"Seht, ich mache alles neu." (Apk 21, 5) Glaube und Kirche vor der Jahrtausendwende

Adventspredigt von Bischof Lehmann am 1. Advent, 28. November 1999 im Mainzer Dom:

Datum:
Sonntag, 28. November 1999

Adventspredigt von Bischof Lehmann am 1. Advent, 28. November 1999 im Mainzer Dom:

"Eine ganz neue Lehre mit Vollmacht" (Mk 1,27)
Die bleibende Neuheit des christlichen Glaubens

Wer feiert, muß Sorge tragen, daß er die Mitte und das Wesentliche trifft. Sonst können Feste auch rasch - wie wir sagen - daneben gehen. Wenn wir als Christen die Zeitenwende begehen, wird es gut sein, unserem Glauben und erst recht unserem Glaubenszeugnis möglichst ursprünglich zu begegnen. Wir müssen ihnen auf den Grund gehen. Jedenfalls ist der Beginn eines Heiligen Jahres in dieser symbolträchtigen Zeit eine gute Gelegenheit dafür.

 

Ich habe mir dabei überlegt, was uns in Glaube und Kirche oft fehlt. Wir reden viel von Tradition sowie ihren Segnungen und Belastungen, aber wir sprechen so wenig von der bleibenden Neuheit des christlichen Glaubens und dem freudigen Schwung, den er auslösen sollte. Dafür müssen wir zurück auf die Ursprung. Ich sehe diesen in dem bekannten Jesus-Wort, das am Ende der Bibel, wirklich auf der letzten Seite steht: "Seht, ich mache alles neu."

 

Dies wollen wir in drei Schritten versuchen: Heute am Beispiel der bleibenden Neuheit des Evangeliums, am kommenden Sonntag (5.12.) durch Beispiele, wie der Glaube der Kirche mit dieser seiner explosiven Kraft des Neuen die Herausforderungen unserer Gegenwart bestehen kann und wie wir dazu - dies ist der dritte Sonntag (12.12.) - als Kirche uns immer wieder erneuern müssen, um dieser Sendung entsprechen zu können. Dies gilt besonders für uns selbst, da diese Neuheit nach Gottes Willen nicht durch ein einmaliges göttliches Wunder, gleichsam einen Donnerschlag Gottes geschieht, sondern durch unser armseliges, aber auch frohmachendes und ermutigendes Zeugnis.

 

Dafür habe ich mir als Titel kräftige Worte der Bibel ausgewählt:

 

· "Eine ganz neue Lehre mit Vollmacht" (Mk 1, 27)

 

· "Warum kannst Du die Zeichen der Zeit nicht deuten?" (Lk 12, 56)

 

· "Neuen Wein füllt man in neue Schläuche" (Mt 9, 17)

 

"Eine ganz neue Lehre mit Vollmacht" (Mk 1,27)

 

Die bleibende Neuheit des christlichen Glaubens

 

Bei vielen Zeitgenossen und vielleicht auch bei uns selbst melden sich laut oder mehr verborgen Zweifel, wo denn die sogenannten klassischen Religionen geeignet sind, den Menschen in ein neues Jahrtausend zu begleiten. Gegenüber den enormen Herausforderungen scheinen diese alten religiösen Deutungssysteme unseres Lebens keine hilfreiche Antwort bereitzuhalten. Sie sind darum, wie viele meinen, überaltert und überholt. Viele meinen dies nicht nur im Blick auf ein gewisses Zögern gegenüber technischen Errungenschaften, sondern auch hinsichtlich Weltbild und Ethos.

 

Nicht selten werden die "neuen" Religionen gegenüber den "alten" hervorgehoben, die sich besser der modernen Situation und dem jeweiligen Geist der Zeit anpassen können. Sie sind allerdings weniger stabil, verändern sich mit den flexiblen Tendenzen des menschlichen Selbstverständnisses, aber auch mit den technischen Orientierungen und sind nicht selten ein Konglomerat sehr vieler weltanschaulicher Komponenten.

 

Schon sehr früh spielt die Spannung zwischen "neu" und "Fortschritt" gegenüber dem "Bewährten", "Alten" und erst recht einem Altersbeweis eine wichtige Rolle in der christlichen Theologie. Daher kommt sogar eine ganz andere Bewertung ins Spiel, die wir schon in der griechischen und jüdischen Antike finden: Was alt ist, ist gut; was älter ist, ist besser. Dies hat eine verständliche Konsequenz: Das Neue ist schlecht; was neueren Datums ist, ist schlechter. So hat man den Christen in der Antike immer wieder das Schaffen von Neuerungen ("neoterizein") zum Vorwurf gemacht. Neuerungen waren auf religiösem Gebiet besonders verpönt. Die Christen schienen Leute zu sein, die keine Tradition haben oder die sie wenigstens nicht achten. Es ist dann eine besondere Schandtat, die Heilstat Jesu Christi als ein Datum der jüngsten Vergangenheit zum Kern und Angelpunkt einer Glaubensrichtung zu machen. Darin liegt auch das heute immer noch in diesem Sinne Umwälzende, unsere Zeit nicht nach den Anfängen eines unvordenklichen Mythos oder nach einer sonstigen archaischen Gründerzeit, sondern nach dem Ereignis der Geburt eines einzelnen Menschen, nämlich Jesus von Nazareth, einzuteilen und zu verstehen. In diesem Sinne rührt die Zeitrechnung, gerade nach christlicher Art, an das grundlegende Verständnis von Religion.

 

Die Christen haben in dieser Situation verschieden reagiert. Man hat das Christentum in seiner Wahrheit durch den "Altersbeweis" zu sichern gesucht, aber im "Neuen Testament" reicht dies allein nicht mehr, wie schon der Name "Neues Testament" belegt. Auf jeden Fall kommt man im ganzen zu einer doppelten Feststellung, daß das Christentum nämlich eine alte und neue Religion zugleich ist (A. von Harnack).

 

Gibt es wirklich Neues? Für die Griechen kann es in diesem Sinne eigentlich nur die Wiederkehr des immer schon Bewährten geben. Dies ist im tiefsten auch noch bei einem Denker wie Ernst Bloch zu entdecken, der wie kaum ein anderer in unserem Jahrhundert die Bedeutung des Prinzips Hoffnung und damit auch des Neuen betont hat. In Wirklichkeit ist das Neue das Uralte, das plötzlich aus seiner Verborgenheit hervortritt.

 

Im Neuen Testament wird nirgends eine solche Gleichsetzung von Altem und Wahrem vollzogen. Die Spuren der Neuheit des Christentums dürfen nicht verwischt werden, sonst geht es auf Kosten der Substanz. Vor allem in der Erfahrung der Fremde im Exil und in der Zeit der Vertreibung aus der bisherigen Heimat ringt man mit dem Neuem, besonders auch in der verführerischen Tendenz, z.B. neue Götter zu übernehmen. Es ist aber vor allem die Entstehung der Eschatologie in der alttestamentlichen Prophetie, besonders beim sogenannten Deuterojesaja, und in der Apokalyptik, wo das Neue ausdrücklich zur Sprache gebracht wird. Menschen, die besonders die Brüchigkeit des Bisherigen, das Scheitern geschichtlicher Lebens-entwürfe und das Zerbrechen innergeschichtlicher Heilsvorstellungen erfahren haben, erwarten etwas "ganz Anderes", etwas Wunderbares, das Überraschende des Heils, das nicht ableitbar ist aus Zeit und Geschichte. Nur durch die Krisis des Alten hindurch kommt Neues. So gibt es einen neuen Exodus, eine neue Landnahme, einen neuen Zion, einen Neuen Bund, ja schließlich eine neue Schöpfung aller Dinge. Darum kann es von Gott selbst heißen: "Seht, ich mache alles neu!" (Offb, 21,5) Besonders Paulus, dessen Theologie in der Beschreibung der Einmaligkeit und Endgültigkeit des Heilsereignisses in Jesus Christus eine kräftige apokalyptische Sprache verwendet, spricht darum sehr betont von dem "neuen Menschen", die Christen sind eine "neue Kreatur", das Evangelium wird als "neuer Bund" verstanden, die Kirche ist das "neue Gottesvolk aus Heiden und Juden". Hier wird die Neuheit des Christentums voll zur Geltung gebracht.

 

Freilich gibt es nicht wenige Kirchenväter, die einen anderen Akzent hereinbringen: Das Neue ist in Wahrheit die Wiedererinnerung eines heilen Ursprungs. Es gibt in Wirklichkeit kein Neues. Dieses ist nichts anderes als die Wiederkehr und Wiederholung des Ursprünglichen. Man kann hier leicht auch den Hintergrund verschiedener Tendenzen finden, in unserer Zeit das Wesen des Christentums zu verstehen. Auch verschiedene Typen von Theologie orientieren sich an einem jeweils anderen Grundverhältnis zwischen Altem und Neuem.

 

Die Menschen haben damals durchaus verstanden, daß es einerseits um eine Anknüpfung an die messianischen Erwartungen des zeitgenössischen Judentums ging, so daß Jesus als wiederkommender Mose, Elija oder sonst einer der Propheten verstanden wurde. Auf der anderen Seite war durch das Neue Testament aber auch offenbar geworden, daß keine der klassischen Messiasgestalten und -erwartungen auf ihn paßte, so daß auch kein bisheriges Schema, wenn es noch so offen war, wie z.B. Menschensohn oder Knecht Gottes, geeignet war, für sich allein die Sendung Jesu genügend zum Ausdruck bringen zu können. Die Menschen haben dies in einer außerordentlichen Weise gespürt, auch wenn sie dafür keine herkömmliche Bezeichnung benutzen konnten, ja wenn sie aufgrund seines Auftretens, seiner Worte und seiner Machttaten immer wieder das Neuartige und Einzigartige seines Erscheinens mit dem Wort umschrieben: "Was hat das zu bedeuten? Hier wird mit Vollmacht eine ganz neue Lehre verkündet." (Mk 1, 27)

 

Was war nun einzigartig und neuartig bei seinem Kommen? Man möchte gerne einige konkrete Inhalte nennen, die wir sonst nicht in der Umwelt finden, wie z.B. die Feindesliebe oder die Nähe zum himmlischen Vater, wie sie in dem Abba-Ruf uns entgegenkommt. Aber auf diese Fährte sollte man sich nicht einlassen, so sehr wir sie auch erwarten. Das Neue sind nicht zuerst bestimmte Inhalte, die wir nur bei Jesus finden und von denen z.B. das Alte Testament noch nichts gewußt hätte. Wir müssen wohl anders antworten.

 

Das Neue besteht darin, daß nun die oft betonte vieldimensionale Offenheit des Alten Testaments ihr Ziel findet. Es erfüllt sich, was erhofft wurde. Es trifft ein, was man erwartete und regelrecht ersehnte. Das Verheißene leuchtet auf. Nur das Wort "neu" ist eigentlich in der Lage, diese überwältigende Erfüllung des Alten zu beschreiben. Die Volksscharen sagen es in ihrem Glaubensinstinkt sehr gut, wenn sie von einer "ganz neuen Lehre mit Vollmacht" sprechen.

 

Dabei zeigt sich nochmals eine bisher so nicht aufgetretene Struktur. Das Neue ist auch dadurch verwirklicht worden, daß es eng verknüpft ist mit der Person und dem Wirken Jesu. Dabei ist dies nicht nur so gemeint, daß man dieses Neue nicht mehr gleichsam historisch von diesem Stifter ablösen kann, sondern es ist und bleibt nur neu, wenn es stets in seiner Gegenwart gründet und von ihr getragen wird. Darum nennen wir auch unseren Glauben mit Recht "christlichen Glauben" und sehen in der Christologie die Mitte aller Theologie. Das ganz Andere, Wunderbare und Einzigartige konzentriert sich in einer Person, die freilich nicht alles in sich absorbiert, sondern es ist wesenhaft der Mittler, der alles zwischen Gott und Welt neu gestaltet.

 

Dieses Neue des christlichen Glaubens, das Jesus durch seine Person begründet und zum Ausdruck bringt, wird in vielfacher Form kund. Zweifellos denkt man zuerst an Jesu Wort, das eine wirklich neue Sicht von Gott, Mensch und Welt erschließt. Mit diesem Wort zeigt er uns die Erfüllung der alten Verheißungen in der Jesuszeit an, auch wenn damit noch nicht alles in endgültige Erfüllung übergegangen ist. Es ist für die Zuhörer Jesu ein ganz neues Wort, weil sie es mit einer eigentümlichen Kraft hören. Freilich nicht immer wurde dieses Wort verstanden. Als Jesus das Wort Gottes im Tempel auslegt, finden sie sein Wort als besonders "begnadet" (Lk 4, 22). Wörtlich übersetzt heißt es sogar, daß sie - wie bei besonderen religiösen Erscheinungen - sich über sein Auftreten wunderten, zugleich aber auch erschraken und es als "Worte der Gnade" verstanden. Es liegt in dieser Linie, daß besonders die Jünger diesem Wort gehorchen, weil es das, was es sagt, gewissermaßen auch beibringt und schafft. Petrus will "auf sein Wort hin" (Lk 5, 5) die Netze wieder auswerfen, obwohl sie mit ihren bisherigen Versuchen nur Vergeblichkeit geerntet haben. Auf jeden Fall trauen die Menschen diesem Wort viel mehr zu. Sie behalten es im Herzen(vgl. Lk 2, 19), ja schließlich erfolgt eine sehr tiefe Bestimmung Jesu selbst, indem man - zugleich in Erinnerung der Erschaffung der Welt - durch das Wort sagte: "Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott" (Joh 1,1). Petrus spürt es in ganz besonderer Weise, als sie zögerten gegenüber Jesus und wohl auch wie viele andere weggehen wollten: "Da fragte Jesus die Zwölf: Wollt auch ihr weggehen? Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens" (Joh 6, 67f).

 

Für die Jünger und die Jesus begleitenden Menschen sind es in der Tat damit einzigartige Worte. Sie werden aber noch besonders bestätigt und bekräftigt durch die vielfältigen Wundergeschichten Jesu. Sie zeigen auf ihre Weise, daß Jesu Wort in ganz außerordentlicher Weise wirkmächtig ist. Das Unerhörte, das Jesus vor allem unter dem Wort "Gottesherrschaft" bzw. "Reich Gottes" enthüllt und proklamiert, hält wirklich Einzug in diese Welt. Blinde können wieder sehen, Lahme wieder gehen, Tote stehen auf.

 

Einzigartig ist auch noch eine andere Wirkung, die gewiß eng mit dieser einzigartigen Person Jesu verbunden ist. Das Neue kommt nicht in die Welt als reine Lehre, als bloße Idee, als Geistesblitz. Seine Worte, seine Taten, seine völlige Hingabe an die Sache Gottes zwingen die Jünger zu sagen: Er ist die Erfüllung der langen Geschichte Gottes im Umgang mit seinem Volk. Jesus möchte ganz besonders Jünger und Zeugen haben für diese Botschaft. Das Neue ist Jesus selbst. Aber das Zeugnis wäre unvollständig ohne die Jünger, die Jesus zur Erfüllung seiner Sendung sucht. In diesem Sinne gehören auch der Ruf und die Einladung Gottes, die Nachfolge und die Sendung als etwas sehr Zentrales - nicht nur eine spätere Folge - zum Evangelium.

 

Jesus hat dies alles in seinem ganzen Leben durchgetragen. Er hat allein voll verstanden, wer Gott ist und was er uns sagt. Dies braucht hier nicht im einzelnen entfaltet zu werden. So wie Jesus sein Wort durch seine Existenz und sein Leben bekräftigte, so hat Gott in der Auferweckung und Erhöhung Ja gesagt zu seinem Leben. Das Neue, das oft völlig verrückt und gegen die etablierte Werte-Ordnung stand, wurde vom Vater anerkannt. Besonders Paulus hat dies in einer eindrucksvollen Weise zum Zentrum seiner ganzen Theologie gemacht: "Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Aber das alles kommt von Gott." (2 Kor 5, 17f)

 

Es ist also auf ganz radikale Weise etwas Neues am christlichen Glauben: Wir können gewiß sein, daß dies auch in dem Sinne ein neues Wort ist, daß es kein anderes mehr darüber hinaus gibt. Die Neuheit der Person und des Wirkens Jesu, seine Worte, werden nicht überboten. Es gibt kein neueres Wort mehr. Dieses Wort Jesu wird, solange die Welt besteht, durch keine noch so raffinierte Mode des religiösen Geistes überboten werden. Es ist wirklich Jesu letztes Wort, über das hinaus es im Blick auf die Verläßlichkeit und Wahrheit kein anderes Evangelium geben wird.

 

Der große Theologe, der hinter dem Hebräerbrief steht, hat dies in einer einzigartigen Weise erkannt, wenn er seinen kunstvollen Brief bereits auf den ersten Zeilen mit den Worten beginnt: "Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten. In dieser Endzeit hat er zu uns gesprochen durch den Sohn, den er zum Erben des Alls eingesetzt hat." (Hebr 1,1f) Wenn der Brief sagt "in dieser Endzeit", dann meint er nicht zuerst eine Zeit ganz dicht beim Untergang oder der Vollendung der Welt, sondern er meint, daß Gott kein anderes Wort mehr gesprochen hat als im Sohn. Es ist aber auch Gottes letztes Wort, weil er seinen einzigen Sohn sendet und hingegeben hat. Auch Gott hat keine tiefere Botschaft als seinen Sohn, der uns von der Liebe Gottes kündet. Weil er Mensch geworden ist und damit in besonderer Weise, besonders auch durch sein Leiden und Sterben, ja durch den Tod am Kreuz diese Botschaft in einzigartiger Weise mit seiner ganzen Existenz bekräftigt hat, geht Gott selbst sozusagen auf das Letzte. So darf man auch ein Wort mancher Theologen in Erinnerung bringen, die gesagt haben, die Leiblichkeit, die Menschwerdung, die sich in unserer Welt anschaulich bekundet und glaubwürdig erweist, sei das Ende der Wege Gottes (z.B. F.Ch. Oetinger).

 

Ich finde keine kürzere "Formel", wenn man so etwas überhaupt suchen darf, als die Zusammenfassung der christlichen Botschaft im Hebräerbrief. Dort wird mit einem Wort diese Einzigartigkeit und bleibende Neuheit zum Ausdruck gebracht. Dieses kleine griechische Wort "ephapax" können wir nur mühsam umschreiben (vgl Röm 6,10; 1 Kor 15, 6; Heb 7, 27; 9,12; 10,10;). Am besten können wir noch sagen "ein für allemal". Dahinter verbindet sich nicht nur die Einzigartigkeit Jesu, die ja auch als ein historisch vergangener Anspruch begriffen werden könnte, sondern ineins mit der Einzigartigkeit sagt dieses Wort auch eine Gültigkeit, eine Unbedingtheit, einen Anspruch für immer, also bleibende Neuheit. Nur darum ist das Christentum heute noch unseres ganzes Einsatzes und der ganzen Aufmerksamkeit wert. Es ist nicht etwas Ehemaliges, dessen man sich noch interessanterweise oder bloß neugierig erinnert. Es ist wirklich von innen her, von seinem Wesen her mit jeder Zeit aktuell verbunden. Darum ist es gut, wenn wir dies beim Eintreten in ein neues Jahrhundert bzw. Jahrtausend bedenken. - Man kann darum das Christentum, das freilich immer in einer konkreten Glaubensgemeinschaft, für uns: Kirche, lebt, auch religionsgeschichtlich beschreiben wie eine aufschlußreiche tote Erscheinung der Geistes- bzw. Relgionsgeschichte. Aber dies ist nicht Theologie, und Theologie kann nie durch Religionsgeschichte ersetzt werden, wenn sie sich selbst recht begreift. Die Theologie gibt nämlich durch ihre Forschung und ihre Lehre, aber besonders auch durch ihr lebendiges Zeugnis den Glauben an Jesus Christus als Einladung und Anspruch immer wieder neuen Generationen weiter.

 

Hier fehlt noch ein wichtiger Gedanke, der dies vertieft. Was Jesus vom Vater her den Menschen von Gott übermittelt, wie er das Bild und das Herz Gottes der Welt zuwendet, geschieht im Heiligen Geist. Darum ist es möglich, daß diese Vergegenwärtigung des ein für allemal geltenden Wortes Gottes uns auch heute authentisch erreicht. Es kommt wirklich unverkürzt und ungeschmälert, unverbogen und treu übersetzt aus dem Leben Gottes selbst in unsere Gegenwart. Das Neue Testament hat dies ganz besonders in den Geist-Reden Jesu zum Ausdruck gebracht.

 

Damit wird auch eine Schwierigkeit gelöst, auf die wir früher hingewiesen haben, daß es nämlich im Neuen Testament zwei Linien der Interpretation des Christlichen gibt, nämlich zunächst die Hervorhebung des Alten und Altbewährten im christlichen Glauben. Dies ist ein wichtiges und unaufgebbares Element, das freilich nicht isoliert werden darf: Das Christentum ist eine Religion der Integration, besonders nach unserem katholischen Verständnis, das viele religiöse Erinnerungen der Menschheit in Worten, Mythen und Gleichnissen, aber auch Zeichen, Gesten und Gebräuchen gereinigt, in sich aufnehmen und weitergeben kann. Vieles Religiöse der Menschheit lebt in unserer Gesellschaft nur durch das Gesamterbe des Christentums wieiter. Auf der anderen Seite bedarf es aber auch immer wieder einer fundamentalen Erneuerung, die das ganz Neue und ganz Andere des Christlichen stets zum Leuchten und zur Durchsetzung bringt.

 

Dies schafft nur der Gottesgeist selbst. Er erinnert an all das, was Jesus ein für allemal der Welt bedeutet. Der Geist sagt nur, was Jesus proklamiert hat (vgl. Joh 16, 13ff). Aber es gehört zum Verständnis des lebensschaffenden Geistes, daß er nicht bloß gebetsmühlenartig wiederholt. Wenn Johannes von der "Erinnerung" spricht, dann denkt er immer auch mit, daß damit eine Sache und eine Person in einer ganz neuen Weise zur Erfahrung kommt. Deshalb sind die Worte auch so kostbar: "Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe." (Joh 14, 26) Der Geist möchte nur die getreue Vergegenwärtigung Jesu Christi ermöglichen. So gibt es die Wahrung der Überlieferung ineins mit Innovation und Erneuerung. Wer diese spannungsvolle Einheit zwischen der Botschaft Jesu und dem lebendigen Geist zerreißt, der entleert das Evangelium zu einem toten Buchstaben oder aber leistet Hilfe, das verbindliche Wort Jesu schwärmerisch zu verflüchtigen oder gar aufzulösen, auch wenn es gut enthusiastisch klingt.

 

Der Geist vermittelt auch hier. Nur so ist eine bleibende Neuheit erreichbar, ohne daß es das verzweifelte Durchhalten einer widerspruchsvollen Aufgabe ist. Nur wenn wir auf den Geist hören, werden wir die Winke Gottes verstehen, die er in unsere Zeit hineingibt. Nur wenn wir in diesem Sinne "geistesgegenwärtig" bleiben, gibt es auch Erneuerung. Amen.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

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