Was sagt mir der hl. Fidelis von Sigmaringen?

Versuch eines Zeugnisses für heute Predigt am 23. April 2006 in der Stadtpfarrkirche St. Johann in Sigmaringen

Datum:
Sonntag, 23. April 2006

Versuch eines Zeugnisses für heute Predigt am 23. April 2006 in der Stadtpfarrkirche St. Johann in Sigmaringen

Ich liebe die Heiligen. Dies gilt gerade für ihre Vielfalt. Ich freue mich, dass es darunter große Männer und Frauen, aber auch viele einfache Menschen gibt. Könige und Bettler gehören dazu. Sie sind gewiss nicht alle ernst und traurig. Nicht wenige haben viel Humor und Freude in die Welt gebracht. Inzwischen gibt es auch Selige und Heilige, die ich selbst noch zu Lebzeiten kennen lernen durfte, wie z.B. Johannes XXIII. und Mutter Teresa.

Zu der Schar der Heiligen, die mir besonders nahe sind, gehört auch der hl. Fidelis von Sigmaringen. Er ist der Heilige dieser Stadt, in der ich vor fast 70 Jahren geboren wurde. Da begegnet man der Lebensgeschichte des Heiligen unter Umständen schon von Anfang an. Man erzählte mir später immer wieder, dass ich nach meiner Geburt und im Zusammenhang der Taufe, wie so viele andere Kinder, in die Wiege des hl. Fidelis gelegt worden sei. Auch später habe ich in Sigmaringen immer wieder mit ihm zu tun gehabt. So war ich als Schüler von 1948 bis 1951 im so genannten „Fidelishaus“, dem nun geschlossenen Erzbischöflichen Konvikt in Sigmaringen.

Der hl. Fidelis, der mit seinem bürgerlichen Namen Markus Roy hieß, war mir zuerst als Schüler und Student ein Vorbild. Er hat in hohem Maß seine Gaben auch durch Fleiß entfaltet. Er wurde 1578 geboren. Bis zum Jahr 1611 erwarb er den Doktor beider Rechte und der Philosophie. Ich war später stolz, dass ich wie er in Freiburg studieren durfte. Dort hat man immer wieder auch seinen Namen gehört. Noch in einer anderen Hinsicht hatte er eine Vorbildfunktion. Es war bekannt, dass er als Rechtsgelehrter und Gerichtsrat, vor allem auch im Elsaß, besonders den Armen unentgeltliche Rechtsunterstützung gab. So hat er schon zu Lebzeiten den Titel „Advokat der Armen“ erhalten. Es war mir immer wichtig zu sehen, dass Heiligkeit nicht nur eine persönliche Eigenschaft eines frommen Menschen war, sondern dass dazu auch der Einsatz für bedrängte Menschen gehörte, nicht zuletzt auch für die Schwachen und Entrechteten. Heute nennt man dies „Option für die Armen“, aber es gab schon seit den frühen biblischen Zeiten diese Einheit von Glaube und Liebe, Frömmigkeit und Gerechtigkeit.

Es war wohl auch Enttäuschung, ja Verbitterung über schlimme Fehlurteile und Misswirtschaft im Gerichtswesen, die bei Markus zu einer tief greifenden Umkehr in seinem Leben führten. Er hat seine inzwischen schon berühmte Kanzlei geschlossen. Dies war ein unglaublich mutiger Schritt. Im Jahre 1613 legte er die Gelübde als Bruder Fidelis ab. Es hat mir immer einen großen Eindruck gemacht, dass ein Wort der Bibel, das Markus nun einen neuen Namen gab, für ein ganzes Leben seine Orientierung wurde: „Sei getreu (fidelis) bis zum Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben.“ (Offb 2,10, vgl. auch Dan 1,12.14; Jak 1,12) Irgendwie war ich immer wieder von diesem Wort lebenslanger Treue, von der Beharrlichkeit von Tag zu Tag und von Beständigkeit im Alltag fasziniert. Es sind nicht nur die großen Ereignisse und die auffallenden „Events“, auf die es ankommt. Sie bringen gewiss wie alle Feste und Feiern etwas Glanz in unseren manchmal banalen Alltag. Aber die Treue im Kleinen ist etwas Großes. Dies habe ich immer wieder vom hl. Fidelis zu lernen versucht. Er war darin mit großer Vorbildlichkeit konsequent. Wir müssen dies wieder neu lernen, da wir wenig vertraut sind mit Beharrlichkeit und Standhaftigkeit, Kontinuität und Stetigkeit, kurz mit Treue.

In den kommenden Jahren wirkte Fidelis in der Schweiz, im Elsaß und in Vorarlberg. Sein Wirken in dieser Zeit erforderte viel Mut. Es war die Epoche des Dreißigjährigen Krieges. Er hat in dieser Zeit vor allem als Prediger gewirkt und durch sein Wort versucht, die an die Reformation verlorenen Gebiete wieder zur katholischen Kirche zurückzuführen. Dies war extrem gefährlich. Er wusste nicht immer, was ihn erwartete, wenn er auf die Kanzel stieg. In dieser Zeit tobten unerbittliche, verbissene konfessionelle Kämpfe und Streitigkeiten.

Ich habe immer diesen grenzenlosen Mut des heiligen Fidelis bewundert. Wir brauchen gerade heute diesen Heiligen, auch wenn wir ein anderes Verhältnis zu unseren evangelischen Nachbarn haben als damals. Ökumene darf nicht der kleinste gemeinsame Nenner sein, zur Unverbindlichkeit verkommen oder uns gar in wichtigen Fragen gleichgültig werden lassen. Auch und gerade in einem Zeitalter der Toleranz und der Religionsfreiheit, wo wir näher zusammenwachsen, brauchen wir den Mut zum Bekenntnis und entschiedene Treue zu unserem Glauben sowie zur Kirche. Darin war mir der hl. Fidelis, wie es sein Name schon sagt, immer wichtig. Aber heute müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass diese Eindeutigkeit im Bekenntnis nicht verwechselt wird mit Fanatismus und dem, was man kurz mit einem Schlagwort Fundamentalismus nennt.

Als junger Mensch habe ich um das schreckliche Martyrium des Heiligen immer einen Bogen gemacht. Es war mir schon klar, dass das Erleiden und die Hinnahme dieses gewaltsamen Todes in Graubünden, in Seewis, mit zu dieser Treue gehören. Da wird es buchstäblich ernst: „Sei getreu bis zum Tod, und ich will dir die Krone des Lebens geben.“ Aber der Gedanke an den Tod mit einer grausamen, wuchtigen Stachelkeule, regelrecht erschlagen, ist mir immer schrecklich vorgekommen. Dies hat mich immer auch im Einsatz gegen alle Gewalt bestimmt und motiviert. Dass er ausgerechnet nach einer Predigt erschlagen worden ist, zeigte mir auch, wie tief die Gewalt in unsere christliche Religion eindringen konnte. Im Übrigen erinnert das Martyrium – bei aller Unterschiedlichkeit – auch an das des heiligen Bonifatius, des Apostels der Deutschen, dessen Nachfolger als Bischof von Mainz ich heute darf. Auch er war wie Fidelis ein unerschrockener Glaubenszeuge, der in Treue zum Evangelium das Martyrium erleiden musste.

Fidelis reiste viel. Seine Predigten machten lange Wanderungen notwendig. Er wurde durch Schnee, Regen und Kälte schließlich krank. Aber er hielt durch und hat seinem geschwächten Körper unheimlich viel abgetrotzt. Auch durch dieses Steh- und Durchsetzungsvermögen ist mir der hl. Fidelis ein wichtiges Vorbild.

Man könnte wahrscheinlich noch manches finden, was man gewiss bei einem noch tieferen Kennenlernen des Lebens des hl. Fidelis entdecken könnte. Aber dies soll vorerst einmal genügen. Nur eines ist mir dabei noch sehr wichtig: Fidelis entstammt unserer Heimat, ist ein Sohn dieser Stadt. Sein Name wird in der Liturgie in die weite Welt hinausgetragen. Für uns ist er kein Phantom. Christentum ist nicht nur ein abstraktes Programm. Seine Wahrheiten sind gewiss Sterne am Himmel des Geistes. Aber sie leuchten auch durch das Tun der Wahrheit in unserer Zeit. Dies geschieht durch konkrete Zeugen, durch einsatzbereite Menschen. Wir reden heute viel von Werten. Hier werden sie gelebt. Der Glaube ist also nicht so fern. Er ist keine Utopie, die wir ewig beschwören, aber nie ist. Darum ist uns der hl. Fidelis ein lebendiges Vorbild des Glaubens, wie er uns in dieser unserer Heimat vorgelebt und übergeben wurde. Dann kommt es nur noch darauf an, dass auch wir treu sind.

 

(c) Karl Kardinal Lehmann

Es gilt das gesprochene Wort

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz