Predigtmeditation zur Verabschiedung des Domorganisten, Herrn Albert Schönberger

im Vespergottesdienst am 25. April 2010 im Mainzer Dom

Datum:
Sonntag, 25. April 2010

im Vespergottesdienst am 25. April 2010 im Mainzer Dom

Lesung: Ps 150 | 

Der Psalm 150, den wir soeben als Kurzlesung gehört haben, hat in der neueren Musik großartige Ausgestaltungen erfahren, z.B. durch César Franck, Benjamin Britten und Igor Strawinsky. Er ist das zusammenfassende Finale des Psalmenbuchs. Es gibt Anzeichen dafür, dass er eigens zu diesem Zweck geschrieben worden ist. Zugleich gibt er dem Psalmenbuch eine Gesamtdeutung: „Wo und durch wen immer ein biblischer Psalm gesungen oder gebetet wird, geschieht dies als Teilhabe an jenem kosmischen Lobpreis, der als belebender Atem in ‚allem, was Atem hat', da ist, und seinem Geber in der Gestalt von Lob und Dank zurückgegeben wird." (Erich Zenger). Die Zehnerreihe des Psalms ist in sich ein Symbol der Fülle. „Es geht also um die Fülle des Gotteslobs. Die Zehn deutet aber nicht nur die Fülle, sondern auch die geordnete Schönheit des Lebens an, die in und hinter der Schöpfung und der Geschichte ver-borgen gegenwärtig ist und deretwegen Gott gepriesen werden soll." (Erich Zenger). Die Psalmen sind die Antwort Israels auf das Heilshandeln seines Gottes in Schöpfung und Geschichte.

Ich will hier nicht eine Deutung des Psalms vortragen. Dafür verweise ich auf Erich Zenger in seinen verschiedenartigen Auslegungen, besonders in Herders Theologischer Kommentar zum AT, Psalmen, 101-150, 871-885. Ich möchte nur noch ein paar Worte über das Loben sagen. Der Lobpreis ist eng verbunden mit der Verherrlichung Gottes. Das Loben ist die am meisten angemessene Weise, von Gott zu sprechen. Sprachgeschichtlich deutet manches darauf hin, dass „Loben" viel zu tun hat mit loslassen, freigeben, und zwar in seine eigene Herrlichkeit. Also nicht von uns aus bestimmen und abgrenzen, vielmehr Gott Gott sein lassen. Dies ist manchmal für uns Menschen sehr schwer. Wir müssen es immer wieder lernen. Dabei kann uns die Musik in einzigartiger Weise helfen. Deshalb sagen auch schon frühe Texte, etwa bei Augustinus, dass, wer singt, doppelt und mehrfach betet. Dieses Singen betrifft nicht nur die Stimme des Menschen. Die ganze Schöpfung stimmt ein. Darum kommen auch im Psalm 150 die Musikinstrumente ins Spiel. So z.B. das Schofar, ein unbearbeitetes gebogenes Tierhorn, aus dem dann ein Blasinstrument gemacht wird. Die Königsherrschaft Gottes wird damit angekündigt (vgl. Ps 47,6; 98,6). Es folgen im Psalm weitere Instrumente, auf die wir nicht eingehen wollen und können.

Stattdessen wollen wir in Entsprechung zum festlichen Anlass des heutigen Tages etwas über die Orgel sagen. Die Geschichte der Orgel ist nicht so einfach.

Die Orgel ist erst durch den Geist des Christentums zu dem geworden, was sie heute ist, aber dieser Weg war keineswegs eine Königsstraße des Erfolgs. Klein waren die Anfänge. Die ersten Orgelformen bestanden aus einer Verbindung mehrerer Hirtenpfeifen, denen die Luft aus einem Tierfell, dem „Balg", zugeführt wurde. Der Dudelsack erinnert noch daran. Auch in der Art der weltlichen, fast leichtfertigen Musik sind sich Klangweise von Dudelsack und früher Orgel ähnlich. So setzte nicht erst die Reformation in der Verwendung der Orgel kritische Akzente - auch schon die Einfachheit und Strenge des Gregorianischen Chorals hatte im Gegensatz zu der eigentümlichen Üppigkeit des Orgelspiels gestanden. Thomas von Aquin formulierte die Vorbehalte folgendermaßen: „Musikinstrumente solcher Art bewegen den menschlichen Geist mehr auf das Wohlgefallen hin, als dass durch sie im Inneren eine gute Verfasstheit auf Andacht hin gebildet würde. Im Alten Testament war der Gebrauch solcher Instrumente deshalb gegeben, weil das Volk härter und fleischlicher war: also konnte es durch Instrumente dieser Art besser herausgelockt werden, ähnlich wie durch irdische Versprechungen." Zur Zeit des Thomas waren zwar schon einige Jahrhunderte vergangen, seitdem die Orgeln über den Orient in der christlichen Kirche Einzug gehalten hatten, aber erst in diesem 13. Jahrhundert fanden sie in fast allen Domen und größeren Stadtkirchen Verwendung. Das Bedürfnis nach der Orgel musste um so größer sein, als die Kirche Musikinstrumente wie Zithern und Harfen nicht für das Gotteslob in Dienst stellen wollte, um nicht den Anschein zu erwecken, als ob sie hier dem Judentum erliege. Karthäuser und Jesuiten wahrten auch gegenüber der Orgel Distanz, anders und freundlicher zeigten sich Benediktiner und Augustiner.

Die Einwände wurden in der reformatorischen Zeit radikaler, wobei allerdings das Benehmen der Organisten manchmal mehr gegeißelt wird als ihr Instrument: Es heißt, sie fingen zu spät an, spielten zu lang, frönten während ihres Tuns sogar dem Trunk, wagten weltliche Lieder und gar Tänze. Sie übertönten das Wort und den Gesang. Luther, der sonst voll des Lobes ist für die Musik, erwähnt die Orgel höchst zurückhaltend. Es ist auch bis heute ein Rätsel, warum der äußerst musikalische Zwingli veranlasste, die „unerbauliche Papstleier", die sich in den reinen Gottesdienst eingeschlichen habe, auszurotten. Gegenüber dem reinen Wort fällt sie in ihrem Wert ab. Die wahren Anbeter im Geist (vgl. Joh 4,23) bedürfen laut Zwingli nur der Stille der Andacht, ohne alles Geschrei von Menschen und erst recht von Instrumenten. Die Orgel verunklart den geistlichen Sinn des Menschen, denn sie möchte über die letzten Grenzen menschlicher Möglichkeiten hinaus. Wieder ist von den alttestamentlichen Musikinstrumenten die Rede und von der Orgel als „Katzengeschrei" und „himmlischer Sackpfeife". Bekanntlich werden dann in den reformierten Kirchen die Orgeln abgerissen. 1527 fällt die Orgel im Züricher Großmünster dem puristischen Radikalismus zum Opfer. Vor allem 1 Kor 14,19 muss als Begründung immer dafür herhalten: „Doch vor der Gemeinde will ich lieber fünf Worte mit Verstand reden, um auch andere zu unterweisen, als verzückt zehntau-send Worte stammeln."

Häufig sind es nun ausgerechnet die Institutionen von Stadt und Staat, die - wie besonders in Holland - die Orgel schützen und sie in den weltlichen Raum geleiten. Die Orgel verliert das Wurzelreich des Gottesdienstes und der Kirche. Sie wandert aus in den Konzertsaal, während die Musik des Gotteshauses verarmt. Säkularisierung von Musik und Orgel ist ein Wort, das sich häufig in der Fachliteratur findet. Wo die Orgel wieder zugelassen wird - vielerorts dau-ert es bis in die Mitte des 18. und 19. Jahrhunderts -, muss sie sich wie früher mit dem Into-nieren und Begleiten zufriedengeben. Sie darf auf keinen Fall die Wortverkündigung und das Predigtamt beeinträchtigen.

Dennoch hat die Orgel sich weithin durchgesetzt. Sie ist für die Verkündigung des Wortes Gottes kein Hindernis. Je mehr sie der gottesdienstlichen Handlung dient, um so mehr kommt sie zu ihrem eigenen Rang. In allen gottesdienstlichen Ordnungen ist dem früher gefürchteten Missbrauch ein Riegel vorgeschoben. Ein Beispiel möge genügen: „Die Teilnahme der Orgel am liturgischen Ablauf kann nur dann von der Gemeinde als etwas Besonderes gehört wer-den, wenn die Orgel auch einmal schweigt." (Richtlinien für die Tätigkeit der Orgel im Gottesdienst, Agende der VELKD 1954).

Das Wort selbst ist mehr als nur verbale Äußerung. Es bringt Höhen und Tiefen, Klang und Rhythmus der Sprache Gottes und des Menschen zu Gehör. Es reicht hinab in das Bodenstän-dige einer Landschaft und hinauf in die reinste Heiterkeit des Himmels. Das Wort möchte den ganzen Menschen erwecken, indem es das Temperament des Geistes entbindet und die menschlichen Affekte in die große Ordnung einbindet. Das Wort braucht keine Angst zu haben vor der Vitalität der Musik. Die Musik ist ja keine gleichsam von außen kommende Macht, die mit den Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen in Konkurrenz treten würde. Auch die Musik der Orgel ist auf menschliches Können angewiesen. Dem Willen des Menschen entsprechend ruft dieses Instrument alle Dinge der Schöpfung herbei, um den Klang des Gotteslobes aus allen Kreaturen erschallen zu lassen: alle Hölzer und Metalle, alle Handwerkskunst und jegliche Virtuosität. Die Orgel sammelt alle übrigen Mittel menschlicher Musik und ordnet sie zu einem vielstufigen und reich verzweigten Kosmos des Gotteslobes zusammen. Nicht zuletzt darum wird sie die Königin der Instrumente genannt. Der Tiefe des Wortes verleiht sie ihre Farben und ihre Bewegtheit. Es wäre falsch, sie nur im Vorfeld des Wortes anzusiedeln, wo sie mit der Macht der Töne ästhetisch locken und die Sinnlichkeit des Menschen gleichsam aufreizen würde. Vielmehr kündet die Orgel selbst von der Sprachgewalt der Musik und der Instrumente. Sie kann wortlos Dinge sagen, wo die Sprache versagt, wenngleich sie das Wort immer wieder braucht, damit ihre Klanggewalt nicht einmal zu leerem, unverbindlichem Schall wird. Die große Orgelkunst im evangelischen Raum, vor allem bis zur Aufklärung, ist ein Zeugnis für Verkündigung durch das Wort der Musik.

Doch kann die Orgel auch als ein verführerisches Instrument ablenkend wirken. So dumm sind die Sorgen der Überlieferung nicht. Wo aber die Kunst am größten war, sah sich die Or-gel einzig und allein zur Ehre Gottes bestimmt. Wirkliche Gefahren tauchten immer dann erst voll auf, wenn die Orgel noch nicht oder nicht mehr dem Mutterboden des Gottesdienstes zugehörte. Nur in verweltlichter Atmosphäre konnte sie zu billigem Religionsersatz werden. Wie alles Kreatürliche und Menschliche, so ist auch die Orgel vieldeutig. Aber diese Vieldeu-tigkeit, die dem Irdischen anhaftet, muss nicht von sich aus schon ganz negativ sein: Zum Lichtspektrum der Schöpfung gehören die dunklen Töne, aber dies ist keine Finsternis; das Geschöpf hat Grenzen, aber so ist es dennoch nicht zwangsläufig ein einziger Fehler; Traurigkeit und Melancholie müssen nicht gleich zur Verzweiflung führen. Die Orgel und ihre Kunst wissen etwas von dieser Zwiespältigkeit allen menschlichen Tuns. Größe und Elend, Höhen und Tiefen, letzte Harmonie und äußerste Gegensätze liegen nahe beieinander. Aber darum ist die Musik noch nicht ein „dämonisches Gebiet", wie Thomas Mann einmal meinte. Sie zeigt allerdings auf den Bereich, der über sie hinausreicht, auf das schlechterdings Unverfügbare, das der Mensch nicht von sich aus erlangen, aber auch nicht entbehren kann, sondern nur hoffnungsvoll von Gott her entgegennehmen darf.

Eine Orgel soll uns dazu helfen, dass Mensch und Werk, Spielende und Hörende zu diesem Vorschein ewiger Hoffnung finden. Sie soll uns deutlich machen: Gott hat seine Kirche die Orgel erwählen lassen, damit auf ihr sein Lob gesungen werde. So gilt Luthers Satz über die Musik am Ende doch wohl auch für die Orgel: „Sic Deus praedicavit Evangelium etiam per musicam" - „So hat Gott das Evangelium auch durch die Musik verkündet".

Unser Domorganist, Herr Albert Schönberger, hat nun fast 30 Jahre lang unsere Domorgel gespielt. Andere können besser seine musikalischen Fähigkeiten würdigen. Ich habe es auf meine Weise durch einen Blick auf die Bedeutung der Orgel für uns versucht. Aber ich will doch einige Worte hinzufügen. 1981 wurde er Dompfarrorganist in Mainz und Dozent am Bischöflichen Institut für Kirchenmusik, 1983 auch Dozent für künstlerisches Orgelspiel und Orgelimprovisationen an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Am 1. März 1985 wurde er als Nachfolger von Mons. Heino Schneider der neue Domorganist. In diesen drei Jahrzehnten hat Albert Schönberger die Gottesdienste am Dom in höchster Weise gefördert. Er versteht Musik als „Verlängerung des musikalisch-liturgisch-theologischen Gedankens". Er möchte mit seiner Musik dem Wort auch eine besondere Unterstreichung, Betonung und Hervorhebung schenken. Dazu passen gut seine beiden besonderen Begabungen, nämlich die Kunst der Improvisation, die immer wieder seine schöpferische Kraft zeigt, aber auch seine Fähigkeit zur Komposition. Darum haben auch große Themen immer wieder seine Aufmerk-samkeit geweckt, so z.B. sein Tauflied „Segne dieses Kind", die „Mainzer Bibelgesänge", seine Kantaten zu bekannten Liedern, nicht zuletzt im Advent. Albert Schönberger konnte sich durch Konzerte und Meisterkurse in Fachkreisen einen Namen machen. Wir möchten ihm ein ganz herzliches Vergelt´s Gott sagen für die immer so frische und ermutigende Ge-staltung unserer Gottesdienste. Wir spürten immer wieder, dass für ihn nichts Routine war, sondern eine herausragende Gelegenheit, seine Talente in den Dienst des Gotteslobes zu stel-len.

So möchte ich Ihnen als Zeichen unseres Dankes den kürzlich erschienenen Bildband des Mainzer Domes schenken, damit Sie immer an diese große Zeit Ihres Lebens und Wirkens - es ist die Hälfte Ihres Lebens - erinnert werden. Wir wünschen Ihnen für den neuen Lebensabschnitt Gottes überreichen Segen mit viel Freude! Wir freuen uns immer wieder, wenn Sie zu uns nach Mainz kommen.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz