Statement bei der Verleihung des Katholischen Medienpreises 2006 am 9. Oktober 2006 in Bonn

Datum:
Montag, 9. Oktober 2006

Sehr geehrte Frau Klaila,

sehr geehrter Herr Kleinjung,

sehr geehrter Herr Kaiser,

meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich begrüße Sie herzlich zur Verleihung des Katholischen Medienpreises 2006!

Meine Damen und Herren: wie steht es um Wahrheit und Authentizität in einer Welt, die sich hauptsächlich über Medien verständigt? Was macht qualitäts- und wertorientierte, authentische Medienarbeit eigentlich aus? Wir werden heute Sie, die Preisträger, ehren, die mit ihren Arbeiten Perspektiven für diese Fragen geben.

Lassen Sie uns etwas in die Medienchronik 2006 schauen. Dieses Jahr ist durch einige recht unterschiedliche Ereignisse geprägt worden, an denen die Menschen über die Medien Anteil nehmen konnten. Ich denke beispielsweise an das Mozartjahr, die Fußballweltmeisterschaft, den Karikaturenstreit, den Konflikt im Nahen Osten und den Papstbesuch. Diese Ereignisse sowie ihre mediale Vermittlung sind augenfällig miteinander verwoben und verändern einander. Unser Thema ist also „Inszenierung“ in Zusammenhang mit dem Anspruch eben von Authentizität, also Echtheit, Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit in den Medien.

Lassen Sie mich zum Einstieg zwei unterschiedliche, scheinbar widersprüchliche Erfahrungen im Umgang mit Medien herausstellen .

·Zunächst: Medien, also Printmedien, aber auch die Kunst und das Theater, der Film, die audiovisuellen und digitalen Medien, sie alle sind Quellen und Sinnspeicher zur Entwicklung der Zivilisation mit ihrer Weltanschauung und ihrem Menschenbild. Die modernen Medien „sind der bevorzugte Ort, an dem heute die Auseinandersetzung um Ideen, Werte, Lebens- und Weltanschauungsfragen stattfinden“ . Die Moderation zwischen den Menschen und den dynamischen gesellschaftlichen Entwicklungen, wie Norbert Elias sie einst beschrieben hat, übernehmen heute zumeist die Medien. Die Medien dienen also der Verständigung, der Gemeinschaft, der Wahrheit, dem Fortschritt und nicht zuletzt auch der Lebensfreude der Menschen.

·Andererseits beobachten wir auch, dass Medien die Wahrnehmung der Wirklichkeit verstellen oder manipulieren. Sie begünstigen eine Art von Monokultur und Einfalt. Sie reduzieren komplexes Denken und hindern die Wahrnehmung der vieldimensionalen Wirklichkeit und des Anderen. Damit entsteht Schaden am sozialen und kulturellen Gewebe einer zivilen Gesellschaft.

Ich werde diese Erfahrungen an einigen Medien-Ereignissen des Jahres verdeutlichen, die scheinbar zunächst nichts miteinander zu tun haben, nämlich Krieg und Sport.

Zum einen ist uns noch ganz frisch der Krieg im Nahen Osten in Erinnerung. In der Berichterstattung stellte sich immer wieder die Frage nach der Objektivität und Wahrhaftigkeit in der Darstellung der politischen und menschlichen Situation.

Zum anderen regierte vier Wochen König Fußball Deutschland und dispensierte vieles von dem, was uns sonst so wichtig erscheint.

Ich wähle diese gegensätzlichen Beispiele deshalb, weil sie im Kern wichtige Grunderfahrungen des Menschen spiegeln. Hier geht es um das Leid und den Tod, aber auch um das Spiel und das Fest. Gemeinsam ist allen Beispielen das Phänomen der Inszenierung, nämlich die Art und Weise des Zugriffs, der Auswahl, Verdichtung und Darstellung der medialen Kommunikation. Für den Journalisten stellt sich die Frage: wie nah darf oder muss ich den Gegenstand der Berichterstattung an mich heranlassen? Welche Aspekte greife ich auf – welche lasse ich weg? Mit welchen ästhetischen Mitteln binde ich meine inhaltlichen Kernaussagen aneinander und in welchen Kontext stelle ich meine Botschaft?

2.Nach der UNO Resolution schweigen im Nahen Osten endlich die Waffen wenigstens offiziell. Flüchtlinge kehren in ihre zum Teil schwer verwüstete Heimat zurück. Die Fernsehkamera begleitet eine solche Flüchtlingsfamilie. Ein etwa 4-jähriger Junge blickt mit aufgerissenen Augen auf die zerstörten Häuser um ihn herum. Vor den Trümmern des ehemaligen Hauses seiner Familie erstarrt er kurz und fängt dann fassungslos zu weinen an.

Das ist eine traumatische Erfahrung, die über Generationen hinweg als Krieg in den Seelen weiter wirken kann, auch wenn der äußere Krieg schon längst Geschichte ist.

Der Zuschauer wird sich über die Bilder sofort mit dem Kind identifizieren, seine Gefühle nachempfinden und seine Angst vor der Zukunft nachspüren können. Die Dokumentation, die freilich auch inszeniert ist, bringt durch ihre audio-visuellen Sprache Empathie, Solidarität und womöglich auch eigene Erfahrungen zum Schwingen. Die Bilder verweisen damit auf die Verletzlichkeit der menschlichen Würde. Sie provozieren zu Verantwortung besonders gegenüber den Bedürftigsten und Schwächsten. Sie fördern, wie eingangs gesagt, einen zivilisatorischen Prozess, indem sie praktische Menschlichkeit, das Ethos vorantreiben.

3.Die technische Entwicklung macht den Anspruch an das journalistische Ethos wichtiger denn je. Ist dieser dokumentarische Beitrag mit dem Flüchtlingskind noch relativ glaubwürdig, so wird die Sache aber im Zeitalter digitaler Bildproduktion immer schwieriger. Was ist noch authentisch? Selbstverständlich verändert man Farben, Kontrast, Schärfe und Helligkeit, um die Wirkung von Bildern zu verstärken. Wo aber fängt Manipulation, z.B. aus propagandistischen Gründen, an? Lassen Sie mich einige Beispiele nennen:

-Eine große Bildagentur musste ein Bild zurückziehen, weil es offensichtlich manipuliert war. Das Foto zeigte angebliche Folgen israelischer Bombenangriffe auf Beirut. Der Fotograf hatte den Rauchpilz und das Schadenausmaß künstlich vergrößert, zur Steigerung der Dramatik und als Beweis für eine angeblich brutale Reaktion Israels auf die Angriffe der Hisbollah. Das ist eine unerlaubte Ideologisierung der Dokumentation. Das Entsetzen, das solche Bilder aber auslösen, lässt oft weitere Fragen nach deren Authentizität verstummen.

-Noch schwieriger wird es, wenn die Kriegsparteien die Journalisten selbst mit eigenen Bildern und Informationen versorgen. Denken wir an die „eingebetteten“, also in den militärischen Einsatz integrierten Journalisten im Irak-Krieg. Die Wahrheit bleibt auf der Strecke. Dennoch, auch die Manipulation oder ideologische Verzerrung bezieht sich auf eine Realität hinter den Bildern, die unabhängig davon himmelschreiend furchtbar bleibt.

-Nicht nur die Medien produzieren Bilder, jeder kann Produzent werden. Viel Bild- und Nachrichtenmaterial stammt heute aus privaten und zufälligen Quellen. Die Aufforderung der Yellow-Press an ihre Nutzer, z.B. mit Fotohandys selbst Nachrichten zu generieren und ihr zur Veröffentlichung zur Verfügung zu stellen, ist problematisch. Die ordentliche Recherche und die Prüfung der Quellen fallen dabei aus.

-Bemerkenswert in der Online-Szene sind öffentliche Internet-Tagebücher, so genannte „Web-Logs“. Die in Tel Aviv lebende kanadische Journalistin Lisa Goldmann sucht damit den Dialog mit dem „Feind“. Sie ist davon überzeugt, dass die authentische Erfahrungen aus den Krisengebieten von Zeugen, die unter den konkreten Kriegsfolgen selbst leiden, zur Völkerverständigung beitragen. Allerdings muss man sich klarmachen, dass jede Kommunikation, auch der Web-Log, nie ganz authentisch sein kann.

Medien und Kommunikation sind ein sensibles Gut. Die zivilisatorischen Herausforderungen sowie die technischen Möglichkeiten erfordern ein hohes Ethos. Daher sind – und dies sage ich auch im Hinblick auf die Rezeption der Papst-Vorlesung am 12.09.2006 in Regensburg - präzise Berichterstattung, vollständige Erläuterung von Sachverhalten sowie faire Darstellung verschiedener Auffassungen unabdingbare Forderungen an einen authentischen und, wie erwähnt, der Wahrhaftigkeit und dem Frieden verpflichteten Journalismus. Medien und Kommunikation müssen verbinden, gerade auch dann, wenn unterschiedliche Interessenslagen und, ganz aktuell, Zivilisationen, miteinander in Konflikt geraten. Hier bedeutet Verständigung das Herstellen und das Aushalten von Differenz.

Aus aktuellem Anlass wiederhole ich daher, was ich im Namen der deutschen Bischöfe bei der Pressekonferenz nach der Herbstvollversammlung jüngst in Fulda gesagt habe: „Von den Repräsentanten des Islam müssen wir erwarten, dass sie jeder religiösen Legitimation von Gewalt und jeder Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke unmissverständlich entgegentreten. Die christlichen Kirchen kennen aus ihrer Geschichte die Versuchung zur Gewalt, der auch sie nicht immer widerstanden haben. Umso mehr hoffen wir auf einen aufrichtigen Dialog zwischen Christentum und Islam, der auf allen Seiten der „Reinigung des Gedächtnisses“ …dient und die Religionen zum gemeinsamen Zeugnis für den Frieden und gegen die Gewalt befähigt.“

4.Zurück zur Medienchronik. Deutschland hat die Fußballweltmeisterschaft ausgerichtet und gezeigt, wie große Feste inszeniert werden. Die Medien spiegeln ein Land im kollektiven Fußballfieber. Gefeiert wurde ein inklusiver, kommunikativer und integrativer Patriotismus. Es herrschte ein Wir-Gefühl, in dem der Fremde und der Andere als Gast willkommen war. Die Inszenierung spielte geschickt mit der Sehnsucht nach Gemeinschafts- und gleichzeitiger Entgrenzungserfahrung.

Freilich entpuppt sich mancher Enthusiasmus als nur massenpsychotisches Phänomen ohne nachhaltige Wirkung. Denn die mediale Aufbereitung profaner Ereignisse promoviert zuweilen eine Event-Kultur, bei der die Inhalte austauschbar und der Grad der Aufmerksamkeit oder die Quote die alleinigen Kriterien für die Qualität des Ereignisses sind.

Der Philosoph und Sportwissenschaftler Gunter Gebauer hat in einem Gespräch mit der Funkkorrespondenz darauf hingewiesen, dass die Medien den modernen Sport über die Inszenierung von modernen Helden verändern. Nehmen Sie früher Tennis oder heute Formel 1. Durch das Engagement der Medien wurden diese Sportarten und ihre Protagonisten nicht mehr um ihrer selbst willen, sondern um der „Performance“ eben inszeniert, d.h. um weitere, vom Sport unabhängige ästhetische, vor allem emotionale Momente aufgepumpt, um beim Zuschauer Aufmerksamkeit zu erreichen.

Die Medien prädisponieren die Rezeption der Zuschauer. Was in den Bildern nicht vorkommt, gibt es nicht. Die Zuschauer geben den Journalisten die Autorität darüber ab, für sie zu entscheiden, was wichtig ist und was nicht. Schon nach wenigen Wochen ist darum vom Ereignis kaum mehr etwas zu spüren.

5.Menschen haben ein Anrecht auf Unterhaltung. Sie brauchen angesichts der komplexen und zuweilen harten Wirklichkeit Entlastung, Trost und Überschaubarkeit. Das ist eine ernstzunehmende Funktion der Medien.

Wer aber seine Wirklichkeit nicht mehr aushält, neigt zur Flucht vor ihr. An solchen Flüchtlingen sind die Hohenpriester der medialen Verzauberung und Vernebelung interessiert, die den Menschen eine mediale „Diesseitigkeits-Religion“ im Hochglanzformat anbieten. Ihre Suche nach Entgrenzung und Überstieg inkarniert in einer Medienkultur, in der das Oberflächliche, Theatralische und Sexualisierte, der narzisstische Hang zur Selbstinszenierung mit ständigem Drang nach Aufregung herrscht, bemerkt der Medienwissenschaftler Peter Winterhoff-Spurk . Gefühle werden nur noch dargestellt, aber nicht mehr wirklich empfunden. Medien degenerieren zu einer Mono-Kultur der kalten Herzen, der Einfalt und falschen Erlösungsversprechen. Virtuelle Leben spalten sich mit pseudo-religiösen Strukturen von der Wirklichkeit ab. Die sozialen Kommunikationsmittel sind nicht mehr der Geist und das Gewebe, das die Gesellschaft, die Welt und die Menschen zusammenhält.

Die Botschaft des Papstes zum Mediensonntag erkennt daher völlig zu Recht: „Dies sind Verzerrungen, die sich ergeben, wenn die Medien-Industrie zum Selbstzweck wird oder nur gewinnorientiert arbeitet und den Sinn für die Verantwortlichkeit gegenüber dem Gemeinwohl verliert.“

6.Die Inszenierungen menschlicher Grunderfahrungen wie Leid und Tod, Spiel, Eros, Macht etc. berühren und verändern Menschen. Insofern können Medien, wie eingangs gesagt, vitale Ressourcen sein. Es gibt gewissermaßen einen Reichtum der Medien .

Religion aber inszeniert nicht im Sinne des zur Schau-Stellens. Sie integriert menschliche Grunderfahrungen . Religion hält die Spannungen, in denen der Mensch lebt, offen für den verborgenen Grund. Die Symbole, Bilder, Texte, Musik und liturgischen Rituale sind die heilsamen Medien des Übergangs.

Ich komme damit zum Schluss und möchte nicht versäumen, der Jury des Katholischen Medienpreises unter Vorsitz von Herrn Weihbischof Friedrich Ostermann herzlich für ihre Arbeit zu danken. Sie hat nun vier Jahre lang Berge von Medien durchforstet, um unsere Preisträger zu ermitteln. Die Jury hat damit dafür gesorgt, dass die journalistische Authentizität und Vielfalt in der manchmal einfältigen Monokultur nicht untergeht. Ein herzliches Vergelt´s Gott für Ihre gute Arbeit!

Sie, liebe Frau Klaila, lieber Herr Kleinjung und lieber Herr Kaiser, zeigen uns mit Ihren Arbeiten, wie wirkungsvoll und vor allem menschendienlich authentischer Journalismus ist.

Dafür danke ich Ihnen!

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

Im Original sind Fußnoten enthalten. 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz