Predigt im Pontifikalgottesdienst zum 100-jährigen Jubiläum des Verbandes Deutscher Prädikatsweingüter

am 25. April 2010 im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Sonntag, 25. April 2010

am 25. April 2010 im Hohen Dom zu Mainz

Wir freuen uns, dass Sie Ihr großes Jubiläum im Mainzer Dom feiern: 100 Jahre beste Weine aus besten Lagen von kreativen Winzern. Dies ist das Motto Ihrer Geburtstagsfeierlichkeiten. Sie sind die älteste Weingütervereinigung der Welt und haben nun ein Jahrhundert lang die handwerkliche Weinerzeugung wie kaum sonst jemand gepflegt. Sie haben damit Meilenstei-ne in der deutschen Weinkultur gesetzt. Darum haben Sie auch bei den Liebhabern des Wei-nes und in der Weinwelt überhaupt immer wieder hohes Lob und hohe Anerkennung erreicht. Für die 200 Familien und Mitarbeiter Ihres Verbandes ist dies ein großer Tag. Alle, die den Wein lieben, danken Ihnen für die Treue zu einem möglichst authentischen Wein. Sie haben sich durch manche Tendenzen der letzten Jahrzehnte nicht verführen lassen. Dennoch haben Sie eine eindrucksvolle unternehmerische Tätigkeit ausgebildet. Wir sind dankbar, mit Ihnen an diesem Tag eine kostbare Gabe unseres Landes, die freilich immer auch gepflegt werden muss, zu feiern. Dies gelingt am Ende nur durch eine große Liebe zu den Weinen.

Der Dom ist in vielfacher Hinsicht mit dem Wein verbunden. Dies haben wir im Jubiläums-jahr seiner tausendjährigen Existenz im vergangenen Jahr immer wieder erfahren. Es wäre eine eigene Aufgabe, die Spuren in den vielen Monumenten, Zeichen, Symbolen und Male-reien des Domes zu verfolgen. Aber auch Personen sind hier mit im Spiel. So wird heute noch an den vor gut 200 Jahren wirkenden Domdechanten Dr. Franz Werner (1770 bis 1845) gedacht. Er führte persönlich über viele Jahrzehnte das von seinem Vater erworbene Familienweingut in Hochheim. Domdechant Dr. Franz Werner ist in der Memorie begraben. Wir gehen bei allen Prozessionen dankbar an seinem Grab vorbei. Das Weingut ist noch heute in der siebten Generation im Familienbesitz, führt im ehrenden Andenken an das Wirken von Franz Werner weiterhin dessen Namen und ist Mitglied Ihres Verbandes.

Aber auch sonst gibt es viele Hinweise auf den Wein, ganz besonders, wenn wir in jeder Eucharistiefeier Brot und Wein Gott darbringen. Dies wird uns auch in eindrucksvoller Weise aus der hl. Schrift näher gebracht. Ich möchte wenigstens einige Zeugnisse dafür anführen. Die Bibel belegt uns, dass der Weinstock zu den ältesten Kulturpflanzen gehört, die bis in vorgeschichtliche Zeiten zurückverfolgt werden können. Dabei ist der Wein nicht nur Mittel für das menschliche Genießen, sondern auch Bestandteil des Kults. Er spielt eine vielfache Rolle im Opferwesen und bei den kultischen Festmählern. Die Bedeutung des Weines wird auch dadurch angezeigt, dass Noach, der Stammvater der neuen Menschheit, zugleich erster Weinbauer war (vgl. Gen 9,20). Im Alten Testament wird der Lobpreis des Weines gesungen. Der Wein erfreut über alle anderen Getränke hinaus besonders den Menschen (vgl. Ri 9,13). Wein in Fülle gilt als besonderer Segen Gottes (vgl. Gen 27,28.37). Der Weisheitslehrer setzt „Wein" mit „Leben" gleich. Der Genuss des Weines hat etwas zu tun mit der Kraft der Weis-heit: „Kommt, esst von meinem Mahl, und trinkt vom Wein, den ich mische." (Spr 9,5) „Wein und Bier erfreuen das Herz, doch mehr als beide die Freundesliebe." (Sir 40,20) Schließlich wird der Wein zum Sinnbild für die kommenden Heilsgüter. Der Wein ist ein Symbol für das Heil und für den Frieden der Völkerwelt (vgl. Dtn 32,13). „Der Herr der Heere wird auf diesem Berg für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen." (Jes 25,6)

Die Bibel weiß aber auch um das Verhängnis des übermäßigen Genusses. „Weh euch, die ihr schon früh am Morgen hinter dem Bier her seid und sitzen bleibt bis spät in die Nacht, wenn euch der Wein erhitzt." (Jes 5,11) Immer wieder gibt es Warnungen für den, der dem Wein verfällt: „Ein Zuchtloser ist der Wein, ein Lärmer das Bier; wer sich hierin verfehlt, wird nie weise ... Der Not verfällt, wer Vergnügen liebt, wer Wein und Salböl liebt, wird nicht reich." (Spr 20,1; 21,17; vgl. auch Sir 19,1ff) Ähnlich ist dies auch im Neuen Testament. Dort kennt man den Wein als Heilmittel: „Trink nicht nur Wasser, sondern nimm auch etwas Wein, mit Rücksicht auf deinen Magen und deine häufigen Krankheiten." (1 Tim 5,23) Aber gerade auch die Amtsträger, z.B. Bischof und Diakone, werden gewarnt, sich dem Wein hinzugeben (vgl. 1 Tim 3,3.8). Doch die Mahnung gilt für alle Stände (vgl. Tit 2,3 und 1 Petr 4,3). Verderbliche Wirkungen werden aus der täglichen Lebenserfahrung aufgezählt: Die Trunkenheit lässt den Menschen taumeln und wanken (vgl. Ps 107,27), sie verursacht Übelkeit (vgl. Jes 28,8; Jer 25,27), trübt die Augen (vgl. Spr 23,29f), bringt Bewusstlosigkeit (vgl. Jer 51,39.57), weckt Leichtsinn und Spötterei (vgl. Hos 7,5), steigert den Zorn (vgl. Sir 31,30), mindert die Schamhaftigkeit (vgl. Klgl 4,21), raubt den Verstand (Hos 4,11), lässt die Trinker verarmen (vgl. Spr 23,21) und macht Menschen mit Verantwortung für andere unfähig zur Ausübung ihres Amtes (vgl. Spr 31,4f). Die Enthaltung von Wein war jedoch etwas Ungewöhnliches. Sie bezog sich vor allem auf Wein, der in irgendeiner Beziehung zum heidnischen Kult stand (vgl. Hos 2,10ff, Dtn 32,38; Dan 1,8). Amtierenden Priestern war der Genuss von Wein ver-boten (vgl. Lev 10,8 11).

Johannes der Täufer liegt in gewisser Weise auf der Linie einer solchen Aszese, wenn er sich ganz des Weines enthält (vgl. Lk 1,15; 7,33). Im Unterschied zum Täufer hat Jesus Wein getrunken (vgl. Mt 11,19; Lk 7,34). Aber weder Johannes der Täufer noch Jesus können es allen recht machen: Jesus gilt nun als Fresser und Säufer, wörtlich eigentlich „Weintrinker". Er selbst rechtfertigt sein Tun mit dem Hinweis: Solange der Bräutigam da ist, ist die Zeit der Freude (vgl. Mk 2,18ff). Zugleich zeigt Jesus mit dem Bild des Weines, dass das Neue, das er bringt, unvereinbar ist mit dem Alten. „Auch füllt niemand neuen Wein in alte Schläuche. Sonst zerreißt der Wein die Schläuche; der Wein ist verloren und die Schläuche sind un-brauchbar. Neuer Wein gehört in neue Schläuche". (Mk 2,22) Möglicherweise liegt der Sinn des Weinwunders bei der Hochzeit zu Kana (vgl. Joh 2,1-11) in einer ähnlichen Richtung: Das Gegenüber von Wasser und Wein zeigt an, was Jesus an Neuem gebracht hat.

Schließlich ist das letzte Mahl Jesu nicht denkbar ohne den Wein im Kelch, über den Jesus das Segenswort spricht. Gerade in diesem Zusammenhang blickt Jesus auf die Vollendung des Reiches Gottes und sagt: „Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von neuem davon trinke im Reich Gottes." (Mk 14,25) Wiederum wird deutlich, wie sehr der Wein zu den endzeitlichen Heilszeichen gehört.

Der Wein ist Symbol. Er ist eine besonders reine, durchsichtige, auf den Schöpfer hin transparente Kreatur. Hölderlin sprach vom dunklen Licht im Becher. In Jesu Abendmahlshandeln gewinnt der Wein seine tiefste Bedeutung und birgt das Geheimnis des Lebens und Sterbens Jesu in sich. „Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet, reichte ihn den Jüngern, und sie tranken alle daraus. Und er sagte zu ihnen: Das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird." (Mk 14,23f) Der Wein wird zum Sinnbild für das Blut, das heißt für die ganze menschliche Existenz Jesu, der bald Gewalt angetan wird. Den Wein vor der Kreu-zigung, der mit Myrrhe gewürzt ist, lehnt Jesus freilich ab. Er möchte sich in dieser Stunde nicht betäuben lassen.

Damit sind wir bei einem letzten Sinn des Weines in der Schrift angelangt, der nicht ganz fehlen darf. Der Becher mit Wein in der Hand Gottes ist auch ein Bild für das Gericht. Wenn Gott dem Volk Wein zu trinken gibt, legt er ihm etwas Hartes auf. „Du hast dein Volk hart geprüft, du gabst uns betäubenden Wein zu trinken" (Ps 60,5). Der Becher des Herrn offenbart auch die ganze Bitterkeit und Ungerechtigkeit in der Welt, die aufgedeckt werden muss und kein Erbarmen verdient (vgl. Jer 13,12ff; 25,15ff; 49,12; Ez 23,31ff; Hab 2,16; Klgl 4,21). Auch diesen Kelch nimmt Jesus zu sich in seinem Leiden. Es ist nicht zufällig, dass Jesu Passion immer wieder auch mit dem Motiv der Kelter verbunden ist. Wir sehen es am besten in den mittelalterlichen Bildern: Der die Trauben stampfende Heiland wird selbst vom Kelterbalken, Sinnbild für das Kreuz, niedergepresst, um mit seinem Blut die Menschheit zu erlösen. Erst recht wäre an das wichtige Bild vom Weinstock und den Reben zu erinnern. (Joh 15,5f)

Brechen wir hier ab. Von den ersten bis zu den letzten Seiten begleitet das Symbol des Wei-nes den Weg der Bibel. So spricht gerade die Offenbarung vom Trinken „des Weines des Zornes Gottes, der unverdünnt im Becher seines Zorns gemischt ist" (Offb 14,10). Die Bibel enthält eine ganze Natur- und Kulturgeschichte des Weins. Aber in der Mitte aller Aussagen steht die Überzeugung, dass der Wein eine besonders köstliche und kostbare Gabe der Schöpfung ist. Er wird jedoch nicht nur zusammen mit Brot und Öl zu den elementaren Lebensbedürfnissen des Menschen gezählt (vgl. Dtn 8,7ff), sondern er soll auch das oft mühselige Le-ben des Menschen bereichern. Der Wein ist Gabe und Werk des Schöpfers, der durch dieses Geschenk den Menschen glücklich und zufrieden machen will. Der Wein ist dem Menschen zur Tröstung über die Mühsal seiner Arbeit gegeben (vgl. Gen 5,29; 9,20). Dabei geht es nicht nur um den einzelnen Menschen. Es ist der Inbegriff eines in Gottes Güte geglückten Lebens, wenn ein jeder ohne Angst und Schrecken unter seinem Weinstock und Feigenbaum sitzen und friedlich seine Nachbarn einladen kann (vgl. 1 Kön 5,5; Mi 4,4; Sach 3,10).

So lädt uns der Wein ein, über unser ganzes Leben nachzudenken. Auch in einer oft grausam entstellten Welt erweist sich Gott von Tag zu Tag als Schöpfer. Der Wein ist von Jahr zu Jahr ein Zeugnis für diese Güte. Darum sagt die Schrift an der vielleicht schönsten Stelle, wo sie über den Wein spricht, dass er „das Herz des Menschen erfreut" (Ps 104,15). Den Menschen ist der Wein gegeben, um Freude zu bringen.

Diese Freude wünsche ich Ihnen und Ihren Familien von ganzem Herzen. Den Wein können wir gut mit Gottes Segen verbinden, mit dem Wachsen und Gedeihen des Rebstocks, aber auch mit der Kunst des Menschen, dass es ihm gelingt, daraus einen köstlichen Wein zu berei-ten. Daran denken wir auch in jedem Gottesdienst, wenn wir bei der Gabenbereitung beten: „Gepriesen bist du Herr, unser Gott, Schöpfer der Welt. Du schenkst uns den Wein, die Frucht des Weinstocks und der menschlichen Arbeit. Wir bringen diesen Kelch vor dein Angesicht, damit er uns der Kelch des Heiles werde. Gepriesen bist du in Ewigkeit Herr unser Gott." Amen.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz