VOM SINN DER ZEIT

Auf ein Wort

Datum:
Dienstag, 1. Juni 1999

Auf ein Wort

In regelmäßigen Abständen wird in unserer Gesellschaft über Zulassung und Einschränkung der Arbeit an Sonn- und Feiertagen diskutiert. Die Anlässe und Gegenstände wechseln, die Diskussion bleibt dieselbe. War es früher einmal die technisch nicht zu unterbrechende Produktionsweise, z.B. der Hochofen, später flexible Arbeitszeiten überhaupt und heute die Frage einer regelmäßigen Geschäftsöffnung an Sonn- und Feiertagen, immer geht es letztlich um den Sinn der Zeit für den Menschen.

Ich will jetzt nicht darüber diskutieren, ob einzelne Änderungen unserer gesetzlichen Bestimmungen angebracht und notwendig sind. Dem einzelnen wird es immer nützlich erscheinen, wenn er über die bisher begrenzten Zeiten hinaus nach Belieben Einkäufe tätigen und Geschäfte erledigen kann. In der neueren Diskussion geht es um eine regelmäßige Geschäftsöffnung an Sonn- und Feiertagen, ja es gibt Forderungen von politischer Seite, das Ladenschlußgesetz ersatzlos zu streichen. Die Bundesländer werden zum gemeinsamen Vorgehen für längere Öffnungszeiten aufgerufen.

 

In dieser Sache geht es jedoch nicht um die Annehmlichkeiten bloß des einzelnen. Es geht um den Sinn unserer zeitlichen Ordnung und des gesellschaftlichen Lebens überhaupt. Der Schutz des Sonn- und Feiertages darf nicht mit irgendwelchen antiquierten Reglementierungen gleichgesetzt werden. Hier geht es um die regelmäßige Wiederkehr eines Tages, der frei sein soll von der Last und Bürde der Arbeit. Es soll eine gemeinsame Unterbrechung der Arbeit sein. Diese Pause kann gewiß verschieden genutzt werden. Immer wieder haben andere Zeitrechnungen, besonders die verschiedenen Revolutionen (man lese dazu: H. Mayer, Die christliche Zeitrechnung, Herder Spektrum 4018), den 7-Tage-Rhythmus abschaffen wollen. Sie sind gescheitert.

 

Der christliche Sonntag, der tiefe Beziehungen zum biblischen Sabbat hat, gründet sich nicht nur auf eine nützliche Erwägung, sondern ist in der grundlegenden Struktur der Schöpfung verwurzelt: "Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig." (Gen 3,2) Dabei geht es gewiß auch darum, diesen Tag mit dem Gottesdienst in Verbindung zu bringen, aber zum Sonntag gehört eine viel weitere Kultur, in die das Sonntagsgebot eingelagert ist und diese wiederum mitträgt. Der Tag des Herrn ist darum auch in seiner Menschenfreundlichkeit ein Tag des Menschen: der Freude, der Ruhe und der Solidarität. Der regelmäßige Rhythmus von Arbeit und Ruhe tut dem Menschen gut. Die Menschen brauchen gemeinsame Zeiten des Freiseins von der Arbeit, um mit Familien und Freunden zusammensein zu können. Hier darf man auch nicht die vielen Menschen im Einzelhandel vergessen, die gerade wenn es kleinere (Familien-)Betriebe sind, von einer regelmäßigen Geschäftsöffnung besonders betroffen wären.

 

Die Kirchen haben gemeinsam immer wieder auf diese Zusammenhänge hingewiesen, wie die Gemeinsame Erklärung "Unsere Verantwortung für den Sonntag" (1988) und besonders das Apostolische Schreiben "Der Tag des Herrn" (Dies Domini) von Papst Johannes Paul II. vom letzten Jahr zeigen. Im Gemeinsamen Wort "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" ist die Sache ebenfalls angesprochen.

 

Beim Ladenschlußgesetz geht es - ob man dies wahrhaben will oder nicht - um den Sinn der Zeit für den Menschen. Es geht darin auch um Beachtung einer menschenfreundlichen Ordnung unserer Gesellschaft, die Rücksicht nimmt auf Gemeinsamkeit nicht zuletzt in der Familie. Es geht aber auch um eine Grenze wirtschaftlicher Interessen, die nicht den ganzen Lebensrhythmus der Menschen diktieren dürfen. Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft darf nicht insgeheim zur Sonntagsarbeit im großen Stil und zur Aushöhlung des Sonntagsschutzes führen.

 

Wenn in den nächsten Wochen und Monaten darüber wohl heiß diskutiert wird, dann ist dies ein Forum, wo die Christen sich nicht zurückhalten dürfen. Hier geht es im Kern um die Unterscheidung und Wahrung des Christlichen in unserer Gesellschaft, das hier weitgehend auch mit dem wahren Humanum zusammenfällt.

 

© Karl Lehmann, Mainz

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz