Statement zur Begrüßung

Datum:
Mittwoch, 3. Januar 2007

beim 3. Internationalen Lonergan Workshop „Weißt Du, was Du glaubst?“. Redlichkeit im Denken und Glauben, 50 Jahre nach Bernard Lonergans „Insight“, vom 2. bis 7. Januar 2007, in Kooperation mit dem Lonergan Institute des Boston College, USA, dem Lehrstuhl der Fundamentaltheologie der Universität Innsbruck und dem Erbacher Hof, Akademie des Bistums Mainz, Grußwort am 3. Januar 2007

Mit großer Freude begrüße ich Sie alle und heiße Sie zum 3. Internationalen Lonergan Workshop hier in Mainz herzlich willkommen. Ich freue mich, dass zu Beginn dieses neuen Jahres, für das ich Ihnen allen Gottes reichen Segen wünsche, Referentinnen und Referenten aus aller Welt zu uns gekommen sind. Stellvertretend für Sie alle darf ich Herrn Prof. Fred Lawrence nennen, dem wir in der Lonergan-Forschung von Anfang an viel verdanken. Sie haben 1973 mit den Workshops am Boston College begonnen und seit 2001 ihn auf internationaler Ebene durchgeführt.

Wir haben in diesem Jahr einen besonderen Anlass, uns wiederum mit Bernard Lonergans Werk zu befassen. Es sind 50 Jahre, dass das erste und bleibende Meisterwerk Bernard Lonergans „Insight“ erschienen ist (London, New York, Toronto 1957). Es sind im Übrigen in diesem Jahr auch 35 Jahre seit dem ersten Erscheinen des zweiten Hauptwerkes „Method in Theology“ (London 1972 ).

Manche zählen „Insight“ zu den wichtigsten philosophischen Grundwerken des 19. und 20. Jahrhunderts, vergleichbar mit Hegel „Phänomenologie des Geistes“ und Heideggers „Sein und Zeit“. Eine stark auf die mitteleuropäische Philosophie ausgerichtete Einstellung mag dies übertrieben finden. Aber Bernard Lonergan möchte ich nicht einfach – wie es manchmal geschieht – als einen bekannten „nordamerikanischen“ Philosophen abtun, der in seiner Heimat Canada und in den USA immer mehr Anerkennung gefunden hat. Bei uns ist Bernard Lonergan schlechthin zu wenig bekannt. Es ist ein fast grotesker Widerspruch zwischen seiner wirklichen Bedeutung und der geringen Rezeption. Daran konnten auch die verdienstvollen Bemühungen vor allem der Professoren Giovanni B. Sala SJ, Philippe H. Fluri und Johannes Bernard nicht viel ändern. Dies gilt, obwohl in den letzten 20 Jahren dank des Lonergan Forschungsinstituts des Regis College von Toronto eine zurzeit auf 25 Bände geplante Gesamtausgabe im Erscheinen begriffen ist, dessen erster Band 1988 erschien, zurzeit eben die Hälfte der geplanten Bände zur Verfügung steht. Eine ebenfalls 25-bändige Übersetzung ist in Italien am Erscheinen, herausgegeben von Natalino Spaccapelo und Saturnino Muratore.

Die verzögerte Rezeption ist auch deshalb beklagenswert, weil B. Lonergan sich schon früh mit Kant, den Hauptvertretern des Deutschen Idealismus, vor allem Hegel, sowie mit W. Dilthey, E. Cassirer, E. Husserl, M. Heidegger u.a. befasste und nicht zuletzt auch eine gute Kenntnis vieler deutscher Theologen verrät, besonders im Blick auf R. Bultmann und K. Rahner. Ich denke dabei aber auch an das Gespräch mit Bernhard Welte.

Zunächst darf man die gediegene, über 10-jährige Beschäftigung Lonergans mit Thomas von Aquin nicht unterschätzen. Die Studien über das Verhältnis von Gnade und Freiheit im Begriff der „Gratia operans“ und über die Bedeutung von „Verbum“ – beide bilden die ersten Bände in den Gesammelten Werken (1997, 2000) – sind nicht nur heute noch lesenswert, sondern sie bilden auch in vieler Hinsicht die bleibende Grundlage für Lonergans Denken, wie es dann wenige Jahre später in „Insight“ zur Sprache kommt. In beiden Studien wurde Lonergan bereits mit dem evolutivem Merkmal des theologischen Denkens und der menschlichen Erkenntnis überhaupt konfrontiert, ohne dass es ausführlich entfaltet wird.

Hatte Lonergan in „Insight“ vor allem auch die Erkenntnisweisen der Mathematik, der Naturwissenschaften und teilweise auch der Geisteswissenschaften im Auge, ohne die anderen Bereiche des Wissens zu vernachlässigen, so beschäftige er sich mehr und mehr mit den philosophischen Implikationen der kulturellen Zeitlage. Dies geschah vor allem während des Aufenthaltes an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom (1953 bis 1965). Lonergan erblickte darin eine große Herausforderung. Diese kam vor allem von den Problemen der Hermeneutik und der kritischen Geschichtswissenschaft, aber auch von anderen Denkweisen. Kultur war für Lonergan nun nicht mehr eine einzige, beständige und normative Größe, gleichsam die abendländische Kultur, sondern erwies sich vor allem als geschichtlich sich wandelnd und pluralistisch. Lonergan weiß durch seinen langen Umgang mit der klassischen Kultur ihre Unentbehrlichkeit zu würdigen. Er spricht z.B. vom „griechischen Wunder“, dass nämlich der Logos den Mythos bändigte.. So wendet sich Lonergan immer mehr, besonders auf dem Weg von „Insight“ zu „Method in Theology“, einer Theologie im Kontext der heutigen Kultur zu. Die Theologie muss ihr klassisches Wissenschaftsverständnis beträchtlich erweitern. Lonergan spricht von einer „Horizontverlagerung“. Ich finde, dass dieser Wandel besonders in dem Vortrag aus dem Jahr 1972 ersichtlich wird „Die Revolution in der katholischen Theologie“, ein für Lonergan erstaunlicher Titel, der die Tiefe des Wandels andeutet.

Dennoch ist „Insight“ auch für diesen Wandel eine elementare und bleibende Voraussetzung. Ich sehe diese vor allem in zwei Punkten, nämlich in der Wende zum Subjekt und in der Bedeutung der Methode in unserem Wissen. Wir dürfen nicht nur etwas problemlos – gleichsam wie Kinder – zur Kenntnis nehmen, sondern müssen immer auch untersuchen, wie unser Wissen zustande kommt. Insofern bleibt auch die dreigliedrige Vorgehensweise „Erfahrung, Einsicht, Urteil“ von „Insight“ maßgebend. Hier ist auch der Einfluss von J. Maréchal auf Lonergan nicht zu unterschätzen, obgleich Lonergan ihn offenbar wenig zitiert, aber das Cahier V mit den Ausführungen zur „affirmation“ (Urteil) ist an vielen Stellen spürbar.

Ich freue mich, dass der Workshop von vielen Seiten aus diese Zusammenhänge im Werk Bernard Lonergans reflektiert. Dies ist nicht nur wichtig zur Aufhellung des Entstehens und der Bedeutung von Lonergans Denken. Der Titel des Workshops „Weißt Du, was Du glaubst?“, ist formuliert im Anschluss an die Umkehr des Äthiopiers, den Philippus fragt: „Verstehst du auch, was du liest?“ (Apg 8,30). Er wird im Untertitel mit Recht interpretiert: Redlichkeit im Denken und Glauben. Dies war gerade auch in der späteren Zeit die theologische und pastorale Herausforderung, auf die Bernard Lonergan eine Antwort suchte. Mit Recht werden darum auch viele Brücken geschlagen in diesem Kongress: von John Henry Newman, Peter Wust, Erik Peterson bis zu den geradezu verblüffenden Analysen Lonergans in seinen letzten Werken zur Wirtschaft und zur Entwicklung des Menschen. Deswegen ist Bernard Lonergan aber auch anderen Herausforderungen nicht ausgewichen, wie z.B. S. Freud, R. Girard, E. Voegelin.

Vermutlich sind nicht wenige Teilnehmer an diesem Workshop ehemalige Schüler und Studenten von Bernard Lonergan, auch wenn er schon 23 Jahre tot ist (1984). Auch ich bin einer von denen, die in der Zeit seiner römischen Lehrtätigkeit (1953-1965) unter den ca. 600 Hörern war, die seine großen Vorlesungen besuchten. Ich habe bei ihm „De Deo trino“ (Teil I/II) im Studienjahr 1961/62 und Christologie „De Verbo Incarnato“ im Studienjahr 1962/63 gehört. Zweimal habe ich bei ihm mündliche Examina gemacht, vor allem im Frühsommer 1964 bei der Abschlussprüfung zum theologischen Lizenziat. Wir konnten freilich in den Vorlesungen so gut wie kaum bemerken, wie sehr Bernard Lonergan gerade in jenen Jahren eine sehr weitreichende, soeben nur ganz kurz beschriebene, vertiefte Grundlagenreflexion vorangetrieben hat. Dies war, wenigstens nachträglich gesehen, am ehesten erkennbar in den Doktorandenvorlesungen, von denen ich - obwohl ich nicht Lonergans Doktorand war – schon früh eine Vorlesung besucht habe. Ich selbst war – nebenbei gesagt – deshalb auch nicht so von Bernard Lonergan geprägt, weil ich philosophisch stärker von Husserl und Heidegger her kam und theologisch immer mehr in Verbindung trat mit Karl Rahner, den ich später als Assistent bei der Mitarbeit für seine Trinitätslehre im zweiten Band von „Mysterium salutis“ stärker in Verbindung zu bringen versuchte mit der Trinitätslehre Bernard Lonergans. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass bei Lonergan und K. Rahner trotz aller Verschiedenheit der Denkstile eine erstaunliche parallele Ähnlichkeit existiert, die einer eigenen Darstellung bedürfte.

Ich bin fest überzeugt, dass wenigstens das deutschsprachige Denken in Philosophie und Theologie das Werk Bernard Lonergans erst richtig entdecken muss. Dafür ist dieser Workshop eine ausgezeichnete Gelegenheit. Dies ist auch notwendig, weil die philosophische Reflexion sich heute generell, aber auch in der Theologie schwer tut, Gehör und Beachtung zu finden, und sie gerade auch in der Begegnung mit den empirischen Wissenschaften unerlässlich ist, um einem gefährlichen Reduktionismus zu widerstehen.

Bernard Lonergan bezeugt natürlich immer auch bei aller Mühe, die der Nachvollzug seines Denkens verlangt, etwas von der angelsächischen Prägnanz und elementaren Einfachheit, wenn er sein Denken beschreibt. Dies kann er mehrfach zusammenfassen in den so genannten „transzendentalen Vorschriften“: „Sei aufmerksam; sei einsichtig; sei vernünftig; sei verantwortungsbewusst!“ An anderer Stelle fügt er noch eine fünfte Bestimmung hinzu: „sei in Liebe“, man könnte auch sagen „sei verliebt“, was er gewiss zuerst für die religiöse Dimension des Menschen sagt. Schließlich zeigt sich auch sein ganzes Denken im Kern des wichtigen Mottos, das Papst Leo XIII. im Jahre 1879 für die damals beginnende Renaissance des Thomismus ausgab: „Vetera novis augere et perficere.“

Ich freue mich auch, dass dieser Workshop in der Akademie des Bistums Mainz stattfindet, wo wir ohnehin eine intensivere philosophische Arbeit verfolgen, z.B. über M. Blondel, und wünsche Ihnen für die kommenden Tage mit Gottes Segen einen guten Erfolg, gewiss auch viel Freude miteinander im Gespräch und beim Aufenthalt hier in Mainz. Ich danke ganz besonders den Herren der Leitung des Workshops, dass sie diese internationale Veranstaltung gewagt haben.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Im Originaltext sind Fußnoten mit weiteren Hinweisen enthalten. 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz