Predigt in der Jahresschlussandacht

am 31. Dezember 2008 im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Mittwoch, 31. Dezember 2008

am 31. Dezember 2008 im Hohen Dom zu Mainz

 Evangelium: Lk 12,13-21 | 

13 Einer aus der Volksmenge bat Jesus: Meister, sag meinem Bruder, er soll das Erbe mit mir teilen,

14 Er erwiderte ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Schlichter bei euch gemacht?

15 Dann sagte er zu den Leuten: Gebt Acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt.

16 Und er erzählte ihnen folgendes Beispiel: Auf den Feldern eines reichen Mannes stand eine gute Ernte.

17 Da überlegte er hin und her: Was soll ich tun? Ich weiß nicht, wo ich meine Ernte unterbringen soll.

18 Schließlich sagte er: So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen.

19 Dann kann ich zu mir selber sagen: Nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink und freu dich des Lebens!

20 Da sprach Gott zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast?

21 So geht es jedem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist.

In diesem Jahr sind wir Prediger am Jahresende besonders versucht, die Finanz- und Wirtschaftskrise zum Thema zu machen. Darum kann man gewiss verschiedene andere Probleme des zu Ende gehenden Jahres versammeln. Dabei müssen wir trotz mancher Warnungen, die in vergangener Zeit im Blick auf die Entwicklung unseres Wirtschafts- und Finanzsystems ausgesprochen worden sind (z.B. Welthandelsordnung, Finanzströme), zugleich bekennen, dass auch wir keine Patentrezepte haben. Wir leben auch selbst in diesen Systemen und können, wenn wir nicht Einsiedler in der Wüste sein wollen, nicht einfach aus ihnen herausspringen. Deshalb ist es auch gut, etwas zurückhaltend zu sein mit Schuldzuweisungen. Wir sind auf verschiedene Weise alle in das Geschehen verwickelt.

Aber es gibt die Möglichkeit, dass wir uns auf die Frage nach unseren Grundeinstellungen zum Leben in unserer Gesellschaft einlassen. Diese sind nicht nur von heute, sondern bringen Gefährdungen und Versuchungen des Menschen an den Tag, die es immer schon gab und denen offensichtlich eben auch wir nicht ganz entrinnen. Darum habe ich für die Predigt des heutigen Abends einen Text aus der Bibel ausgewählt, in dem von einer falschen Lebenseinstellung die Rede ist. Es geht dabei vor allem, wie die Überschrift in vielen Bibelausgaben lautet, um „Das Beispiel von der falschen Selbstsicherheit des reichen Mannes" (vgl. Lk 12,13-21). Es braucht oft nur kleine Brückenschläge, um vom Sinn des biblischen Textes zu unseren heutigen Problemen zu kommen, ohne dass wir etwas Gegenwärtiges fälschlich in die Bibel hineinlesen oder falsche Anwendungen für heute machen.

Es ist leicht erkennbar, dass unser Text aus zwei Abschnitten besteht (12,13-15. 16-21). Die anderen Evangelisten haben diese Worte nicht. Lukas stellt diese Aussagen in die Frage des richtigen Umgangs mit irdischem Besitz (vgl. 12,22-32. 33-34) und mahnt vor allem vor falschem Handeln. Dies interessiert ihn auch sonst. Zuerst gibt es eine Anfrage einer einzelnen Person. Ein unbestimmter Mann aus der Volksmenge wendet sich an Jesus, damit er - wie man es von einem gesetzeskundigen Rabbiner erwartete - die Erbschaft mit seinem Bruder teile. Dieser will offensichtlich nicht teilen oder nur sehr seinem Vorteil. Natürlich erwartete der Mann eine Schlichtung durchaus zu seinen Gunsten. Jesus geht den Mann aus der Menge ziemlich hart an: „Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbteiler bei euch bestellt?" Jesu Aufgabe ist nicht die des „Richters oder Erbteilers" (vgl. V. 14). Diese Aussage ist auch später als ein kritisches Wort gegen nicht-geistliche Tätigkeiten der Gemeindeleiter verstanden worden. Dies ist eine Warnung, dass wir uns nicht verirren und glauben, in den alltäglichen oder auch professionellen Fragen eine besondere Kompetenz zu haben. Vielmehr greift Jesus ein Verständnis des Teilens (vgl. V. 13 und V. 14) an, das letztlich nur ein Teilen im eigenen Interesse im Auge hat, eine Zerstückelung des Erbes, eine Aufteilung des Fans. Jesus geht es um ein anderes Erbe und um ein anderes Teilen (vgl. 12,33 f.; 10,25 ff.). Er geht radikal auf das Grundsätzliche: „Gebt acht, hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn der Sinn des Menschen besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines großen Vermögens im Überfluss lebt."

Zwei Grundworte greift die Bibel hier auf, nämlich Habgier und Überfluss. Die Bibel geht davon aus, dass wir Menschen uns immer wieder begierig nach fast allen Gütern ausstrecken, sei es Macht, Reichtum, Geld, Vergnügen oder auch Lust. Im ganzen Neuen Testament ist es eine Grunderfahrung, dass der Mensch sich alles mit seiner Begehrlichkeit unterwerfen möchte. Deshalb wird vor „jeglicher Habgier" gewarnt. Dabei gehören Habgier und Geiz zusammen. Deswegen werden auch andere gerne überlistet und übervorteilt.

Es geschieht leicht und schnell, dass man unsere irdischen Güter überschätzt und sie als absolute Ziele anstrebt. Leicht kann auch ein legitimes Interesse, z.B. an ererbtem Besitz, zu einer Form der Habsucht werden. Lukas mahnt uns, dass wir uns nicht einfach einer Steigerung des immer mehr, immer größer, immer weiter, immer schneller usw. verfallen. Er gibt uns zu bedenken, dass es nicht der Sinn des Lebens sei, aufgrund eines großen Vermögens in Überfluss zu leben. Es liegt im menschlichen Streben, dass wir uns, auch wenn wir es gar nicht brauchen, auf Überfülle und Überfluss ausrichten. Wir werden grundsätzlich gewarnt, den Sinn des Lebens nicht auf ein großes Vermögen zu bauen. Es ist gerade auch heute für uns nicht einfach, uns gegen diese Dynamik zu wehren. Denn wir leben in einer so genannten Überflussgesellschaft. Es ist die ständige Steigerung des Konsums, die auch heute als Heilmittel aus der Krise angepriesen wird. Nichts gegen notwendige Anschaffungen, aber brauchen wir wirklich manche Dinge, die nur zum Überfluss gehören?

Es scheint, dass mancher Umgang mit dem Reichtum uns nicht zufrieden, sondern unersättlich macht. In den letzten Jahrzehnten gab es zweifellos im Bankenwesen, nicht zuletzt auch in der Börsenmoral Entgleisungen. Die Rendite-Erwartungen und -Versprechen wurden immer größer. Der Händlergewinn stieg manchen in den Kopf. Der Gewinn kann sich so völlig selbstständig machen und verdrängt dann alle anderen Gesichtspunkte. Die klassische Moral auch und gerade des Mittelalters hat schon darauf hingewiesen, dass eine Haltung, die im Gewinn das Endziel erblickt, zur Sünde wird. Die großen Theologen geißeln in diesem Sinne die Profitgier. Sie sehen dahinter eine Gier, die sich ins Maßlose auswächst. „Das abstrakte und verabsolutierte Gewinnstreben ist prinzipiell maß- und zügellos, prinzipiell antiökonomisch, asozial, egoistisch." (O. v. Nell-Breuning, Grundzüge der Börsenmoral, Freiburg i. Br. 1928, Nachdruck 1989, 133). Wir wissen es eigentlich schon lange!

Lukas bleibt dabei nicht stehen. Er rückt uns noch mehr auf den Leib. Er bringt im zweiten Abschnitt dafür ein sehr konkretes Gleichnis. Ein reicher Kornbauer hat eine gute Ernte und braucht für viele Jahre keine Missernten zu fürchten. Er tut zunächst, was oft übersehen wird, etwas Vernünftiges: „Da überlegte er hin und her: Was soll ich tun? Ich weiß nicht, wo ich meine Ernte unterbringen soll." (12,17) Er wird nicht getadelt, weil er sich Gedanken macht, wie er den Überschuss der Ernte am besten verwendet und für die Zukunft sorgt. Er geht in seinen Planungen weiter: „So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen." (18) Offensichtlich ist auch dieses Planen nicht einfach von sich aus schon verwerflich. Es ist durchaus eine verantwortliche Überlegung, wie er mit der überdurchschnittlichen Ernte positiv umgeht. Von Geiz, Wucher und dergleichen wird nicht gesprochen. Es ist seine Pflicht, die Ernte in seinen Scheunen aufzusparen. Es fehlt jeder Zug, der den Kornbauern, der wohl ein Großgrundbesitzer ist, von vornherein belastet. Dass er in allem nur an sich selbst denkt und deshalb ein Egoist wäre - wie oft gedeutet wird -, sagt der Text nicht.

Dennoch zeigt das Gleichnis, dass der angeblich so kluge Mann, der so sorgfältig handelt, von Grund auf falsch und verfehlt denkt. Es geht auch nicht darum, dass dieses Gleichnis mit dem Jesuswort jede Lebensfreude madig macht. Lebensfreude ist biblisch nicht verwehrt (vgl. Koh 2,24; 3,13; 5,17; 8,15; 9,7 ff.). Aber in diese Lebensfreude kommt doch bei dem reichen Kornbauern ein falscher Ton: „Nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iss und trink, und freu dich des Lebens!" (12,19) Was hier falsch wird, ist die Selbstsicherheit, mit der der reiche Bauer alles von dem jetzigen Besitz erwartet, dass er damit allein schon sein Leben als gelungen ansieht und dass er darin eine letzte Zufriedenheit erblickt. Der reiche Bauer hat jede Selbstbescheidung verloren. Er hat die Unsicherheit, die zum menschlichen Leben gehört, vergessen. Er denkt auch nicht mehr daran, dass die Lebensfreude eine keineswegs selbstverständliche Gabe Gottes ist. Der Reiche, der nur auf seine Vorräte schaut, sieht nicht mehr die ganze Wirklichkeit. Der Horizont des reichen Kornbauers wird eng. Er verschließt sich der ganzen Wirklichkeit seines eigenen Lebens. Der Reichtum ist nicht selbst schlecht. Dass ein Mensch „reich" ist, ist für Lukas freilich nie eine belanglose Bemerkung, sondern deutet immer eine Gefährdung des Menschen an (vgl. Lk 1,51; 6,14; 16,19 ff.; 19,1 ff.). Das Risiko des Reichseins ist ein reales Risiko, jedenfalls wenn der Reichtum dem Menschen einflüstert, dass sein Leben gesichert ist. Der Reichtum, der dem Bauern wie eine verlässliche Garantie seines Lebens „auf viele Jahre" vorkommt, kann nicht leisten, was er verspricht. Er kann das Leben nicht einmal für eine Stunde garantieren.

In diese falsche Sicherheit hinein zerreißt das Jesuswort alle Nebel: „Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast?" (12,20) Hier geht es nicht nur um die Vergänglichkeit des Lebens allein, die man vergisst, sondern es geht um die falsche Sicherheit über das Leben überhaupt. Wir leben immer im Vorläufigen. Es gibt nur brüchige Garantien. Das Leben garantieren kann nur der, der es geschenkt hat und dem es gehört. Der Reichtum - und dies ist vielleicht die größte Gefahr - verbirgt oft den Geschenkcharakter unseres Lebens. Er verführt uns, an der Wirklichkeit vorbeizuleben. Wir verkennen oft den wahren Grund unsers Lebens. Das unbekümmerte Leben im Überfluss ist eine Täuschung (vgl. die wichtige Parallele bei Jak 4,13-5,6). Auf seine Weise sagt es uns der nüchterne, zu Unrecht gescholtene Jakobusbrief: „Ihr wisst doch nicht, was morgen mit eurem Leben sein wird. Rauch seid ihr, den man eine Weile sieht; dann verschwindet er. Ihr solltet lieber sagen: Wenn der Herr will, werden wir noch leben und dies oder jenes tun, nun aber prahlt ihr voll Übermut; doch all dieses Prahlen ist schlecht. Wer also das Gute tun kann und es nicht tut, der sündigt." (4,14 f.)

Der letzte Satz in Jesu Rede an den reichen Bauern knüpft hier an: „So geht es jedem, der nur für sich selbst Schätze sammelt, aber vor Gott nicht reich ist." (12,21) Manchmal sammeln wir die Schätze nur an. Es kommt dann nur darauf an, dass wir vieles in unserem Besitz wissen, ihn ständig vermehren, uns gelegentlich auch zu Tode sparen, aber unsere Schätze, die wir angehäuft haben, in Wirklichkeit nicht nützen. So kommt alles darauf an, dass wir nicht reich werden vor Gott. Dies können wir nur durch das Teilen unserer Güter (vgl. Lk 14,33), und das Geben unserer selbst (vgl. 9,23). Dies ist aber nicht nur eine einmalige Handlung, sondern bedeutet eine täglich von neuem zu gewinnende Grundhaltung (vgl. dazu Lk 9,23 und Apg 2,46). Diese ist nur denen möglich, die Gott begegnet sind und das Wort Jesu ernsthaft hören. Sie ist nicht das Ergebnis des Willens allein, sondern auch der vom hl. Geist erhellten Kraft des Verstandes und des Herzens. Dafür braucht man Sensibilität. Damit wird die Solidarität mit den Bedürftigen und Armen angesprochen. Auch dies ist ein wichtiger Wink für unsere heutige Situation. Es geht nicht nur um die Sicherung unserer eigenen Position. Wir müssen im Zeitalter der Globalisierung erst recht und noch viel mehr immer über unsere eigenen Köpfe hinausdenken, zumal dies schon innerhalb unserer eigenen Welt im Blick auf die kommenden Generationen notwendig ist. Dann sieht die Perspektive der Schätze, die wir sammeln, ganz anders aus.

Es geht nicht nur darum - was man leicht denken könnte -, dass der Mann die Plötzlichkeit des Todes nicht achtet. Man wird unversehens gewiss von ihm überrascht. Aber dies ist nicht der einzige Gedanke. Vielmehr ist der Mann darum töricht, weil er nicht daran denkt, dass mit dem Tod sein ganzes Vermögen verlorengeht. Damit beginnt auch die Überleitung zu dem nächsten Abschnitt, wo es Lukas um das Sichsorgen des Menschen geht (vgl. 12,22 ff.). Die Torheit des Menschen besteht eben darin, dass er sich im Sorgen für sich selbst übernimmt, sich vermisst zu tun, was er nie vermag. Er kann niemals für sich selbst aufkommen. Er täuscht sich, wenn er sich so autonom und autark einschätzt.

Dies ist, so bin ich fest überzeugt, die beste Lektion der Bibel für unser Leben und auch für unsere Situation heute und in nächster Zeit. Was wird uns alles angepriesen?! Was für Ängste werden immer wieder an die Wand gemalt?! Warum wird unsere Zuversicht so wenig gestärkt? Ist das nicht schon eine Form der Verzweiflung, die davon herkommt, dass wir meinen, wir müssten alles allein leisten. Jesus sagt klar, dass die materiellen Güter das Leben nicht absichern können und dass das Wohlleben nicht der Lebensinhalt sein darf. Wir müssen unser Leben vor Gott verantworten und die Vollendung unseres Lebens von seiner Güte entgegennehmen. Der Sinn des Lebens ist nicht das Wohlleben - gewiss gehört zu ihm die Lebensfreude -, sondern er erfüllt sich in der Liebe. Das irdische Leben ist zwar auf irdische Güter angewiesen, es kann aber durch sie weder abgesichert werden noch seine Erfüllung finden. Diese wird allein durch Gott geschenkt. Wir können nicht von uns allein her festlegen, was wahres Leben ist. Sonst sind wir töricht bzw. Narren. 

Schließen möchte ich mit der etwas unkonventionellen Übersetzung unseres Textes durch Walter Jens: „'Mein Freund, nun hast du alles, was du willst. Die Ernte ist in der Scheuer, du darfst vergnügt sein, für viele Jahre. Ruh dich aus und lass fünf gerade sein, iss und trink und mach dir von nun an fröhliche Tage.' Da aber hat Gott zu ihm gesagt: ‚Du närrischer Mensch! In dieser Nacht noch wird dir die Seele abgefordert - dein Leben! Und alles ist hin, dem du nachgejagt bist: wem soll es wohl nützen?' So geht es jedem, der für sich Schätze aufhäuft und darüber vergisst - so reich, so arm und so närrisch! -, dass er vor Gott ein Bettler ist." (Und ein Gebot ging aus. Das Lukasevangelium, Stuttgart 1991, 85 f.)

In wenigen Stunden beginnen wir einen neuen Zeitabschnitt unseres Lebens. Dann ist es gut, wenn wir das Rätsel der Zeit und auch unseres Lebens im Lichte des ewigen Gottes und seines Wortes betrachten: Auch in dieser Stunde geht es zuerst um Danksagen und Bitten! Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz