Über eine schwer hinnehmbare Grenze

Zur Stichtagsdiskussion in der Stammzellforschung

Datum:
Samstag, 11. August 2007

Zur Stichtagsdiskussion in der Stammzellforschung

Gastkommentar für die Mainzer Kirchenzeitung "Glaube und Leben" im August 2007

Zu den Dauerbrennern der bioethischen Diskussion gehört der Umgang mit menschlichen Embryonen. Dabei gibt es viele Perspektiven, angefangen vom Umgang mit den „überzähligen Embryonen“ über die Gewinnung der Stammzellen bis zur so genannten Beibehaltung oder Abschaffung des „Stichtages“ zur Herstellung, Einfuhr und Verwendung der Stammzelllinien. Der Nationale Ethikrat hat am 16. Juli 2007 eine umfangreiche Stellungnahme „Zur Frage einer Änderung des Stammzellgesetzes“ veröffentlicht.

Ich brauche hier nicht auf den Inhalt dieser Stellungnahme und eine Würdigung aus kirchlicher Sicht zu kommen, denn dies hat der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz am 16. Juli 2007 bereits besorgt (vgl. die Pressemitteilung der DBK vom 16. Juli). Ich möchte jedoch auf einen Punkt zurückkommen. Wir können dankbar sein, dass die verschiedenen Vertreter der vorgetragenen Voten von der Verpflichtung des Staates ausgehen, die Menschenwürde und das Recht auf Leben zu achten und zu schützen. Auch dem Embryo sind Lebensrecht und uneingeschränkter Lebensschutz vom Zeitpunkt der Befruchtung an geschuldet. Darin sind sich heute die meisten Beteiligten einig, zumal dieser Schutz von den menschlichen Grundrechten her gefordert wird.

Aber diese gemeinsame Voraussetzung wird dennoch bald wieder verlassen. Dies ist erstaunlich und merkwürdig inkonsequent. Denn zur Gewinnung menschlicher embryonaler Stammzellen müssen Embryonen getötet werden. Dies weiß jeder halbwegs Kundige, aber es wird im tatsächlichen Gewicht übergangen oder heruntergespielt. Manchmal sind die Faszination der Forschung, vor allem aber auch die Erwartung hochgesteckter medizinischer Ziele zu Heilzwecken so groß und offenbar auch so verführerisch, dass hier eine eigentümliche Ausblendung ethischer Bedenken stattfindet: Die Förderung selbst hochrangiger Forschungsinteressen darf unter keinen Umständen dazu führen, dass embryonale Menschen verzweckt werden. Der elementare Lebensschutz darf nicht der Forschungsfreiheit untergeordnet werden.

Es ist verblüffend, wie deutlich auf der einen Seite der ethisch geforderte Lebensschutz für die Embryonen feststeht, und auf der anderen Seite, in welcher Weise man faktisch in den konkreten Forderungen und Vorschlägen z.B. zur Stichtagsregelung daran vorbeigeht. Manche setzen den Lebensbeginn zu einem späteren Zeitpunkt an, z.B. bei der Einnistung in die Gebärmutter oder aber gestehen dem frühen Embryo nur in abgestufter Weise einen verbindlichen Lebensschutz zu. Auch wenn man die Entdeckung und Gedankengänge hinter diesen Argumenten durchaus verstehen kann, so gehen die Deutung, vor allem auch die Konsequenzen über den zugrunde liegenden Befund hinaus.

Manchmal fragen wir uns im Rückblick auf andere Zeiten, warum man früher diese oder jene Bedenken, z.B. gegen Hexenwahn und Kriegsbegeisterung, nicht erkannt oder wenigstens besser zur Geltung gebracht hat. Uns ist dann eine frühere Entscheidung darum oft unerklärlich. Zugleich muss man aber auch fragen, ob wir nicht bei aller Aufklärung heute auch in mancher Hinsicht partiell geradezu blind sein können und manches, was wir durchaus wissen, nicht zur vollen Geltung kommen lassen. So scheint es mir mit dem verfassungsrechtlichen und ethischen Schutz des Lebens und der Würde des Embryo zu sein: In der befruchteten Eizelle liegt individuelles menschliches Leben vor. Warum gewinnt diese Einsicht in unseren Diskussionen nicht das notwendige Gewicht?

In den nächsten Monaten wird die Diskussion heiß weitergehen. Es geht dabei um die Frage, ob es in der deutschen Gesetzgebung beim Verbot einer verbrauchenden Forschung mit Embryonen und des Klonens von Embryonen bleibt. Es geht aber auch um die Frage, ob durch eine finanzielle Förderung von Forschung, die gegen den Lebensschutz und die Menschenwürde verstößt, von Seiten der Europäischen Gemeinschaft die Grenzen der europäischen Integration für Deutschland überschritten werden. Wenn darüber klar und verbindlich entschieden werden muss, kann man sich wohl kaum mehr an der Existenz der aufgezeigten grundsätzlichen Herausforderungen offen oder vornehm vorbeimogeln.

(c) Karl Kardinal Lehmann 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz