Predigt zu Fronleichnam

am 10. Juni 2004 im Mainzer Dom

Datum:
Donnerstag, 10. Juni 2004

am 10. Juni 2004 im Mainzer Dom

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn,

Ein großer Kontrast liegt in der Erzählung von der wunderbaren Speisung, die wir eben gehört haben: Die Jünger schicken die Leute weg, Jesus gibt ihnen zu essen. Das ist ein Ausdruck der menschlichen Haltung, die auch in uns selbst steckt. Wenn andere in Not sind, dann denken wir zuerst, sie sollen sich selber helfen; andere, die dafür bestellt sind, sollen eintreten. Aber Jesus denkt anders, und sein ganzes Leben zielt darauf ab, dass er für alle da ist. Das sagt sich so leicht, und doch wissen wir auch selbst, dass unter diesen „alle“ sich viele verbergen, bei denen es uns gar nicht so leicht fällt, für sie da zu sein, für sie einzutreten.

Aber das ganze Leben Jesus, seine ganze Lebensrichtung ist nichts anderes, als dass er für alle wirklich da ist. Das ist nur möglich, weil er diese Sendung vom Vater für alle erhält. Rein menschlich wäre dies gar nicht durchzuhalten. Dies kommt dadurch zum Ausdruck, dass er gerade für die Bedrängten, für die unheilbar Kranken, für die Gescheiterten, für alle, die man sonst eigentlich abgeschrieben hat, da ist. Da wird sinnfällig und ganz konkret sichtbar: Er ist buchstäblich für alle da, die in dieser Gesellschaft abgeschrieben sind. Bei Gott gehören sie dazu, und sie zeigen, wie weit dieses „alle“ eigentlich reicht.

Der Evangelist Johannes hat das in seinem bekannten und berühmten sechsten Kapitel über die heilige Eucharistie in das Wort zusammengefasst, dass er gekommen ist für das Leben der Welt, für uns, für alle. Nicht zufällig sieht Johannes die Menschwerdung und die Hingabe Jesu für alle in der Eucharistie und in seinem Leiden und Sterben ganz eng zusammen. Das ist die große Bewegung Gottes zu uns herab, sodass er unter uns wohnt, das Leben mit uns teil, das Leiden und Sterben von Menschen mit uns teilt. Deshalb ist das die große Richtung seines Lebens für das Leben der Welt. Wenn es aber für das Leben der Welt bestimmt ist, dann sollen wir dies auch sichtbar machen im Leben der Welt. Der Herr hat uns dieses Vermächtnis seines Lebens in diesen elementaren Zeichen von Brot und Wein geschenkt. In der Menschheitsgeschichte sind das eigentlich Ursymbole für Essen, für Nahrung, für die Gemeinsamkeit des Menschen und der Schöpfung. Wenn nun Wein und Brot zum Zeichen werden, wenn sie ihn aufnehmen können in seiner ganzen Bedeutung, dann zeigt das auch, wie tief die Schöpfung ist, dass sie im Stande ist, sein tiefstes Geheimnis aufzunehmen und darzustellen. Nicht zufällig verwenden wir dafür immer wieder die Worte von Brot, von den vielen Körnern und dem einen Brot, vom Wein, um darzulegen, was er für uns bedeutet, was er für uns gebracht hat und wie konkret dieses Leben für uns, für alle ist.

Er ist uns vorausgegangen, nichts hat er ausgespart in seinem eigenen Leben, was uns Menschen begegnen kann an Gutem und an Schwierigem. Darum ist es auch gut, wenn wir in der Öffentlichkeit unseres Lebens sichtbar machen, hier ist einer, der dir wirklich in allem begegnen und helfen kann. Er ist nicht nur in der Stille unseres Herzens, er ist nicht nur da in der Intimität der Anbetung, sondern er ist auch wirklich da auf den Straßen der Welt. Er ist da, wo Menschen sich abarbeiten. Er ist da, wo Menschen alles tun und sich einsetzen für das Wohl der anderen. Er ist da, wo Menschen leiden, er ist wirklich auf allen Straßen der Welt. Er geht mit in den Situationen und verschiedenen Aufgaben des menschlichen Leben. Ob wir an Schulen vorbeigehen, an Krankenhäusern, an Altenheimen: Überall ist das Leben der Menschen, und da ist er. Darum wollen wir nun nach der Eucharistiefeier ihn in diesem Sinne hinaustragen.

Es ist uns dies alles gegeben zum Gedächtnis. Dieses Wort vom Gedächtnis dürfen wir nicht so auffassen, als ob es bloße Rückerinnerung an eine ehemalige Geschichte ist, die aber längst vergangen ist, deren wir uns eben tröstlich erinnern. Sondern dieses Wort hat in der Bibel den Sinn, dass etwas, das ein für alle Mal geschehen ist, ganz lebendig wieder bei uns erscheint. Es kann nicht einfach wiederholt werden, aber die Kraft von dem einmaligen Geschehen kommt auch zu uns. Deswegen auch das Wort in jeder heiligen Messe: Tut dies zu meinem Gedächtnis. Das ist das Wunder der Eucharistie, dass wir genauso daran teilnehmen dürfen wie die Jünger im Abendmahlssaal. Die großen Sequenzen, die großen Lieder über die Eucharistie, aus der Liturgie vor allem des Mittelalters wundern sich darüber, dass man den Herrn wie bei der wunderbaren Brotvermehrung gleichsam unendlich teilen kann: In der Hostie, die zerbrochen und anderen mitgeteilt wird, hat keiner weniger und niemand mehr. Es wird immer möglich sein, den Herrn wie das Brot aus vielen Körnern auszuteilen und das macht um so sinnfälliger, dass wir in einer Gemeinschaft des Glaubens verbunden sind. Die Eucharistie öffnet uns, den einen zum anderen hin und umgekehrt. Daraus entsteht eine Gemeinsamkeit des Eintretens, die wir mit unserem Wort Solidarität andeuten aber noch längst nicht erschöpfen können. Wenn wir heute morgen hinausgehen, tun wir die auch stellvertretend für viele, die aus unterschiedlichen Gründen nicht dabei sein können. Wir beten für sie und gehen für sie auf die Straßen unserer Welt.

Das Bild, das an diesem Tag auch wieder unsere Gebete und unsere Lieder bewegt, ist das Bild vom großen Gastmahl aller Völker am Ende der Zeit. Das ist sozusagen die Vision der Eucharistie: Das Mahl mit Brot und Wein, das Mahl mit dem Leib und Blut des Herrn und alle, die sich sonst zerfleischen, alle die sich sonst zerstören, sitzen einträchtig, friedfertig an einem Tisch. So wie ein gutes Mahl ein wunderbarer Ausdruck der Gemeinschaft sein kann. Wenn wir die Eucharistie als Zeichen für das Leben der Welt erkennen, möchten wir dahin kommen, dass wir wirklich mit allen Völkern, mit allen Rassen, mit allen Verschiedenheiten der Menschen einträchtig zusammen sind. Gerade in Zeiten der Spannungen spüren wir dies. In dieser Zeit wird das nur ein kleines Gleichnis, ein Abbild, ein Fragment bleiben. Aber wenn wir es schon einmal versuchen, ist es sehr viel mehr, als das, was sonst in unserem Leben ist. Wenn wir ein klein wenig diesen Traum jetzt schon wahrmachen können, dann vollzieht sich das Geheimnis der Eucharistie auch in den Strukturen unserer Welt.

In diesem Sinne ist es auch das Sakrament der Einheit und des Friedens und das Sakrament, das überall in der ganzen Welt an jedem Tag wieder neu wird. Es ist ein Zeichen, ein Sakrament, das tief in die Zeit hineinreicht, tief in die Geschichte hineingeht, buchstäblich alltäglich wird. Es ist ein Zeichen, das mit uns geht auch durch unser eigenes Lebensalter hindurch - von der frühen Kindheit an bis in die letzten Stunden, in denen dieses Sakrament Wegzehrung wird. Darum, weil es gerade auch in unsere Geschichte, in unseren Alltag hineinreicht, machen wir sein Geheimnis durch unser Zeugnis, das wesentlich dazugehört, erkennbar in der Öffentlichkeit unseres Lebens. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz