder, wie viele Sterne spielen eine Rolle in unserem Leben, und zwar so, dass wir uns an sie binden. Wir kommen nicht mehr los von ihnen und werden unfrei. Wenn man aber nur vor einem, der wirklich der Allmächtige ist, der sich uns wirklich ganz zugewandt hat, die Knie beugt, dann rettet man seine Freiheit, auch im politischen und im demokratischen Sinne des Wortes; auch in der öffentlichen Dimension. Dann verfällt man nicht ohne Weiteres einfach den Götzen, die uns tagtäglich irgendwo zu verlocken und zu verführen suchen. Darum ist es eine wichtige Erfahrung, dass Anbetung wirklich frei macht. Wenn man sich vor den Allmächtigen hinkniet, ist man nicht schon deshalb Knecht, sondern man verzichtet vielmehr auf das, was uns unfrei macht. So bekommt man wahre Freiheit geschenkt. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann 

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz