Was heißt Auferstehung Jesu?

Predigt im Pontifikalgottesdienst am Ostersonntag, 23. März 2008, im Hohen Dom zu Mainz

Datum:
Sonntag, 23. März 2008

Predigt im Pontifikalgottesdienst am Ostersonntag, 23. März 2008, im Hohen Dom zu Mainz

Man kann nur von der Passion und vom Tod Jesu her verstehen, was Auferstehung bedeutet. Aber sie selber, nämlich das Leiden und das Sterben Jesu, bringen uns zunächst nicht die geringste Einsicht in das, was geschehen ist. Beides, Tod und Auferweckung, sind zwar ganz eng aufeinander bezogen, aber in keiner Weise ableitbar.

Die Gegner Jesu gingen davon aus, wenn sie ihn beseitigt hätten, dann wäre Ruhe. So geschieht es ja bei jedem Mord und bei jeder Hinrichtung. Die Gegner tun alles, um ihn nicht nur mundtot zu machen, sondern um sein Leben und das Gedächtnis an ihn auszulöschen. Danach ist - so meinen sie - nichts mehr zu erwarten. Auch viele Jünger, bis in die engste Gruppe der Apostel hinein, gehen davon aus, dass jetzt alles vorbei ist. Dies scheint sich auch nochmals von der Seite Gottes her zu bestätigen. Jesus wird ja verhöhnt, sogar noch von dem mit ihm gekreuzigten Verbrecher: „Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns!" (Lk 23,39) Aber es kommt keiner vom Himmel her, um ihn zu retten. Dies ist für die Feinde eine Genugtuung und eine Bestätigung für ihr Tun. Ja, dieses erfüllt sich in dem Schrei Jesu, mit dem er die Klage des Beters aus dem Psalm 22 aufnimmt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (vgl. Mk 15,34; Mt 27,48) Dieser Schrei der Gottverlassenheit zeigt, wie nahe hier die Erfahrung der Sinnlosigkeit dem Abgrund dieses Todes ist: Absolut alleingelassen von dem, auf dessen Hilfe er alles gesetzt hatte.

So unerwartet und so überraschend es ist: in diese Situation gehört die Auferstehungsbotschaft. Alles war - menschlich erfahren und gesprochen - umsonst. Kein Mensch kann angesichts der letzten Aussichtslosigkeit dieses Sterbens und gerade auch der Schrecklichkeit des Kreuzestodes auf die Idee kommen, dass das Zeichen eines gehängten Verbrechers, eines gescheiterten Religionsstifters Heil und Sinn in sich bieten könnte.

Gott hat ihn auferweckt: Gott hat ihn allem Anschein zum Trotz nicht in diesem absoluten Tod gelassen. Er hat seinen gerechten Zeugen auch durch das äußerste Leid hindurch gehalten. Nur weil Gott Jesus rettet und ihn ein für allemal der Macht des Todes entnimmt, gibt es einen letzten Ausweg und einen tief verborgenen Sinn in dieser Katastrophe. Auferweckung heißt hier, dass Gott selbst dieses Leben, Jesu Worte und seine Werke, bekräftigt. Auch wenn fast alle in dieser Stunde flüchten, Gott hält zu ihm. Der Vater bekennt sich in dieser äußersten Situation zum Sohn. Er lässt ihn nicht untergehen, bestätigt vielmehr seine Botschaft und die Hingabe seines Lebens: für uns, für alle, für das Leben der Welt. War das Leben Jesu durch dieses schreckliche Ende durchkreuzt worden, so durchkreuzt Gott nun die Pläne von Jesu Feinden. Sie kommen dennoch nicht zum Sieg, auch wenn alles so aussieht.

Freilich muss uns dies verkündet werden. Wir können die Auferstehung Jesu nicht erfinden. Wir haben aber auch keine unmittelbaren Zeugen für das innerste Geschehen der Auferweckung. Kein Mensch war dabei. Bei aller Wichtigkeit der Engel für das Ostergeschehen: auch sie sind keine direkten Boten der Auferweckung Jesu durch Gottes Allmacht. Dies ist ein Geschehen, das sich nur in der uns gänzlich unzugänglichen Atmosphäre Gottes ereignet.

Es gibt in unserer religiösen Sprache Worte, die nur einen vollen Sinn zusammen mit Gott und von ihm her gewinnen. Dies gilt z.B. für den ursprünglichen Sinn des Erschaffens, wenn nämlich etwas entsteht buchstäblich aus dem Nichts. Wir Menschen brauchen immer etwas, aus dem wir schaffen, auch wenn es um geistige Vorgänge geht. Wir sind bei allem schöpferischem Tun immer Nachbildner, Imitatoren. Deswegen gibt es Traditionen, auf denen wir aufbauen. Gott aber braucht in seinem Tun nichts vorauszusetzen. Dies gilt gerade auch für die Auferstehung, wo er allein den Tod vernichten und das Leben neu schaffen kann. Darum nennt ihn Paulus den „Gott, der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft." (Röm 4,17). Vielleicht gibt es nur einige wenige andere Vollzüge, die so ursprünglich in Gott verwurzelt sind, z.B. bei der reinen Vergebung ohne Wenn und Aber, ohne Nachtragen, in der das Herz gereinigt wird, weißer als Schnee. Aber bei der Erschaffung  und bei der Auferweckung da kommt die Göttlichkeit Gottes voll zur Wirksamkeit.

Es bleibt dabei: Keiner von uns war dabei. Woher wissen wir darum? Geht es uns da nicht ähnlich wie Goethes Faust beim Läuten der Osterglocken: Die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube? Ja, es ist eine Botschaft, die uns gesagt werden muss, von außen. Es ist gewiss auch ein Bekenntnis und verlangt darum Glauben.

Dennoch spricht Gott auch beim Ereignis der für uns unzugänglichen Auferweckung in unsere Welt hinein. Wir spüren es schon beim Tod Jesu: die Erde bebt, die Sonne verfinstert sich, Felsen spalten sich, ja Gräber öffnen sich. Schon unsere Worte Auferweckung und Auferstehung bezeugen dies, indem wir von der Erfahrung unseres Lebens ausgehen. Drastische Bilder kommen einem in den Sinn. Die Auferstandenen leben in einer „anderen Welt" - aber auch mit demselben Leib, den wir schon kennen? Stellen wir uns alles so vor wie in diesem Leben? Diese Worte rächen sich rasch, wenn wir ihnen zu viel aufladen. Sie sagen weniger oder nichts mehr, weil sie ja den Ort der Bedeutung in unserem Leben verlassen sollen. Sie spielen nicht mehr im Bereich des Sterbens und des Todes. Wenn wir die Worte im Bereich des Glaubens überdehnen, sagen sie nichts mehr und werden eher lächerlich. Deswegen kommt die Osterbotschaft bis zum heutigen Tag immer wieder an diese rasch erreichten Grenzen des Verstehens. Wenn wir zu viel wissen wollen, wird es komisch. Also müssen wir in die Tiefe und in die Mitte!

Dennoch sind unsere Worte nicht blinde Scheiben, durch die man am Ende doch nichts sieht. Wenn wir unsere Worte als Bilder nehmen, dann sprechen sie länger, tiefer und weiter als nur in der gewohnten Alltagsbedeutung. Jemand wird aus dem Schlaf geweckt, wenn es Zeit ist. Wenn er einmal längere Zeit krank war, wird er nicht mehr ganz vergessen, was es heißt, aufstehen zu dürfen und zu können. Auch bei anderen Gelegenheiten spielt dies eine Rolle, wenn z.B. ein Boxer oder Ringer so hart getroffen ist, dass er sich nicht mehr erheben kann. Wir verstehen auch sehr gut, wenn Menschen sagen, dass ein Schwerkranker nie mehr aufstehen kann. Immer wieder erhebt sich der Mensch und ist in seinem Wesen „aufständisch", er lässt sich nicht unterkriegen. Auch in den verschiedenen Situationen der Niedrigkeit oder der Ohnmacht können ihn andere zu neuem Mut oder gar zum Leben erwecken. Im Bereich unseres Glaubens dienen diese uns aus dem Alltag vertrauten Vorgänge dazu, dass wir nun ein ganz unbekanntes und von keinem Menschen noch erfahrenes Geschick in einem Bildwort ausdrücken: ähnlich wie wenn man aufgeweckt wird und aufsteht, soll es sich bei denen ereignen, die den Tod erleiden müssen. Freilich wissen wir auch, dass wir eine uralte Sehnsucht damit berühren, wenn wir hoffen, nicht einfach untergehen. Aber schnell zerfällt wieder die vage Hoffnung, wenn wir daran denken, wir würden wortwörtlich und handfest wieder in unser bisheriges Dasein zurückkehren. Dieser Weg führt nicht weiter. Wir müssen es schon Gott überlassen, wie dieses neue Leben jenseits des Todes aussieht, das nur er uns schenken kann. Es lässt sich nicht in unsere „Vorstellungen" einfangen, aber die Kraft unserer Bilder kann doch wenigstens eine Ahnung zur Sprache bringen.

Bekanntlich zögert das Alte Testament, wenigstens für lange Zeit, mit Aussagen zur Auferstehung vom Tod. Wir kennen die Klagen des Gottgetreuen, warum es bei Gottes Gerechtigkeit zum Glück des Gottlosen und zum Unglück des Frommen komme. Es ist die Frage nach der Verlässlichkeit Gottes. Diese wird auf die härteste Probe gestellt, wenn es um die unleugbare Wirklichkeit des Todes geht. Israel hält dieser Frage lange stand: „Kannst du an Toten Wunder tun, stehen die Schatten auf, dich zu preisen? Rühmt man im Grab deine Verbundenheit, im Totenreich deine Treue? Wird deine Wundermacht im ewigen Dunkel kund, im Land des Vergessen dein gerechtes Walten?" (Ps 88,11-13)

Ja, aber Gott antwortet auf die Anfechtung des Menschen, ob Gott denn auch noch verlässlich sei jenseits des Todes. Es ist nicht zufällig der Beter, der uns dies sagt: „Fürwahr, du überlässt mein Leben nicht der Unterwelt, du gibst deinem Getreuen nicht die Grube zu schauen, du weisest mir den Pfad zum Leben: Fülle der Freuden in deiner Gegenwart, Wonnen in deiner Rechten auf ewig." (Ps 16,10-11) Auch wenn im Alten Bund die Trennlinie zwischen Leben und Tod manchmal unbestimmt bleiben mag, so gibt es vor allem von Gott selbst her eine feste Zusage: „Nun aber bin ich immer bei dir. Du hast meine rechte Hand erfasst. Mit deinem Rat wirst du mich geleiten und hernach mich in Herrlichkeit entrücken. Wen habe ich im Himmel (neben dir)? Neben dir begehre ich nichts auf Erden. Mein Fleisch und mein Herz schwinden dahin, aber mein Anteil bleibt Jahwe auf ewig." (Ps 73,23-26) So wird die fraglose und kühne Gewissheit einer unbegrenzten Gemeinschaft des Lebens mit Gott deutlich. Die Überzeugung von einem guten Geschick des Menschen nach dem Tod baut sich auf über der festen Gewissheit, in der gegenwärtigen Zeit in huldvoller Gemeinschaft mit Gott zu stehen. Die unbegrenzte Reichweite dieser Lebensgemeinschaft braucht nur einen letzten Anstoß, um zum Kern der vollen Aussage von der Auferweckung zu kommen: Ich bin immer bei dir! Bei aller Bedeutung der Unsterblichkeit der menschlichen Seele ergibt sich das Wissen um unzerstörbares Leben trotz mancher Hinweise am Ende vor allem aus der rettenden Tat eines verlässlichen, treuen und liebenden Gottes, der einzig die Macht zur Gewährung eines solchen Lebens hat.

Gott ist auch hier - wie sonst in seiner herabsteigenden Offenbarung - gütig und milde mit uns. Auch wenn das Ereignis der Auferweckung selbst ein unzugängliches Geheimnis bei Gott selbst ist, gleichsam zwischen Gott und Gott, so bekommen wir doch Kunde davon, nämlich vor allem in den so genannten Erscheinungen des Herrn. In ihnen wendet er sich unserer Welt zu und zeigt sich zwar nicht mehr physisch-leibhaftig, aber konkret im Rahmen unserer raumzeitlichen Bedingungen. Aber er hat seine eigene Seinsweise: Er ist plötzlich da - und rasch wieder entschwunden, besonders wenn man ihn berühren, seiner habhaft werden möchte. Er ist da - und entzieht sich auch wieder. In diesen Erscheinungen begegnet er immer Menschen, die er auch anspricht. Er ist kein Gespenst. Vor allem erscheint er offenbar nur, um die zerbrochene Gemeinschaft seiner Jünger wieder aufzurichten, sie zu unterweisen durch sein Wort und sein Zeichen, durch die Stiftung und die Feier der Sakramente als Symbole des neuen Lebens. Schließlich mündet alles in die Sendung: Er erscheint schließlich, um die Jünger vor allem mit dem Geist auszurüsten, damit sie die Frohbotschaft zu allen Menschen bringen können. Auf nichts anderes zielen die Erscheinungen, die man so leicht missverstehen kann, weil sie zwischen Himmel und Erde, Sichtbarem und Unsichtbarem spielen (vgl. Mt 28,16-20), an beidem teilhaben.

Von den Erscheinungen aus dürfen wir wieder zurücksteigen hinein in das Geheimnis der Auferweckung. Die ganze Osterzeit schenkt uns mit ihren Erzählungen lebendigen Umgang mit dem auferstandenen Herrn.  Was aber den Jüngern damals widerfahren ist, das dürfen wir auch heute in gleicher Ursprünglichkeit, wenn auch anders, erfahren, vor allem im Gottesdienst, wenn der auferstandene Herr, der Kyrios, mitten unter uns gegenwärtig ist, zuerst in seinem Wort, das wir immer wieder brauchen, dann aber auch beim Tisch des Mahles, zu dem er uns versammelt. Hier wird uns wie damals den Jüngern die Chance geboten, dass uns dabei näher aufgeht, wer er ist.

Die Emmaus-Geschichte wird uns dies morgen näher erzählen. Entscheidend ist aber am Ende die Konsequenz der Jünger: „Noch in derselben Stunde brachen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück, und sie fanden die Elf und die anderen Jünger versammelt. Diese sagten: Der Herr ist wirklich auferstanden und ist dem Simon erschienen. Da erzählten auch sie, was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach." (Lk 24,33 ff.) Dies wollen wir nun auch tun. Amen.

(c) Karl Kardinal Lehmann

 

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz