Predigt im Pontifikalgottesdienst am Ostersonntag

11. April 2004, im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Sonntag, 11. April 2004

11. April 2004, im Hohen Dom zu Mainz

Texte zur Predigt: 1 Kor 5, 6b-8 (Lesung des Tages), unter Verwendung von 1 Kor 15, 50-58

Die Witze über die Auferstehung Jesu Christi kennt jeder. Der Osterglaube scheint ein Gemisch von Leichtfertigkeit und Weltfremdheit zu sein. Er scheint Wunderbares wie im Märchen zu erzählen. Viele hören die Botschaft von der Auferstehung und hören – vielleicht sogar ein bisschen wehmütig – die Osterglocken, aber sagen mit Goethes Faust: „Die Botschaft hör´ ich wohl allein mir fehlt der Glaube; das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind. Zu jenen Sphären wag´ ich nicht zu streben, woher die holde Nachricht tönt.“ (Faust I, Nacht, Glockenklang und Chorgesang)

Ich bin fest überzeugt, dass man nicht in direktem Zugriff von der Auferstehung reden soll. Dann wird sie in der Tat leicht zu einem Märchen. Zur Auferweckung gehört die Erfahrung des Todes. Nur wer dem Tod ins Auge und in seine Abgründe schaut, kann auf die rechte Weise nach der Auferstehung fragen und von ihr reden. Im Neuen Testament geschieht dies überall da, wo von Auferstehung die Rede ist.

Wer in diesen Tagen mit Jesus den Weg durch das Leiden bis zum Kreuz gegangen ist, hat die ganze Last der Erfahrung des Todes vor Augen. Dazu gehört nicht nur die Vernichtung im physischen Tod, sondern auch die Erfahrung der Vergeblichkeit und der Niederlage, des Sieges der Ungerechtigkeit und widriger Mächte. Er kennt die letzte Aussichtslosigkeit im Kampf mit dem Tod. So steigert der von Menschenhand erwirkte Tod nochmals das Ganze: das mutwillige Morden und die Freude an der Zerstörung von Leben, wie wir es wieder erschreckend in diesen Tagen erfahren dahinter steht der Tod in seiner letzten Abgründigkeit, wenn er nämlich nur noch todbringender Hass ist, der am Ende der Hölle gleicht. Man muss immer wieder die ganze Macht und Hoffnungslosigkeit des Todes wahrnehmen, wenn man von Auferstehung spricht.

Diese Erfahrung stellt uns vor eine herausfordernde Alternative: Entweder hat dieser Tod das letzte Wort; dann ist alles umsonst; dann lohnen sich auch nicht Gerechtigkeit und Anständigkeit. Oder aber der Tod als der „letzte Feind“ (1 Kor 15, 26) des Menschen wird entmachtet und verliert seine Macht und Gewalt. Paulus stellt uns in seinem großen Kapitel über die Auferstehung im ersten Korintherbrief sehr deutlich vor diese Alternative: „Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos. Wir werden dann auch als falsche Zeugen Gottes entlarvt ... Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos, und ihr seid immer noch in euren Sünden; und auch die in Christus Entschlafenen sind dann verloren. Wenn wir unsere Hoffnung nur in diesem Leben auf Christus gesetzt haben, sind wir erbärmlicher daran als alle anderen Menschen.“ (1 Kor 15, 13-15.17-19; vgl. auch 1 Thess 4, 14).

So stehen wir vor einer Grundentscheidung unseres Lebens. Sie muss aber nicht im Trotz gefällt werden. Es ist nicht nur ein letztlich beliebiger Willensakt, der uns zu einem Ja oder Nein führt. Es gibt viele Anhaltspunkte, z.B. im Leben und Wirken Jesu, in seinem Evangelium, in seinen Erscheinungen vor vielen, so dass Paulus in seiner Rede vor König Agrippa trotz der Todesdrohungen gegen ihn sagen kann: „Doch ich habe Gottes Hilfe erfahren bis zum heutigen Tag; so stehe ich da als Zeuge für groß und klein und sage nichts anderes als das, was nach dem Wort der Propheten und des Mose geschehen soll: dass der Christus leiden müsse, und dass er, als Erster von den Toten auferstanden, dem Volk und den Heiden ein Licht verkünden werde.“ (Apg 26, 22f, vgl. 1 Kor 15, 20: „Nun aber ist Christus von den Toten auferweckt worden als der Erste der Entschlafenen.“). So ist es auch folgerichtig, dass die älteste Botschaft am Ostermorgen der fast hymnische Ruf der Apostel ist: „Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen.“ (Lk 24, 34)

Um dies verstehen und sagen zu können, muss man jedoch auch das Unerhörte und das Neue, das Einzigartige der Osterbotschaft begreifen, wie dies in der zweiten Lesung (vgl. 1 Kor 5, 6b-8) zum Ausdruck kommt: „Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid ... lasst uns also das Fest nicht mit dem alten Sauerteig feiern, nicht mit dem Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit den ungesäuerten Broten der Aufrichtigkeit und Wahrheit.“ (1 Kor 5, 7f) Ostern setzt eine Umkehr unseres Lebens voraus. Man versteht die Osterbotschaft nicht, wenn man sich vom Alltag und seinen Gewohnheiten zudecken und gefangen nehmen lässt. Die meisten Jünger, die Verleugnung des Petrus eingeschlossen, waren ja selber flüchtig geworden und mussten in einer echten Umkehr Jesus als ihren Herrn wieder erkennen. Erst dann finden sie auch wieder zueinander. Im Licht des Ostermorgens wird unser eigenes Leben erst wieder transparent bis auf den Grund und so auch wahr. Das griechische Wort an dieser Stelle bedeutet eigentlich „sonnenklar“, also etwas abgeleitet „lauter“ und „aufrichtig“.

Das Osterereignis erschöpft sich nicht darin, uns von den Erscheinungen des Herrn und von deren Einübung in das neue Leben des Glaubens zu künden. Ostern ist der Durchbruch einer neuen Wirklichkeit durch alle Entstellungen und Lügen hindurch in unsere Welt. Es stellt auch unsere üblichen Maßstäbe auf den Kopf: nicht die Gewalt dominiert, auch wenn es so aussehen mag; nicht die Unwahrheit setzt sich durch; auch die Ungerechtigkeit wird eines Tages offenkundig. Die Wirklichkeit, die der Auferstandene in unser Leben bringt, wird uns geschenkt durch den Geist, der alles neu macht. Paulus nennt sie die Frucht des Geistes. „Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung ... Wenn wir aus dem Geist leben, dann wollen wir den Geist auch folgen.“ (Gal 5, 22.25)

Dieses Ostern schwebt nicht wie ein schönes, aber unglaubwürdiges Märchen über unserer Welt. Im Gegenteil, es verlangt entschieden die Änderung unseres Verhaltens und unserer Maßstäbe. Da gibt es ja im Blick auf unsere kleinen und großen Lebenskreise viele Konsequenzen. Man denke nur an Feindschaft und Eifersucht, Zorn und Zwietracht, Neid und Untreue (vgl. Gal 5, 19). Dies sind auch nicht nur gleichsam private Tugenden, die vom Christen eingefordert werden. Ja, es gilt auch für unsere gegenwärtigen öffentlichen Probleme. Wir reden seid Jahren z.B. fast pausenlos in der Gesellschaft und oft auch in der Kirche vom Sparen. Meist ist es eine unaufhörliche Klage. Damit kein Zweifel besteht: Wer wirklich in Bedrängnis kommt und dessen Lebensqualität mehr als zumutbar leidet, der muss viel schneller in seiner Situation entdeckt und ihm muss entschiedener geholfen werden. Aber die meisten haben vergessen, wie reich wir bei allen Einschränkungen im Weltmaßstab sind. Wir fragen zu wenig, wie wir die Kräfte bündeln können zu einer schöpferischen Überwindung unserer Schwierigkeiten. Es müsste doch gelingen, dass wir aus den Verzichten und Sparmaßnahmen heraus stärker den Blick auf das Wesentliche unseres Lebens lenken, unsere Gewohnheiten überprüfen und unsere Lebensprogramme straffen und konzentrieren. Wir brauchen dringend die Zuversicht des Geistes, die zu Ostern gehört, um unsere Gesellschaft zu erneuern. Dann entdecken wir auch neu die Quellen unserer Gemeinschaft, der Solidarität und der Subsidiarität. Dann lassen wir niemand im Regen stehen, niemand soll aber auch die Gesellschaft parasitär ausnützen.

In unseren heutigen Diskussionen, z.B. zur Gottesfrage in der Europäischen Verfassung oder zum Kopftuchurteil, erscheinen Religion und Christentum geradezu als ein Störfaktor, dessen man sich schämt. Wenn Europa in wenigen Wochen eine neue, erweiterte Gestalt annimmt, brauchen wir einen neuen Geist, der uns näher zusammenführt. Wenn wir umkehren zum Herrn, haben wir gute Voraussetzungen für diesen neuen Geist „der Aufrichtigkeit (Lauterkeit) und Wahrheit“, den Früchten der neuen Zuversicht und einer unverbrauchbaren Hoffnung, die uns Ostern schenkt. Amen.

Es gilt das gesprochene Wort

(c) Karl Kardinal Lehmann

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz