Über die Vorläufigkeit des Politischen

Predigt anlässlich der Eröffnung der Legislaturperiode des Landtags Rheinland-Pfalz

Datum:
Sonntag, 9. Oktober 2011

Predigt anlässlich der Eröffnung der Legislaturperiode des Landtags Rheinland-Pfalz

Zunächst möchte ich mich Herrn Präses Nikolaus Schneider von Herzen anschließen, Sie alle begrüßen und Ihnen für die Legislaturperiode in Gottes Segen alles Gute wünschen!

Wir haben soeben das Evangelium von der Kaisersteuer (vgl. Mt 22,15-22; Mk 12,13-17; Lk 20, 20-26) gehört. Es ist einer der Texte im Neuen Testament, wo vom Verhältnis von Glauben und Politik, Kirche und Staat unter den Bedingungen von damals die Rede ist. Es ist ein relativ kurzer, aber dichter Text.

Die Gegner Jesu fassen einen Beschluss, jedoch nicht um ihn zu vernichten (vgl. 12,14), sondern um ihn zu einer Aussage zu verleiten, in der er sich selbst widerspricht oder eine Antwort schuldig bleibt. Man will ihm eine Falle stellen, um ihn dann in seinem Ansehen als ein geschätzter Lehrer zu entwerten.

Die Fragenden beginnen ihre Rede mit einer lobenden Einleitung. Sie wollen den Angesprochenen günstig stimmen und loben ihn in jeder Hinsicht: Jesus ist wahrhaftig, er sagt die Wahrheit und blickt nicht auf die Person. Es klingt alles sehr schmeichelhaft. Wir kennen solche Reden auch von heute.

Die Fragesteller wollten eine verbindliche Entscheidung, ob sie die Kaisersteuer zahlen oder verweigern sollen. Dies war eine kombinierte Personal- und Grundsteuer, die einen für jedermann gleichen Grundbetrag und eine Art Einkommenssteuer darstellte, die nach dem Vermögen gestaffelt war. Die Steuer wurde durch jüdische Behörden im Auftrag des kaiserlichen Statthalters eingezogen und machte den Juden immer wieder neu bewusst, dass sie unter fremder Oberherrschaft standen. Für viele war sie deshalb ein Stein des Anstoßes. Besonders ihretwegen kam es im Land zur Bildung der militanten Widerstandsbewegung gegen Rom, die man Zeloten nannte. Eine solche Steuer lehnten deshalb viele ab, weil sie nach ihrer Meinung die Anerkennung der damit verbundenen Herrschaft einschloss. Aber manche Juden waren in dieser Frage auch liberal, zumal Juden seit Jahrhunderten unter Fremdherrschaften lebten und ihre Steuern entrichten mussten. Dadurch war für sie ihr Glaube an die Einzigkeit ihres Gottes nicht in Frage gestellt.

Die Frage barg für Jesus jedoch einen beträchtlichen und recht gefährlichen Zündstoff und stürzte ihn in ein arges Dilemma. Wenn er sich für die Steuer als Pflicht im Sinne des „Weges Gottes" erklärte, entpuppte er sich als Römerfreund, gegen den die Bevölkerung mehrheitlich leicht aufzubringen war. Oder er verweigert sich der Steuer, was vielleicht eher erwartet wurde (vgl. auch Mk 11,9f.; 11,15ff.), dann würden die Römer mit einem solchen Rebellen kurzen Prozess machen.

Jesus spricht wie immer ganz anschaulich am Beispiel der damals gängigen Münze. Der Silberdenar des römischen Kaisers Tiberius (14-37 n. Chr.) trug das Bild des Kaisers und die Aufschrift: „Tiberius, Cäsar, des göttlichen Augustus Sohn, Augustus." Mit einer solchen Münze - etwa so viel wie ein Tageslohn - beglich man die Steuer. Eigentlich sollte im Bereich des Tempels und seiner Autoritäten eine solche Münze keinen Platz haben. Oft enthielt sie für die Juden unerträgliche Aussagen. Wenn sie schon eine solche Münze im heiligen Bezirk bei sich tragen, dokumentieren sie eigentlich, dass sie sich mit der Herrschaft des Kaisers faktisch arrangiert haben. Es ist so auch ein Hinweis darauf, dass man die ganze Wirtschafts- und Herrschaftsordnung im Land anerkennt, wenn man diese Münze akzeptiert. Wie ein Lehrer seine Schüler, so lässt Jesus seine Widersacher feststellen, dass die Münze Bild und Aufschrift des Kaisers trägt. So müssen sie ihm das Argument liefern, mit dem er sie dann schlägt.

Die Deutung der fast wie ein Sinnspruch strukturierten Antwort „Das, was dem Kaiser gehört, gebt dem Kaiser, und das, was Gott gehört, Gott!" ist gar nicht so einfach. Die radikalen Eiferer hätten Jesus wegen dieser Antwort eines Tages wohl töten können. Aber Jesu Antwort wäre missverstanden, wollte man sie - wie es freilich in einer langen Wirkungsgeschichte oft geschehen ist - als blanke Gefügigkeit vor der Obrigkeit im Sinne einer unkritischen Staatstreue begreifen. Sie anerkennt die politische Herrschaft, setzt aber sofort eine Grenze: So gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört. Das, worauf es im letzten ankommt, ist auch - so schwer erträglich es ist - unter einer Fremdherrschaft möglich, nämlich Gott zu geben, was ihm gehört. Es gibt jedoch Dinge, auf die der Kaiser einen Anspruch geltend machen kann. Das Recht zur Erhebung von Steuern bleibt unbestritten. Aber Reichweite und Grenze der legitimen Ansprüche des Kaisers müssen von Fall zu Fall von jedermann an einem umfassenderen Anspruch gemessen werden. Deshalb kommt es entscheidend auf das zweite Glied der Antwort Jesu an: Gebt Gott, was Gott gehört. Auf der Verpflichtung Gott gegenüber liegt der Hauptakzent. Der Anspruch Gottes auf den ihm gehörenden Menschen gilt jederzeit und uneingeschränkt. Dieser „Weg Gottes" begrenzt und relativiert den Anspruch des Kaisers, der eben keine religiöse Autorität ist. Der Lehrspruch Jesu lässt sich nicht so deuten, als ob es eine praktikable Regelung zur Aufteilung der Pflichten gegenüber Gott einerseits und dem Kaiser andererseits geben könnte. Jesus ist nicht in die ihm aufgestellte Falle getappt. Er hat sich von seinen Versuchern weder politisch noch theologisch fangen lassen.

Zuerst muss man Gott und sein Reich suchen. Die Glaubenden sind mit keinem bestimmten System verwachsen. Die Kirche verachtet aber auch nicht irdische, rechtliche und politische Maßstäbe - so wenig es Jesus tut. Allein wichtig ist freilich das Aufmerksambleiben auf den Willen Gottes. Die Forderung Gottes ist allemal wichtiger als die Steuerzahlung, auch wenn dieses Recht nicht angetastet wird. Das Recht des Kaisers wird nicht bestritten. Noch wichtiger ist jedoch, dass Gottes Herrschaft und sein Recht zur Geltung gebracht werden. Und diesem ersten und vorrangigen Anspruch Gottes kann man auch genügen, wenn man Steuern an den Kaiser zahlt. Gott allein aber soll der Mensch lieben mit seinem ganzen Herzen und mit all seinen Kräften. Wer diese Rangordnung nicht beachtet, der muss in dem Jesuswort eine verborgene Ironie zur Kenntnis nehmen, wie man überhaupt Gott und menschliche Macht miteinander vergleichen kann.

Was also hier fast friedlich nebeneinander steht, „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört", kann freilich bald zu einem Konflikt werden, vor dem die Kirche und die Jünger Jesu Christi nicht verschont worden sind und auch heute auf der Hut bleiben müssen. Denn das Jesuswort begrenzt auch jeden absoluten Anspruch der Politik, ob mit, ohne oder gegen eine religiöse Legitimierung. Wenn dies der Fall ist, darf man ein anderes Wort der Heiligen Schrift nicht vergessen, das neben dem 13. Kapitel des Römerbriefs mit in die vielgestaltige und spannungsvolle Tradition gehört: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen". (Apg 5,29; vgl. 4,19)

In diesem Sinne sagt das Evangelium von der Kaisersteuer vieles auch über unseren heutigen politischen Auftrag. Jesus hat mit diesem Wort und mit seinem ganzen Leben, mit seinem Bekenntnis vor Pilatus und mit seinem Tod grundsätzlich jeden Absolutheitsanspruch der politischen Herrschaft gebrochen. Aber diese Begrenzung des Politischen ist keine Abwertung, sondern bringt erst seine wahre Eigenheit zum Vorschein. Es geht bei aller Wichtigkeit und Klarheit eines politischen Programms nie um das Endgültige, um Heil oder Unheil schlechthin. Wir wissen dann immer wieder, dass wir uns im Bereich des Vorletzten bewegen, wo vieles Experiment und Fragment ist, zu dem Brüchigkeit, Vorläufigkeit und Revidierbarkeit gehören.

Dies hat erhebliche Konsequenzen: Dann können Konflikte auch in einer menschlicheren Form ausgetragen werden. Es herrscht dann das Wissen vor, dass alle Veränderungen - unter welchem Vorzeichen sie immer erfolgen - Bewahrungen oder Besserungen im Unvollkommenen sind. Die Überzeugung, dass es sich hier nicht um letzte Gewissheiten handelt, zwingt freilich auch zu einer Portion Skepsis gegenüber der eigenen Meinung. So kann die politische Auseinandersetzung entschärft werden, weil der Realismus der christlichen Hoffnung zum Bewusstsein bringt, dass die volle Wahrheit oder die ganze Gerechtigkeit nie nur auf einer Seite liegt. Dies soll die Notwendigkeit von Grundsatzentscheidungen, besonders über fundamentale Werte, nicht verschleiern oder gar leugnen. Sie sind in der Tat notwendig. Aber es ist in einer solchen Sicht auch nicht möglich, im politischen Gegner nur den „Feind" schlechthin zu erkennen. Alle ideologischen Haltungen, die sich zu einem letzten Maß aufspreizen, werden von der Vorläufigkeit des Politischen selbst gerichtet.

Freilich liegt darin auch eine wichtige Warnung. Der Verzicht auf letzte Gewissheiten erlaubt zwar ein vernünftig-pragmatisches Entscheiden und ist ein Grund für die Unersetzlichkeit des Kompromisses und der Bereitschaft dazu, darf sich aber nicht in einem rein taktisch-strategischen Spiel erschöpfen. Das politische Handeln wird auch nach dem befragt, was bleibt. Eine stetige Korrektur erfolgt dadurch, dass das Verhalten des Politikers zwar nicht unmittelbar in letzten Gewissheiten politischer Art gründet, dass aber dieses Verhalten jenseits des Politischen an das Gewissen gebunden ist und bleibt. Davon kann ihn auch keine Zugehörigkeit zu einer Partei dispensieren. Hier liegt seine einzigartige und unersetzliche Verantwortung. Die Dynamik im Vorläufigen bewährt sich auch durch den Mut zur Reform in kleinen Schritten und durch zähe Geduld, die sich jedoch nicht abbringen lässt von einer großen Hoffnung.

Unsere Verfassung verwendet das Wort Gott und erinnert uns gerade dadurch an die Grenzen, die uns gesetzt sind: Am heutigen Verfassungstag dürfen wir den Vorspruch der Verfassung für das Bundesland Rheinland-Pfalz bewusst ganz anführen: „Im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott, dem Urgrund des Rechts und Schöpfer aller menschlichen Gemeinschaft, von dem Willen beseelt, die Freiheit und Würde des Menschen zu sichern, das Gemeinschaftsleben nach dem Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit zu ordnen, den wirtschaftlichen Fortschritt aller zu fördern und ein neues demokratisches Deutschland als lebendiges Glied der Völkergemeinschaft zu formen, hat sich das Volk von Rheinland-Pfalz diese Verfassung gegeben..."

Die 16. Wahlperiode des Landes Rheinland-Pfalz wird viele konkrete Regelungen treffen, die eine verlässliche Wertordnung als Fundament brauchen. Ich brauche nur einige Themen zu nennen: Wir wollen für die Familien gute Bedingungen schaffen, das Wohl der Kinder sichern; zur Kultur der Menschenwürde gehört der Schutz des menschlichen Lebens am Anfang und am Ende des Lebens. Arbeitslosigkeit ist eine zentrale Quelle von Armut. Bildungs- und Chancengerechtigkeit sind wichtige Maßstäbe für die Weiterentwicklung unseres Bildungs- und Erziehungswesens. Die Generationengerechtigkeit darf nicht übersehen werden. Sie bedeutet den Erhalt einer Umwelt, die auch in Zukunft gute Lebensbedingungen ermöglicht. Wir wollen auch den Kindern und Kindeskindern nicht unzumutbare materielle und finanzielle Belastungen hinterlassen. Die Nachhaltigkeit und Pflege unserer Lebensbedingungen und natürlichen Ressourcen haben einen hohen Rang. Es braucht auch eine unmittelbare Solidarität zwischen den Bürgern. Wo der Einzelne, die Familie, aber auch eine kleine Gruppe Unterstützung braucht, muss es vor allem um Hilfe zur Selbsthilfe gehen. Dies alles muss auch den Menschen mit Migrationshintergrund zukommen. Nicht zuletzt deshalb ist auch ein Dialog der Religionen untereinander wichtig.

Die Kirchen erbitten für diese Aufgaben des Landtages und der Landesregierung in der 16. Legislaturperiode Ihnen allen Gottes reichen Segen und damit ein gutes Gelingen all der Vorhaben, die ein menschenwürdiges Leben und Zusammenleben in unserer freien Gesellschaft stützen. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz