Profilschärfung oder Konzentration auf das Kerngeschäft: Was kann die Kirche von der Wirtschaft lernen?

Datum:
Dienstag, 26. Oktober 2004

Vortrag bei der Veranstaltung „Reformen ohne soziale Gerechtigkeit?“ - Symposium Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände am 26. Oktober 2004 im Haus der Deutschen Wirtschaft, Berlin

Die heutige Tagung des Dialogs von Kirche und Wirtschaft steht in der Tradition eines wichtigen und gut gepflegten Meinungsaustausches zwischen der Kirche und den deutschen Arbeitgeberverbänden, für den ich sehr dankbar bin. Diese Tradition gründet nicht zuletzt auf dem Fundament gemeinsamer Überzeugungen beider Dialogpartner: Stand doch ein großer Teil der Väter der Sozialen Marktwirtschaft – ich nenne nur Walter Eucken, Adolf Lampe und Alfred Müller-Armack – auf einem christlichen Fundament. Sie gründet aber auch in der Einsicht, dass neben den ökonomischen und finanziellen Aspekten auch ethisch-spirituelle und gesellschaftlich-politische Grundwerte für das Gelingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens unentbehrlich sind.

Präsident Dr. Hundt hat zu Beginn dieser Tagung beschrieben, welche Orientierung die Wirtschaft von den Kirchen erwartet. Ich bin dankbar für dieses Interesse, das ja ein wesentlicher Antrieb für den Dialog zwischen den Kirchen und der Wirtschaft ist, sei es im regelmäßig stattfindenden Spitzengespräch, sei es in vielfältigen anderen Foren, für meinen Bereich seit Jahrzehnten im Gespräch Kirche-Wirtschaft in Hessen. Da Sie nun aber zwei Bischöfe um Vorträge gebeten haben – ich freue mich, dass auch der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Dr. Huber, Dialogpartner des heutigen Tages ist – müssen Sie es hinnehmen, dass ich Ihnen auch einige dieser geforderten Orientierungen aufzeige, ganz im Lichte der Frage: Was kann die Kirche von der Wirtschaft lernen?

 

I.

Kirche und Wirtschaft sind zwei voneinander verschiedene Bereiche. Wirtschaft erscheint heute wie alle anderen Sachbereiche der Gesellschaft als ein „System“, das letztlich nur sich selbst steuern kann. Die Wirtschaft hängt zunehmend von sich selbst ab. Die Systemtheorie, besonders in der Fassung von N. Luhmann , hat diese Struktur auf den Begriff gebracht. In diesem Konzept, das viele Elemente der heutigen Realität auf dem Nennen bringt, ist es jedoch recht schwierig, die jeweiligen Teilsysteme miteinander in Kommunikation und Dialog zu bringen. Unter dieser Voraussetzung gibt es z.B. für Luhmann trotz der universalen Relevanz der Ethik kein „gesellschaftseinheitliches Moralprogramm“ mehr. So kann das Verhältnis zwischen den Teilsystemen rasch von Desinteresse und Gleichgültigkeit geprägt sein. Dies wäre das Ende des Dialogs.

Gehen wir praktisch und nüchtern an die Sache. Wir gehen gewiss davon aus, dass sich ein Unternehmen nicht so führen lässt wie eine Gemeinschaft von Gläubigen. „Mit Glaube, Liebe und Hoffnung allein“, so werden Sie vielleicht denken, „wird mein Unternehmen am Markt auf Dauer nicht erfolgreich bestehen können.“ Das ist sicher richtig. Als Bischof und mit Blick auf die Kirche zeigt sich mir ein etwas anderes Bild. Die Gemeinschaft der Gläubigen in der Nachfolge Jesu müsste und könnte auch ohne unternehmerische oder behördliche Strukturen bestehen. Dies hat die Geschichte gezeigt. Auch in Zeiten ökonomischer Herausforderungen ist die Lage der Kirche deshalb niemals hoffnungslos. Sie verdankt sich der Einsetzung durch Jesus Christus und hat ihre irdische Gestalt zuerst in der Gemeinschaft aller Gläubigen. Auf der anderen Seite aber verfügt die Kirche – in Deutschland zumal – über vielfältige Institutionen und unternehmensähnliche Kapazitäten. Damit sind der Kirche Instrumente an die Hand gegeben, mit denen sie viel Gutes bewirkt hat und weiter bewirken kann. Um deren Funktionieren auch in Zukunft gewährleisten zu können, ist es notwendig, auch mit haushälterischem und unternehmerischem Verstand den wirtschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Deshalb will ich mich gerne darauf einlassen, die Kirche einmal aus einer unternehmerischen Perspektive zu betrachten.

Die Organisatoren dieser Tagung haben mich um einen Vortrag zu der Frage gebeten: „Was kann die Kirche von der Wirtschaft lernen?“. Ihr Vorschlag lautet: „Profilschärfung und Konzentration auf das Kerngeschäft“. Sicher haben die Verantwortlichen hierbei die Schwierigkeiten einzelner Bistümer vor Augen gehabt, mit dauerhaft und zum Teil dramatisch sinkendem Kirchensteueraufkommen auszukommen und mit Haushaltsdefiziten fertig zu werden. In der Tat fragen sich die Verantwortlichen in den Diözesen: Wie können wir den notwendigen Umbau gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch gegenüber den Gemeindemitgliedern verantwortlich gestalten und darüber hinaus die unverzichtbaren Aufgaben der Kirche weiterhin erfüllen?

Dabei ist die Erosion der finanziellen Basis der Diözesen nur ein Indikator für ein zunehmend schwieriger werdendes Umfeld, in dem sich die Kirchen bewegen: Nur noch zwei Drittel der deutschen Bevölkerung bezeichnen sich aktuellen Umfragen zufolge als „eher religiös“ oder „religiös“. Die rituelle Praxis auch der Katholiken lässt messbar nach, die Glaubensvermittlung zum Beispiel in den Familien verliert an Bedeutung, womit die religiöse Bindung insgesamt schwächer werden wird. Und schließlich müssen wir sehen, dass der Institution Kirche manchen Umfragen zufolge zunehmend weniger Vertrauen entgegengebracht wird. Es gibt freilich auch Gegeninstanzen dazu. Die Lage ist ambivalent.

Dieser Wahrnehmung stehen nämlich zweifellos auch Beobachtungen gegenüber, aus denen wir Hoffnung schöpfen dürfen. In der Sprache der Wirtschaft dürfte man feststellen: Es gibt „Potentiale“. Rund 26 Millionen Menschen gehören der katholischen Kirche in Deutschland an. Wir haben eine große Zahl ehrenamtlich engagierter Kirchenmitglieder und viele ausgezeichnete und überaus leistungswillige und leistungsfähige hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Kirche erfreut sich in vielem einer sehr positiven Anerkennung und Wertschätzung in der öffentlichen Meinung, insbesondere mit Blick auf ihr soziales Engagement. Wir sind, unternehmerisch gesprochen, „in der Fläche präsent“, d.h. mit unseren Gemeinden und Einrichtungen auch in entlegeneren Regionen unseres Landes vor Ort und in den lokalen Zusammenhängen verwurzelt. Auch heute noch verfügen wir über eine relativ „hohe Mobilisierungskraft“, denken Sie – bei allem Rückgang – an die vier Millionen Besucher des Gottesdienstes an jedem Sonntag und an die große Spendenbereitschaft. Und wir haben ein ansprechendes „Angebot“: die befreiende Botschaft des Jesus von Nazareth, von der wir hoffen, dass sich auch junge Menschen wieder mehr ansprechen lassen. Der Weltjugendtag 2005 in Deutschland kann dafür eine gute Gelegenheit werden.

Die Verantwortlichen in der Kirche sind gut beraten, sich über die Herausforderungen und Chancen, die sich ihnen stellen, klar zu werden. Würde nicht auch ein guter Unternehmer sich fragen: Welche Probleme in meinem Unternehmen muss ich lösen, damit ich weiter auf dem Markt bestehen kann? Und welche Potentiale, welche Marktchancen habe ich? Deshalb ist der erste Schritt, der getan werden muss, das eigene Haus in Ordnung zu bringen, die Herausforderungen der Kirche auch tatsächlich anzugehen und einer zukunftsfähigen Lösung zuzuführen. Dafür bedarf es keiner aufgeregter Sonderaktionen. Diese betrifft alle Ebenen des kirchlichen Lebens und Seins, besonders im Alltag. Dazu gehört – zudem im Vergleich mit einem Unternehmen –, die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit zu festigen oder gar wieder herzustellen. Auch in der Kirche kann jeder Euro nur einmal ausgegeben werden. Deshalb muss eine sorgfältige, an pastoralen Notwendigkeiten ebenso wie an finanziellen Möglichkeiten orientierte Neuausrichtung der kirchlichen Institutionen, Einrichtungen und Verbände vorgenommen werden. Dies betrifft die missionarische Dimension, aber auch die wirtschaftliche. Vielerorts wird bereits mit Nachdruck daran gearbeitet, auch unter Zuhilfenahme unternehmerischen Sachverstands von Außen.

Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Einnahmeseite der kirchlichen Haushalte grundsätzlich verbessern wird. Im Gegenteil, der sich in Europa fortsetzende Trend der Finanz- und Steuerpolitik, die Gewichte zugunsten der indirekten Besteuerung zu verschieben, werden die Ausgangsbasis der Kirchensteuer, das Einkommenssteueraufkommen, weiter reduzieren. Deshalb bleibt uns vor allem die Aufgabe, an der Ausgabenseite wesentliche, zum Teil schmerzhafte Einschnitte vorzunehmen. Die unumgänglichen Veränderungen vor allem im Bereich der Personalkosten verlangen aber gerade von der Kirche größtmögliche Sensibilität gegenüber den betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben: Hier müssen wir deutlich sensibler agieren, als manches Wirtschaftsunternehmen es bislang tat. Eine Kultur des kurzatmigen „hire and fire“ wird nie die „Unternehmenskultur“ des kirchlichen Personalwesens sein können. Denn in ihren seelsorgerischen und diakonischen Diensten ist die Kirche in besonderer Weise auf die Einsatzbereitschaft und die Qualifikation ihrer Mitarbeiter sowie ehrenamtlichen Helfer angewiesen. Deren persönliches Glaubenszeugnis ebenso wie das Zeugnis der Kirche insgesamt dürfen nicht verdunkelt werden durch einen humanen Umgang der Kirche mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Schließlich kommt auf die Kirche in stärkerem Maße als bisher zu, im Wettbewerb zu bestehen. Dies gilt für die Kirche als Vermittlerin des Glaubens, die nicht als einzige ein sinnstiftendes „Angebot“ vorhält. Dies gilt für die vielen religiösen oder auch pseudoreligiösen Offerten. In stärkerem Wettbewerb stehen aber auch die kirchlichen Einrichtungen, insbesondere des sozialen Sektors, in dem eine Vielfalt von Anbietern tätig geworden ist und in Konkurrenz zu den kirchlichen Krankenhäusern, Pflegediensten und anderen Einrichtungen tritt. Natürlich stellt diese Wettbewerbssituation eine Herausforderung dar, doch sie birgt auch Chancen. Wettbewerb und Marktmechanismen veranlassen die Teilnehmer, die Interessen der Menschen überhaupt zu berücksichtigen. Für die sozialen Einrichtungen birgt der zunehmende Wettbewerb daher die Option, in ihrer Leistungserbringung dem Nachfrager noch stärker gerecht zu werden als bisher. Darüber hinaus kann er die Bereitschaft stärken, nicht mehr notwendige Angebote auch tatsächlich einzustellen, aber genauso, neue Bedürfnisse und Bedürftigkeiten zu erkennen.

 

II.

Am Wettbewerbsprinzip, das – nach Walter Eucken – ein konstitutives Element der Ordnungskonzeption der Sozialen Marktwirtschaft ist, lässt sich verdeutlichen, wie notwendig die Einbettung wirtschaftlicher Verfahren und Handlungsweisen in ethische Zusammenhänge ist. Es ist bereits angeklungen, welche Chancen auch für die Kirche und ihre Einrichtungen mit dem Wettbewerb verbunden sein können. Dies deckt sich mit der Forderung der katholischen Soziallehre nach Ermöglichung des freien Wettbewerbs durch staatliche Ordnungspolitik und ihrer Betonung der positiven Auswirkungen des Wettbewerbs – sie warnt gar vor seiner Eliminierung. Wettbewerb wird verstanden als Innovationsmotor und Entmachtungsinstrument, als Antrieb, der die Teilnehmer veranlasst, die Interessen anderer zu berücksichtigen. Wettbewerb kann positive ethische Konsequenzen haben, weil er die Eigeninitiative, die Wahl- und Entscheidungsfreiheit sowie die Selbstverantwortung des Einzelnen stärkt, eine gerechte Preisbindung ermöglicht und den Strukturwandel fördert. Im Gemeinsamen Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland vom Jahr 1997 heißt es daher auch: „Kein anderes gesellschaftliches Ordnungsprinzip vermag derzeit besser den ökonomischen Ressourceneinsatz und die Befriedigung der Konsumwünsche zu befriedigen als ein funktionierender Wettbewerb.“ (Nr. 142) Wir wissen aber auch, dass ein seriöser Wettbewerb ungemein zerstörerisch werden kann.

Neben die Ordnung des Wettbewerbs muss nach Maßgabe der Katholischen Soziallehre weiterhin der soziale Ausgleich treten. Der Wettbewerb ist nun einmal blind für Menschen, die am Marktgeschehen nicht teilnehmen oder dort aufgrund ihrer nur geringen Kaufkraft in einem Maße vom Marktgeschehen ausgeschlossen sind, dass sie ihre elementaren Grundbedürfnisse auf diesem Weg nicht decken können. Deshalb muss die Marktwirtschaft grundlegend sozial ausgerichtet sein, damit in ihr nicht nur dem Ideal der Freiheit, sondern auch dem der sozialen Gerechtigkeit Genüge getan wird.

Mit der Päpstlichen Enzyklika „Centesimus annus“, veröffentlicht 1991, ist zwischen der Sozialen Marktwirtschaft und der katholischen Soziallehre eine entscheidende Annäherung und geradezu eine Art von Versöhnung erreicht worden. In der Enzyklika wird ein Wirtschaftssystem bejaht, das die grundlegende und positive Rolle des Marktes, des Privateigentums, der freien Kreativität des Menschen im Bereich der Wirtschaft anerkennt. Der Markt – so die Enzyklika – „scheint das wirksamste Instrument für die Anlage der Ressourcen und für die beste Befriedigung der Bedürfnisse zu sein.“ Die Enzyklika würdigt über alle bisherigen Ansätze hinaus die fundamentale Rolle des Unternehmers neben Kapital und Arbeit. Und sie stellt im Zusammenhang der Betonung des Subsidiaritätsprinzips in Richtung eines überdehnten Wohlfahrtsstaates sogar fest: „Der Wohlfahrtsstaat, der direkt eingreift und die Gesellschaft ihrer Verantwortung beraubt, löst den Verlust an menschlicher Energie und das Aufblähen der Staatsapparate aus, die mehr von bürokratischer Logik als von dem Bemühen beherrscht werden, den Empfängern zu dienen: Hand in Hand geht damit eine ungeheure Ausgabensteigerung.“

In diesen und anderen Aussagen können sich Kirche und Wirtschaft gleichermaßen wiederfinden. Sie drücken ein gemeinsames Verständnis davon aus, was einer guten Wirtschaftsordnung entspricht. Diese Nähe mag manche überraschen. Sie ist aber nicht mit einer einseitigen Bewegung der Kirche auf wirtschaftsliberale Denkweisen hin zu erklären. Zu einem wesentlichen Teil liegt das gemeinsame Verständnis einer guten Wirtschaftsordnung – das ist die Soziale Marktwirtschaft – darin begründet, dass ihre Väter mehr waren als nur Ordnungspolitiker; ein großer Teil von ihnen hat sich mit den geistigen Grundlagen von Wirtschaftsordnungen beschäftigt.

Die geistigen Väter der Sozialen Marktwirtschaft haben nicht nur die ethische Dimension wirtschaftlichen Handelns deutlicher herausgestellt, sondern sie wussten auch um das sich gegenseitig bedingende Geflecht von Sozialer Marktwirtschaft und Demokratie, von individueller Anstrengung und sozialer Verantwortung, von Privateigentum und seiner Sozialpflichtigkeit. Die Begründer der Sozialen Marktwirtschaft setzten hier von ihrer Kultur und Humanität her Verhaltensweisen voraus, die man gewiss nicht als „Sekundärtugenden“ relativieren darf. Es sind dies Voraussetzungen, die heute relativ wenig thematisiert werden. Im Umkreis der Marktwirtschaft braucht es auch vernünftige Lebensplanung, Familiensinn, feste moralische Bindung, mehr Selbstverantwortung, Achten auf die Rangordnung der Werte und Subsidiarität mit der notwendigen Solidarität. Dies lässt sich leicht aus den Schriften der Gründerväter ablesen.

 

III.

Das gemeinsame Verständnis einer guten Wirtschaftsordnung ist eine ausgezeichnete Grundlage für den Dialog von Kirche und Wirtschaft. In der Tat nützt es der Kirche in ihrer gegenwärtigen Situation, sich selbst auch einmal unter dem Blickwinkel unternehmerischer Verantwortung zu durchleuchten. Abschließend möchte ich gerne konkretisieren, warum dieser Dialog auch für die Wirtschaft ertragreich sein kann.

Die Soziale Marktwirtschaft steht heute – dies wäre ein erster Hinweis – vor gewichtigen Herausforderungen. Die entscheidende Bewährungsprobe ist zweifellos die Globalisierung in der Wirtschaft. Ich bin davon überzeugt, dass die Soziale Marktwirtschaft, wenn sie ihre ursprünglichen ethischen Grundlagen, die gleichsam zu ihrer Geburtsstunde gehören, reaktiviert, auch dieses Phänomen bewältigen kann. Aber gewiss ist dies kein „Automatismus“, sondern verlangt besonders in der internationalen Ordnung des Welthandels und anderer politisch-wirtschaftlicher Beziehungen einen hohen Einsatz für das Wohl aller Menschen.

Ich bin überzeugt, dass die Soziale Marktwirtschaft, wie sie sich entwickelt hat, der Erneuerung bedarf. Ich bin aber ebenso überzeugt, dass die ökonomischen und finanziellen Aspekte bei aller Vordringlichkeit für ein wirksames Gelingen der Reform nicht völlig isoliert werden dürfen von einer sehr viel weiteren Erneuerung tragender ethisch-spiritueller und gesellschaftlich-politischer Grundwerte. Dabei will ich keinen Zweifel lassen, dass es auch Reformen geben muss im Blick auf die Wandlungen an den Börsen, die Rolle der internationalen Finanzmärkte und eine einseitige, auf Kurzfristigkeit angelegte „Shareholder-Value-Mentalität“. Echtes Kopfzerbrechen bereitet mir beispielsweise die Frage, wie es zu beurteilen ist, wenn vor allem in Kapitalgesellschaften, die an der Börse - dem US-amerikanischen Muster folgend - zunehmend nach der Güte der Quartalsberichte beurteilt werden, ohne Rücksicht auf die Belange der Mitarbeiter und möglicherweise auch ohne Rücksicht auf die längerfristigen Marktaussichten des Unternehmens selbst teilweise zu spät und dann auch kopflos rationalisiert und umstrukturiert oder, wenn Unternehmen verkauft, zerschlagen und neu zusammengesetzt werden. Ich frage mich: Steht mit dem Blick allein auf Quartalszahlen das richtige Bewertungskriterium zur Verfügung? Wie können die Interessen der Mitarbeiter in diesen Prozessen organisiert und sichergestellt werden? Nur wenn der Reformeifer sich auch auf Fehlentwicklungen in diesen und anderen Bereichen von Unternehmenssteuerung und Globalisierung bezieht, die ich gewiss nicht verteufele, ist eine nachhaltige Erneuerung möglich. Dazu ist auch der Beitrag der Wirtschaft notwendig. Denn in einer freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung erfüllt der Unternehmer nicht nur eine unverzichtbare wirtschaftliche Funktion. Er ist zugleich Träger ethischer Verantwortung für den Erhalt und die Fortentwicklung dieser Ordnung. Deshalb ermuntere ich Sie, an den ethischen Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft weiterzuarbeiten. Dies wäre ein zentraler Bestandteil des Dialogs von Kirche und Wirtschaft.

Einen zweiten Gedanken möchte ich aus kirchlicher Perspektive für Ihre unternehmerische Tätigkeit knapp ausführen. Unternehmer – Unternehmensmanager in besonderer Weise – sind vielfach mit einem negativen Image belegt. Moralisches Handeln wird Ihnen wohl weniger unterstellt, eher ein allein an kurzfristigen Verwertungsinteressen orientiertes Denken und Handeln. Ungeachtet dessen, dass Verantwortlichkeiten klar benannt und Fehlentscheidungen aufgedeckt werden müssen – Unternehmensnachrichten der letzten Wochen haben dies noch einmal deutlich vor Augen geführt –, müssen solch klischeehafte Verzerrungen nicht unwidersprochen hingenommen werden. Viele Unternehmer, gerade im breiten Mittelstand, sorgen sich um das Wohl ihrer Mitarbeiter, durch ihren menschlichen Umgang, aber auch durch ihren täglichen Kampf um den Erfolg ihres Unternehmens. Ich bin dankbar für die Unternehmer, die um der Menschen Willen so handeln. Und es sind sehr viele.

Es darf nicht übersehen werden, dass dem verantwortlichen Handeln des Unternehmers für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter keine einseitige Kosten-Nutzen-Relation zugrunde liegt, dergestalt, dass nur der Unternehmer investiert und einzig der Arbeitnehmer profitiert. Es ist überdeutlich, dass zum Beispiel das Fördern von Wissen, Qualifikation und sozialer Kompetenz der Mitarbeiter nicht allein diesen zugute kommt, sondern auch ein entscheidender Vorteil im Wettbewerb um Ideen, Innovationen und Strategien aus unternehmerischer Sicht ist. Investitionen in die Aus- und Weiterbildung und die lebensbegleitende Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten daher verstärkt werden. Ein weiteres Beispiel hierfür ist der notwendige Ausgleich zwischen der beruflichen Tätigkeit und der familiären Verantwortung der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Hierfür müssen in den Betrieben geeignete Regelungen gefunden werden. Der unternehmerische Vorteil solcher Regelungen liegt nicht nur im nachfragerelevanten demographischen Effekt, sondern ist auch auf der betrieblichen Ebene messbar, wenn qualifizierte Mitarbeiter auch in Zeiten besonderer familiärer Herausforderungen zumindest teilweise im Betrieb integriert bleiben. Ich bin überzeugt, dass sich eine familienfreundliche Unternehmenskultur für das innerbetriebliche Klima und den unternehmerischen Ertrag positiv auswirken. In all diesen Bereichen ist moralisches Handeln nicht nur wertvoll, sondern ertragreich.

 

IV.

Wenn es manchmal so aussieht, als ob es zwischen den einzelnen Sachgebieten in unserer Gesellschaft nur noch jeweils reine Autonomie und darum auch regelrechte Kommunikationsbarrieren geben würde, so widerlegt dies unsere Sprache. Gerade die Alltagssprache, besonders auch in ihrer gehobenen Fassung, verbindet. Ich möchte dies am Beispiel der Hl. Schrift aufzeigen.

So hebt Jesus gewisse Züge des Kaufmanns und vergleichbarer Berufe hervor, die für das Mensch- und Christsein vorbildlich seien. Es sind – dies muss zugegeben werden – besonders jene Gleichnisse , die uns immer etwas Schwierigkeiten bereiten. So wird z.B. der „betrügerische Verwalter“, der die Summen der Schuldscheine heruntersetzt, gelobt, weil er sich in seiner Notsituation zwar skrupellos, aber entschlossen, klug und zielbewusst die Zukunft sichert. (Vgl. Lk 16,1ff.) Der schelmenhafte Schurke wird wegen seiner stark entwickelten praktischen Intelligenz erwähnt, da er einen ausgeprägten Erfindungsgeist für Erfolg „um jeden Preis“ hat. Er riskiert alles und setzt auf eine Karte, während andere nur am Konto „Sicherheit“ hängen. Nur diese Eigenschaft wird zum Vergleich herangezogen (vgl. auch Lk 12,41ff. und 19,12ff.).

Es ist vor allem auch die Rolle des „Verwalters“, der besonders in den Gleichnisreden eine große Rolle spielt (vgl. außer Lk 16,1-8 auch 12,42. 44). Das griechische Wort für Verwalter heißt „oikonomos“, also Ökonom. Paulus nennt einen Christen, der „Stadtkämmerer“ (oikonomos) von Korinth ist (vgl. Röm 16,23). Paulus selbst bezeichnet sich als „Verwalter (oikonomos) der Geheimnisse Gottes“ (1 Kor 4,1) und fügt hinzu, dass vom Verwalter Treue und Zuverlässigkeit (V. 2) verlangt werden. Es geht dabei um die Kenntnis des göttlichen Heilsratschlusses in der Geschichte (vgl. 1 Kor 2,7; 13,2; 14,2; 15,51, dazu auch verdeutlichende Aussagen in Eph 3,1-7 und Kol 1,24-29).

Die Christen sollten solche Reaktionsweisen von den klugen Weltkindern lernen – freilich nicht indem sie die erwähnten Betrugspraktiken selbst kopieren, sondern indem sie in ihrer eigenen Situation eine analoge Geistesgegenwart und Risikobereitschaft an den Tag legen. Dabei muss man immer wieder von der heutigen Erforschung der Gleichnisse im Kopf behalten, dass man nie ein Gleichnis in allen Details übertragen und übernehmen kann. Selbstverständlich wird nicht das betrügerische Verhalten gelobt und anerkannt. Ein Gleichnis hat nur eine ganz bestimmte, zugespitzte Bedeutung im Sinne einer „Pointe“: nämlich so klug und entschlossen, risikobewusst und wendig zu entscheiden. Nichts anderes meint auch der hl. Paulus, wenn es ihm darum geht, die Gunst der Stunde („kairos“) zu nützen: „Nutzt die Zeit!“ (Kol 4,5, vgl. auch Eph 5,16; Gal 3,13; 4,5). Immer kommt es dabei freilich darauf an, die Geister zu unterscheiden. Eine wichtige Anweisung des hl. Paulus heißt in diesem Zusammenhang: „Prüft alles, und behaltet das Gute!“ (1 Thess 5,21) mit dem Zusatz: „Meidet das Böse in jeder Gestalt“ (5,22).

Es gibt, gleichsam zusammenfassend, ein aufschlussreiches, unbekanntes Jesuswort, das nicht im Neuen Testament vorkommt, aber als von Jesus stammender Ausspruch in der Alten Kirche sehr oft zitiert und hoch anerkannt wird. Jesus sagt zu den Jüngern und Christen „Werdet tüchtige Wechsler!“ Auch hier ist eine Pointe des Vergleichs wichtig, nicht ein ganzer Vergleich: Wir sollten natürlich nicht alle diesen heute für uns kaum mehr vertrauten Beruf ausüben, sondern wir könnten von den Wechslern lernen, weil sie im Nu die verschiedenen Münzen zu unterscheiden wissen und einen scharfen Blick zur Entlarvung falscher Münzen haben.

Jesus hat seiner Jünger Verhalten immer wieder symbolisch im Blick auf verschiedene Berufe und ihre Motive plausibel gemacht; er zieht z.B. den Hirten, Arzt, Lehrer, Boten, Hausherrn, Diener, Fischer, Baumeister, Erntearbeiter, Richter und König zum Vergleich heran. Aber auch der Kaufmann, Wechsler und Verwalter, also damalige „Unternehmer“ treten mit ganz bestimmten Fähigkeiten ihres Berufes positiv und beispielhaft in den Horizont von Jesu Botschaft. Warum sollte darum nicht auch die heutige Kirche etwas von der Kraft der schöpferischen Initiative und von der praktischen Geistesgegenwart dieser Berufe lernen – ohne sich dabei hurtig der „Welt“ anzupassen?

Dies kann zeigen, wie fruchtbar auch die Kirche hier von der Wirtschaft lernen kann, zugleich aber auch die Geister zu unterscheiden lehrt. Allein schon wegen dieses für beide, Wirtschaft und Kirche, notwendigen Prozesses braucht es das Gespräch zwischen beiden.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort.

Das Original-Redemanukskript beinhaltet noch eine Reihe von Anmerkungen und Fußnoten.

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz