Statement anlässlich der Pressekonferenz zur Information über die Pfarrgemeinderatswahlen 2007

Freitag, 19. Oktober 2007, im Erbacher Hof, Mainz

Datum:
Freitag, 19. Oktober 2007

Freitag, 19. Oktober 2007, im Erbacher Hof, Mainz

Das Leben der Gemeinden ist gerade in unserer heutigen Gesellschaft vielgestaltig. Es gibt auch eine große innerkirchliche Pluralität. Viele Gemeinden haben darum mit Recht mannigfache Angebote. Man muss aber auch immer wieder selbstkritisch fragen, ob wir den heute notwendigen Prioritäten gerecht werden. Dazu gehören immer Glaubenszeugnis und Verkündigung, Gottesdienst und Gebet, Geschwisterlichkeit und Einsatz für die Armen. Zwischen diesen Zielsetzungen muss ein ausgeglichenes Verhältnis existieren. Heute ist es auch höchste Zeit, dass wir mehr an Gott denken und mehr von ihm reden bzw. Zeugnis ablegen. Er ist nämlich im öffentlichen Bewusstsein heute oft sehr verborgen. Ohne erneute und vertiefte Zuwendung zu ihm bleibt manches Leerlauf. Das so genannte „Bonifatiusjahr“ 2004 hat uns 1250 Jahre nach dem Tod dieses „Apostels der Deutschen“ besonders daran erinnert.

Schon im Neuen Testament, besonders bei Paulus, hat Kirche einen dreifachen Sinn: Gemeindeversammlung (nicht zuletzt auch im Gottesdienst), die Realisierung von Kirche in der Gemeinde vor Ort, die Weltkirche. Alle drei Dimensionen gehören zusammen. Die Gemeinde muss sehen, dass gegen alle Tendenzen des Sichverschließens die Türen offen bleiben z.B. auf das Umfeld, den Pfarrverband, die Stadt, die Diözese, die Weltkirche. Dies gilt auch für die Ökumene. In mancher Gemeinde gibt es Scheuklappen, und man sieht oft nur die eigene Wirklichkeit, die so auch nicht selten verengt gesehen wird.

Weite befreit, aber sie darf auch nicht zur Flucht werden. In den nächsten Jahren muss dies ganz besonders im Verhältnis jeder Gemeinde zu den Nachbargemeinden eingeübt werden. Wir können die Probleme der heutigen Welt, die Erwartungen der Menschen und auch den Priestermangel nur durch eine größere Kommunikation und bessere Kooperation bewältigen, ohne in einen falschen Aktionismus zu verfallen, der viele überfordern würde. Hier liegt eine große pastorale Aufgabe, die in jedem Fall vordringlich ist. Wir haben dies angefangen mit unserer Aktion „... damit Gemeinde lebt“ (seit 1994) und vor allem auch aktuell im Strukturprozess des Bistums, der bereits erste Früchte trägt, aber noch weiter entwickelt werden muss. Hier ist besonders auf die Pfarrverbände und ihre Neubildung zu achten. Der Herr Generalvikar wird dazu und zur Aufgabe und Herausforderung, aber auch zur Chance der Mitwirkung der neuen Pfarrgemeinderäte in diesen Strukturen gleich noch einige Worte sagen.

Alle Charismen, Dienste und Ämter sind nicht Selbstzweck. Sie dürfen sich darum auch nicht allein aufspreizen. Diese Struktur des gemeinsamen Zusammenwirkens, gerade auch in der Form eines „Rates“, kommt im Pfarrgemeinderat und auf andere Weise im Verwaltungsrat besonders gut zur Darstellung. Jeder hat eine Gabe, die wir entdecken müssen. Aber jede einzelne Gabe ist auch begrenzt. Darum muss man andere Gaben, die hilfreich sind, gelten lassen, ohne dass nur eine wirre Vielfalt das Ergebnis sein dürfte. Jeder muss seine ureigenen Gaben und Fähigkeiten einbringen, aber darf sich nicht absolut setzen. In diesem Sinne ist alles „Dienst“ und wird am „Nutzen“ für die Gemeinde gemessen, ob es einen konstruktiven Beitrag zum Aufbau der Gemeinde leistet. Damit ist auch gegeben, dass die Gemeinde in diesen Diensten eine Struktur hat, eigene unersetzliche Verantwortlichkeiten hat, die beachtet werden müssen. Wie der Pfarrer die der Gemeinde geschenkten Charismen und Dienste achten muss, muss die Gemeinde mit ihren Räten auch die im geistlichen Amt des Pfarrers begründete Befugnis zur Leitung respektieren, in der er auch von den anderen Diensten amtlicher und ehrenamtlicher Art unterstützt wird. Das Ganze kann nur fruchtbar werden, wenn das Konzert aller gelingt.

Als Bischof komme ich bei den Gemeindebesuchen immer mit den Ehrenamtlichen zu Gesprächen zusammen. Dazu gehört jedes Mal auch die Begegnung mit den Pfarrgemeinderäten. Für mich ist das eine gute Gelegenheit zu erfahren, was den Vertreterinnen und Vertretern der Pfarrei ein Anliegen ist und was sie mir davon erzählen wollen. Besonders gut und fruchtbar werden diese Gespräche, wenn es nicht nur ein Austausch von Freundlichkeiten ist, von wohlgemeinten Worten, von einer – wenn auch wichtigen – Auflistung von Aktivitäten. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass dort, wo klare Worte für Positives und Negatives gefunden werden, ein besonders fruchtbares Miteinander geschehen kann.

Die Pfarrgemeinderäte in unserem Bistum sind besetzt mit Menschen, die in hohem Maß das Vertrauen der Pfarrangehörigen besitzen. Ihnen ist es anvertraut, gemeinsam mit dem Pfarrer und den anderen hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Seelsorge richtungsweisende Entscheidungen für die Zukunft der Pfarrei zu beraten und zu verwirklichen. Seit Bestehen der Pfarrgemeinderäte ist dies ein Zeichen dafür, dass hier die gemeinsame Verantwortung der Gläubigen für die Pfarrgemeinschaft gelebt wird. Gerade in diesem Miteinander von Laien und Priestern, von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitgliedern und Mitarbeitern in der Pfarrei zeigt sich, dass das Leben einer Pfarrei nicht nur von „oben“ bestimmt wird, sondern dass ein jeder und eine jede mit ihren Fähigkeiten sich einbringen kann.

Deshalb ist es besonders wichtig, dass in den Pfarrgemeinderäten nicht nur Menschen aus einer Altersgruppe oder z.B. einer Interessengruppe sitzen. Sonst kann auch vieles blockiert werden und der Blick verstellt werden für die Vielfalt. So bunt wie der Altersdurchschnitt und damit die Erwartung und Chancen einer Pfarrei sind, so bunt und repräsentativ sollte auch der Pfarrgemeinderat besetzt sein: Jugendliche mit ihren Wünschen und ihren manchmal für die älteren Pfarrangehörigen vielleicht neuen und fremden Ideen sind dabei ebenso wichtig wie die ältere Generation, die mit ihrer Lebens- und Glaubenserfahrung ihre Art von Zeugnis des gelebten Christseins ablegen kann und soll. Ich bin dankbar, dass sich sehr viele Frauen in unseren Räten engagieren und so Kirche vor Ort mitgestalten; oft sind sie auch an leitender Stelle im PGR aktiv. Ich bin dankbar für die vielen Jugendlichen, die sich in die Gemeinden einbringen und sie mit Leben füllen. Die Wahlordnung sieht vor, dass möglichst mindestens ein Jugendvertreter gewählt oder anschließend ergänzend in den Rat berufen wird, um die Vielfalt zu sichern. Es freut mich, wenn ich erfahre, dass dieses Miteinander der Generationen gut gelingt, und ich möchte die Katholiken im Bistum ermutigen, diese Chance zu nutzen.

In den Pfarrgemeinderäten sollen die Anliegen einer Pfarrei vertreten werden. Das ist mehr als eine Festlegung von Gottesdienstzeiten, die Organisation von Pfarrfesten oder das Abarbeiten von Terminen, auch wenn gerade diese Dinge organisatorisch wichtige Punkte sind und letztlich auch zur lebendigen Gemeinde beitragen. Vergessen wir dabei aber nicht die Freude am Glauben in Gottesdienst und gemeinschaftlicher Feier, in Liturgie und sozialem Einsatz, in Besinnung und Einsatz! Es scheint mir wichtig, dass auch und gerade auf jene der Blick gerichtet wird, für die sich nur wenige interessieren: die Außenseiter und Randgruppen, die Bedürftigen und Suchenden, die Kinder und Jugendlichen, die Alten und Kranken.

Die Mitgliedschaft im Pfarrgemeinderat ist eine Ehrensache. Sie ist ein wirkliches Ehren-Amt. Dafür gilt der Dank schon jetzt allen, die in der vergangenen Zeit in unermüdlicher Weise mitgedacht und mitgemacht haben. Allerdings bin ich mir durchaus bewusst, dass es oft auch Schwierigkeiten gibt, die die Freude am Mitmachen schmälern können: Weil es Enttäuschungen gibt, weil man sich alleine gelassen fühlt, weil man mit seinen Anliegen und Ideen nicht „durchkommt“, weil vieles festgefahren scheint. Ich wünsche denen, die sich als Kandidatinnen und Kandidaten haben aufstellen lassen, einen langen Atem und eine geduldige und fruchtbringende Bereitschaft zum Miteinander. Viele werden von ihren Familienangehörigen unterstützt. Für dieses Mittragen der Verantwortung gebührt auch ihnen unser ausdrücklicher Dank.

Diejenigen, die zur Wahl aufgerufen sind, haben ihre Aufgabe aber nicht nur am Wahltag. Wer am 10./11. November sein Kreuzchen auf den Wahlzetteln macht und damit zum Ausdruck bringt, dass ihm die Geschicke der Pfarrei wichtig sind, dass er Hoffnungen und Erwartungen in die Kandidaten setzt, der ist eingeladen und aufgefordert, die Arbeit der Pfarrgemeinderäte auch in der gesamten Amtsperiode zu begleiten. Die Pfarrgemeinderäte können nur dann wirksam und fruchtbar auftreten, wenn sie ihr Ohr am „Puls der Zeit“ haben, die „Zeichen der Zeit“ verstehen und umsetzen, vielfältige Rückmeldung bekommen und mit Wohlwollen, Aufrichtigkeit und nicht zuletzt auch Dank unterstützt werden. Die Gemeinde – das sind nicht nur deren Vertreter im Pfarrgemeinderat, sondern auch und gerade diejenigen, die durch die Pfarrgemeinderäte vertreten werden.

Ich danke an erster Stelle allen, die sich zur Wahl haben aufstellen lassen, den Frauen und Männern, den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, den Senioren, den Haupt- und Ehrenamtlichen, kurz: allen, denen die Zukunft ihrer Kirche und ihrer Pfarrei vor Ort nicht gleichgültig ist, sondern die sich mit Herzblut und Einsatz, mit Eifer und Elan, mit Mut und Kompetenz einsetzen für diesen Dienst an der Gemeinschaft. Ich bitte auch alle Wahlberechtigten, die Chance zur Mitbestimmung und Mitwirkung am 10./11. November zu nutzen, zur Wahl zu gehen und die neuen Pfarrgemeinderäte anschließend auch weiter zu unterstützen. Nicht zuletzt danke ich auch denen, die im Wahlvorstand oder in anderen Vorbereitungsgremien zum Gelingen der Wahl beitragen; hier möchte ich stellvertretend besonders auch Herrn Ulrich Janson als Koordinator aus dem Bischöflichen Ordinariat danken, der gleich noch einige Zahlen zur Situation in unserem Bistum berichten kann. Sie alle helfen mit, dass die Wahl ein Ausdruck unserer gemeinsamen Verantwortung ist und das Leitwort der Wahl zum Erfolg kommt: „Unsere Gemeinde sucht Ihren Rat!“.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz