WAHRE LEBENSFREUDE

Wort des Dankes bei der Preisverleihung des „Champagne-Preises für Lebensfreude“ am 19. März 2007 in Hamburg-Nienstedten, Hotel Louis C. Jacob

Datum:
Montag, 19. März 2007

Wort des Dankes bei der Preisverleihung des „Champagne-Preises für Lebensfreude“ am 19. März 2007 in Hamburg-Nienstedten, Hotel Louis C. Jacob

Sehr herzlich möchte ich mich für die Verleihung des Champagne-Preises für Lebensfreude bedanken, vor allem bei den Stiftern, dem Comité Interprofessionnel du Vin de Champagne in Épernay, also der Vereinigung der Champagnehäuser und Champagnewinzer in Épernay.

In meiner Jugend - während des Zweiten Weltkrieges und in der Nachkriegszeit - war Champagner ein Wort aus einer völlig anderen Welt. Es dauerte Jahrzehnte, bis ich den Unterschied zwischen Sekt und Champagner auch einmal ausprobieren durfte. Auch heute noch ist der Champagner im westlichen Kulturkreis das wohl festlichste aller Getränke. Er wird umso mehr geschätzt, je seltener man in seinen Genuss kommt. Darum sind die Gelegenheiten für einen Champagner rar. Er ist auch in der Welt der Weine einmalig und einzigartig. Deswegen erhält der Champagner immer wieder auch die Auszeichnung des Edlen und geradezu Adeligen, ein „Hochgetränk“.

Gewiss hat das Wort Champagner, seit dem 18. Jahrhundert bei uns gebräuchlich, auch heute noch ein wenig den Ruf einer raffinierten Lebensart und eines elitären Lebensgefühls als bloßes Luxusgut. Wer sich Champagner leisten kann, gehört zu einer bestimmten Klasse. Manche zelebrieren es auch.

Wie so oft im Leben sieht die ganze Wirklichkeit anders aus. Die Champagne, eine ehemalige Provinz im Nordosten Frankreichs, ist eine manchmal karge und trockene, aus Kreidekalken aufgebaute Landschaft, nicht selten mit einem unfruchtbaren Boden, der nur als Weidegrund für die Schafe dient. „Champagne“ kommt ja auch vom spätlateinischen Wort „campania“, was Feld, Ebene, offene Landschaft bedeutet . Der Champagner wurde in einer langen Reifezeit entwickelt und verlangt bis heute sehr strenge Regeln des Anbaus und der Kelterung. Der Traubengewinn und die Weinerzeugung sind zur Qualitätskontrolle streng getrennt. Die großen Champagnehäuser beziehen im Übrigen die Trauben überwiegend von 14.000 oft sehr kleinen Winzerbetrieben. Es war nicht immer nur ein Höhenflug wirtschaftlicher Prosperität, denn um 1900 machte zum Beispiel die Invasion der Reblaus fast alles zunichte. Während des Ersten Weltkrieges litt die ehemalige Provinz Champagne schwer als Schauplatz von Kampfhandlungen. Mit der Russischen Revolution und der Prohibition (staatliches Verbot von Alkoholherstellung und -abgabe) in den USA brachen wichtige Exportmärkte weg. Die vielen kleinen Familienbetriebe, die heute noch existieren, kommen nicht selten aus dieser Not. So weiß das edle Getränk nicht nur etwas von gehobenem Lebensstandard, sondern wirklich auch von der aus der Not geborenen Kunst der Menschen, ihren Lebensunterhalt durch einen Edelwein zu erreichen und zu sichern.

Im Übrigen waren dabei auch Geistliche beteiligt. Die Champagnermethode (Flaschengärverfahren) wurde von dem Benediktinermönch Dom Pérignon (1638-1715), Kellermeister der Benediktinerabtei Hautevillers, entscheidend weiterentwickelt, dabei unterstützt von einem Geistlichen aus Reims, Jean Godinot, der sich ebenfalls mit den Techniken der Herstellung befasste. Das größte Weinhaus der Champagne, Moët & Chandon, bewahrt bis heute das Andenken von Dom Pérignon. Übrigens haben auch die Frauen in der Entwicklung des Champagners im Unterschied zu vielen anderen Berufszweigen schon früh eine besonders wichtige Rolle gespielt. Heute noch sind darum die Namen der Damen Pommery, Perrier und Clicquot bekannt.

Es ist von der hohen Qualität des Champagners her sinnvoll und angemessen, seinen Genuss mit Lebensfreude zu verbinden. Natürlich ist sie nicht einfach mit einer überschäumenden Ausschweifung und mit ungezügeltem Konsum zu verwechseln. Das Wort Lebensfreude ist überhaupt selten geworden in unserer Sprache, obgleich wir sie alle suchen, die Freude am Leben. Andere Begriffe sind an ihre Stelle getreten: „Lebensqualität“ ist die vorherrschende Leitidee in modernen Gesellschaften. Aber damit kommt man oft über eine messbare Wohlbefindlichkeit nicht hinaus. In letzter Zeit hat das Wort „Lebenskust“ Hochkonjunktur. Man sucht Wege zur Eroberung des Glücks und neue Wege zu einer besseren Lebensgestaltung. Es gibt geradezu eine „Bibliothek der Lebenskunst“ . Man findet hunderte von Titeln im Verlagswesen und im Buchhandel. Weil wir oft diese Lebenskunst verloren haben, glauben wir, dass wir sie – wie alles sonst – herstellen können. So sagt schon ein früher Schriftsteller im Dienst dieser Ideen, Alain, im Jahre 1925: „Vor allem scheint mir klar, dass man unmöglich glücklich sein kann, wenn man es nicht sein will. Man muss sein Glück wollen und es machen.“ Darum gibt es heute auch rasch hinterher eine „Kritik der Lebenskunst“ .

Darum hat man die Lebenfreude dabei vergessen. Ich habe den Eindruck, dass man in dieser Kunst das „Leben“ zu sehr aus der Perspektive weitgehend der Selbstgestaltung allein entwirft. Man denkt zu wenig an die nicht von uns selbst hergestellten Gaben, die das Leben erfreuen. Es sind vor allem auch die Geschenke der Schöpfung – wie wir gesehen haben: durchaus vom Menschen veredelt –, die Lebensfreude vermitteln. Der Wein ist ein uralter Freund des Menschen. Dies gilt nicht nur für die Fürsten- und Kaiserhöfe sowie für die Versöhnung bei großen Friedensschlüssen. Es ist ein großer Trost, dass der Wein auch dem Volk nicht versagt war. Den kleinen Mann hat er immer ermuntert, ihm in der Mühsal des Alltags Zufriedenheit, ein bisschen Stolz über das Erreichte und sicher auch nicht selten den Rausch des Vergessens geschenkt. Vergessen wir die Kranken nicht, die der Wein geheilt oder denen er wenigstens Linderung verschafft hat.

So ist auch die Bibel voll über den Lobpreis des Weines. Er erfreut über alle anderen Getränke hinaus besonders den Menschen (vgl. Ri 9,13). Wein in Fülle gilt als besonderer Segen Gottes (vgl. Gen 27, 28.37). Der Lehrer der Weisheit setzt „Wein“ geradezu mit „Leben“ gleich. Schließlich wird der Wein zum Sinnbild für die kommenden Heilsgüter. Der Wein ist ein Symbol für das Heil und den Frieden der Völkerwelt (vgl. Dtn 32, 33): „Der Herr der Heere wird auf diesem Berg (auf dem Zion in Jerusalem) für alle Völker ein Festmahl geben mit den feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen.“ (Jes 25, 6).

Unsere menschlicher Erfahrung und die Bibel wissen aber auch um das Verhängnis des übermäßigen Genusses. Er missbraucht dann die Gaben der Schöpfung, wenn er zur Sucht wird. Dies ist eine uralte Erfahrung, die auch zum Champagner gehört: „Weh euch, die ihr schon früh am Morgen hinter dem Bier her seid und sitzen bleibt bis spät in die Nacht, wenn euch der Wein erhitzt“ (Jes 5, 11). Immer wieder gibt es Warnungen für den, der dem Wein verfällt: „Ein Zuchtloser ist der Wein, ein Lärmer das Bier; wer sich hierin verfehlt, wird nie weise... Der Not verfällt, wer Vergnügen liebt, wer Wein und Salböl liebt, wird nicht reich.“ (Spr 20, 1; 21, 17; vgl. auch Sir 19, 1ff). Die Trunkenheit lässt den Mensch taumeln und wanken, trübt die Augen, weckt Leichtsinn, mindert die Schamhaftigkeit, raubt den Verstand und macht unfähig zur Verantwortung und zur Ausübung eines Amtes.

Gerade auch das letzte Mahl Jesu, wie auf seine Weise das Weinwunder bei der Hochzeit zu Kana (vgl. Joh 2, 1-11), zeigt im Gegenzug, wie kostbar der Wein ist und wie sehr er zu den höchsten Zeichen des Heiles gehört. Der Wein ist eine besonders reine, durchsichtige, auf den Schöpfer hin transparente Kreatur. Die Bibel enthält eine ganze Natur- und Kulturgeschichte des Weins. Aber in der Mitte aller Aussagen steht die Überzeugung, dass der Wein eine besonders köstliche und kostbare Gabe der Schöpfung ist. Er wird nicht nur zusammen mit Brot und Öl zu den elementaren Lebensbedürfnissen des Menschen gezählt (vgl. Dtn 8,7 ff), sondern er soll auch das oft mühselige Leben des Menschen steigern. Der Wein ist Gabe und Werk des Schöpfers, der durch dieses Geschenk den Menschen glücklich und zufrieden machen will. Er ist dem Menschen zur Tröstung über die Mühsal seiner Arbeit gegeben (vgl. Gen 5, 29; 9, 20). Dabei geht es nicht nur um den einzelnen Menschen. Es ist der Inbegriff eines in Gottes Güte geglückten Lebens, wenn ein jeder ohne Angst und Schrecken unter seinem Weinstock sitzen und friedlich seine Nachbarn einladen kann (vgl. 1 Kön 5,5; Mi 4, 4; Sach 3, 10). Ja, an der vielleicht schönsten Stelle der Bibel über den Wein heißt es, dass er „das Herz des Menschen erfreut“ (Ps 104, 15) – Lebensfreude pur.

Dies ist ein Beispiel für Lebensfreude, die aber nicht nur aus einer verkrampften, fast neurotischen Suche nach einer selbstgezimmerten Lebenskunst kommt. Wir brauchen die Gaben, die andere – Gott, die Schöpfung und die Menschen - uns bereiten, vom Wein bis zur Liebe. Darum hängt auch alles ab vom rechten Gebrauch dieser Gaben. Freude bringen sie uns nur, wenn wir Disziplin und Maß bei ihrem Genuss walten lassen. Freude ist mehr als Ausgelassenheit. Sie weiß um ihre eigene Verletzlichkeit. Sie weiß darum auch um die Notwendigkeit des Verzichtes: „Nie zuviel“ ist schon eine Weisheit antiker Heilkunst. Auch das müssen wir wieder neu lernen. Sonst kommen wir nicht zu einer Lebensfreude, die bleibt. Sonst müssen wir sie bereuen. Weise Denker haben dies auf ihre Art immer schon gewusst. Sie sind auch heute wichtige Lese- und Lebemeister. Meister Eckhart und Jahrhunderte danach Martin Heidegger sagen es auf gleiche Weise: „Der Verzicht nimmt nicht. Der Verzicht gibt. Er gibt die unerschöpfliche Kraft des Einfachen.“ Nur dann nämlich können wir die Köstlichkeiten und Kostbarkeiten unseres Lebens wahrnehmen und uns an ihnen erfreuen.

In diesem Sinne habe ich gerne und dankbar den Champagne-Preis für Lebensfreude angenommen. Hinzu kommt noch, dass diese Auszeichnung mit einem anderen Preis verbunden ist: Die 7.500 Euro möchte ich gerne dem „Netzwerk Leben“ im Bistum Mainz zukommen lassen, damit schwangeren Frauen in Not geholfen werden kann, und sie so auch nicht nur selbst Freude am Leben haben, sondern gerne in Freude Leben weiterschenken.

Herzlichen Dank: den Stiftern, dem Initiator Günter Schöneis und der Jury unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Hellmuth Karasek und Ihnen allen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz