Predigt im Pontifikalgottesdienst aus Anlass des 1. Deutschen Seminaristentages

in Mainz am Sonntag, 18. Mai 2003 im Mainzer Dom

Datum:
Sonntag, 18. Mai 2003

in Mainz am Sonntag, 18. Mai 2003 im Mainzer Dom

Der heutige Mangel an Priestern in den hochzivilisierten Ländern Mitteleuropas und Nordamerikas erlaubt uns keine oberflächliche Betrachtung, keine bloßen Symptomkuren und keine wenig überlegten Wort-Radikalismen. Es geht um das Ganze. Darum ist der 1. Deutsche Seminaristentag auch kein Stelldichein künftiger Kirchenfunktionäre. Es geht darum, dass wir den Priester als unersetzlichen Zeugen Gottes für das Leben unserer heutigen Welt von Grund auf wiederentdecken, und ihn von daher auch wieder ansprechend und anziehend machen können.

1. Leidenschaft für Gott

Nicht zufällig gehört zum Priesterwerden und Priestersein Berufung. Keiner entscheidet sich aus bloßem menschlichem Interesse für diesen Beruf. Gerade in der Not sollten wir wissen, dass man Priester nicht machen kann. Es ist nicht altmodisch, um Priesterberufungen zu beten, denn eine solche Berufung muss Gott schenken. Und in jeder Berufung, wie es schon im Alten Bund der Fall ist, haben wir Menschen Einwände: Ich bin zu jung, ich kann nicht so gut reden, ich fürchte das Unverständnis und die Einsamkeit, such einen anderen. Dieser Widerstand kann nur überwunden werden, wenn wir uns schließlich von Gott her sagen lassen: Du aber geh, meine Gnade genügt dir, auch in deiner Schwachheit.

Alle Glaubenden sollen in ihrem Leben in Tat und Wahrheit von Gottes Liebe zu den Menschen Zeugnis ablegen. Der Priester ist aus ihnen berufen, aus den Menschen genommen und für ihre Anliegen bei Gott bestellt. Er macht sich dieses Glaubenszeugnis so vieler Schwestern und Brüder mitten in den täglichen Sorgen zu einer ganzen, lebenslangen und leibhaftigen Aufgabe. Dies kann man nur tun, wenn man seine ganze eigene Existenz drangibt. Denn nur so kann man Gott durch das eigene Zeugnis wieder im Leben sichtbar machen. Dafür brauchte es immer schon das Zeugnis, in dem man mit der eigenen Existenz, mit Leib und Seele, Haut und Haar für ihn eintritt. Da es um Gott geht, darf nichts anderes Vorrang bekommen. Sonst geht es nicht mehr um den göttlichen Gott.

Dies gilt erst recht und ganz besonders heute, denn in unserem säkularen Leben ist Gott tief verborgen. Auch wir müssen ihn immer wieder entdecken und den Menschen helfen, seine Spuren in unserem Alltag zu finden. Nur wenn man sich tief genug in dieses Suchen nach einem Sinn und Halt des Lebens einlässt, kann man den lebendigen Gott finden, der unser Leben verändert. Darum muss der Priester zuerst von dieser Leidenschaft für die Suche und das Finden Gottes geradezu besessen sein. Wenn jemand dies mit aller Passion ist, dann gilt er in unserer Welt nur allzu leicht als Exot und jemand aus einer anderen Welt. Denn dies hat ja wenig zu tun mit den üblichen Maßstäben, mit denen wir unser Leben bewerten. Aber wo ist die verkehrte Welt?

Zu diesem ganz elementaren, radikal herausfordernden Zeugendienst des Priesters müssen wir uns heute zuerst bekennen. Dies kann zunächst fast abschreckend wirken, wie es ja in vielen Berufungsgeschichten erzählt wird. Aber diese Aufgabe wird dadurch auch in neuer Weise anziehend. Der Beruf des Priesters ist in dieser Perspektive anspruchsvoll, aber gerade so auch ansprechend. Davor sollten wir keine Angst bekommen. Die Größe dieses Ideals wird heute und morgen, so glauben wir fest, am Ende junge Menschen faszinieren. Aber es ist nicht mehr selbstverständlich, dass es einen solchen Dienst aus Leidenschaft gibt. Darum müssen wir in ganz neuer Radikalität und auf unverbrauchten Wegen zu ihm einladen und für ihn werben.

2. Freund Jesu Christi

Diesen Gott brauchen wir in unserem Leben, auch wenn wir es gar nicht merken. Es ist der Gott, der unseren Durst löscht, den Hunger nach Sinn stillt und eine Hoffnung schenkt, die nicht enttäuscht wird. Es ist eindrucksvoll, wie dies in der heutigen Lesung, im 1. Johannesbrief zur Sprache kommt: „Gott ist größer als unser Herz, und er weiß alles." (1 Joh 3,20) Und dieser unbegreifliche und unendliche Gott erscheint leibhaftig in Jesus Christus. Er kommt als „der Sohn" ganz aus der Mitte und Tiefe Gottes, des Vaters. Er bringt eine unverfälschte Kunde von dem, den man Gott nennt. Er ist der treue Zeuge. Näher kann Gott nicht zu uns kommen als in Jesus. Seine Menschwerdung, in der er einer von uns wird und unser oft schreckliches Leben teilt, ist das Ende der Wege Gottes. Diese Liebe kann nicht mehr überboten werden.

Deshalb müssen wir immer wieder in die Schule Jesu gehen. Wir müssen immer wieder neu erfahren, dass es nichts gibt, was wahrer und größer ist, als sein Evangelium. Immer wieder müssen wir bei den Zweifeln, die auch uns überfallen, mit Petrus bekennen: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du (allein) hast Worte des ewigen Lebens." (Joh 6, 68) Darum müssen wir uns immer wieder im Gebet und in den Sakramenten, in der Besinnung, aber auch im Studium, täglich bemühen, Jesus immer näher zu kommen, bei ihm zu sein, in buchstäblicher Nachfolge auf den Spuren seines Weges, ja seine Jünger und Freunde zu werden. „Fest verankert in Christus werdet ihr keine Angst vor Schwierigkeiten haben und fähig sein, als Apostel der Neuevangelisierung zu Beginn dieses Dritten Jahrtausends zu wirken", heißt es in der Botschaft des Heiligen Vaters für diesen 1. Seminaristentag.

Jesus ist für alle gekommen und hat sein Leben für alle hingegeben. er ist der Gute Hirte. Er kam aber ganz besonders zu den Schwachen und Armen dieser Welt, mitten in den vielen Zerrissenheiten unseres Lebens. Deshalb haben wir mit ihm auch eine Leidenschaft für das Volk Gottes in allen seinen Nöten, die heute – wenigstens bei uns – oft mehr im geistigen und spirituellen Bereich liegen. Wir wollen Zeugnis ablegen, brauchen dafür auch eine tiefe Verwurzelung in Gott, werden aber dadurch nicht weltflüchtig. Darum dürfen wir auch dieses andere Wort von Johannes Paul II. in seiner Botschaft an uns nie vergessen: „Bleibt geistig offen für die großen Probleme der Welt und richtet euch von nun an auf eine grenzenlose apostolische Wirksamkeit aus." Ohne diese geradezu verschwenderische Großherzigkeit kann man nicht Priester sein.

3. Getragenwerden vom Volk Gottes

Der Priester braucht eine letzte Einsamkeit mit Gott und auch vielen einsamen Menschen. Dennoch ist er gerade als Zeuge Gottes und Freund Jesu Christi ein Mann des Volkes, für das er unermüdlich in Tat und Wahrheit, in Wort und Gebet vor Gott und bei den Menschen eintritt. Nicht zufällig sagt der Papst in seiner Botschaft, dass das Bild des Guten Hirten „das Vorbild eines jeden Priesters und Seelsorgers ist". Er ist wirklich in unseren Anliegen bei Gott bestellt.

Gerade deshalb aber darf es dem Volk Gottes nicht gleichgültig sein, ob wir Priesterberufungen haben oder nicht. Auch wenn sie ein Geschenk Gottes sind, fallen sie nicht einfach vom Himmel. Fast alle Berufungen sind wie kleine, unscheinbare, gefährdete Samenkörner, die überhaupt erst einmal entdeckt, begleitet, gepflegt und begossen werden müssen. Sie können in der Wüste und Gnadenlosigkeit unseres Alltagslebens ohne Zuspruch und Sympathie schnell austrocknen. Wir spüren auch heute, wie dankbar das Volk Gottes ist für glaubwürdige Zeugen Gottes in unserer Welt. Darum hat der Priesterberuf auch für Fernerstehende bei aller Fremdheit immer etwas Faszinierendes und Provozierendes.

Dies gilt für uns alle: für die Eltern und Geschwister, für die Freunde und Wegbegleiter, für alle Verantwortlichen in den Gemeinden, ob sie nun Haupt- oder Ehrenamtliche sind. Damit sind auch alle Berufe in der Kirche mitgemeint. Niemand kann den Priester ersetzen. Darum sind alle aufgerufen, diesen Beruf zu fördern und positiv zu begleiten. Die Sorge um die Priester ist nicht nur ein Problem der Bischöfe und der verantwortlichen Mitarbeiter, sondern die Gemeinden müssen ganz neu wiederentdecken, dass es unsere ureigene Sache ist und dass uns diese Sorge niemand abnimmt. Deshalb brauchen wir nicht nur eine neue Initiative zur Pastoral der Berufungen – ja, es lassen sich gewiss noch viele unbekannt gebliebene Gaben entdecken -, sondern wir brauchen ein ganz neues Zusammenstehen mit Sympathie und in Solidarität für junge Menschen, die sich auf diesen Weg machen. Mit Recht hat man deshalb in letzter Zeit von einem neuen „Bündnis für Berufungen" gesprochen. Dazu gehört: Leidenschaft für Gott, Freundschaft mit Jesus Christus und frohes, zuversichtliches Getragenwerden vom ganzen Volk Gottes. Amen.

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copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz

Es gilt das gesprochene Wort

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von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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